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STADTMUSEUM
OFFEN
Die Zeit verstaubter und elfenbeinturmgleicher Museen
ist längst vorbei. Im letzten April wurde das erweiterte
Stadtmuseum Aarau eröffnet, diesen März zeigt das
Historische Museum Baden im 1992 eröffneten Erweiterungsbau eine neue Dauerausstellung.
Im Kanton Aargau gebe es vorbildliche Museen,
verlautete der Schweizerische Heimatschutz im letzten
November, das Stadtmuseum Aarau sei eines der
­spannendsten Museen der Schweizer Stadtmuseumslandschaft überhaupt, der Betrieb vorbildlich in vielerlei Hinsicht, mit Kunst und Bau, bewusstem Einsatz
von Multimedia, innovativer Raumgestaltung. Zudem
wurden auch das Vindonissa-Museum in Brugg und
das Strohmuseum im Park in Wohlen in die neue Publikation des Schweizer Heimatschutzes «Die schönsten
Museen der Schweiz» aufgenommen.
Neben den klassischen Aufgaben des Sammelns,
Bewahrens, Forschens und Vermittelns gilt es, in Zukunft
noch mehr eine aktive Rolle im gesellschaftlichen
Diskurs einzunehmen. Nach langen Jahren der Objektzentriertheit kam mit «New Museology» die Forderung
nach dem Einbeziehen des Publikums. Heute steht
das Museum für ein egalitäres Neben- und Miteinander
verschiedener Wissensformen, für kulturelle Hybridität
und Meinungspluralismus, der sich in lebendigen Debatten ausdrückt, die entweder vom Museum ausgehen
oder im Museum geführt werden; ein Ort der Vielfalt,
wo Begegnungen stattfinden und Bedeutungen ent­
stehen können. Besucherinnen und Besucher werden
in Zukunft sicher noch vermehrt ihre Sicht der Dinge
darlegen und zu sogenannten Kuratorinnen und Kuratoren auf Zeit. «Amateurhaftes» wird an vielen Ecken
und Enden einbrechen, ohne je «amateurhaft» zu sein,
denn das Museum ist ein «geliebter» Ort geworden –
es gibt genug Ansatzpunkte für eigene Leidenschaften.
Denn hier arbeiten professionelle Kuratorinnen und
Dramaturgen, die ein differenziertes Verständnis der
Museums­arbeit haben und in erster Linie daran arbeiten,
eine bedeutungsvolle Beziehung zwischen Menschen
und Dingen herzustellen. Und wollen Museen ein produktiver Ort der Auseinandersetzung sein, müssen sie
sich ständig verändern, indem sie Räumlichkeiten und
Bestände immer wieder umdeuten und in Bezug zur
aktuellen Realität setzen. So positionieren sie sich als
kritische Beobachter und Orte des Dialogs für ein
zukünftiges Zusammenleben.
QUO VADIS,
STADTMUSEUM?
Wo stehen die professionell geführten Stadtmuseen im
­regionalen und nationalen Vergleich, wo liegen ihre Potenziale?
Welche Konzepte verfolgen die erneuerten Häuser?
von Bruno Meier
Seite 24
FOTOGRAFIEN
Umbau im Historischen Museum Baden
von Gabi Vogt
Seite 25
DIE LANGE REISE
­EINES GEFÄLLTEN
RIESEN
Der Dokumentarfilm «Comédie humaine» erzählt von der
­Metamorphose des gefällten Mammutbaums und sein
Comeback auf der neuen Hauptfassade des Stadtmuseums
Aarau in Form von 134 Menschenbildern.
von Judith Wyder
Seite 28 –29
CROWDFUNDING
Im Stadtmuseum Aarau
von Flavia Muscionico
Seite 33
FEDERLESEN
RADAR
Carol Nater Cartier und
Kaba Rössler über den
Platz von Museen in der
­Gesellschaft
Strohfroh in Wohlen
BILDSCHIRM
Claudia Breitschmid
Seite 30 – 32
EXIL / LOG
Madeleine Rey, Redaktion
Michael Fässler
Seite 35
NR
63
aufgezeichnet
von Jacqueline Beck
Seite 26 –27
von Eli Wilhelm
Seite 34
HIMMEL & HÖLLE
Würdigung eines kürzlich
­verstorbenen Katers
von Halina Hug
Illustration von Selina Kallen
Seite 36 – 37
23
Quo vadis, Stadtmuseum?
von Bruno Meier
Im letzten Jahr ist mit einem grossen Fest das erweiterte Stadtmuseum Aarau eröffnet worden. Diesen
März zeigt das Historische Museum Baden im 1992
eröffneten Erweiterungsbau eine neue Daueraus­
stellung. Welche Konzepte verfolgen die erneuerten
Häuser? Wo stehen die professionell geführten Stadtmuseen im regionalen und nationalen Vergleich,
wo liegen ihre Potenziale?
Einbezug der interessierten Bevölkerung in die Entwicklung des Hauses. Das Stadtmuseum Aarau hat vor
allem während der Schliessungszeit mit partizipativen Projekten aufgewartet und somit die Verankerung
des Hauses in der Öffentlichkeit gestärkt. Wie dies
nachhaltig über die Jahre hinweg möglich sein wird,
ist die grosse Herausforderung.
Ein Blick nach Winterthur
Der Aargau an der nationalen Spitze
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das Projekt «museum
schaffen» in Winterthur. Die Stadt verfügt seit alters
her im Lindengut über ein primär von Privaten (dem
Historischen Verein) getragenes Museum, das über
minimalste Ressourcen verfügt. Anders ausgedrückt:
Die Stadt hat sich bisher nicht um ihre Geschichte
gekümmert. Mit einem thematischen Zugang zur Stadtgeschichte – über das Thema Arbeit – soll der Befreiungsschlag in die Zukunft gelingen. Das Projekt
­«museum schaffen» ist partizipativ angelegt und soll
längerfristig den Boden für ein erneuertes städtisches
Museum mit neuem Standort bereiten. Ein Vorhaben
mit ungewissem Ausgang, angesichts der schwierigen
finanziellen Situation der Stadt. Das Heil könnte in
der Einbindung in eine kantonalzürcherische Museumsstrategie liegen, verfügt doch der Kanton Zürich über
kein eigenes kulturhistorisches Museum und sucht
daher seine Schwerpunkte in den Regionen.
