54 6. BESTIMMUNG DES SCHMELZPUNKTS Der Schmelzpunkt (Schmp.) ist eine leicht zu bestimmende Konstante fester kristalliner Phasen reiner Stoffe und damit geeignet zur Identifizierung kristalliner Verbindungen. Eine Verbindung gilt als rein, wenn sie einen "scharfen" Schmelzpunkt aufweist, d.h. in einem kleinen Temperaturbereich von höchstens 0.5 – 1 °C schmilzt. Verunreinigte Substanzen schmelzen "unscharf", d.h. in einem größeren Temperaturbereich (Schmelzbereich, Schmelzintervall). Daher dient der Schmelzpunkt auch als Reinheitskriterium. Schmelzen kristalliner Verbindungen Zur Bestimmung des Schmelzpunkts oder Schmelzintervalls erhitzt man die Substanz in einer Glaskapillare (Schmelzpunktröhrchen) in der Nähe der Quecksilberkugel eines Thermometers und registriert die Temperatur während des Schmelzens. Die dafür verwendeten Apparate unterscheiden sich meist nur durch die Methode der Wärmeübertragung und die Art der Beobachtung des Schmelzens. Der Temperaturbereich vom Beginn des Schmelzens (Tröpfchenbildung an der Glaswand des Röhrchens, Ecken und Kanten der Kristallsplitter runden sich ab) bis zum Ende (klare Schmelze) wird protokolliert. Andere Veränderungen der Probe (Sintern = Zusammenbacken der Substanz ohne zu schmelzen, Gasentwicklung, Verfärbung, Zersetzung, Sublimation usw.) registriert man ebenfalls, da sie Rückschlüsse auf Verunreinigungen oder auf chemische oder physikalische Charakteristika erlauben. Wenn sich die Substanz während des Schmelzens in ein höher schmelzendes Produkt umwandelt, erstarrt die Schmelze oberhalb des Schmelzpunkts der Ausgangsverbindung wieder. Eine Umwandlung bereits unterhalb des Schmelzpunkts der Ausgangsverbindung ist u.U. nur an einer Veränderung des Habitus der Kristalle zu erkennen. In diesem Fall verfolgt man den Schmelzvorgang am besten mit dem Kofler-Heizmikroskop. Schmelzen Substanzen unter Zersetzung, stehen Schmelze und Kristalle nicht miteinander im Gleichgewicht, da die geschmolzene Substanz chemisch verändert wird. In diesen Fällen ist der Schmelzpunkt (= Zersetzungspunkt, Zers.-P.) besonders stark abhängig von der Geschwindigkeit des Erhitzens. Bei sehr hoher Temperatur schmelzende oder überhaupt nicht schmelzende Verunreinigungen, die sich in der Schmelze nicht lösen, beeinflussen den Schmelzpunkt nicht. Die Schmelze wird aber nicht klar und täuscht somit ein unvollständiges Schmelzen der Substanz vor. Daher ist eine genaue Bestimmung nicht möglich. Schmelzpunkterniedrigung, "Mischschmelzpunkt" zur Identifizierung von Verbindungen Ist die Verunreinigung ebenfalls eine kristalline Substanz mit einem Schmelzpunkt im üblichen Temperaturbereich, beobachtet man eine Erniedrigung des Schmelzpunkts, deren Größe von Art und Menge der Verunreinigung abhängig ist. Das nutzt man zur Identifizierung einer Substanz durch den sogenannten "Mischschmelzpunkt" aus, wie an dem folgenden Beispiel erläutert wird. Von einer unbekannten Substanz (Schmp. 120 °C) vermutet man, dass es sich um Benzoesäure (Schmp. 122 °C) handelt. Zur Bestimmung des "Mischschmelzpunkts" mischt man je eine Mikrospatelspitze der Substanz und authentischer Benzoesäure innig miteinander, z.B. durch Verreiben zwischen zwei Objektträgern oder durch Schmelzen und Zerreiben des wieder erstarrten Gemischs. Anschließend bestimmt man den Schmelzpunkt bzw. das Schmelzintervall der Probe. Wenn der "Mischschmelzpunkt" gegenüber dem Schmelzpunkt der unbekannten Substanz nicht erniedrigt ist, handelt es sich tatsächlich um Benzoesäure. Beobachtet man jedoch eine Schmelzpunkterniedrigung, dann handelt es sich bei der unbekannten Verbindung um eine andere Substanz. 