Flüchtlingskrise: die Europäische Kommission handelt

Europäische Kommission - Pressemitteilung
Flüchtlingskrise: die Europäische Kommission handelt
Straßburg, 9. September 2015
Die Europäische Kommission legte heute im Nachgang zur Europäischen Migrationsagenda
vom Mai dieses Jahres ein umfassendes Vorschlagspaket zur Bewältigung der
Flüchtlingskrise vor, mit denen die EU-Mitgliedstaaten und die Nachbarländer konfrontiert
sind.
Die Europäische Kommission legte heute im Nachgang zur Europäischen Migrationsagenda vom Mai
dieses Jahres ein umfassendes Vorschlagspaket zur Bewältigung der Flüchtlingskrise vor, mit denen die
EU-Mitgliedstaaten und die Nachbarländer konfrontiert sind. Dabei werden auch die Fluchtursachen ins
Visier genommen. Die neuen Maßnahmen sollen die am stärksten betroffenen Mitgliedstaaten – vor
allem Griechenland, Italien und Ungarn – entlasten. Vorgeschlagen wird eine Umverteilung von
120 000 Menschen, die eindeutig internationalen Schutz benötigen, auf andere EUMitgliedstaaten. Bereits im Mai hatte die Kommission eine Umsiedlung von 40 000 Flüchtlingen aus
Griechenland und Italien vorgeschlagen. Der entsprechende Ratsbeschluss steht noch aus.
Vorgeschlagen wird zudem eine gemeinsame europäische Liste der sicheren Herkunftsstaaten,
die es den Mitgliedstaaten, die mit einer wachsenden Zahl von Asylanträgen konfrontiert sind,
ermöglichen soll, die Anträge schneller zu bearbeiten. Die Kommission hat heute die wichtigsten
Vorschläge für eine effektivere Rückkehrpolitik und einen mit 1,8 Mrd. EUR ausgestatteten
Treuhandfonds vorgestellt, um bei den Ursachen der Migrationsproblematik in Afrika anzusetzen.
Schließlich werden die Kommission und der Auswärtige Dienst der EU die „externe Dimension“ der
Flüchtlingskrise gemeinsam angehen.
Der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, sagte: „Wir Europäer müssen
eigentlich wissen und uns stets daran erinnern, wie wichtig es ist, Flüchtlingen Schutz zu gewähren und
das Grundrecht auf Asyl zu achten. Es ist Zeit, dass wir anfangen, den Grundstein für eine echte
europäische Migrationspolitik zu legen, wie wir das schon im Mai gefordert haben. Mit den Maßnahmen,
die wir heute vorschlagen, ist gewährleistet, dass Menschen, die eindeutig internationalen Schutz
benötigen, rasch nach ihrer Ankunft weiter verteilt werden, und zwar nicht nur jetzt, sondern auch bei
künftigen Krisensituationen. Wenn es jemals nötig war, europäische Solidarität unter Beweis zu stellen,
dann jetzt in Zeiten der Flüchtlingskrise. Es ist Zeit, gemeinsam Mut zu beweisen und europäisch zu
handeln.“
Die Europäische Kommission hat als Reaktion auf die derzeitige Flüchtlingskrise und zur Vorbereitung
auf künftige Herausforderungen folgende konkrete Maßnahmen vorgeschlagen:
1. Vorschlag zur Notumsiedlung von 120 000 Flüchtlingen aus Griechenland, Ungarn und
Italien: Nach dem drastischen Anstieg der illegalen Grenzübertritte in den letzten Monaten im
zentralen und östlichen Mittelmeerraum, aber auch auf der Westbalkan-Route ist rasches Handeln
erforderlich. Die Kommission schlägt vor, 120 000 Personen, die eindeutig internationalen Schutz
benötigen, aus Italien (15 600), Griechenland (50 400) und Ungarn (54 000) umzusiedeln. Die
Umsiedlung soll nach einem verbindlichen Verteilungsschlüssel auf der Grundlage objektiver,
quantifizierbarer Kriterien (Bevölkerungszahl: 40 %, BIP: 40 %, durchschnittliche Zahl der
bisherigen Asylanträge: 10 %, Arbeitslosenquote: 10 %) erfolgen. In Frage kommen
Staatsangehörige aus Ländern, bei denen die durchschnittliche Anerkennungsquote in der EU
75 % oder mehr beträgt.[1] Die Kommission hatte bereits im Mai vorgeschlagen,
40 000 Personen, die eindeutig internationalen Schutz benötigen, aus Italien und Griechenland in
andere EU-Mitgliedstaaten umzusiedeln, so dass sich die Zahl damit auf insgesamt
160 000 Personen erhöht. Für die Umsiedlungsmaßnahmen werden aus dem EU-Haushalt Gelder
in Höhe von 780 Mio. EUR zur Verfügung gestellt, u. a. für eine Vorfinanzierung in Höhe von
50 %, damit die Behörden auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene über die
erforderlichen Mittel verfügen, um sehr rasch reagieren zu können.