In den letzten 20 Jahren hat sich der Aargau zum
Shootingstar der Schweizer Museumslandschaft gemausert. Stichworte dazu sind die Erweiterung des Aargauer Kunsthauses, die erfolgreiche Neuausrichtung
des Museums Aargau mit den Standorten Lenzburg,
Hallwyl, Wildegg, Habsburg, Köngisfelden, dem Legionärspfad Windisch und bald auch mit dem VindonissaMuseum, und nicht zuletzt das Aushängeschild Stapferhaus Lenzburg, das demnächst zum grossen Sprung
mit eigenem Haus ansetzen will. Dabei kommen ganz
unterschiedliche Vermittlungskonzepte zum Einsatz.
Das Kunsthaus mit der klassischen Kunstvermittlung,
ausgerichtet auf ein kunstinteressiertes, überregio­
nales Publikum; das Museum Aargau mit dem Motto
«Geschichte am Schauplatz erleben», das mit ausgebautem Aktivitätenprogramm stark auf die Standorte
selbst setzt; und schliesslich das Stapferhaus Lenzburg,
das ein anspruchsvolles, gegenwartsbezogenes, aber
auch installatives Konzept verfolgt, man könnte sagen
eine zeitgemässe Form der von der Expo 02 angestos­
senen szenografischen Entwicklung. Wo stehen
die Stadtmuseen, die es weit schwerer haben, ein über­
regionales Publikum anzuziehen?
Vernetzung als Ausweg?
Die Einbindung in ein kantonales Netzwerk ist auch
im Aargau ein Thema. Das Gedenkjahr 1415 ist erfolgreich auf dieser Basis angelegt worden, für eine kan­
tonale Strategie im Bereich des industriekulturellen
Erbes wird ebenfalls diese Form diskutiert. Die lokalen
Häuser können sich dabei unterschiedlich einbringen.
Aarau stärkt mit seinen flexibel nutzbaren Räumen
im Neubau die seit den 1990er-Jahren gepflegte Strategie
der Sonderausstellungen und erzählt vergleichsweise
wenig Stadtgeschichte im eigenen Haus, setzt mit dem
Konzept «100 x Aarau» auf einen personifizierten Zugang.
Das Historische Museum Baden hingegen geht klassischer auf die Schwerpunkte der Stadtgeschichte mit
dem Fokus Bäder- und Industriegeschichte ein und holt
verstärkt die erweiterte Sammlung ans Licht. Dem
doppelten Spagat zwischen professionellem Anspruch,
hohen Ansprüchen des Publikums und geringen Ressourcen können beide nicht ausweichen.
Im Clinch zwischen lokaler Teilnahme
und überregionalem Anspruch
10 000 Besucherinnen und Besucher sind für ein
Museum einer durchschnittlichen Schweizer Stadt ein
guter Wert. In einem Neueröffnungsjahr liegt mehr
drin, über die Jahre hinweg aber kaum. Die Stadtmuseen sind Häuser, die umfangreiche Sammlungen
pflegen und gleichzeitig das kulturelle Erbe einer Stadt
oder einer Region bewahren. Sie sind von Profis geführt, verfügen aber über vergleichsweise wenig Ressourcen. Umgekehrt sind die Erwartungen des lokalen
Publikums und seitens der Politik hoch, man kennt
die grossen Ausstellungen in den renommierten Häusern
in Basel, Bern und Zürich und erwartet vor Ort gern
dasselbe. Die Ernüchterung darüber, was letztlich im
Lokalen möglich ist, ist schnell gross. Die Stadtmuseen
können höchst selten in einer nationalen Liga mit­
spielen, sie müssen sich ihr Publikum vor Ort holen.
Das aktuelle Stichwort dazu ist Partizipation, der
Bruno Meier, 1962, aus Baden, ist Historiker und Ausstellungsmacher. Er war 1991 bis 1997 Leiter des Historischen
Museums Baden, arbeitet aktuell am Projekt «museum
schaffen» in Winterthur mit und berät den Kanton Aargau
in einer Strategie für die Integration der Industriekultur
ins Museum Aargau.
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Fotografien: Gabi Vogt. Umbau im
­Historischen Museum Baden, 2015.
25
FEDERLESEN
Carol Nater
­Cartier und Kaba
Rössler über den
Platz von Museen
in der Gesellschaft
Nachgefragt und aufgezeichnet
von Jacqueline Beck
Das Stadtmuseum Aarau hat
vor einem Jahr seinen Erweiterungsbau eröffnet, im Historischen Museum Baden öffnet
Mitte März die neue Dauerausstellung ihre Tore. Historische
Museen haben ein verstaubtes
Image. Wie locken Sie das
vielbeschäftigte Publikum an?
Wir wollen mit der Erweiterung einen Begegnungsort schaffen,
an dem etwas stattfinden kann. «Etwas stattfinden» klingt zunächst undefiniert – und das soll es zu einem
Teil auch sein. Es soll hier etwas passieren, von dem ich noch nicht sagen
kann, was es in drei Monaten sein
wird. Es kann ein Anliegen oder Bedürfnis aus der Bevölkerung sein, dem
wir Raum geben. Wir sind ein Museum
für die Stadt und Umgebung und ihre
Bevölkerung. Ein Ort der Auseinandersetzung mit zeitrelevanten Fragen,
die häufig in der Vergangenheit anknüpfen. Der Raum für Wechselausstellungen ist wichtig für uns, weil er
vielseitig bespielt werden kann. Eine
Ausstellung ist immer auch ein Reagieren auf Zeitfragen.
