„Mittlerer und Naher Osten, die Arabisch

4. November 2015
Ulrich Tilgner:
„Mittlerer und Naher Osten, die Arabisch-Islamische Welt
–
ein dauernder Krisenherd?“
Guten Tag meine Damen und Herren
Herr Prof. Uhland,
vielen Dank für die Einladung und Ihre einführenden Worte.
Ich bin nur ein Lückenbüsser – doch werde ich versuchen, das Beste aus den mir gegebenen 60
Minuten zu machen:
Natürlich ist der Mittlere und Nahe Osten, ist die Arabisch-Islamische Welt kein dauernder
Krisenherd - doch solange ich leben werde, dürfte es eine Krisenregion bleiben:
Der israelisch-palästinensische Krieg im vergangenen Sommer, der anhaltende Horror im Irak
und in Syrien, Krieg im Jemen und Afghanistan auf der Kippe. Das wohl nicht nur für mich
Bedrückende: Ein Ende von Elend und Chaos sehe ich derzeit nicht. Doch hinter diesem
Rauchvorhang von Kriegen und schockierenden Entwicklungen verändert sich der Mittlere
Osten dramatisch. Ich habe mit dem Thema einen Freifahrtschein erhalten und werde diesen
nutzen, um meine persönliche Einschätzung der aktuellen Lage im Orient darzulegen und zu
versuchen, Auswirkungen auf die globale Entwicklung und Europa abzuleiten.
In den Medien wird sehr kurzsichtig berichtet. Aber auch Staaten und Politiker haben nur
höchst selten einen längeren Atem als Journalistinnen und Journalisten. Medien und Politik
leben mehr und mehr von der Hand in den Mund. Oft scheint sogar ein echtes Interesse an den
Konflikten zu fehlen, über die berichtet und geredet wird.
So möchte ich weniger auf die Einzelheiten deren eingehen, aber dafür meine Sicht der
Grundlinien darlegen, die die Konflikte vorantreiben. Ich kann mir das jetzt leisten, weil ich
seit Anfang des Jahres im sogenannten Ruhestand bin – was immer das auch sein mag.
Doch ich bin nicht nur pessimistisch, was die derzeitige Lage im Mittleren Osten betrifft. Ich
bin optimistisch, sobald es um eine Langzeit-Sicht geht:
Pessimistisch, weil ich nicht an eine schnelle positive Wende glaube.
Optimistisch, weil sich der Wunsch der Menschen nach Veränderung nicht aufhalten lässt und
sich die junge Generation der Städte meiner Meinung nach langfristig durchsetzen wird.
Derzeit sieht sie den Ausweg und die Lösung ihrer persönlichen Probleme vor allem in der
Flucht.
Was die Langzeit-Sicht betrifft, so möchte ich daran erinnern, dass die Veränderungen in
Europa doch auch 100 Jahre gedauert. 1848 gab es in nahezu allen Ländern die Bewegung für
Freiheit und Demokratie. Und erst 100 Jahre später wurde die Demokratie in Deutschland von
den USA eingeführt.
Ich habe einige Videos, Bilder und Statistiken.
Doch zu Anfang der Ausschnitt aus dem wunderbaren Film ´Lawrence von Arabien` Dieser
Film aus dem Jahr 1962 hat mehrere Oskars gewonnen. Er stellt die die Stämme der Wüste
und deren Politik aus westlicher Perspektive darstellt. Aber er zeigt eben doch ein Stück weit
die andere Kultur, die den Orient prägt. Lawrence, der britische Offizier akzeptierte und
nutzte die Rechte der Wüste – zu denen auch das Gastrecht gehört. Im Übrigen ein
bemerkenswerter Film, der im Jahr 1962 entstand und ein Jahr später 7 Oskars erhielt.
Nach dem Mord an Lawrence Begleiter, fragt dieser Prinz Ali, warum er ihn getötet habe, Der
antwortet: „Das ist meine Quelle“. Lawrence entgegnet: Auch ich habe aus ihr getrunken.
Prinz Ali nur: „Sie sind willkommen.“ Und später fügt er hinzu: „Er war nichts. Die Quelle ist
alles.“
Die in unseren Augen grosse Brutalität ist ja die Kehrseite der vielgerühmten
Gastfreundschaft. Sollte eine Quelle leergetrunken sein, kann dies einem ganzen Stamm die
Existenz kosten. Einem Einzelnen kann es so ergehen, wenn ihm das Gastrecht verweigert
wird. Also gilt es theoretisch sogar für Kriminelle.