Eine vorübergehende Solidaritätsklausel: Kann sich ein Mitgliedstaat vorübergehend aus
triftigen, objektiven Gründen – z. B. wegen einer Naturkatastrophe – nicht vollständig oder
teilweise an einem Umsiedlungsbeschluss beteiligen, muss er einen finanziellen Beitrag zum EUHaushalt in Höhe von 0,002 % seines BIP leisten. Die Europäische Kommission wird die von dem
betreffenden Mitgliedstaat vorgebrachten Gründe prüfen und darüber befinden, ob diese Gründe
die Nichtteilnahme des Landes an dem Mechanismus bis zu maximal 12 Monaten rechtfertigen. Im
Fall einer teilweisen Beteiligung an der Umsiedlung verringert sich der finanzielle Beitrag
entsprechend.
2. Ein auf Dauer angelegter Umsiedlungsmechanismus für alle Mitgliedstaaten: Wie in der
Europäischen Migrationsagenda angekündigt, schlägt die Kommission einen strukturierten
Solidaritätsmechanismus vor, der jederzeit von der Kommission aktiviert werden kann, um einem
EU-Mitgliedstaat zu helfen, der sich in einer Notlage befindet und dessen Asylsystem aufgrund
eines unverhältnismäßig großen Zustroms von Drittstaatsangehörigen extremem Druck
ausgesetzt ist. Ob eine solche Notlage vorliegt, entscheidet die Kommission anhand der Zahl der
in den letzten sechs Monaten gestellten Asylanträge, dem BIP pro Kopf sowie der Zahl der
irregulären Grenzübertritte der letzten sechs Monate. Es gelten dieselben objektiven,
quantifizierbaren Verteilungskriterien wie bei der Notumsiedlung. Berücksichtigt werden darüber
hinaus die Bedürfnisse der Asylsuchenden, ihre familiäre Lage und ihre Fähigkeiten. Auch für den
strukturierten Umsiedlungsmechanismus soll die vorübergehende Solidaritätsklausel gelten.
3. Eine gemeinsame europäische Liste sicherer Herkunftsstaaten: Im Nachgang zu der
Europäischen Migrationsagenda und den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 25./26.
Juni schlägt die Europäische Kommission eine Verordnung für eine gemeinsame EU-Liste der
sicheren Herkunftsstaaten vor. Mit einer EU-Liste könnten Asylanträge von Staatsangehörigen aus
EU-weit als sicher geltenden Staaten schneller bearbeitet und Rückführungen schneller
durchgeführt werden, wenn die individuelle Prüfung des Antrags keinen Anspruch auf Asyl ergibt.
Nach Gesprächen mit den Mitgliedstaaten und im Einklang mit deren Praxis schlägt die
Kommission vor, die EU-Liste der sicheren Herkunftsstaaten um Albanien, Bosnien und
Herzegowina, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien, Kosovo*,
Montenegro, Serbien und die Türkei zu erweitern. Diese Länder genügen den gemeinsamen
Kriterien der Asylverfahrensrichtlinie 2013/32 für als sicher geltende Länder. Sie gehören
wichtigen internationalen Menschenrechtsübereinkünften an, und die meisten von ihnen wurden
vom Europäischen Rat als Beitrittskandidaten bestätigt, die die sogenannten Kopenhagener
Kriterien (Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Achtung und Schutz von
Minderheiten) erfüllen. Weitere Länder können nach eingehender Prüfung durch die Europäische
Kommission in die Liste aufgenommen werden.
4. Effektivere Organisation der Rückkehr/Rückführung: Um die diesbezüglichen Maßnahmen
auf Ebene der Mitgliedstaaten zu verbessern, hat die Kommission ein Handbuch zum Thema
Rückkehr/Rückführung und einen EU-Aktionsplan herausgegeben. Im Aktionsplan sind die
sofort und mittelfristig von den Mitgliedstaaten zu ergreifenden Maßnahmen aufgelistet, mit
denen folgende Ziele verfolgt werden: Förderung der freiwilligen Rückkehr und der Umsetzung der
Rückführungsrichtlinie, Verbesserung des Informationsaustauschs, Stärkung der Rolle und des
Mandats von Frontex bei Rückführungseinsätzen und Einführung eines integrierten
Rückkehrmanagements. Parallel dazu hat die Kommission ein Handbuch herausgegeben, das den
zuständigen nationalen Behörden praktische Anweisungen an die Hand gibt, wie sie die Rückkehr
jener Migranten begleiten, die kein Bleiberecht in der Europäischen Union erhalten. Es wird den
Fachleuten, die die Rückführungsrichtlinie 2008/115 anwenden, als wichtiges
Schulungsinstrument für die gemeinsamen Normen und Verfahren dienen.