Kaba Rössler Bei der Planung der Neueröffnung bin ich von der Frage ausgegangen, wofür das Museum steht:
für die Geschichte der Region. Es soll
also ein Museum für die Menschen aus
der Region sein. Wo fängt das Museum
Carol Nater an? Wer uns besucht, soll sich schon
im Foyer willkommen fühlen. Wir haben den Eingangsbereich bewusst hell
und modern gestaltet, es soll ein Ort
des Verweilens sein, wo es auch den
besten Kaffee der Region gibt. Neben
dem einladenden Ambiente setzen wir
auf angepasste Öffnungszeiten. Wir
haben am Donnerstag neu von 12 bis
19 Uhr geöffnet und am Samstagmorgen geschlossen. Damit versuchen wir
gezielt, ein anderes Besuchersegment
anzusprechen. Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter der Stadtverwaltung etwa,
die bei uns zu Mittag essen. Wir haben Mittagsveranstaltungen geplant
und «Kultur zum Feierabend».
Auch andere Museen wollen
einen Ort des Austauschs
und der Auseinandersetzung
mit Zeitfragen bieten. Wie
heben Sie sich von der Konkurrenz ab?
Wir fokussieren auf die
Geschichte der Region Baden und
ihre überregionalen Auswirkungen.
Diese Geschichte ist eine andere als
diejenige von Aarau. Wir sind viel stärker nach Zürich orientiert, wir haben
eine Geschichte der Heilquellen und
des Industriestandorts mit der Gründung der damaligen BBC (heute ABB).
Ausserdem fand in Baden die Tagsatzung statt, an der die Gesandten übten, Schweiz zu sein.
Carol Nater 26
Auch Aarau hat eine industrielle Vergangenheit, doch kaum
ein Betrieb hat bis heute überlebt. Die
Firma Kern etwa vermachte uns eine
umfangreiche Sammlung, mit der wir
ein (inter)nationales Museum für Vermessungstechnik hätten einrichten
können. Doch als Stadtmuseum haben wir einen anderen Auftrag. Zum
einen geht es darum, die Geschichte
und Entwicklung der Stadt nachzuzeichnen. Dies tun wir in unserer Dauerausstellung «100 x Aarau» sowie in
einem Prolog in Form von Bildstrecken im Panoramasaal. Zum anderen
greifen wir in Sonderausstellungen aktuelle Themen auf wie «Demokratie!
Von der Guillotine zum Like-Button».
Drittens stehen bei uns die Leitmedien des 20. Jahrhunderts im Zentrum: Fotografie und Film. Dabei konzentrieren wir uns nicht auf die Kunstfotografie oder Spielfilme, sondern auf
private und dokumentarische Bilder
sowie Presse- und Werkaufnahmen.
Dieser Bereich hatte bisher keinen festen Platz in der Museumslandschaft
Schweiz.
Kaba Rössler Wie gelingt es, historische
Bezüge auf innovative Weise
zu vermitteln?
In unserer neuen Dauerausstellung «Geschichte verlinkt» erzählen wir die Vergangenheit nicht
chronologisch, sondern vernetzt. Es
Carol Nater FEDERLESEN
gibt im Raum 14 Objektinseln, jede
steht für einen wichtigen Teil der Badener Geschichte, der in einem kurzen Text auf einem Monitor erscheint.
Pro Text gibt es zwei unterstrichene
Wörter. Beim Wechselstromgenerator
erfährt man zum Beispiel, dass der
Strom dank der Innovation der BBC
über grössere Distanzen transportiert
werden konnte, was dazu führte, dass
man in den Bädern elektrische Stras­
senlaternen errichtete. Man wählt
«elektrische Strassenlaternen», und
es erscheint das Bild eines Dioramas,
mit dem der Tourismus für einen Bäderbesuch warb. Gleichzeitig leuchtet
im Raum die Insel mit diesem Diorama auf, und man wird aufgefordert,
als Nächstes dorthin zu gehen. Wir
gingen vom Gedanken aus, dass man
stets nach Baden kam, um sich zu
treffen. Heute ist der Austausch nicht
mehr an einen Ort gebunden. Wir
sind alle vernetzt; dies haben wir im
Ausstellungskonzept aufgegriffen.
Man surft durch die Geschichte und
muss sich – auch typisch für unsere
Zeit – stets entscheiden, wo es weitergehen soll.
K aba Rössler Man kann mit unterschiedlichen Fragestellungen an eine
Ausstellung herangehen und sie jedes
Mal anders erleben. Es ist, wie wenn
man sich bei einer Wanderung vornimmt, nur Blumen zu betrachten.
Dann sehen Sie tausend Blumen! Und
wenn Sie Pilze suchen, dann sehen Sie
nur Pilze. Dies vermitteln zu können,
ist eine Herausforderung. Wir gehen
von mündigen Besucherinnen und Besuchern aus und wollen ihnen nicht
vorschreiben, wie sie durch eine Ausstellung zu gehen haben. Sie sind Flaneure oder Abenteuerinnen, die durch
die Stadt streifen und dort hängen bleiben, wo sie etwas interessiert.
In unserer Dauerausstellung wählten wir 100 Gegenstände aus
unserem Depot und ordneten sie Bewohnerinnen und Bewohnern von
1400 bis heute zu. Ein Objekt ergibt
nur Sinn, wenn wir die Geschichte
dazu kennen, und Geschichte gibt es
nicht ohne den Menschen. Erst mit
der Zeit aber stellten wir fest, wie stark
die einzelnen Geschichten miteinander verknüpft sind. Wir sind noch immer daran, herauszufinden, wie wir
dies für die Besucher auf einer zusätzlichen Ebene erfahrbar machen können – in 20 Räumen, verteilt auf sechs
Etagen.
Carol Nater Sie sind beide schon länger
im Museumsbereich tätig. Der
digitale Wandel schafft neue
Möglichkeiten hinsichtlich
Partizipation und Interaktivität, aber auch zusätzliche
Kanäle, die man bespielen
muss. Ist das manchmal auch
lästig?
Beide Wenn wir hohe Besucherzahlen haben! (lacht)
Kaba Rössler Das ist extern halt das Einzige, woran man uns messen kann.
