Energie I Automation I Gebäudetechnik D II Intelligente Gebäudeautomation «Die Energiewende stoppen ist unmöglich» Jürg Grassen, Elektroplaner und Nationalrat aus Frutigen, sieht in der Energiestrategie eine grosse Chance fur das Elektrogewerbe. Dank seiner Fachkompetenz gelingt es ihm, die Ratskollegen für die Gebäudeautomation zu sensibilisieren. Bei Grossen arbeitet unter anderem der amtierende Weltmeister der Elektroinstallateure, was ihn ordentlich fordert. err Grossen, die Energiestrategie ist für das Elektrogewerbe eine grosse Chance. Teilen Sie diese Ansicht? Jürg Grossen: Vorsichtshalber muss ich anfügen, dass die Energiestrategie 2050 des Bundesrates noch nicht unter Dach und Fach ist. Doch ungeachtet, wie die Politik entscheiden wird, bin ich der Ansicht, dass vielmehr die Wirtschaft und grundsätzlich der Trend der Zeit die Treiber sind, die schlussendlich diese Wende veranlassen . Die Politik kann begleiten, bremsen oder beschleunigen. Aber die Energiewende stoppen, das halte ich für unmöglich. H (( Ein Elektroboiler ist übrigens ein hervorragender Speicher elektrischer Energie)) und auch die braucht es. Wir müssen aber auf die positiv eingestellten Kräfte setzen, diese sind in der Überzahl, davon bin ich überzeugt. In Ihren Geschäftsräumen setzen Sie konsequent auf Energieeffizienz und verbrauchen gegenüber einem konventione/Jen Bürogebäude So Prozent weniger Strom und 70 Prozent weniger Wärmeenergie. Hilft Ihnen das bei der Akquisition? Bedingt. Die Sicht der Kunden ist von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Die meisten Leute begreifen die Thematik, einige wenden dann aber ein, es koste zu viel . Natürlich ist die Anfangsinvestition etwas höher als bei einer konventionellen Lösung . Doch berücksichtigt man, dass ein Gebäude während der Nutzungsdauer ein Vielfaches seiner Baukosten verschlingt, zahlt sich das Investieren in energieeffiziente Massnahmen bei wei- Dann nochmals die Frage: Hat das Elektrogewerbe diese Chance erkannt? Ich bin überzeugt, dass viele jüngere Kräfte, aber auch viele innovative ältere, daran glauben, dass die Energiestrategie eine gute Sache für unser Gewerbe ist. Bei der konkreten Umsetzung geht es schlussendlich um Energieeffizienz und Gebäudeautomation, zwei Kernkompetenzen der Elektrobranche. Das ist unsere Chance, und es muss uns gelingen, diese Botschaft ins Bewusstsein der Leute zu bringen. Der Zug ist angestossen, die Politik setzt die Rahmenbedingungen. Schaffen es die Unternehmen, die Kunden von den neuen Lösungsmöglichkeiten zu überzeugen? Das ist die grosse Herausforderung. Wie überall gibt es Skeptiker, Jürg Grossen (rechts) und Peter Buchs vor dem ener_gieeffizienten Firmengebäude. (Bild : 5 . Martha ler) Elektrntechn;k ETIHK·Gebäudetechn;k Ext" 712015 Fl 110 Energie I Automation I Gebäudetechnik m an zurückerhalten würde. Doch man vergisst dabei, dass so die u mweltpolitischen Zielset zungen nicht erreicht werden. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt noch zu wenig energiebewusst, zu klein ist der Leiden sdruck. tem aus. Noch sind nicht alle bereit, auf so lange Sicht zu investieren. Doch wir stellen fest, dass immer mehr Entscheidungsverantwortliche zumindest mittelfristig und nicht nur kurzfristig denken und handeln. Das stimmt mich zuversichtlich. Werden Wohnbauten gegenüber: Zweckbauten bezüglich Energieeffizienz unterschiedlich betrachtet? Ja, sinnvollerweise schon. Beim Wohnungsbau ist es etwas schwieriger, die Mehrinvestitionen zu refinanzieren. Dort muss man die Verbesserungen, welche die Energieeffizienzmassnahmen mit sich