Und das führt zum Islamischen Staat.
Der ist stark und schwach zugleich. Meiner Ansicht nach hat der Terrorstaat seinen Zenit
überschritten. Der Terror wird zur Schwäche und leitet den Verfall ein, auch wenn er immer
wieder Erfolge erzielt.
Der IS stößt an seine Grenzen. Ich gehe davon aus, dass er in einigen Jahren zerbricht. Und
dazu müssen Sie sich vorstellen, dass der IS aus drei Gruppen besteht, die ihn stark machen.
Das sind
- ehemalige irakische Offiziere, die die Zeit zurückdrehen wollen
- djihadistische Kader
- unterschiedlichste sunnitischen Stämme Nordsyriens und Nordiraks
Einen derart verwurzelten Feind kann man militärisch nicht aus der Luft besiegen. Das zeigen
die Angriffe der von den USA angeführten Allianz:
Die Aufnahmen zeigen, was passiert, das Fussvolk der Terrororganisation wird n der Regel
getroffen. Und für einen getöteten Beduienen wachsen dem IS mehrere Kämpfer nach.
Siebeneinhalb Tausend Luftangriffe haben es nicht geschafft, den IS entscheidend zu
schwächen.
Zahlen der CIA und einem Londoner Institut, das sich mit Radikalisierung und politischer
Gewalt beschäftigt, machen deutlich, woher die Djihadisten kommen:
Diese Videoaufnahmen habe ich vor zwei Jahren im Norden Syriens gemacht, im völlig
zerstörten Marktflecken Jazaa in der Nähe der türkischen und der irakischen Grenze.
Bis zum Vortag hatten Kommandos des Islamischen Staates den Marktflecken besetzt, um die
Flucht der Jesiden zu verhindern. Einheiten der Kurdenmilizen YPG (Jepege) haben die
Terrorkommandos besiegt.
Offizier: „Gestern haben wir den Kampf beendet. Die ISIS wurde vertrieben.“
Sheikh Hameidi Deham: „Wir dürfen nicht übertreiben. Aber das Ende der ISIS ist
gekommen. Sie werden es bald sehen.“
Deshalb darf die Gefahr des IS nicht überschätzt werden. Natürlich sind auch aus Deutschland
Personen nach Syrien gereist, um für den Islamischen Staat zu arbeiten und zu kämpfen.
Einige werden überleben und auch zurückkommen. Ziel muss es sein, diese Menschen nach
Ihrer Rückkehr zu integrieren.
Die Lebensverhältnisse im Herrschaftsgebiet des Islamischen Staates sind heute extrem
unattraktiv. Es gibt Berichte, dass einige Freiwillige, die keine Lust mehr haben, für den IS zu
kämpfen und zu sterben, mit Gewalt an Ihrer Rückkehr gehindert werden. Für mich ist das
Wichtigste, dass Deutschland die Fähigkeit entwickelt, Rückkehrer zu integrieren. Die
Lebensverhältnisse und Verdienstmöglichkeiten sind attraktiv.
Das ist einer Meinung nach die beste Politik, Anschlägen vorzubeugen und die Gefahr zu
minimieren, dass sich Terrorzellen von Rückkehrern bilden. Im Unterschied zu Frankreich
und Grossbritannien existieren in Deutschland weniger Ausländer-Ghettos in Grossstädten.
Bestrafen führt nicht weit. Und dann ist wichtig, dass sie nur wegen krimineller Taten bestraft
werden und nicht, weil sie gekämpft haben. In der Schweiz wäre das anders: Dort werden alle
Menschen mit Schweizer Staatsangehörigkeit, die im Ausland kämpfen, vor Gericht gestellt
werden auch diejenigen, die für die USA gegen Assad oder den Islamischen Staat in den Krieg
ziehen.
Der IS hat zwar Geld aus Entführungen und Erpressungen, er finanziert sich auch durch Zölle
und Steuern, aber der Islamische Staat ist nicht reich.
Das sind zum Beispiel Raffinerien, mit denen Geld verdient wird. Das Leben ist hart.
Die USA greifen den IS aus der Luft an, weil die ihre Lehren aus den Kriegen in Afghanistan
und Irak gezogen haben. Natürlich machen sie dabei neue Fehler.
