Flat Rate Tax Fallstudien von Peter Eisenhut Hintergrund Wer füllt schon gerne Formulare aus? Bei den Steuererklärungsformularen tun sich die Leute besonders schwer. Sie sind kompliziert, sprachlich verkorkst und führen einem Jahr für Jahr die eigene Nachlässigkeit vor Augen: Schon wieder eine Quittung nicht aufbewahrt, eine Bescheinigung verloren oder die Arztrechnung weggeworfen. Hatte ein Steuerformular um das Jahr 1900 herum noch durchschnittlich zwei Seiten, sind es heute schnell einmal 15 bis 20 Seiten. So erstaunt es nicht, dass der Ruf nach Reformen des Steuersystems auch in der Schweiz lauter geworden ist. Unser Steuersystem soll wieder einfacher, transparenter, effizienter und auch gerechter werden, so die Forderungen. Obschon sich in diesem Grundsatz die meisten einig sind, fangen die Meinungsverschiedenheiten dann an, wenn konkrete Reformvorschläge auf den Tisch gelegt werden. Jede Änderung der bestehenden Steuerordnung produziert Gewinner und Verlierer und hat Konsequenzen für die Verteilung des Wohlstands in unserer Gesellschaft. Im Bereich der Einkommensbesteuerung ist einer der am meisten diskutierten Reformvorschläge die Einführung der sogenannten Flat Rate Tax. Was aber zeichnet eine solche Steuer aus? Und worin unterscheidet sie sich im Vergleich zur heute gängigen progressiven Einkommensbesteuerung? Die Beantwortung dieser Fragen liefert die Grundlage für eine nachfolgende Diskussionsrunde. Diese orientiert sich an der Abstimmung vom 27. September 2009 betreffend die Änderung des Steuergesetzes im Kanton Thurgau. Hinweis Eine knappe Einführung ins Thema «Steuern» liefert der zugehörige Fachtext. Darin werden wichtige Begriffe und Konzepte vorgestellt. Die Flat Rate Tax kurz erklärt Mit der Flat Rate Tax sollen drei Ziele erreicht werden: Die Einkommenssteuer soll radikal vereinfacht, Schlupflöcher beseitigt und die negativen Anreize des heute mehrheitlich verwendeten progressiven Steuertarifs behoben werden. Diese Ziele sollen erreicht werden, indem sämtliche heute möglichen Sonderabzüge (zum Beispiel für Krankenkasse, Liegenschaftenunterhalt, Spenden, Weiterbildungskosten, berufsbedingte Fahrkosten usw.) gestrichen werden und das Einkommen zu einem einheitlichen Steuersatz versteuert wird. Dieser könnte beispielsweise bei 20% liegen. Durch die Flat Rate Tax wird das Ausfüllen der Steuererklärung massiv vereinfacht und auch die Kontrolle der Steuererklärung durch die Verwaltung verursacht einen viel geringeren Aufwand. Anstelle der vielen heute gültigen Abzüge sieht die Flat Rate Tax einen einzigen Sozialabzug für sämtliche Steuerzahler vor. Für jede Person im Haushalt kann ein fixer Betrag vom Einkommen abgezogen werden. Dieser Abzug dient vor allem dazu, tiefe Einkommen von einer übermässigen Steuerlast zu befreien. So könnte die Steuerrechnung in einem Flat-Rate-Tax-Modell für eine allein erziehende Frau mit einem Kind aussehen: Beispiel 1 Beispiel 2 Einkommen 50 000 Fr. 100 000 Fr. Sozialabzug 40 000 Fr. 40 000 Fr. Steuerbares Einkommen 10 000 Fr. 60 000 Fr. 2 000 Fr. 12 000 Fr. Steuerbetrag (Steuersatz von 20%) Version November 2015 Autor: Peter Eisenhut, Partner von iconomix 1|5 Flat Rate Tax Fallstudien von Peter Eisenhut Aus dem Beispiel wird deutlich, wie einfach sich mit einer Flat Rate Tax der geschuldete Steuerbetrag für verschiedene Einkommenssituationen errechnen lässt. Die Flat Rate Tax in der Schweiz Die Flat Rate Tax wurde in der Schweiz in den Kantonen Obwalden (auf den 1.1.2008) und Uri (auf den 1.1.2009) eingeführt. In weiteren Kantonen wird über die Einführung der Flat Rate Tax diskutiert. Die Flat Rate Tax stösst in der Schweizer Bevölkerung aber nicht nur auf Akzeptanz. Im Kanton Thurgau wurde die Einführung einer Flat Rate Tax im September 2009 vom Souverän abgelehnt. Auf Bundesebene gibt es zurzeit keine konkreten Vorstösse