bringen, umso mehr dem Lifestyle, dem Komfort und Prestige, also den weichen Faktoren, zurechnen. Beim Zweckbau wiederum hängt es stark davon ab, ob ein Unternehmen selber investiert oder ob ein Investor baut. Baut ein Unternehmer selber, wird heute in der Regel in Energieeffizienz investiert, da es sich rechnet. Verlangen die Leute schon bewusst nach energieeffizientem Wohnraum? Absolut, auch wenn es noch die Minderheit ist. Es ist den Leuten nicht egal, wie sie wohnen. Doch vermutlich sind die Sachen, die wir Elektrofachleute ihnen anbieten, Dienstleistungen für energieeffizienten Betrieb Jürg Grassen (45) ist Mitinhaber der Elektroplan Buchs & Grossen AG in Frutigen. Der gelernte Elektroplaner ist seit 2011 Nationalrat der Grünliberalen Partei. Daneben ist er in verschiedenen nationalen und regionalen Gremien vertreten. Zusam·men mit Peter Buchs gründete Jürg Grossen 1994 die Elektropla'n Buchs & Grassen AG. Das Unternehmen mit 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern fokussiert auf Dienstleistungen im Bereich Elektroplanung, Energieeffizienz und Photovoltaikanlagen. Das Geschäftshaus ist ein Plusenergiegebäude mit lediglich 20 Prozent Stromverbrauch gegenüber dem vergleichbaren Schweizer Durchschnitt. Zentral für den energieeffizienten Betrieb ist eine intelligente Automationslösung, die Storensteuerung mit Sonnennachlauf und tageslicht- sowie präsenzabhängiger Beleuchtung kombiniert. 2009 gründeten die beiden Unternehmer gemeinsam mit der Elektro Tschanz GmbH die Tochtergesellschaft Elektrolink AG, welche auf die Gebäudeautomation, die Programmierung und die Visualisierung elektrotechnischer Geräte und Apparate spezialisiert ist. Fl Zurück zur Technik. Mit Ihrer Photovoltaikanlage und der passiven Wärmenutzung sind Sie bei günstigen Wetterbedingen energetisch autark. Was würde es brauchen für die komplette Autonomie? Ja, wir sind noch auf das Versorgu ngsn etz angewiesen. Insgesamt produzieren wir pro Jahr mehr En ergi e, als wir bezieh en. Mit einem kl einen Speicher wären wir n eu n Monate autark. Während dreier Wintermonate käm e es auf die Schlechtwetterperioden an, ob die gewonnen e En ergie reichen würde. (( Energieeffizienz und Gebäudeautomation sind Kernkompetenzen der Elektrobranche)) Energiepolitiker Jürg Grassen: «Ein smartes Gebäude soll auch wirklich smart sein.» (Bild: Erich Schwaninger) noch nicht zuoberst auf der Prioritäten liste. Da müssen wir und die ganze Branche noch besser werden. Die momentane Situation mit den tiefen Energiepreisen kommt uns da natürlich nicht gerade entgegen. Wir müssen die Energiestrategie dringend in die zweite Phase bringen, weg von der Förderung, hin zur Lenkung. Tönt spannend. Welches sind die Unterschiede? Die Förderung ist eigentlich eine subventionsorientierte Idee. Man nimmt Geld von allen und gibt es ein p~ar wenigen. Ein Beispiel dafür ist die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV). Hier nimmt man das Geld von jeder verbrauchten Kilowattstunde und verteilt es an diejenigen, die eine Photovoltaikanlage realisieren können. Auch die C0 2 -Abgabe funktioniert nach diesem Muster. Ein grosser Teil des Geldes fliesst über das Gebäudeprogramm an diejenigen, die beispielsweise ihr Gebäude isolieren. Die Förderung ist also eine Art Subvention, die weder sozial noch langfristig zielführend ist. Zu gross E'1,a 7/2015 Elektmteohn;k ET/HK-Gebäudeteohn;k sind die sogenannten Mitnahmeeffekte, also die Tatsache, dass Leute, die ohnehin eine Photovoltaikanlage bauen und ihr Haus gut isolieren würden, auch noch Geld bekomm en. Das ist leider die