5. Mitteilung über die öffentliche Auftragsvergabe in der Flüchtlingshilfe: Die Mitgliedstaaten
müssen die dringendsten Bedürfnisse der Asylsuchenden, was Unterbringung und Versorgung mit
Waren und Dienstleistungen angeht, rasch und angemessen erfüllen. Die Mitteilung gibt den
Behörden auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene Leitlinien an die Hand, wie sie diese
Dienste einfach, rasch und unbürokratisch unter Beachtung der Vergabevorschriften der EU
bereitstellen können.
6. Externe Dimension der Flüchtlingskrise: Außenpolitische Maßnahmen sind wichtiger
Bestandteil der Anstrengungen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise. Die Bemühungen um
diplomatische Initiativen für eine politische Lösung der Konflikte in Syrien, im Irak und in Libyen
sollen verstärkt werden. Die EU leistet in Syrien Hilfe vor Ort insbesondere für Binnenflüchtlinge
und unterstützt Nachbarländer wie Jordanien, Libanon oder Türkei, die den Großteil der
Flüchtlinge aus Syrien beherbergen. Bisher wurden hierfür 3,9 Mrd. EUR aufgebracht. Die
Bekämpfung der für den Migrantenschmuggel verantwortlichen organisierten Kriminalität stellt
eine weitere Priorität dar. Ihr dient insbesondere die Marineoperation EUVAVFOR MED. Im Zuge
der Zusammenarbeit mit Drittländern wurden ferner rund 17 Rückübernahmeabkommen und
7 Mobilitätspartnerschaften unterzeichnet. Die EU wird zudem die mit wichtigen Partnern auf
hoher Ebene bereits bestehenden Migrationsdialoge vertiefen. Hierzu zählen u. a. der Rabat- und
der Khartum-Prozess mit afrikanischen Ländern, der Budapest-Prozess mit den Ländern entlang
der Seidenstraße sowie die bevorstehenden Gipfeltreffen Anfang Oktober und Valletta am
11./12. November.
7. Treuhandfonds für Afrika: Die Europäische Kommission hat heute 1,8 Mrd. EUR für einen
Nothilfe-Treuhandfonds bereitgestellt, der die Stabilität in Afrika stützen und die Ursachen
irregulärer Migration bekämpfen soll. Der Fonds soll die Lage in der Sahelzone, in der
Tschadseeregion, am Horn von Afrika und in Nordafrika stabilisieren und bei den Ursachen der
irregulären Migration aus diesen Gebieten ansetzen. Die Regionen sollen Unterstützung für eine
bessere sozioökonomische Entwicklung und für Maßnahmen der Migrationssteuerung erhalten. Die
Europäische Kommission erwartet von den Mitgliedstaaten, dass sie sich mit gleichem Elan an
diesem Vorhaben beteiligen. Spanien hat seine Teilnahme bereits zugesagt.
Zur Solidarität mit den Mitgliedstaaten an der Außengrenze gehört auch, dass alle ihrer Verantwortung
für die Anwendung der gemeinsamen EU-Regeln gerecht werden. Zu diesem Zweck wird die
Kommission dieser Woche auch weitere Vertragsverletzungsverfahren einleiten, wo dies zur
Durchsetzung der Regeln erforderlich ist, und die Mitgliedstaaten an den Außengrenzen bei der
Anwendung der gemeinsamen EU-Asylregeln mittels ihres Brennpunkte-Konzepts (MEMO/15/5597)
unterstützen.
Nächste Schritte
Die außerordentliche Tagung des Innenministerrats zum Thema Migration am 14. September ist die
nächste Gelegenheit für die Mitgliedstaaten, die Legislativvorschläge der Kommission zu erörtern und
anzunehmen. Die von der Kommission im Mai und im September vorgeschlagenen
Notumsiedlungsmechanismen müssen vom Rat (mit qualifizierter Mehrheit) nach Anhörung des
Europäischen Parlaments angenommen werden, während der dauerhafte Solidaritätsmechanismus und
die europäische Liste der sicheren Herkunftsstaaten vom Europäischen Parlament und vom Rat
gemeinsam im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren verabschiedet werden müssen. Der Vorschlag für
den Treuhandfonds wird den Mitgliedstaaten mit der Prämisse vorgelegt, dass die notwendigen
Verfahren rechtzeitig zum November-Gipfel in La Valetta abgeschlossen werden können. Die EU trifft in
Valletta mit wichtigen afrikanischen Ländern zusammen, um die Migrationsproblematik und die
Flüchtlingskrise zu erörtern.
