leichtem Gepäck

Predigten von
Pastorin Andrea Busse
Predigt an Aschermittwoch
„Mit leichtem Gepäck“ - Fasten als Er-Leichterung
Gnade sei mit euch und Friede. Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und ein Wort für unser
Herz. Er segne unser Reden und Hören. Amen.
Liebe Gemeinde,
eine vierzigtägige Reise liegt vor uns. Eine Reise, deren Ziel wir kennen – wir gehen auf Ostern
zu, auf neues, verändertes Leben. Aber wie die Reise durch die Fastenzeit sein wird, ob sie uns
verändern wird und wenn ja wie – das wissen wir noch nicht. Ich möchte heute dafür werben,
diese Reise mit leichtem Gepäck anzutreten.
„Mit leichtem Gepäck“ so heißt das neue Album der deutschen Band Silbermond und der Titel
ist ein ziemlicher Hit geworden. Da heißt es:
„Eines Tages fällt dir auf, dass du 99% nicht brauchst.
Du nimmst den Ballast und schmeißt ihn weg,
denn es reist sich besser mit leichtem Gepäck.“
Mit diesem Refrain bringt die Sängerin für mich wunderbar auf den Punkt, worum es beim Fasten geht: Ballast abwerfen. Leicht werden. Unterwegs sein und sich auf das Wenige konzentrieren, das es wirklich braucht.
Klingt verlockend.
Ist aber bei weitem nicht so leicht umzusetzen, wie es sich anhört. Das können Sie schon merken, wenn Sie ganz wörtlich genommen für eine Reise packen. Ich zumindest tue mich immer
schwer, Koffer und Taschen zu reduzieren. Ich finde es fruchtbar schwierig zu entscheiden, was
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muss wirklich mit, was werde ich brauchen und was nicht. Und meistens habe ich im Endeffekt
zu viel dabei. Und da geht es ja nur ganz banal um ein paar Klamotten für einen begrenzten
Zeitraum, bevor ich wieder zurückkehre zu meinem vollen Kleiderschrank. Wenn das Aussortieren da schon schwer fällt, wie schwierig ist es dann erst, sich von Dingen und Gewohnheiten
zu trennen, die zu meinem Alltag gehören.
„Du siehst dich um in deiner Wohnung“ , so Silbermond weiter
„Siehst ein Kabinett aus Sinnlosigkeiten.
Siehst das Ergebnis von kaufen und kaufen
von Dingen, von denen man denkt
man würde sie irgendwann brauchen. (…)
Zu viel Spinnweben und zu viel Kram
Zu viel Altlast in Tupperwaren
Und eines Tages fällt dir auf
dass du 99% davon nicht brauchst...“
Gut, wenn es überhaupt auffällt.
Gewohntes fällt ja meistens erst gar nicht auf.
Deswegen ist es so sinnvoll, ab und zu herauszutreten aus dem Gewohnten. Auf Abstand zu gehen.
Auch das ist die Chance der Fastenzeit – eine Art Ausnahmezeit inmitten der normalen Zeit.
Eine Zeit, um zurückzutreten und die Spinnweben überhaupt erst wieder wahrzunehmen, und
den Kram und die Dinge, die ich eigentlich gar nicht brauche, und die Altlasten, die sich angesammelt haben und wirklich nur noch Last sind.
Und dann das Aussortieren wagen: Was will ich festhalten, was will ich loslassen?
Beim Fasten geht es genau um diese zwei Pole: Festhalten und Loslassen.
Das Wort „Fasten“ kommt von seiner Wortbedeutung her von „fest, festhalten“. Gemeint ist damit ein Festhalten an Regeln, z.B. kein Fleisch essen, kein Alkohol trinken – und damit heißt es
automatisch auch Loslassen von Gewohntem und Freiräume schaffen für neue Erfahrungen.
Wer einmal gefastet hat – also für eine gewissen Zeitraum tatsächlich ganz auf Nahrung verzichtet hat – der hat die Erfahrung gemacht, dass unser Körper von eigenen Depots leben kann.
Sogar ziemlich lange.
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Normalerweise arbeitet der Körper nach dem Programm: „Ernährung kommt von außen.“ Sobald
wir für eine Zeit aufhören zu essen, stellt er sich um auf ein anderes Programm: „Ernährung
kommt von innen“. Fastende berichten, dass nach einiger Zeit tatsächlich das Hungergefühl
verschwindet und die Energie, die der Körper sonst für die Verdauung braucht, zusätzlich frei
wird.
