Rundschau Ausbildungsbarometer, Teil 2 Die Auszubildenden gehören im Betrieb Drießen zur Familie: Links die Betriebsleiter Klaus und Thomas Drießen, in der Mitte Drießens Töchter Kathrin und Birgit, rechts die beiden Azubis Bettina Hueske und Marc Lenfers. Am Familienanschluss scheiden sich die Geister Noch wohnen die meisten Lehrlinge auf ihren Betrieben. Doch das könnte sich in Zukunft ändern. Lesen Sie, wie Ausbilder und Azubis dazu stehen. B ei uns gibt es den vollen Familienanschluss. Acht bis zehn Personen am Küchentisch sind völlig normal“, erzählt Klaus Drießen (59). Der Landwirtschaftsmeister, der 250 Kühe hält und zurzeit zwei Lehrlinge ausbildet, kann deren Eingliederung in die Familie nur Positives abgewinnen: „Die Azubis sind eine echte Bereicherung für unser 14 top agrar 12/2010 Familienleben. Besonders unsere Kinder haben davon profitiert, dass immer junge Menschen im Haus waren.“ Der volle Familienanschluss ist für landwirtschaftliche Lehrlinge noch immer die Regel. Das bestätigt die aktuelle top agrar-Umfrage zur Ausbildung. 54 % geben an, dass ihre Azubis auf dem Hof essen und wohnen. In Betrieben mit Tierhaltung ist der Familienanschluss noch stärker verbreitet: In 68 % der Ausbildungsbetriebe mit Milchviehhaltung und 60 % mit Schweinehaltung sind die Azubis voll in die Familie integriert. Anders ist der Anteil in den Marktfruchtbetrieben: Hier essen und wohnen nur 29 % der Azubis bei den Ausbilderfamilien. „Bessere Abrufbereitschaft“ Dass Veredelungsbetriebe stärker auf den Familienanschluss setzen, verwundert nicht. Etliche Ausbilder, die sich für den Familienanschluss aussprechen, begründen dies mit der „besseren Abrufbereitschaft des Lehrlings“. Ein weiteres Argument ist die zusätzliche Zeit für Unterweisung und Diskussionen. Andere Lehrherren stellen den Aufbau einer guten Beziehung zum Azubi in den Vordergrund: „Man hat mehr Kontaktpunkte, und das Miteinander ist besser.“ Ein Ausbilder drückt das so aus: „Wer zusammen kämpft, sollte auch zusammen feiern.“ Einige Befürworter des Familienanschlusses betonen den positiven Einfluss auf die soziale Kompetenz der Azubis: „Die jungen Leute erweitern in der Ausbilderfamilie ihre Sozialkontakte.“ Interessant: Auch viele Azubis, die sich für den Familienanschluss aussprechen, begründen dies mit dem Zugewinn an sozialen Erfahrungen. „Man lernt das Leben in anderen Familien kennen und bekommt einen intensiven Einblick in deren Lebenstil.“ Für manche geht es einfach auch nur darum, „mal von zu Hause wegzukommen“. Ein befragter Azubi kann dem Familienanschluss „wegen der netten Töchter seines Ausbilders“ viel abgewinnen. Genauso wie für die Chefs zählt für viele Azubis auch das Mehr an Zeit für Diskussionen und Fachgespräche, die häufig erst nach Feierabend geführt werden. „Auch nach Arbeitsschluss kriegt man noch sehr viel mit“, so einer der befragten Lehrlinge. Dennoch: Immer mehr Auszubildende und Ausbilder bewerten die enge Einbindung der Lehrlinge in die Familie des Ausbilders kritisch. Aus Sicht der Lehrlinge stehen dabei zwei Argumente ganz vorne: „Hohe Abzüge für Wohnen und Essen“ Die Abzüge für Unterkunft und Verpflegung mindern das Gehalt während der Ausbildung merklich. So summieren sich bei Übernachtung auf dem Betrieb und Vollverpflegung für 15 Tage im Monat Sachbezüge von monatlich rund 250 €. Je nach Alter und Ausbildungsdauer bleibt z. B. einem Auszubildenden in Bayern dann monatlich noch 110 bis 260 € netto. Etliche Lehrlinge wünschen sich mehr Abstand. „Bei vollem Familienanschluss bin ich für den Chef immer verfügbar“, argumentiert ein Azubi. „Privatsphäre und Freizeitausgleich sind kaum noch möglich.