Carol Nater Kaba Rössler Und an den Finanzen!
Damit sind Sie zufrieden?
Erfolg und Zufriedenheit
sind für mich zwei unterschiedliche
Dinge. Wir haben das Haus mit gewissen Versprechungen eröffnet. Ich bin
zufrieden, wenn wir möglichst viele
dieser Versprechungen eingelöst haben. Darüber hinaus liegt mir am Herzen, dass mein Team Wertschätzung
erlebt. Es herrscht oft ein flapsiger
Umgang mit menschlichen Ressourcen. Der Finanzdruck ist enorm.
Kaba Rössler Ich bin zufrieden, wenn
ich es schaffe, die Diskussion weg von
den Finanzen zu lenken. Wenn der
Funke springt und man mich nicht
mehr als Erstes fragt, wie teuer uns
ein Besucher zu stehen kommt.
Carol Nater Lästig nicht …
Museen werden häufig als
eine zu 100 Prozent freiwillige Leistung betrachtet, auf die man jederzeit
verzichten kann, wenn gespart werden soll. Ich finde es wichtig, dass die
Diskussion geführt wird, weshalb es
uns braucht. Museen sind das Resultat einer 500-jährigen kulturellen
Entwicklung. Es ist zwar gut, wenn
man sich als Institution immer wieder hinterfragen muss. Aber manchmal braucht es auch einfach ein Bekenntnis von aussen, dass Kultur wie
Bildung oder medizinische Versorgung mehr sein muss als zu 100 Prozent freiwillig.
Kaba Rössler Kaba Rössler Ich empfinde es als
Schwierigkeit, in einem statischen
Medium wie einer Ausstellung etwas
so Dynamisches darzustellen wie Geschichte, die man stets aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten
kann. Diese Frage beschäftigt mich
bis heute.
C arol N ate r … aber es ist viel. Man
muss auf allen Ebenen denken. Da ist
es manchmal schwierig, den Fokus zu
behalten. Aber das Digitale ist Teil unserer Gesellschaft, und man muss es
dort einbeziehen, wo es von der Sache
her sinnvoll ist.
Wenn wir sagen, wir sind
ein Ort, an dem man auch über die
Zukunft nachdenken kann, müssen
wir eine Haltung zu den digitalen
Möglichkeiten entwickeln und auf Erfahrungen zurückgreifen können. Wir
setzen uns deshalb auch mit Crowdfunding oder dem Diskus­sionstool
Brabbl auseinander, entwickeln eine
On linedatenbank u nd eine E -­
Learning-­Umgebung. Gleichzeitig
wollen wir in der virtuellen Welt ein
Hafen sein, ein realer Ort, an dem
man sich begegnen kann.
Kaba Rössler Wann können Sie sagen, Sie
sind erfolgreich mit dem, was
Sie tun?
27
Carol Nater Cartier ist Leiterin des
Historischen Museums Baden. Kaba
Rössler ist Leiterin des Stadt­museums
Aarau. Jacqueline Beck ist freischaffende ­Kulturjournalistin.
Eröffnungswochenende
Historisches Museum Baden
SA 19. März 13.00 –17.00
SO 20. März 10.00 –17.00
Eintritt frei
Die lange Reise
­eines gefällten
Riesen
von Judith Wyder
Der Dokumentarfilm «Comédie humaine» erzählt von der Metamorphose
eines gefällten Mammutbaums und
den Menschen, die seine Verwandlung
in langwierigen Denk- und Arbeits­
prozessen künstlerisch und handwerklich vorantreiben. Heute kann das
Comeback des Baums auf der neuen
sanftgeknickten Hauptfassade des
Stadtmuseums Aarau bestaunt werden:
in Form von 134 Menschenbildern.
Genau dort aber stand er: ein 130-jähriger monumentaler Mammutbaum. Der Riese war zweifelsohne gekennzeichnet von seinem langen Dasein. Gleichzeitig
verinnerlichte er mehr als ein Jahrhundert Aarauer
Geschichte: Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, stetiger Bevölkerungszuwachs. 7500 einst, 20 000 Ein­wohner
heute. Selbst die Architekten haderten, als feststand,
dass der Baum ihrem städtebaulichen Siegerprojekt
zum Opfer fallen sollte. Deshalb holten sie noch in
der Planungsphase den St. Galler Künstler Josef Felix
Müller in ihre Arbeitsgruppe. Der Holzbildhauer erhielt 2009 den Auftrag, den Baum durch eine künstlerische Umwandlung an seinen alten Stammplatz
zurückzuführen.
Das Dilemma als architektonischer Ausgangspunkt:
sich an die Regeln beziehungsweise die Ausschreibung
der Stadt halten oder bewusst mit einer städtebaulichen Intervention gegen diese verstossen. Die Basler
Architektengemeinschaft Diener & Diener und der
Aarauer Architekt und Architekturhistoriker Martin
Steinmann standen vor dieser Entscheidung und
wählten im Fall des Erweiterungsbaus des Aarauer
Stadtmuseums im Jahr 2006 die zweite Variante.
Dass sie als Planer in der Verantwortung standen und
ein Projekt abliefern mussten, das der Stadt dienen
würde, besiegelte den radikalen Gegenvorschlag.
Konkret bedeutete dies, den Erweiterungsbau nicht
auf der dafür vorgesehenen Ostseite des «Schlössli»Turms, der «Terrasse», zu realisieren, sondern auf
der Westseite als Anbau an den mächtigen alten Museumsturm und in unmittelbarer Nähe zum Kulturund Kongresshaus.
Wo Neues entsteht,
muss Altes weichen
Der Dokumentarfilm «Comédie humaine – Eine Begegnung von Kunst und Architektur» von Sandra Gysi
und Ahmed Abdel Mohsen erzählt von der Metamorphose des gefällten Mammutbaums und den Menschen,
die seine stetige Verwandlung begleiten und vorantreiben. Neben den bereits erwähnten Architekten und
dem Künstler sind dies unter anderem die Leiterin des
Aarauer Stadtmuseums, Kaba Rössler, und eine Handvoll Handwerker. Den Prozess der Metamorphose in
den Mittelpunkt zu rücken und die Argumente der
Gegner und Befürworter des Projekts wegzulassen, war
ein bewusster Entscheid der Zürcher Filmemacher.