Statt den Aufbau moderner Zivilgesellschaften zu fördern, zieht sich die Staaten des Westens
aus dem Orient zurück. Auch weil sich gezeigt hat, dass sich Demokratie nicht mit Kriegen in
den Orient exportieren lässt.
Im Irak wurde eine gewaltige Kette von Fehlern gemacht. De USA haben ein grosses Chaos
hinterlassen:
Der Irak ist heute politisch dreigeteilt: Es gibt die Kurdenregion im Nordosten des Landes, in
der die Politiker mit der Ausrufung der Selbständigkeit liebäugeln. Im Nordwesten des Landes
hat sich der Islamische Staat etabliert und die von Schiiten bewohnten Regionen werden von
der Regierung in Bagdad kontrolliert, die unter iranischem Einfluss steht. Die USA haben
diese Zentrifugalkräfte gestärkt. Ich habe im Herbst 2009 in der Stadt Ramadi gefilmt, wie USAusbilder zur Graduierung irakischer Offiziere (Sunniten aus Anbar) die alte Hymne (siegen
Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins) spielten.
Keiner der irakischen Kursteilnehmer hatte auch bei früheren Zeremonien protestiert. Einige
dieser von den US-Streitkräften ausgebildeten Offiziere dürften heute für den IS kämpfen. So
sieht gescheiterte Politik praktisch aus.
Ein weiteres Beispiel für die Widersinnigkeit westlicher Politik vor Ort bildet Afghanistan:
Jahrelang konnten Bauern Dynamit auf lokalen Märkten kaufen, dagegen war die Einfuhr
bestimmter Kunstdüngersorte nach Afghanistan auf Druck der ausländischen Streitkräfte
verboten worden. Wie können sie mit einem derartigen Auftreten die Sympathie von Bauern
gewinnen?
Auf den mit westlichen Geldern gebauten Strassen, lassen sich Sprengsätze sehr einfach
verstecken.
Der Rückzug der US-Streitkräfte aus Irak und Afghanistan erfolgte nicht freiwillig, sondern
war auch ein Ergebnis einer gescheiterten Militärpolitik. Es waren die toten Soldatinnen und
Soldaten die eine Umorientierung der Politik erzwungen haben.
Zudem sind etwa eine genauso große Zahl von Mitarbeitern privater militärischer
Sicherheitsdienste der USA getötet worden. Es dauerte fast elf Jahre, bis das USVerteidigungsministerium in einem internen Papier eingestand, die Probleme der Kriege
unterschätzt zu haben.
Eine Studie des Watson Institutes der Brown Universität in den USA hat ergeben, dass in den
zehn Jahren Krieg in Irak, Afghanistan und Pakistan (Juni 2011) 225 000 (350 000) Menschen
getötet, 146 000 verwundet, 7,8 Millionen zu Flüchtlingen wurden. 2,2 Millionen US-Bürger
seien in die Kriege gezogen. Die Kriegskosten belaufen sich der Studie zufolge auf 3 668
Milliarden US-Dollar bei einer konservativen und 4 444 Milliarden bei einer maßvollen
Schätzung (Group, 2011). Folgekosten auf weitere 8 000 Milliarden US Dollar, Zinsen etc.
Kosten steigen weiter. Eine Studie der Harvard Universität kommt zu ähnlichen, wenn auch
höheren Zahlen.
