Predigt – Matthäus 3,13-17 Gnade sei mit Euch und Friede von Gott

Predigt – Matthäus 3,13-17
(1.So.n.Epiphanias 11.1.2015 um 9.30 Uhr in N’au, Pfr. Dr. Mathias Hartmann)
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem
Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde!
„Das ist aber nun wirklich nicht gerecht!“ Kennen Sie diesen Ausspruch? Sicher haben sie ihn auch schon so oder so ähnlich in
ganz unterschiedlichen Situationen gehört. Da schaut ein Kind
auf seinen Eisbecher und sieht, dass der Bruder oder die
Schwester eine Eiskugel mehr bekommen hat. Und gleich beschwert es sich, dass das Eis nicht gerecht verteilt wurde. Dahinter steht das Verständnis, dass es gerecht ist, wenn jeder das
Gleiche bekommt. Das geht im Jugend- oder Erwachsenenalter
aber in vielfacher Ausprägung weiter – sei es bei der Diskussion
wie die Hausarbeit oder andere Pflichten in der Familie verteilt
werden, wie die Arbeitsbelastung im Betrieb auf alle Schultern
aufgeteilt oder wie der Urlaub geplant wird. Da ließen sich noch
viele Beispiele finden.
Vor kurzem lass ich einen Zeitungsbericht, bei dem auch die Frage nach der Gerechtigkeit gestellt wurde. Ein gut verdienender
Unternehmer hatte eine Verkehrsstraftat begangen, indem er ein
falsches Kennzeichen an seinem Auto befestigt hatte. Dafür
könnte ein Bußgeld verhängt werden, in Höhe von 30-40 so genannten Tagessätzen. Unser Strafrecht versteht Gerechtigkeit
nämlich gerade nicht so, dass jeder für vergleichbare Vergehen
die gleiche Strafe bezahlen muss. Da sich die Höhe der Tagessätze nach dem bemisst, was der Straftäter verdient, kann die Höhe der Strafe bei vergleichbaren Straftaten extrem unterschiedlich
ausfallen. In dem betreffenden Fall könnte sich die Strafe des
extrem gut verdienenden Unternehmers auf bis zu eine Million
Euro aufsummieren. Ist das gerecht? Jeder so viel, wie er kann?
Oder ist diese Regelung einfach nur der Versuch dafür zu sorgen,
dass Bußgelder reichen Menschen genauso wehtun wie armen
Menschen? Und hat das mit Gerechtigkeit weniger zu tun als
vielmehr mit Effektivität?
Aber: Lässt sich in unserer globalen Gesellschaft überhaupt auch
nur ansatzweise von Gerechtigkeit sprechen oder erleben wir und
Menschen überall auf der Welt nicht Tag für Tag nur himmelschreiende Ungerechtigkeit? Menschen die über andere Macht
ausüben, weil sie es können, und diese Macht missbrauchen.
Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe, Herkunft, Bildung oder
sexuellen Orientierung diskriminiert, unterdrückt und benachteiligt
werden. Und sogar Menschen, die Gewalt und Tod erleiden, weil
anderen Menschen ihr religiöses System mit der Waffe durchsetzen wollen – so wie wir es bei den verheerenden und bedrückenden Terroranschlägen in Paris in den letzten Tagen erlebt haben.
Gerechtigkeit? In dieser Welt? Ist das vielleicht nur Fiktion, ein
frommer Wunsch, realitätsfern?
In unserem Predigttext in dem es vordergründig um die Taufe
Jesu geht, geht es eigentlich um Gerechtigkeit. Lassen Sie uns
doch einmal schauen, was der Evangelist Matthäus uns zu Gerechtigkeit zu sagen hat.
Matthäus erzählt, wie Jesus zu Johannes dem Täufer kam. Johannes predigte seit einiger Zeit und taufte die Menschen im Jordan. „Tut Buße“ verkündigte er, „weil Gott zu euch kommen wird.
Erneuert euer Leben, damit ihr Gott gegenüber treten könnt.“ Und
die Taufe, das Untertauchen im fließenden Jordanwasser war
das sichtbare Zeichen dieser Umkehr, dieser Erneuerung. Da
geschieht es, dass Jesus und Johannes aufeinander treffen und
Jesus sich ebenfalls von Johannes taufen lassen will. Doch Johannes scheint zu erkennen, wer da vor ihm steht, und macht
Einwände. „Du müsstest doch eigentlich mich taufen. Du bist es
doch eigentlich der den Menschen von Gott das bringt, was sie
brauchen.“ Darauf antwortet Jesus auf den ersten Blick sehr eigentümlich. Mit seinen Worten macht er aber deutlich, worum es
eigentlich geht. Er sagt: „Lass es jetzt geschehen! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.“ Daraufhin tauft ihn
Johannes.