“ Für Ausbilder, die sich gegen den vollen Familienanschluss der Lehrlinge aussprechen, spielt die Wahrung der Privatsphäre eine ganz entscheidende Rolle. „Es top agrar 12/2010 15 Rundschau Bernd Aundrup (50) aus Senden praktiziert den Familienanschluss „light“. Die Azubis sind in einer eigenen Wohnung auf dem Betrieb untergebracht. „Wir schätzen den persönlichen Kontakt, setzen aber auch Grenzen“, erläutert der Ausbilder seinen Standpunkt. „Jeder muss seine Privatsphäre haben.“ Fotos: Einhoff, Schulze Steinmann. Grafiken: Driemer bleibt weniger Zeit für die Familie und Probleme innerhalb der Familie werden seltener ausdiskutiert“, sind häufig genannte Argumente. Oftmals sind es die Kinder oder die Frau des Ausbilders, die sich eingeschränkt fühlen. „Meine Frau ist doch nicht das Hotel Mama“, entrüstet sich ein Lehrherr. Einige Ausbilder begründen ihre Ablehnung des vollen Familienschlusses damit, dass ein größerer Abstand zum Lehr- ling Konflikte erspart, und dass mehr Freiraum für den Azubi dessen Selbständigkeit fördert. Trend geht weg vom Familienanschluss Ist der Familienanschluss also überholt und nicht mehr zeitgemäß, wie es ein Ausbilder formuliert? So pauschal lässt sich das sicher nicht sagen. Aber unsere Umfrage zeigt: Es gibt einen klaren Trend weg vom vollen Familienanschluss der Auszubildenden. Nur noch 29 % der Ausbilder würden ihn bevorzugen, wenn sie zwischen verschiedenen Varianten der Unterbringung wählen können. Erstaunlich: Bei den Azubis ist die Zustimmung zum vollen Familienanschluss noch deutlich höher: Hier plädieren noch 46 % dafür. Doch eine komplette Abkehr hin zu separatem Wohnen und Selbstverpflegung wünschen nur wenige Ausbilder und Azubis. Das am meisten angestrebte Modell ist eher eine Kompromisslösung: Der Lehrling isst mit der Familie des Lehrherrn und wohnt separat. 53 % der Ausbilder und 43 % der Azubis halten dieses Modell für wünschenswert. „Durch diese Form gelangen die jungen Leute behutsam in die Selbständigkeit“, ist ein Ausbilder überzeugt. Lehrlinge, die sich für diesen Mittelweg aussprechen, argumentieren: „Viele Diskussionen finden bei Tisch statt. So bleibt ausreichend Gelegenheit für Gespräche, ohne dass man die Selbstständigkeit komplett verliert.“ Eine weitere Besonderheit der landwirtschaftlichen Ausbildung sind die saisonalen Arbeitsspitzen, vor allem während der Ernte. In diesen Phasen arbeiten viele Azubis länger als die tarifliche Wochenarbeitszeit von 40 Stunden. In etlichen Betrieben wird dieses Zeitlimit regelmäßig überschritten, sagen Auszubildende und Ausbilder. Ein wesentlicher Grund für die häufigen Überstunden: Der Wochenenddienst gehört in der Regel zur landwirtschaftlichen Ausbildung. 93 % der Lehrlinge und 87 % der Ausbilder gaben an, dass die Auszubildenden alle zwei Wochen oder bei Bedarf an den Wochenenden arbeiten. Auch hier gibt es Unterschiede zwischen den Betriebszweigen: In 70 % der Milchviehbetriebe findet der Wochenenddienst im zweiwöchigen Rhythmus statt, während das nur in 23 % der Marktfruchtbetriebe der Fall ist. Ausgleich der Mehrarbeit durch Freizeit oder Geld Allerdings gleicht die Mehrzahl der Ausbildungbetriebe (94 %) eigenen Angaben zufolge die Mehrarbeit aus, in der Regel durch Freizeit, zum Teil auch finanziell. Wenn die erbrachte Leistung anerkannt wird, ist die Mehrarbeit für die Auszubildenden offenbar nicht das entscheidende Problem. Häufige Diskussionen darüber sind eher die Ausnahme. So gaben nur 12 % der Azubis und 6 % der Ausbilder an, dass dies häufig der Fall war. Klaus Dorsch Matthias Schulze Steinmann 16 top agrar 12/2010
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