Quelle: http://www.costsofwar.org/sites/default/files/Direct
Quelle:
http://www.costsofwar.org/sites/default/files/Summary%20Costs%20of%20War%20NC%20J
UNE%2026%202014.pdf
US-Präsident Barack Obama hat die Änderungen des militärischen Vorgehens seines Landes
gegenüber dem Terrorismus am 28. Mai 2014 in Militärakademie Westpoint genau
beschrieben:
„For the foreseeable future, the most direct threat to America at home and abroad remains
terrorism. But a strategy that involves invading every country that harbors terrorist networks
is naïve and unsustainable. I believe we must shift our counterterrorism strategy -- drawing on
the successes and shortcomings of our experience in Iraq and Afghanistan -- to more effectively
partner with countries where terrorist networks seek a foothold.“ (`In absehbarer Zukunft
bleibt der Terrorismus die größte Bedrohung der USA hier und ausserhalb. Aber eine
Strategie, jedes Land zu erobern, in dem terroristische Netzwerke existieren, ist naiv und nicht
durchzuhalten. Ich glaube, wir müssen unsere Antiterrorstrategie ändern. Dabei müssen wir
von den Erfolgen und Misserfolgen in Irak und Afghanistan lernen. Wir müssen effektiver mit
Ländern zusammenarbeiten, in denen Terroristen Fuss fassen wollen.´)
Hillary Clinton hatte einen derartigen Politk-Wechsel bereits zwei Jahre früher benannt. Die
ehemalige US-Außenministerin und mögliche Obama-Nachfolgerin bezeichnete das neue
Auftreten der USA eine intelligente Nutzung von Macht. Für sie handelt es sich um
„intelligente Nutzung von Macht“, wenn die USA es lernten, ihre Interessen auch indirekt
durchzusetzen. Mit der Kombination ziviler und militärischer Mittel und durch
Zusammenarbeit mit anderen Staaten sei die Durchsetzung von Interessen am besten
gewährleistet. In den USA koordinierten Clinton zufolge Außenpolitiker,
Entwicklungsspezialisten und Militärs bereits ihr Vorgehen. Mit den Worten „we call it smart
power“ beschrieb Clinton in einer Dinner Speech am 23. Mai 2012 im Hauptquartier des
Special Operation Commands die Neuorientierung der US-Politik des Krieges gegen den
Terror. In der Rede anlässlich eines Abendessens von Teilnehmern an einer Konferenz von
Sondereinsatzkommandos aus 96 Ländern erklärt die Außenministerin, dass die USA nach
zehn Jahren schmerzhafter Erfahrungen gelernt hätten, nur in Sonderfällen militärische
Alleingänge zu unternehmen.
Dabei setzen die USA für ihre Militärpolitik enorme Mittel ein.
Diese Ausgaben enthalten keine zusätzlichen Kosten für Kriege. Diese werden getrennt
budgetiert.
Ein Vergleich mit den Verteidigungsausgaben Deutschlands und Irans zeigt die
Militärorientierung der USA.
Die Kooperation mit Bündnispartnern wie Saudi Arabien und Pakistan umfasst auch die
verdeckte Kriegsführung, über die offiziell nicht gesprochen wird.
Doch Zahlen belegen, welchen Umfang zum Beispiel der Drohneneinsatz erreicht hat. In
Regierungskreisen heisst es immer wieder, es würden bei derartigen keine Zivilisten getötet.
Doch Berichte aus Pakistan besagen etwas anderes. Selbst die Genauigkeit von
Drohnenangriffen kann nicht davon ablenken, dass Menschen getötet werden sollen, deren
Namen nicht einmal bekannt sind. Gefangene werden bei einer derartigen Kriegsführung nicht
mehr gemacht.
Im Pakistankrieg haben die Drohnen keine aufgemalten Hoheitszeichen:
Der Politikwandel hat auch wirtschaftliche Hintergründe.
Die Politik der USA ist nicht mehr vom Interesse nach preiswertem Öl geprägt, seit in
Nordamerika aus Gas und Öl aus Vorkommen in Gesteinsschichten mit der FrackingMethode gefördert wird. Die USA sind dabei ihre Öl und Gas-Importabhängigkeit zu
überwinden.
Während die USA enorme Devisenbeträge für Öl- und Gasimporte einsparen und damit ihre
Leistungsbilanz deutlich entlasten können, erzielen die Staaten am Persischen Golf den
Löwenanteil der Einnahmen aus fossilen Brennstoffen, da die Förderkosten dort extrem billig
sind. Kosten die Förderung eines Barrels (158,987 Liter) in den Golfstaaten zwischen drei und
zehn US Dollar, so entstehen beim Fracking für die Förderung der gleichen Menge derzeit
Kosten zwischen 35 und 65 US Dollar. Deshalb ist es meiner Ansicht nach falsch, zu glauben,
der derzeitig relativ niedrige Ölpreis liege im Interesse der USA und sei von diesen angestrebt,
um Russland und Iran zu schwächen. Diese Sichtweise lässt ausser Acht, dass auch die USA
und die dort neu aufstrebende Fracking-Industrie erheblich von dem Preiseinbruch beim Öl
betroffen sind.
Die USA haben auch aus Konkurrenzgründen zu China ein Interesse an hohen Ölpreisen.
Denn China hat die USA bereits im Oktober 2013 als weltgrößter Ölimporteur abgelöst und ist
heute der Hauptabnehmer des saudischen, irakischen und iranischen Öls.