Grundproblematik des Fördersystems. <<Noch wichtiger als die Speicherung erachte ich das intelligente Verschieben der Lasten)) Und wie funktioniert die Lenkung? Die Lenkung belastet ebenfalls den Energieträger, doch das Geld wird gleichmässig an alle zurückverteilt. Sogenannte Lenku ngsabgaben erachte ich zielführender als die Förderung . Aber diese Lenkungssysteme sind leider in der Politik heute nicht mehrheitsfähig . Das Volk will nicht ein en Franken mehr bezahlen für den Lit er Heizöl oder Benzin, das ist eine ganz einfache Rechnung, ungeachtet was Welche Speicherfunktion kann das Verteilnetz übernehmen? Die Schweiz hat gute Voraussetzungen für die Stromproduktion aus Sonne und Wind. Die Stauseen sind eine hervorragen de Möglichkeit, den volatil anfallenden Strom dieser Anlagen zu speichern. Die Regionen können einan der En ergie liefern, wenn sie dafür Bedarf haben. Da sehe ich die grosse Chance des Stromnet zes. Es macht keinen Sinn, in jedem Haus Energie zu speichern. Auch die vollst ändige Unabhängigkeit vom Stromnetz muss nicht angestrebt werden. Wenn durch die lokale Speich erung die Stromnet zbelastung reduziert werden kann, ist das absolut begrüssenswert und hilft dem Syst em. Der Trend geht in Richtung Batteriespeicherung. Eine gute Entwicklung? Für kleine Anlagen ist das eine gute Sach e. Ich sehe aber n icht, dass man 300-Kilowattstunden-Speicher einbaut, das ist wahnsinnig teuer und bringt nicht immer den gewünschten Erfol g. Aber im kleineren Umfang einen Sp eich er zu haben, ermöglicht gerade im Sommer m ehr oder weniger die Autarkie, u nd im Winter kann man die Stromnetzbelastung durch Lastverschiebungen massiv reduzieren. Ich denke, es braucht eine Kombinat ion aus verschiedenen Massnahmen. Die Speicher sehe ich als einen Teil der Lösung. Und den anderen Teil? Noch wichtiger als di e Speicherung erachte ich das intelligent e Verschieben der Lasten, insbesondere im Gebäu de, auf dem Areal und im Quart ier. Es gibt viele Geräte, di e nicht dann am Netz sein müssen , wenn der Strom gerade kn app ist . Ein Elektroboiler ist übri gens ein hervorra gender Speich er elektrischer Energie, au ch wenn einige Leute der Ansicht sind, man müsse Elektroboiler verbieten . Natürlich würde ich in einem Neubau keinen Elektroboiler installieren, ohne dass dieser eine Heizungsunterstützung hat. Aber wen n der Elektroboiler vorhanden ist, soll man di esen ruhig als versch iebbare Last brauchen. 110 Energie I Automation I Gebäudetechnik Gilt dieser pragmatische Ansatz auch für Elektroheizungen? Diejenigen Elektroheizungen, die über kein hausübergreifendes Heizsystem verfügen, sollen in Kombination mit erneuerbarer Energie durchaus noch weiterbetrieben werden können. Bei einer Totalsanierung des Hauses ist dann aber der Zeitpunkt gekommen, die Elektroheizung durch ein anderes System zu ersetzen. Ihre Politikerkollegen beurteilen das zum Teil anders. Ich sehe natürlich auch, dass es im Grundsatz nicht sehr intelligent ist, mit hochwertiger elektrischer Energie zu heizen. Hingegen bin ich dort pragmatisch, wo es noch solche Anlagen gibt. Nicht zu vergessen ist dabei auch, dass Elektroheizungen von den Stromversorgern jahrelang massiv gefördert wurden, damit der zur Unzeit anfallende Atomstrom nachts sinnvoll verbraucht werden kann. (( Die Schweiz hat gute Voraussetzungen für die Stromproduktion aus Sonne und Wind)) Sie fahren mit Elektroautos, die Sie aus Ihrer Photovoltaikanlage betanken. Ist die Elektromobilität eine gute Sache? Davon bin ich fest überzeugt. Es wird in den nächsten Jahren noch mehr Elektroautos