«Wir setzten uns absichtlich Grenzen, um das Zusammenspiel von Architekten, Künstler und Handwerkern
28
Kettensäge greift, um seine Figuren, Frauen und Männer,
direkt ins weiche Mammutholz zu fräsen, steigt die
Spannung schon beinahe wie bei einem Krimi. Müller
aber lässt auch immer wieder Humor aufblitzen auf
seiner sehr persönlichen Zeitreise mit dem Baum: zum
Beispiel in dem Moment, als er erklärt, dass er bei seiner
Arbeit auch Balzacs «Comédie humaine» im Hinterkopf hatte; ein Werk, das der Schriftsteller in 137 Romanen und Erzählungen über die französische Gesellschaft geplant hatte, davon aber nur 91 vollenden konnte.
Da Müller selber ebenfalls vor dem Dilemma stand, nur
134 Platten zur Verfügung zu haben, verewigte er auf
diesen kurzerhand noch drei Babys und einen lang­
ohrigen Hund, um auf Balzacs angepeilte Zahl 137 zu
kommen.
Seit dem Frühling 2015 ist das magische Werk, das
auf den wohl ältesten Bürger der Stadt Aarau, den
Mammutbaum, zurückgeht, nun auf der sanftgeknickten Südfassade des Stadtmuseums Aarau zu bestaunen. Der Dokumentarfilm «Comédie humaine» hält den
faszinierenden Entstehungsprozess fest.
einzufangen, die Umwandlung des Baums Schritt für
Schritt», sagt Sandra Gysi von donkeyshot filmproduction.
Bis der Baum wieder nach Aarau zurückkehren
kann, fliesst in der Tat viel Wasser die Aare runter.
Seine erste Station ist eine Sägerei, in der das Mammut
in Platten zerlegt und somit gänzlich gezähmt wird.
Ein Künstleratelier, ein Modellbaubetrieb und ein Betonvorfabrikationsunternehmen folgen.
Gleich zu Beginn des Films wird der Baum aber
zuerst vor den Augen einiger Schaulustiger – darunter
erstaunte Anwohner, die über den Zeitpunkt der
Fällaktion nicht informiert worden waren – zerkleinert
und entfernt. Das letzte Aufbäumen, die Kracher und
das Knacken des altersschwachen Riesen hören sich
dabei geradezu menschlich an. Das Fällen des Mammut­
baums sei während der Dreharbeiten der eindrücklichste Moment gewesen, sagt auch Regisseurin Sandra
Gysi, die in Aarau aufgewachsen ist. «Erst in diesem
Moment habe ich seine monumentale Grösse und Stärke
erfasst.»
Nichtsdestotrotz wird dem gefällten Giganten auf
seiner langen Reise viel Achtsamkeit entgegengebracht; vor allem Josef Felix Müller setzt sich geradezu
gewissenhaft mit ihm, seinem Material auseinander
und bekommt sogar körperlich, beim Transport der
Bretter, das Gewicht des Riesen noch einmal zu spüren.
«Als Ausnahmezustand», beschreibt der Künstler
diesen Prozess. Bis er schliesslich mit sich übereinkommt, dass er auf den Holzplatten des Mammuts
Menschen entstehen lassen will, die die Vielfalt der
Gesellschaft widerspiegeln. Eine gestalterisch anspruchsvolle Aufgabe. Als Müller zum ersten Mal zur
Judith Wyder ist freischaffende Journalistin. Sie lebt in Zürich.
Filmstills aus «Comédie humaine – Eine Begegnung von
Kunst und Architektur», 2015, Sandra Gysi und Ahmed
­Abdel ­Mohsen, donkeyshot filmproduction Zürich.
www.donkeyshot.ch
Der Film läuft im März im Freien Film, Aarau
MI 2. März 18.00
MO 7. März 20.30, die Regie ist anwesend
www.freierfilm.ch
29
Bildschirm
TREFFEN DER DINGE
von Gegenständen. Aus dem Gegenüber, Nebeneinander
und Übereinander von Dingen ergeben sich Konversa­
tionen, Kontradiktionen und wechselseitige Erhellungen, es entstehen Relativierungen und Reibungen, aus
denen Bedeutungs- und Sinnfunken sprühen können.
Das Interesse der Künstlerin gilt der Materialisierung
von Zeitlichkeit und den Phänomenen des Erinnerns, Fragen, wie Erinnerungen geformt, verformt und neu konstruiert werden. Das Gedächtnis stellt keinen statischen
Aufbewahrungsort dar. Ein allmähliches Sichnähern an
die dynamische Konstruktionsarbeit der Erinnerung visualisiert Claudia Breitschmid in den Siebdruckeingriffen,
indem sie transparente Farbschichten aufträgt, um so zu
immer tieferen Gedächtnislagern vorzudringen. Auf diese
Weise stellt sie Fragen nach Wert und Bewertung neu.
Depots und Archive haben es in sich. Von hier aus werden Ausstellungsräume von Museen versorgt, wobei nur
ein kleiner Teil der Objekte je den Weg in die Ausstellungen finden werden. Geordnet nach Kriterien, vor
Staub und Schmutz geschützt, schlummern Exponate
und Fundstücke, die sich über Jahrzehnte, gar Jahrhunderte bis unter die Decke angesammelt haben. Zusammen mit andern Artgenossen verbringen sie ihren Lebensabend in Erinnerung an vergangene Zeiten.