„Lass es jetzt geschehen!“ sagt Jesus. Er sagt nicht: „Tu es jetzt!“
Er sagt: „Lass es jetzt geschehen!“ Und er macht damit deutlich,
dass das Geschehen, um das es geht – die Menschen gerecht zu
machen, Gerechtigkeit zu bewirken – keine Taten von Menschen
sind, weder von Johannes noch von Jesus sondern allein Gottes
Tat. „Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.“ Gerechtigkeit verwirklichen bedeutet, Gottes Handeln zu zulassen,
ihm sich nicht zu widersetzen, sich selbst verändern zu lassen.
Das ist der erste Gedanke, den ich aus unserem Predigttext zur
Gerechtigkeit herausgreifen will.
Übrigens, nur so am Rande bemerkt: Das Taufverständnis, das
Jesus in diesem Matthäustext zum Ausdruck bringt, ist einer der
Gründe, warum wir in den lutherischen Kirchen auch Kinder taufen. In der Taufe handelt Gott zuerst an uns Menschen. Wir glauben: Das tut er auch und gerade an Kindern. Und natürlich haben
wir in einem zweiten Schritt die Aufgabe, mit unserem Leben dem
zu entsprechen. So wie Jesus durch sein Leben auf das Handeln
Gottes an ihm geantwortet hat.
1. Gerechtigkeit verwirklichen heißt, Gottes Handeln an uns
geschehen lassen.
Ist das auch eine Perspektive für uns? Werkzeug für Gottes Handeln in unserer Welt zu sein? Können wir uns gedanklich darauf
einlassen, dass er es ist der handelt, dass er es ist der Gerechtigkeit verwirklicht, durch uns?
Das ist doch erst einmal ein wirklich interessanter Gedanke. Wir
Menschen tun uns so schwer mit Gerechtigkeit, viel leichter fallen
uns Unrecht, Ungerechtigkeit und Eigensinn. Aber nach Matthäus
ist die Gerechtigkeit erst einmal Gottes Sache. Und unser Part ist
es, zuzulassen, dass Gott an uns handelt. Es ist nicht unsere
Kraft, die wir aufbringen müssen. Es ist nicht unsere Einstellung,
die wir verändern müssen. Es ist Gott, der uns verändert. „Lass
es geschehen, denn so gebührt es uns alle Gerechtigkeit zu erfüllen.“ Das, was wir aus uns heraus nicht können, das tut Gott.
Das klingt jetzt erst einmal sehr theoretisch. Heißt das denn, dass
wir gar nichts tun können für Gerechtigkeit? Bedeutet das, dass
wir überhaupt nicht aktiv werden können? Nein, das sicher nicht.
Aber es ist eine andere Haltung, ob wir etwas von Gott erwarten
und seinem Handeln in unserem Leben Raum geben oder ob wir
meinen, alles selbst verwirklichen, verantworten und umsetzen zu
müssen. Doch bei dieser Haltung bleibt es nicht. Und natürlich
bezieht uns Gott in sein Handeln mit ein.
Dadurch, dass Jesus sich von Johannes taufen lässt, macht er
ganz am Anfang seiner Wirksamkeit deutlich, dass er alles von
Gott erwartet. Auch er ist nicht derjenige, der seinen Auftrag, den
Menschen Gott nahe zu bringen, aus sich heraus erledigen
müsste. Er ist Werkzeug Gottes. Er ist Kristallisationspunkt für
das Handeln Gottes in der Welt.
Doch was bedeutet es, dass Jesus darauf hinweist, dass die Gerechtigkeit erfüllt werden soll? Da kommt ja auch neben dem
Handeln Gottes das menschliche Handeln in den Blick. Und ich
habe es ja auch schon angedeutet: Gott handelt nicht ohne uns,
sondern er bezieht unser Handeln mit ein.