geben, von allen möglichen Herstellern. Die Reichweiten werden grösser und die Batteriespeicherung besser. Elektroautos eignen sich hervorragend, um die Energie zwischenzuspeichern und diese direkt für die Mobilität oder das Gebäude zu gebrauchen. Und der Elektromotor ist dreimal effizienter als der Verbrennungsmotor. Wo liegt das grössere Verbesserungspotenzial, in der Entwicklung neuer Technologien oder der konse- Fl quenten Anwendung der vorhandenen Technik? Ich bin etwas skeptisch, ob die Schweiz bei den Erneuerbaren noch viel Innovation machen kann. Mehr Möglichkeiten sehe ich bei der Effizienz. So gibt es in der Gebäudetechnik und im Haushalt viele Geräte, die ohne Nutzen in Betrieb sind. Da muss . man automatisieren, damit «ein Betrieb ohne Nutzen» gar nicht vorkommen kann. Davon sind wir noch weit entfernt. Das Ganze geht in Richtung selbstlernende Intelligenz. In unseren Büros wird konsequent und automatisch alles weggeschaltet, was nicht gebraucht wird. Ein smartes Gebäude soll auch wirklich smart sein. Es soll merken, was der Benutzer braucht, und sich je nach Anwesenheit oder Abwesenheit richtig verhalten. Das muss automatisch passieren und soll den Nutzer keinesfalls behindern. In Ihrem Unternehmen arbeitet der aktuelle Weltmeister der Elektroinstallateure. Eine spezielle Herausforderung? Den weltbesten Elektriker im Betrieb zu haben, ist natürlich eine super Sache. Dadurch wird uns noch mehr Kompetenz zugeschrieben. Wir sind also ganz ordentlich gefordert (lacht). Wir sind nun zwanzig Jahre am Markt und wollen weiterhin eine innovative Firma sein, die jungen Leuten Zukunftsperspektiven bietet und sich an einem langfristigen Weltbild orientiert. Dazu kombinieren wir Lifestyle mit ·all den Geräten, die man heute hat, kümmern uns um die Sicherheit und leben eine coole Mobilität. Auch der Weltmeis.ter fährt mit dem Elektroauto mit Sonnenstrom aus Frutigen zum Kunden. Als Nationalrat machen Sie sich für die Energiestrategie und deren Umsetzung durch das Gewerbe Hark. Was können Sie bewirken? In Bern arbeite ich intensiv an dieser Thematik und führe viele Gespräche mit Ratskolleginnen und Ratskollegen. Als Elektrofachmann und Unternehmer geniesse ich Vertrauen, und es freut mich, dass mir Glaubwürdigkeit attestiert wird. E,t<a 7/2015 Elekt,oteohn;k ET/HK-Gebä,deteohn;k Viele Kolleginnen und Kollegen hören mir zu, wenn ich ihnen zu erklären versuche, dass es die Gebäudetechnik ist, die bei der Energiewende eine massgebende Rolle spielt. Ich bin positiv überrascht, was ich diesbezüglich schon alles erreichen konnte. Energiepolitik wird vorwiegend national betrieben. Braucht es nicht eine europäische Energiepolitik, um die anstehenden Herausforderungen zu meistern? Eine europäische Energiepolitik ist unabdingbar, die gegenseitige Abhängigkeit ist gross. Die Anstrengungen, welche die EU in Bezug auf die Erneuerbaren und die Energieeffizienz unternimmt, sind beträchtlich. Es ist auch erstaunlich, wie hoch die Z4baurate an er.neuerbaren Energien in einzelnen EULändern ist, da sind wir in der Schweiz weit zurückgeblieben. Zudem muss der Preis für C02 -Zertifikate zwingend erhöht werden. Dieser Handel läuft noch nicht richtig . Sind Sie, was die Energiewende anbetrifft, eher positiv oder negativ gestimmt? Ganz klar positiv. Es ist wie ein Virus, der sich verbreitet. Irgendwann sind alle davon infiziert, davon bin ich überzeugt. Es geht nur nicht so schnell, wie ich das manch• mal gerne hätte. Infos www.elektro-plan.ch www.elektro-lin k.ch Interview: Erich Schwaninger
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