Die Künstlerin Claudia Breitschmid hat sich mit der
Kamera in die Räume des Depots im Historischen Museum Baden begeben, wo sie in der Enge zwischen Gestellen und Regalen fotografiert hat. Es ist das Nebensächliche, das augenscheinlich öffentlich nicht Sichtbare, das im Depot Schlummernde, worauf ihre Arbeiten
fokussieren. Und genau hier wird es interessant: Die sich
ergebenden Objektzusammenstellungen sind voll von
überraschenden Beziehungen und neuen Vergleichsmöglichkeiten. Aus dem Vorfindbaren erschliesst sie Vorenthaltenes, noch nie Gesehenes, Unbewusstes in der Objektwelt, womit sie experimentell weiterarbeitet.
Dinge sind Träger von Bedeutungen, je nach Arrangement ändern sie Sinn, Funktion und Intention. Im Depot nutzt Claudia Breitschmid die Möglichkeit zur DingKombinatorik, der ungewohnten, kühnen Anordnung
Claudia Breitschmid, 1983, aufgewachsen in Zufikon, lebt in
Zürich. Sie schloss in Fotografie an der ZHdK Zürich und mit
dem Master in Contemporary Arts Practice an der HKB Bern ab.
www.claudiabreitschmid.com
Treffen der Dinge, Historisches Museum Baden
Vernissage SA 19. März 16.00
Aus der Serie «Treffen der Dinge» 2015.
Siebdruck auf Inkjetprint, aufgezogen auf Aluminium.
Bild links 50 cm × 35 cm, Bild rechts 80 cm × 52 cm
Bild oben, 44 cm × 66 cm
32
Crowd­funding im
Stadtmuseum Aarau
zu Hause aus sind Spenden in beliebiger Höhe möglich.
Auf diese Weise hat das Museum bereits 3000 Franken
gesammelt.
Eine Reihe von Projekten konnte mit Crowdfunding
im Museum ihre festgelegte Summe erreichen und ist
ausfinanziert worden.
Mit einem eigenen Youtube-Kanal wollen zwei
Jugendliche Gleichaltrige davon überzeugen, dass die
wahren Abenteuer in der Natur zu erleben sind und
nicht zu Hause vor dem Bildschirm. Um sich eine neue
Videokamera leisten zu können, stellten sie ihr Projekt
auf der Crowdfunding-Seite vor und hatten innert
kurzer Zeit das Geld zusammen.
Die Plattform funktioniert auch bei sozialen Projekten, wie «Share Your Hair» beweist. Mit der Haarspendeaktion erhalten krebskranke Kinder aus São Paulo
eine Perücke. Dazu werden Haare aus der Schweiz
nach Brasilien geschickt, wo diese von Organisationen vor Ort verarbeitet werden. Das gesammelte Geld
wird dort für den Versand, den Verein und die Werbung genutzt.
Eine weitere erfolgreiche Projekteingabe auf der
Plattform steigert die Auflage eines Infoblatts, das über
die Rechte und Pflichten in Zusammenhang mit der
Lehrstellensuche informiert, und platziert das Blatt an
weiteren Standorten.
von Flavia Muscionico
Eine Videokamera für junge Blogger,
­Perücken für krebskranke Kinder und
ein Info-Magazin für Schulabgänger.
Mit «Crowdfunding im Museum» werden
Ideen in die Tat umgesetzt.
Die Gesellschaft braucht Menschen, die sich engagieren
und für andere einsetzen. In der Ausstellung «Demokratie! Von der Guillotine zum Like-Button» macht das
Stadtmuseum Aarau dieses Engagement sichtbar und
fordert dazu auf, die eigene Umwelt mitzugestalten.
Partizipation geht auch online: Mit dem Web 2.0 stehen
den Usern neue Verhandlungsräume zur Verfügung,
wo sie sich aktiv beteiligen und die sie für ihre Anliegen
nutzen. Dies macht sich das Stadtmuseum Aarau zu
eigen und wagt ein Experiment.
Mit der Unterstützung von Pro Helvetia hat das
Museum eine eigene Crowdfunding-Plattform lanciert,
auf der jeder und jede um finanzielle Unterstützung
werben kann. Ob neue Fussballtrikots, Zuschuss an
eine Konzertreihe oder Spielsachen für den Pausenplatz:
Mit Crowdfunding lassen sich verschiedene Vorhaben
verwirklichen.
Crowdfunding bietet neue
Freiheiten für kulturelle Projekte
Die Ermöglichung eines Kulturangebotes ist stark von
institutionellen Geldgebern abhängig, die jeweils an
spezifische Förderbereiche gebunden sind. Crowdfunding bietet Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit,
das Kulturgeschehen mitzugestalten. Das Publikum
entscheidet mit, was realisiert wird. Ausschlaggebend
für den Erfolg eines Projekts ist, dass die Initiatorinnen und Initiatoren ihre Idee auch ausserhalb der
Plattform im Bekanntenkreis oder über die sozialen
Medien streuen, um möglichst breit Unterstützung zu
mobilisieren.
Was ist Crowdfunding?
Über das Internet viele private Geldspenderinnen und
-spender für ein Projekt finden: Das ist die Idee hinter
Crowdfunding. Diese Form der Finanzierung läuft
nicht über eine Bank oder andere Institutionen, sondern
über spezielle Plattformen im Internet. Die Projekt­
initiatorinnen und -initiatoren legen zu Beginn eine
Mindestsumme für ihr Anliegen fest und versuchen
anschliessend, möglichst viele Spenderinnen und Spender dafür zu gewinnen. Das Besondere daran ist, dass
eine Vielzahl an Einzelpersonen – die Crowd – einen
individuellen Betrag zur Verfügung stellt und so die
Realisierung des Projekts unterstützt. Dabei gilt das
Alles-oder-nichts-Prinzip: Nur wenn der angestrebte
Betrag innerhalb des festgelegten Zeitrahmens zusammenkommt, fliesst das Geld tatsächlich. Wird das
Projekt realisiert, erhalten die Spenderinnen und Spender eine Belohnung. Das kann eine Danksagung oder
ein exklusiver Blick hinter die Kulissen sein.
Mit «Crowdfunding im Museum» und weiteren partizipativen Elementen konfrontiert die Ausstellung
­«Demo­kratie! Von der Guillotine zum Like-Button» das
­P ublikum mit seiner eigenen Haltung. Der Bevölkerung stehen verschiedene Möglichkeiten offen, um ihre
Anliegen und Ansichten einzubringen. Politische Ämter
oder Demonstrationen sind nicht jedermanns Sache.