55 DURCHFÜHRUNG UND GERÄTE Probenvorbereitung Die Schmelzpunktbestimmung erfolgt meist im Schmelzpunktröhrchen. Die Probe wird in ein an einer Seite zugeschmolzenes Glasröhrchen (Durchmesser ca. 1.0 – 1.5 mm, Länge ca. 7 – 8 cm) etwa 3 – 5 mm hoch gefüllt. Nach dem Einfüllen der Substanz in das offene Ende des Röhrchens klopft man das Röhrchen vorsichtig mit dem Boden auf eine harte Unterlage, am besten in der Weise, dass man das Röhrchen in einem ca. 1 m hohen Glasrohr mehrmals auf eine harte Unterlage fallen lässt. Danach muss unbedingt geprüft werden, dass die Abschmelzung unbeschädigt ist. Schmelzpunktbestimmung mit dem Schmelzpunktapparat nach Thiele (bis ca. 200 °C) In dem abgebildeten Schmelzpunktapparat (aus Glas) nach Thiele wird eine Heizflüssigkeit (Paraffinöl oder Silikonöl, Höchsttemperatur 200 °C) an der mit einem Kupferdrahtnetz überzogenen Stelle vorsichtig mit der Sparflamme eines Bunsenbrenners erhitzt. Das aufsteigende Glasrohr erlaubt ein gleichmäßiges Erhitzen durch Wärmekonvektion. Das Thermometer wird mit einem durchbohrten und eingekerbten Korkstopfen zentrisch im Gerät befestigt. Die Kerbe erlaubt, die Thermometerskala vollständig abzulesen. Das Schmelzpunktröhrchen wird durch einen der seitlichen Ansätze des Schmelzpunktapparats so eingeführt, dass die Probe sich unmittelbar vor der Thermometerkugel befindet (Thermometerhöhe genau einstellen!). Um das "Wegrutschen" des Röhrchens zu vermeiden, kann man es mit einem durchstochenen kleinen Stück Filterpapier oder Gummischlauch fixieren. Seitenansicht 1 2 2a 3 4 5 Vorderansicht Thermometer Korkstopfen zur Befestigung des Thermometers Querschnitt des Korkstopfens mit Bohrung und Kerbe zur Beobachtung Kupferdrahtnetz zum Erhitzen mit der Sparflamme des Bunsenbrenners Schmelzpunktröhrchen Halterung des Röhrchens (Filterpapier oder Schlauchstück) 56 Man erhitzt zunächst eine Probe mit einer Geschwindigkeit von etwa 10 °C/min, beobachtet die Substanz mit einer Lupe und registriert den ungefähren Schmelzpunkt. Zur präzisen Schmelzpunktbestimmung erhitzt man eine zweite Probe rasch (10 °C/min) bis etwa 20 °C unterhalb des ungefähren Schmelzpunkts, danach sehr langsam (1 – 2 °C/min) und beobachtet das Schmelzen. Das Schmelzintervall sowie alle weiteren Beobachtungen werden protokolliert. Bei einer reinen Verbindung darf das Schmelzintervall nicht größer als 1 °C sein. Achten Sie wegen der Bunsenbrennerflamme darauf, dass keine entzündlichen Chemikalien in der Nähe sind! Bauen Sie den Schmelzpunktapparat am besten dort auf, wo nicht mit organischen Lösungsmitteln gearbeitet wird, z.B. in einem separaten Raum. Schmelzpunktbestimmung im Kupferblock (180 – 360°C) Für Schmelzpunkte im Bereich von 180 – 360 °C verwendet man den elektrisch oder mit einem kleinen Bunsenbrenner geheizten Kupferblock. Der Kupferblock hat einen zylindrischen Hohlraum. Durch den Deckel werden Thermometer und Schmelzpunktröhrchen eingeführt und so auf die Unterlage gesetzt, dass die Proben sich direkt neben der Thermometerkugel befinden. Die Proben werden durch eine seitliche Bohrung beleuchtet und durch eine weitere Bohrung mit einer fixierten Lupe beobachtet. 1 Schmelzpunktröhrchen 2 Thermometer 3 Deckel mit Bohrungen 4 Kupferblock 5 Heizung Die Wärmeübertragung erfolgt hier nur durch heiße Luft und Wärmestrahlung. Wegen der dadurch bedingten Trägheit verwendet man den Kupferblock nur bei hoch schmelzenden Substanzen. Die Heizgeschwindigkeit sollte vor Erreichen des Schmelzbereichs sehr klein sein (ca. 1 – 2 °C/min). Schmelzpunktbestimmung mit dem Heizmikroskop nach Kofler Die Vorzüge der Schmelzpunktbestimmung unter dem Mikroskop liegen nicht nur im geringen Substanzverbrauch, sondern vor allem in der Möglichkeit, die Probe besser zu beobachten. Veränderungen der Substanz, z.B. Sublimation, Kristallumwandlungen, Abspaltung flüchtiger Substanzen, liefern wichtige Informationen. Der von Kofler entwickelte Heiztisch wird elektrisch beheizt. Nahe an der zentralen Bohrung für den Strahlengang des Mikroskops (Vergrößerung 100-fach) befindet sich die Kugel des seitlich eingesteckten Thermometers. Zur Bestimmung des Schmelzpunkts bringt man einige Kristalle auf ein Deckgläschen und deckt mit einem zweiten Deckgläschen ab. Nach Auflegen der Wärmeschutzscheibe heizt man rasch bis ca. 20 °C unterhalb des Schmelzpunkts und reduziert die Heizgeschwindigkeit danach auf 1 – 2 °C/min. Beim Schmelzbeginn können sich auf dem Deckgläschen Tropfen bilden oder die Kristallecken abrunden. Das Schmelzen der letzten Kristalle markiert das obere Ende des Schmelzpunkts. 57 1 Mikroskop 2 Deckgläschen mit Probe 3 Thermometer 4 Heiztisch 5 Heizung 6 Beleuchtung Wenn die Probe sublimiert, legt man das Deckgläschen auf den Tisch, der bereits bis ca. 10 °C unterhalb des Schmelzpunkts erhitzt ist. Dadurch verkürzt man die Verweilzeit der Substanz bei höherer Temperatur.
© Copyright 2024 ExpyDoc