Der Köper beginnt zu entschlacken und sich von allem zu befreien, was ihm durch ungesunde
Lebensweise zugeführt wurde. Diese Selbstreinigungsprozesse und Selbstheilungskräfte sind mit
die wichtigste Dimension des Fastens, wenn man es als Heilfasten betreibt.
Fasten heißt für uns Evangelische ja nicht automatisch, auf Essen zu verzichten. Durch die Aktion „7 Wochen ohne“ haben wir gelernt, uns Gedanken zu machen darüber, worauf wir verzichten wollen. Das kann Nahrung sein, muss es aber nicht. Aber es ist etwas, dessen Verzicht denselben Effekt hat: Nach einer Zeit der Entbehrung setzt es Energie frei und Selbstheilungskräfte
können wirken.
Wer z.B. auf Fernsehen verzichtet, hat plötzlich viel mehr Zeit, fängt an, mehr eigene Bilder und
Gedanken zu entwickeln, als sich von fremden berieseln zu lassen. Diese 40 Tage sind auch eine
Chance, schlechte Angewohnheiten loszuwerden oder zumindest etwas einzudämmen. Noch
einmal Silbermond:
„All der Dreck von gestern
All die Narben
All die Rechnungen, die viel zu lang offen rumlagen
Lass sie los, schmeiss sie einfach weg
Denn es reist sich besser
mit leichtem Gepäck.“
Mir macht dieses Lied Mut aufs Fasten. Denn es lenkt den Blick nicht auf den Verzicht, sondern
auf den Gewinn, nicht darauf, wie schwierig es ist, etwas loszulassen, und wie beängstigend,
etwas zu verändern, sondern wie erleichternd und befreiend das sein kann.
Das ist die eine Seite. Die Sehnsucht danach, frei zu werden von Lasten, von
99% Ballast.
Wovon das Lied nicht spricht – es ist ja auch nicht als Fastenlied geschrieben – wovon das Lied
nicht inhaltlich spricht, sind ist das eine Prozent. Das, worauf es ankommt, das Wesentliche,
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das ich im Gepäck auf meiner Reise durch das Leben unbedingt brauche, weil es sonst zu leicht
wird, kein Gewicht mehr hat, mich nicht mehr halten kann.
Fasten ist beides: Loslassen und Festhalten.
Woran will ich festhalten, wenn ich mit leichtem Gepäck reise?
„Ich richtete mein Gesicht zu Gott, dem Herrn“ - so der alttestamentliche Vers, mit dem ich
diesen Gottesdienst begonnen habe.
Das ist die Ausrichtung, die unsere vierzigtätige Reise hat.
Nur, wenn ich weiß, dass das 1 Prozent genug ist zum Leben, kann ich die 99% getrost rausschmeißen.
Das Sich-Hinwenden zu Gott, auf ihn Schauen, ist das, was die christliche Fastenzeit ausmacht
und auch von anderen Fastenprojekten unterscheidet – so sinnvoll diese aus sein mögen.
Wir beginnen diese 40 Tage gerade nicht damit, dass wir das Vertrauen in unsere eigenen
Selbstheilungskräfte beteuern, nicht damit, dass wir unsere guten Vorsätze benennen. Nein, wir
beginnen die Fastenzeit damit, dass wir uns auf Gott beziehen, den anrufen, der durch die
Heilsgeschichte hindurch seine Treue gezeigt hat und uns Menschen treu bleibt. Damit wird
deutlich: Fastenzeit ist nicht eine Art von religiösem Trainingslager, sondern erneute Ausrichtung auf Gott. Ansonsten würden wir uns doch wieder nur um uns selbst drehen. Ansonsten
könnte jedes Fastenvorhaben ganz schnell zu einem zusätzlichen Punkt auf der To-do-Liste und
damit zu eher zu einer weiteren Belastung werden, statt Ent-Lastung zu schaffen.
Leichtes Gepäck. Das wünsche ich uns, wenn wir uns auf den Weg in die 40 Tage Fastenzeit
machen.
Was müssen wir zurück lassen, damit wir frei werden?
Welchen Ballast können wir getrost über Bord werfen?
Welche schlechte Gewohnheit wollen wir loswerden?
Damit wir frei und offen werden für den, der uns festhält und an dem wir festhalten. Amen.