Engagieren wir uns im direkten Umfeld, erleben wir die
Erfolge hautnah mit. Sich für seine Anliegen einzu­
setzen, kostet jedoch Zeit und Geld. Engagement hat
also seinen Preis, aber einen, der sich auszahlt.
Wie funktioniert das Crowdfunding
des Stadtmuseums?
«Crowdfunding im Museum» läuft noch bis zum Ausstellungs­
ende am 3. Juli 2016. Projekte können online über ­
www.projaction.org/stadtmuseum eingereicht und unterstützt werden.
Die Besucherinnen und Besucher kaufen mit dem Museumseintritt einen «GUT-es-tun-Schein» im Wert von
fünf Franken. In der Ausstellung kann dieser einem der
dort vorgestellten Projekte gespendet oder anschliessend wieder in Bargeld umgetauscht werden. Auch von
Flavia Muscionico ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im
Stadtmuseum Aarau.
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Radar
«Strohmuseum im Park» – ist das ein verstaubtes landwirtschaftliches Museum, das wie manche neue gesichtslose Wohnanlagen mit dem Zusatz «Park» aufgewertet werden soll? Nein, es zeigt die wirklich erstaunliche Strohindustrie im Aargau, mit Verbindungen nach
China, Paris und Amerika. Sie produzierte bis in die
1970er-Jahre Zierwerk und Hüte für die gesamte Modewelt. Zugegeben, der «Park» ist klein, doch die Fabrikantenvilla darin ein Augentrost in der Mittelland-Agglo
ringsum. Und innen erst! Das Museum präsentiert sich
als eine gelungene Gesamtkomposition vom anziehend
bestückten Shop im Eingang über die Ausstellung voller
inhaltlicher Überraschungen und ästhetisch ansprechender Inszenierungen bis zum freundlichen Personal
und dem echten Strohhalm im Sirup.
Unsere Highlights: natürlich die Kästen, die von den
Kindern mit eigenen Schlüsseln geöffnet werden müssen, worauf geheimnisvolles Licht im Inneren kleine
Aufgaben enthüllt. Eine Aargauer Landkarte am Boden
liess der dreijährigen Felia Platz zu einem Hüpfspiel. Das
Badezimmer mit Original-Badewanne und Lavabo ist
mit unzähligen Hüten bestückt, die wir kichernd vor
dem grossen Spiegel ausprobierten. Die Fotos, die wir
dabei machten, entdeckten wir dann am Bildschirm unten an der Kasse.
Was uns einzig ärgerte, war unsere Unfähigkeit, das
einfachste Strohornament nachzubasteln. Wir wären
ganz schlechte Heimarbeiterinnen gewesen!
www.strohmuseum.ch
Strohfroh
in Wohlen
von Eli Wilhelm, Text und Fotos
Eli Wilhelm, Kulturvermittlerin, veröffentlicht ihre Erfahrungen bei Museumsbesuchen mit (­ Enkel-)Kindern
auf www.museumstester.ch und im «Grosseltern»-Magazin.
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Exil/log
MICHAEL FÄSSLER
VOM ENDE DER WELT
­ ffiziellen, welche die Stadtgärtnerei für teures Geld ano
gelegt hat. Im Bus nach Ushuaia dämmert mir, dass sich
diese Trampelpfade nicht nur durch unsere Städte und
Naherholungsgebiete erstrecken, sondern durch ganze
Kontinente. Der Trampelfad, auf dem ich mich seit drei
Monaten bewege, heisst umgangssprachlich Gringo
Trail: Er führt vom Machu Picchu über die Isla del Sol
und den Nationalpark Torres del Paine bis nach Ushuaia, ans Ende der Welt.
Meine Reise steht dabei etwa im Kontrast zu den Reisen der Entdecker des südlichen Zipfels Südamerikas,
die im Museo Regional de Magellanes im Niemandsland
von Feuerland gut aufgearbeitet ist. Ich stattete dem
­Museum vor ein paar Tagen einen Besuch ab. Die neue
Dauerausstellung war noch nicht fertig gebaut, einige
Vitrinen standen noch leer, in der Ecke sammelte sich
der Staub. Doch die Saaltexte hingen bereits: Auf wenigen Zeilen wurde dort beschrieben, wie aus der einstigen Terra incognita ein bis in den hintersten Winkel
ausgeleuchtetes Stück Erde wurde. Der Preis für das
neue Wissen war hoch, mancher Entdecker hat dabei
Schiffbruch erlitten oder ist erfroren. Aller Grausamkeit
zum Trotz machte sich bei mir in diesen Räumen eine
eigenartige Sehnsucht breit: Dies waren Reisen mit offenem Ausgang, ich hingegen habe es verlernt, mich auf
dem Gringo Trail zu verirren. Die moderne Weltreise
gleicht einem Trip im World Wide Web: Man verlässt sich
lieber auf etablierte Bewertungsmechanismen, als dem
Zufall zu folgen. Wer will das Glück schon herausfordern,
wenn die harte Evidenz nur einen Klick entfernt liegt?
Auf das Gebiet übertragen hiesse das etwa: Ich hätte
mich ja nicht in diesen Bus setzen müssen. Ich hätte
mich auch auf der Strasse in den Nieselregen stellen
können, Daumen raus. Vielleicht hätte mich ein lokaler
Fischer mitgenommen, vielleicht hätte er mich zum
Abendessen eingeladen, vielleicht hätten wir uns so gut
verstanden, dass ich gleich ein paar Tage geblieben wäre.
Doch ich stehe nicht auf der Strasse, sondern sitze im
Bus, mit im Gepäck eine Reservation für ein Airbnb in
Ushuaia. Das blaue Haus am Stadtrand hat eine hervorragende Bewertung und ein unschlagbares Preis-Leistungs-Verhältnis. Man müsste schon ein echter Abenteurer sein, um bei dieser Gelegenheit nicht auf den
Button «Sofortbuchung» zu drücken.