Hintergrund
Die Europäische Kommission hat sich beharrlich für eine abgestimmte europäische Lösung der
Flüchtlings- und Migrationsproblematik eingesetzt:
Am 23. April 2014 legte Jean-Claude Juncker im Rahmen seiner Bewerbung um das Amt des
Präsidenten der Europäischen Kommission einen Fünf-Punkte-Plan zur Einwanderungspolitik vor, in
dem er mehr Solidarität in der Migrationspolitik der EU forderte.
Bei seinem Amtsantritt übertrug Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker einem
Kommissionsmitglied die besondere Zuständigkeit für den Bereich Migration mit der Aufgabe, in
Abstimmung mit Vizepräsident Timmermans eine neue Migrationspolitik zu erarbeiten, die zu den
zehn Prioritäten der Politischen Leitlinien gehört, auf deren Grundlage die Kommission vom
Europäischen Parlament gewählt wurde.
Auf der Grundlage eines Vorschlags der Europäischen Kommission haben sich die Mitgliedstaaten in
einer Erklärung des Europäischen Rates vom 23. April 2015 zu raschem Handeln verpflichtet, um
Menschenleben zu retten und die Maßnahmen der EU im Bereich der Migration zu verstärken. Wenige
Tage später folgte eine Entschließung des Europäischen Parlaments.
Am 13. Mai 2015 legte die Europäische Kommission ihre Europäische Migrationsagenda vor, die eine
umfassende Strategie für eine bessere Steuerung der Migration in all ihren Aspekten enthält.
Schon am 27. Mai 2015 folgte ein erstes Paket mit Maßnahmen zur Umsetzung der Europäischen
Migrationsagenda, darunter Umsiedlungs- und Neuansiedlungsvorschläge und ein EU-Aktionsplan
gegen Schleuser.
Am 25./26. Juni verständigte sich der Europäische Rat darauf, die Vorschläge der Europäischen
Kommission im Rahmen der Migrationsagenda mit Schwerpunkt auf Umsiedlung und Neuansiedlung,
Rückkehr und Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern weiterzuverfolgen.
Am 20. Juli vereinbarte der Rat (Justiz und Inneres), die in der Europäischen Migrationsagenda
vorgeschlagenen Maßnahmen umzusetzen und in einem ersten Schritt 32 256 Personen, die eindeutig
internationalen Schutz benötigen, in den nächsten zwei Jahren aus Italien und Griechenland
umzusiedeln. Darüber hinaus sollen 22 504 Vertriebene, die eindeutig internationalen Schutz
benötigen, aus Regionen außerhalb der EU in der Union neu angesiedelt werden.
Weitere Informationen
Detaillierte Fragen und Antworten zu den heutigen Vorschlägen
Factsheets – Umsiedlung und sichere Herkunftsländer
Die heutigen Legislativvorschläge im Wortlaut
Pressepaket zur Europäischen Migrationsagenda
Website der Generaldirektion Migration und Inneres
[1] Derzeit vorliegenden Daten zufolge gälte dies für Antragsteller aus Syrien, Irak und Eritrea.
Anhang: Notumsiedlung aus Italien, Griechenland und Ungarn
Italien
Griechenland
Österreich
473
1529
Belgien
593
1917
Bulgarien
208
672
Kroatien
138
447
Zypern
36
115
Tschechische Republik
387
1251
Estland
48
157
Finnland
312
1007
Frankreich
3124
10093
Deutschland
4088
13206
Lettland
68
221
Litauen
101
328
Luxemburg
57
185
Malta
17
56
Niederlande
938
3030
Polen
1207
3901
Portugal
400
1291
Rumänien
604
1951
Slowakei
195
631
Slowenien
82
265
Spanien
1941
6271
Schweden
581
1877
INSGESAMT
15600
50400
Ungarn
1638
2054
720
479
123
1340
168
1079
10814
14149
237
351
198
60
3246
4179
1383
2091
676
284
6719
2011
54000
INSGESAMT
3640
4564
1600
1064
274
2978
373
2398
24031
31443
526
780
440
133
7214
9287
3074
4646
1502
631
14931
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