zur Einführung einer Flat Rate Tax. Es existieren aber Studien und Modellrechnungen der eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV). Die Flat Rate Tax im Ausland In Mittel- und Osteuropa fand in den letzten Jahren ein wahrer Siegeszug der Flat Rate Tax statt. Begonnen hat dieser in Estland, welches als erstes europäisches Land 1994 das Einkommen einheitlich mit 26% besteuerte. Es folgten Lettland und Litauen, Bulgarien und Rumänien, die Slowakei, Tschechien und Island. Auch Russland führte bereits im Jahre 2001 einen Einheitssteuersatz von 13% auf Einkommen ein. Zudem wird auch ausserhalb von Europa, beispielsweise in Hong Kong oder in einzelnen Bundesstaaten der USA, ein Einheitssteuersatz auf das Einkommen angewendet. Die Flat Rate Tax im Vergleich Eine der wichtigsten Einnahmequellen des Staates ist die Besteuerung der Einkommen von natürlichen Personen. In der Schweiz kennen der Bund und die meisten Kantone die progressive Einkommensbesteuerung. Wie unterscheidet sich diese von einer Flat Rate Tax? Betrachten Sie hierzu das unten angefügte Diagramm. Dieses zeigt auf, wie sich der Steuerbetrag mit zunehmendem Einkommen verändert. Blau eingezeichnet ist eine progressive Einkommenssteuer. Der Progressionsverlauf entspricht dabei näherungsweise jenem einer alleinstehenden Person in der Stadt Zürich, wenn Kantons- und Gemeindesteuern sowie die direkte Bundessteuer zusammengezählt werden. Grün eingezeichnet ist eine Flat Rate Tax mit einem Freibetrag von 25 000 Franken und einem Steuersatz von 25%. Version November 2015 Autor: Peter Eisenhut, Partner von iconomix 2|5 Flat Rate Tax Fallstudien von Peter Eisenhut Aufgaben Aufgabe 1 Welche Einkommensklassen werden durch die Einführung einer solchen Flat Rate Tax stärker, welche weniger stark belastet? Wie beeinflusst dies die Akzeptanz der Flat Rate Tax in der Bevölkerung? Aufgabe 2 Eine progressive Einkommensteuer setzt negative Anreize für hohe Einkommensbezüger. Jeder zusätzlich verdiente Franken wird mit einem höheren Steuersatz belegt. Welche Anreize setzt hier die Flat Rate Tax? Ziehen Sie einen Vergleich anhand des Diagramms. Version November 2015 Autor: Peter Eisenhut, Partner von iconomix 3|5 Flat Rate Tax Fallstudien von Peter Eisenhut Aufgabe 3 Die heutige Einkommensbesteuerung belastet höhere Einkommen stärker und erlaubt viele spezifische Abzugsmöglichkeiten. Demgegenüber besteuert die Flat Rate Tax jedes Zusatzeinkommen gleich stark und erlaubt einzig den Abzug eines Freibetrags. Welche Rückschlüsse lassen sich dadurch auf die Gerechtigkeitsvorstellung ziehen, die dem jeweiligen Steuermodell zugrunde liegt? Aufgabe 4 Welchem Steuermodell soll aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive der Vorzug geben werden? Argumentieren Sie stichwortartig. Version November 2015 Autor: Peter Eisenhut, Partner von iconomix 4|5 Flat Rate Tax Fallstudien von Peter Eisenhut Fallstudie «Änderung des Steuergesetzes im Kanton Thurgau» Im September 2009 stimmte die Bevölkerung im Kanton Thurgau über die Einführung einer Flat Rate Tax ab. Informieren Sie sich anhand der offiziellen Abstimmungsunterlagen über die Thurgauer Vorlage zu einer Flat Rate Tax. Diese können auch direkt von der iconomix-Webseite heruntergeladen werden. 1 Diskutieren Sie anschliessend das Thurgauer Steuermodell. Thematisieren Sie insbesondere folgende Fragen: a. Worin unterscheidet sich das vorliegende Steuermodell vom Idealmodell einer Flat Rate Tax? b. Wie erklären Sie sich diese Abweichungen vom Idealmodell? c. Finden Sie Argumente, die für oder gegen die Vorlage sprechen. Führen Sie anschliessend eine «Klassenabstimmung» durch. Wird die Vorlage angenommen? 1 www.iconomix.ch > A La Carte > «Flat Rate Tax» > Botschaft des Regierungsrates. Version November 2015 Autor: Peter Eisenhut, Partner von iconomix 5|5
© Copyright 2024 ExpyDoc