Vier Jahre lang war es mein Job, die Arbeit des Stapferhauses in die Öffentlichkeit zu tragen. Das grosse Privileg dabei: Die Kommunikationsarbeit war immer auch
inhaltliche Arbeit, jedes Ausstellungsthema eine Art
Crashkurs in den jeweiligen Diskursen. Die von uns propagierte «Bildung fürs Leben» wirkte nicht nur gegen
aussen, sondern auch gegen innen.
Als ich im vergangenen Oktober meinen Job kündigte, um ein Jahr lang mit dem Rucksack in die weite
Welt zu ziehen, packte ich in diesen Rucksack nicht nur
ein paar Socken, eine Kamera, eine wetterfeste Jacke
und ein paar andere Unentbehrlichkeiten, sondern auch
die Erkenntnisse aus drei Stapferhaus-Ausstellungen.
Etwa: Die digitale Welt ersetzt die reale nicht. Keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung. Und: Wir kennen
von allen Dingen ihren Preis, aber nur von den wenigsten ihren Wert. Nach vier Jahren Theorie war es höchste
Zeit für einen Reality-Check.
Drei Monate später sitze ich im Bus, auf der anderen
Seite der Fensterscheibe zieht die Steppe Patagoniens vorbei. Das Ziel der Reise: Ushuaia, die südlichste Stadt Argentiniens – Ushuaia, das Ende der Welt. Es stellt sich her­
aus, dass ich nicht alleine bin mit dieser Sehnsucht, der
Bus ist bis auf den letzten Platz ausgebucht. Und: So gross
Südamerika auch ist, so viele Leute in der Hochsaison
hier auch unterwegs sein mögen – man trifft unterwegs
immer wieder auf die gleichen Gesichter. Der Franzose,
mit dem ich auf der Isla del Sol in Bolivien spätabends
Tiergeräusche imitiert habe, bis der Bauch schmerzte vor
Lachen, taucht auf einer Raststätte im chilenischen Niemandsland wieder auf. Das Paar aus dem Wallis, mit dem
ich an der Küste in Peru Pisco Sour getrunken habe, steht
plötzlich auf dem Wanderweg in Torres del Paine vor mir.
Die erste Reaktion liegt auf der Hand: Hallo, mein Gott,
was für ein Zufall, kaum auszuhalten.
Doch dann erinnere ich mich an eine Begegnung mit
dem Soziologen und Komplexitätsforscher Dirk Helbing
von der ETH Zürich. Es war ein lauer Spätsommerabend
im Jahr 2012, wir sassen an der Limmat, tranken ein
Bier und sprachen über das Entscheidungsverhalten von
Menschenmassen, ein Phänomen, das seit ein paar Jahren als «Schwarmintelligenz» durch die Öffentlichkeit
geistert. Der Anlass des Treffens: Ein Interview für den
Katalog der Stapferhaus-Ausstellung «Entscheiden».
Helbing hatte sich in den vergangenen Jahren intensiv
mit Trampelfaden in Städten und Wäldern auseinandergesetzt. Seine These: Überlassen wir die Entscheidung
lieber der Weisheit der vielen, die spontan entstehenden
Trampelfade sind oft besser und effizienter als die
Michael Fässler, 1984, hat zwischen 2011 und 2015 als
­Kommunikationsverantwortlicher im Stapferhaus Lenzburg
gearbeitet und nebenbei an der ZHdK Kulturpublizistik
­studiert. Sein Weltreisetagebuch: michaelfaessler.tumblr.com
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Himmel & Hölle
Würdigung eines kürzlich
verstorbenen Katers
von Halina Hug
mehr Campari mehr Liebe
mehr ist besser
zur Pflege von Frostbeulen
oder kleinen Rissen in der Haut
auch Eisblumen lassen sich damit
vom Fenster kratzen
der Kater und ich sitzen im Schnee
und staunen um die Wette
der Nebel legt eine sanfte Decke auf die Baumspitzen
später die ungleichen Abdrücke
zum Greifen nah
wir lachen und ich reibe ihm das Fell trocken
einmal waren wir beide Kinder
du sagst sieben Leben sind mehr als genug
mehr Campari mehr Liebe
mehr ist besser
gegen Sodbrennen oder Blasenschwäche
rolle mich zusammen am Fuss des Bettes
die Träume vom alten Kater
wir lachen und
draussen fallen Flocken
ich halte mich fest
an ihrem Verschwinden
die Hinterlassenschaft:
sein dickes Fell
für künftige Tage
Halina Hug, 1987, lebt in Baden. Sie studiert Germanistik
und Kunstgeschichte an der Universität Zürich und ist in der
Programmkommission von «Baden liest».
Illustration von Selina Kallen. www.selka.ch
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ANzeigen
Kultur im Saal
Samstag, 12. März 2016
ab 18 Uhr
Film mit Stubete
Weisser Wind
Freienwil
Neue Kunst
aus den Sigg und
M+ Sigg Collections
19.02. – 19.06.2016
im Kunstmuseum Bern
und Zentrum Paul Klee
Eine Kooperation von
Ein Dokumentarfilm über das Schwyzerörgeli und die Schweizer Volksmusik.
Der Regisseur Roger Bürgler ist zu Gast.
Offene Stubete (Instrumente mitbringen)
Wirtschaft Weisser Wind
Die „Bestatter“-Beiz
Dorfstrasse 11
5423 Freienwil bei Baden
www.weisserwindfreienwil.ch
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Filmvorführungen im Saal:
19 Uhr und 21 Uhr, Eintritt Fr. 10.Stubete: ab 18 Uhr in der Wirtschaft,
nach dem Film auch Stubete mit
Tanz im Saal, mit Verlängerung
12.01.2016 17:24:13
Effingerhof AG
Storchengasse 15
5201 Brugg
Telefon 056 460 77 77
Fax 056 460 77 70
info@effingerhof.ch
www.effingerhof.ch
Geballte Medienkompetenz.