Der Doktor und die letzten Dinge

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HANNOVER
| HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG
DIENSTAG, 20. OKTOBER 2015 | NR. 244
gESICHTER & gESCHICHTEN
Kämpfen und Schwitzen
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Hannoveraner messen sich mit Crossfit-Elite Europas
Von AndreAS Schinkel
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Der Doktor und die letzten Dinge
Als MHH-Notfallmediziner erlebte Hans Anton Adams dramatische Einsätze – jetzt geht er in Ruhestand
Von Simon Benne
D
ie Autos waren frontal zusammengestoßen. Helfer versorgten die
Schwerverletzten auf der eisglatten Landstraße notdürftig, als Hans Anton Adams am Unfallort ankam. Ein Notarzt kümmerte sich um eine 80-jährige
Frau mit Beckenbruch, als Adams das
Mädchen mit den schweren Bauchverletzungen entdeckte: „Lassen Sie die
Oma sausen und kümmern Sie sich um
das Kind“, herrschte er den Notarzt an.
Adams atmet durch, wenn er die Geschichte erzählt. Darf ein Mediziner einem verletzten, alten Menschen die Behandlung entziehen? Wer will in so einer
Situation entscheiden, wem Hilfe zusteht? „Meine Entscheidung war nicht
schön, aber ethisch legitim“, sagt der
Leiter der MHH-Notfallmedizin.
Der Professor sitzt in seinem Büro. An
den Wänden hängen Bilder der Schiffe,
auf denen er einst als Marinearzt gedient
hat, im Regal stehen Statuen der heiligen
Ärzte Cosmas und Damian. Über Jahre
hat der Fleischerssohn sich an der MHH
mit Unfällen und Katastrophen beschäf-
tigt: Täglich hat er Visite auf der Station
für schwere Brandverletzungen. Regelmäßig hat Adams, der auch Landesfeuerwehrarzt ist, Hubschrauberdienst und ist
im Notarzteinsatz unterwegs. Ein Leben
wie in einer dramatischen RTL-Action-Reportage? Der Mediziner winkt ab: „Man
lebt in Routinen“, sagt er ruhig.
In wenigen Wochen geht Adams in
den Ruhestand und gibt alle Ämter ab:
Am 30. Oktober verabschiedet die Feuerwehr ihn mit einem Empfang im Rathaus, dann ist Schluss. Nach 19 Jahren
an der MHH gehen er und seine Frau
ins heimische Trier zurück, wo die drei
erwachsenen Töchter bereits leben. Da
wirkt sein neues Buch fast wie eine Verabschiedung: In „Von den letzten Dingen“ (Lehmanns Media, 228 Seiten,
19,95 Euro) erzählt er von seinen Fällen,
aber auch von seiner eigenen Vita – und
fast beiläufig streut er immer wieder
ethische Gedanken und Bibelzitate ein.
Manches in diesem sehr persönlichen
Buch stammt aus den Ethikseminaren,
die er seit Jahren anbietet: „Angefangen
habe ich damit, weil ich mich geärgert
habe“, sagt er: „Oft sprachen nämlich
nur Leute über Ethik, die nie Patienten
behandelten.“ In dem Buch führt Adams
gewissermaßen zwei Enden zusammen:
Der gläubige Katholik betrachtet Leid
und Tod aus medizinischer und aus religiöser Sicht. So warnt er eindringlich vor
aktiver Sterbehilfe: „Es darf nicht Leitschnur des Handelns werden, sich das
Leid vom Hals zu schaffen.“
Einen prominenten Fan hat der Band
bereits gefunden: „Ich wollte das Buch
ursprünglich nur stichprobenartig durchsehen – und hab es dann erst weggelegt,
als ich es ausgelesen hatte“, schwärmt
Joachim Kardinal Meisner, einer der
namhaften Theologen, die Gastkapitel
für das Buch verfasst haben: „Hier erzählt ein Arzt authentisch und ohne
Schnörkel aus seinem Leben.“
Tatsächlich kann Adams von berührenden Schicksalen berichten: Vom Reisebus, der 2008 auf der A 2 bei Garbsen
verunglückte. Von dem Hausbrand, bei
dem in Hannover drei Kinder starben.
Oder von dem neunjährigen Mädchen,
das sich selbst erhängte: „Wie soll man
das ertragen, wenn man nicht an den
Herrgott glaubt?“, fragt er.