Und das ist der zweite Gedanke, den ich aus unserem Predigttext
herausgreifen will:
2. Wir sind dazu aufgerufen, dem Handeln Gottes mit unserem Leben zu entsprechen und Gerechtigkeit zu verwirklichen
Dieser Gedanke deutet sich in der Rede Jesu an, er zieht sich
aber durch das ganze Matthäusevangelium und entspricht dem,
was Jesus verkündigt. Weil Gott zuerst an uns handelt und uns
vor Gott gerecht macht, haben wir die Aufgabe, die Gerechtigkeit
in unserem Leben umzusetzen. Wie geht das? Nach Matthäus
bedeutet Gerechtigkeit zu erfüllen, nach dem Willen Gottes zu
leben. Es bedeutet, diesen Willen Gottes im eigenen Leben und
in der eigenen Umgebung umzusetzen.
Das kann ganz einfach bedeuten, dass man die 10 Gebote und
die Weisungen der Bergpredigt zur Richtschnur im Leben macht.
Das kann bedeuten, dass man in ethischen Fragestellungen im
beruflichen Alltag nach einer Orientierung aus dem Glauben fragt.
Das kann bedeuten, dass man sich gegen gesellschaftliche Ungerechtigkeit stark macht und für Menschen einsetzt, die unter
Ungerechtigkeit leiden müssen.
Das letztere scheint derzeit in unserer Gesellschaft besonders
wichtig zu sein. In Zeiten, in denen Menschen auf die Straße gehen, um gegen die Aufnahme von Flüchtlingen, gegen den Zuzug
von Fremden, gegen den Einfluss einer Religion in Europa zu
protestieren, braucht es Menschen, die ebenfalls öffentlich Stellung beziehen für diese Menschen, die zu uns kommen, um Sicherheit, Freiheit, eine neue Heimat zu finden. Es braucht Menschen, die deutlich davon sprechen, dass es Gottes Wille ist, sich
Fremden helfend und offen zuzuwenden, sie aufzunehmen und
sie nicht zu bedrücken oder sie auszuweisen. Natürlich ist es
auch wichtig, Ängste zu nehmen und aufzuklären. Aber in erster
Linie müssen wir verhindern, dass sich die Menschen, die zu uns
kommen nicht willkommen oder abgelehnt fühlen. Wir müssen
dafür sorgen, dass unser Land ein offenes und gastfreundliches
Land wird. Ein Land in dem, kulturelle oder ethnische Unterschiede als Bereicherung empfunden werden und nicht als Bedrohung.
Das gilt besonders auch nach den verheerenden Terroranschlägen in Paris in den letzten Tagen, die uns alle sehr beschäftigt
und vielleicht auch beunruhigt haben. Die grausamen und abscheulichen Morde durch radikale Islamisten sind durch nichts zu
rechtfertigen und sind ein mahnendes Beispiel dafür wie sich religiöse Vorstellungen missbrauchen und geradezu pervertieren
lassen, um sie als Begründung für Gewalt und Mord zu verwenden. Mich beeindruckt sehr, wie sich die Menschen in Frankreich
und in vielen anderen Ländern von diesen grausamen Taten gerade nicht abhalten lassen, Offenheit, Toleranz und Freiheit umzusetzen und zu leben. Auch wir sollten uns veranlasst sehen,
auf Muslime in unserer Umgebung offen zuzugehen, uns gerade
nicht abzuschotten und Feinbilder aufzubauen, sondern tolerant
und friedlich unser Zusammenleben gestalten. Dann hätten die
Terroristen mit ihren Anschlägen das Gegenteil dessen bewirkt,
was sie erreichen wollten.
Den Willen Gottes im eigenen Leben und in der Umgebung umsetzen ist eine große Aufgabe. Oft kommen wir dabei an unsere
Grenzen und immer wieder werden wir feststellen, dass uns da
noch viel zu tun bleibt. Das ist auch kein Vorhaben, das wir in
dieser Welt vollständig umsetzen werden. Doch wir haben die
Verheißung, dass Gott selbst am Ende der Zeiten für die vollständige Umsetzung sorgen wird. Bis dahin befinden wir uns auf
einem Weg, auf dem auch Teilerfolge zählen.
Wir haben begonnen mit der Frage nach der Gerechtigkeit. Der
Evangelist Matthäus hat uns gezeigt: Gerechtigkeit ist nicht, wenn
alle das gleiche bekommen oder wenn jeder das geben muss,
was er kann. Gerechtigkeit ist, wenn wir nach dem Willen Gottes
leben, weil er uns verändert und immer wieder zu Menschen
macht, die seinen Willen umsetzen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre
unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.