Natürlich kennt er all die Gefahren,
in denen sein Beruf permanent
schwebt. Die Hybris. Die Abstumpfung. Den Zynismus. Adams zieht eine
Akte hervor. Auf einer Liste stehen
16 Namen von Ärzten, die er persönlich kannte: „Sie alle haben sich das
Leben genommen“, sagt er. Unter Medizinern gilt es oft als ausgemacht,
dass man eine gesunde Distanz zum
Job brauche, um nicht am täglichen
Leid kaputtzugehen. Adams glaubt das
nicht: „Man kann nicht um 16 Uhr die
Tür zu machen und seine Patienten
vergessen“, sagt er. Adams selbst betet
stattdessen abends für sie: „Es ist eine
Entlastung, wenn man weiß, dass man
als Arzt nicht die letzte Instanz ist.“
Im Fall des Mädchens mit den Bauchverletzungen wurden die Gebete offenbar erhört: Das Kind kämpfte 21 Tage
lang um sein Leben, dann sprach es die
denkwürdigen Worte: „Ich hätte gerne
Pommes.“ Auch die alte Dame mit dem
Beckenbruch überlebte. „Es war wie ein
Wunder“, sagt Adams. Heute sei das
Mädchen Lehrerin, sagt Adams: „Jedes
Jahr schreibt sie mir zu Weihnachten.“
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n Selbstbewusstsein mangelt es der
24-Jährigen nicht. „Ich denke, dass
ich es beim Crossfit-Wettkampf in
Dortmund unter die ersten Zehn schaffe“, sagt Ann-Kathrin Kalski. Dafür stemmt
die Studentin jetzt an sechs Tagen in der
Woche zentnerschwere Gewichte in die
Höhe, manchmal zweimal am Tag. Ihr
Mitstreiter Boris Benke bleibt vorsichtig.
„Für mich ist es schon super, dass ich bei
der Champions League dabei bin“, sagt
er. Tatsächlich zeugt es von beachtlicher
Leistungs- und Leidensfähigkeit, sich für
den „German Throwdown“ qualifiziert
zu haben. Mehr als 1000 Sportler aus
ganz Europa haben sich durch die Qualifikationsrunden gequält, haben sich bei
unendlich vielen Klimmzügen die Hände
blutig gescheuert und Hantelstangen balanciert. Übrig geblieben sind 48 Männer
und 36 Frauen, die am 30. Oktober zur
Endrunde nach Dortmund fahren – unter
ihnen die beiden Hannoveraner Kalski
und Benke.
„Crossfit hat Suchtpotenzial“, sagt
Kalski. Zehn Jahre hat die Zahnmedizinstudentin Handball gespielt, danach wollte sie sich weiter fit halten. „Aber nicht in irgendeinem
Studio rumdödeln“, sagt sie. Ihr
Freund und ihr Bruder schwärmten vom harten Training bei der
Crossfit SG in Wülfel, eine von
mehreren Crossfithallen in Hannover. „Das wollte ich ausprobieren,
jetzt trainiere ich häufiger als die
beiden Männer“, sagt die 24-Jährige. Und mit wachsendem Erfolg,
denn Kalski ist aus den Qualifikationsrunden als Achte hervorgegangen – europaweit.
Aus ihrem Verein haben
sich zwei weitere Teilnehmer für den Wettbewerb in Dortmund
qualifiziert, jedoch nicht
in der Eliteklasse, sondern in den Kategorien für
ältere Sportler.
Crossfit mausert sich vom Fitnesstrend zum Wettkampfsport. Dabei geht
es darum, einen Parcours vorgeschriebener Übungen, etwa Gewichtheben, Liegestütze und Kniebeugen, in möglichst
kurzer Zeit zu absolvieren, oder in einer
vorgegebenen Zeit möglichst viele Runden zu schaffen. In Hannover wurden im
Sommer die Deutschen Meisterschaften
im Crossfit ausgetragen, jetzt geht es um
internationale Titel.
Benke hat die Qualifikation für Dortmund gerade so geschafft. „Jetzt will ich
einfach dabei sein und Spaß haben“,
sagt der 26-jährige Ermittlungsbeamte.
In der Crossfithalle „Hangover“ in Vahrenwald bereitet sich Benke auf die
schweißtreibenden Wettkämpfe vor. 150
bis 160 Kilo lädt er sich auf den Buckel
und geht runter in die Kniebeuge. „Der
Wettkampf startet mit Gewichtheben, so
viel weiß ich schon“, sagt Benke. Auch
Kalski packt sich jetzt viel Gewicht auf
die Stangen, danach entspannt sie sich
bei Yoga- und Dehnübungen.
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