Während der Importbedarf Chinas kontinuierlich steigen dürfte, kann man davon ausgehen,
dass der der USA weiter abnehmen wird. Damit muss China einen immer grösseren Teil seiner
Devisengewinne im Aussenhandel für die Importe von Öl aufwenden, während die USA
zunehmend Devisen beim Kauf von Brennstoffen einsparen.
Bedeutsam zur Beurteilung der Entwicklung des Ölmarktes sind zwei Aspekte:
1. Saudi Arabien hat seine Swing-Kapazität eingebüsst. Dass Land kann nicht mehr wie in
den neunzehnhundertachtziger Jahren die Import erhöhen. Gleichzeitig ist das
Königreich dermassen auf die Einnahmen angewiesen, dass auch eine Beschränkung
der Exporte nicht möglich ist, da sich das Land derartige Devisenausfälle nicht leisten
kann.
2. Saudi Arabien wird seine relative Vormachtstellung auf dem Weltölmarkt verlieren.
Heute verfügt Venezuela über die grössten abbaufähigen Vorräte.
Diese Faktoren dürften eine entscheidende Rolle spielen, warum Saudi Arabien auf den
Rückgang der Ölpreise nicht mit einer Beschränkung der Exporte reagiert hat. Eine derartige
Politik würde möglicherweise langfristig den Exportanteil Saudi Arabiens reduzieren. Denn
bereits heute haben die OPEC-Staaten gegenüber den neunzehnhundertachtziger Jahren
Anteile am Weltölmarkt verloren. Hohe Preise erleichtern die Erschliessung neuer
Vorkommen in Nicht-OPEC-Staaten. Und genau daran hat Saudi Arabien kein Interesse.
Abschliessend zum Öl noch meine Meinung zur Entwicklung seines Preises. Bis etwa zum Jahr
2000 ist es den USA gelungen, den Preis niedrig zu halten. Danach gab es dessen Anstieg, der
nicht durch Krisen zu erklären ist. Führten politische oder militärische Ereignisse im Orient
während des vergangenen Jahrhunderts regelmässig zu Preiserhöhungen, deren Abbau den
USA in der Regel gelang, so prägen die Marktverhältnisse die Preisentwicklung seit etwa dem
Jahr 2000. Die steigende Nachfrage nach fossilen Brennstoffen löste einen Preisanstieg für sie
aus, den die USA politisch nicht korrigieren konnten. Sie reagierten mit einer Erhöhung der
Förderung, um die Auswirkungen in der Leistungsbilanz abzuschwächen. Die militärische
Kontrolle des Orients können sich die USA nicht mehr leisten.
Zum Schluss noch einige Bemerkungen zur anhaltenden Flüchtlingswelle aus Nordafrika und
dem Orient. Diese dürfte anhalten. Nach UN-Schätzungen befinden sich derzeit bereits zwei
Millionen Menschen aus diesem Gebiet auf dem Weg nach Europa. Diese Wanderbewegung
hat sich relativ unabhängig von der Zunahme des Terrors und der Bürgerkriege entwickelt.
Die Zunahme der Zahl der Menschen, die nach Europa aufbrechen, liegt in dem
Bevölkerungswachstum und den schlechten sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen im
Orient und in Afrika begründet.
Die meiner Meinung nach wichtigsten Gründe für die derzeitige Flüchtlingslawine sind:
-
Die bisherige Abschottung der Flüchtlinge in Südeuropa (auch als Folge des Dubliner
Übereinkommens). Ende 2013 gab es in Europa 4,4 Millionen Flüchtlinge. Ein Jahr
später waren es bereits 6,7 Millionen. Also eine Zunahme von 51 Prozent. Ein Viertel
davon waren syrische Flüchtlinge in der Türkei.
-
Die Überbevölkerung im nördlichen Afrika und vor allem in der Sahelzone bei
gleichzeitiger wirtschaftlicher Unterentwicklung verstärkt durch soziale und
wirtschaftliche Krisen.
-
Das politische Chaos im Mittleren Osten vor allem mit den Bürgerkriegen in Syrien,
Irak und Afghanistan.
-
Die magnethafte Wirkung Europas als Zufluchtsort, weil der relative Wohlstand bei
gleichzeitiger Überalterung der Bevölkerung im weiteren geografischen Umfeld die
Vorstellung nährt, die eigenen Probleme durch Auswanderung lösen zu können. Zudem
bildet Zentraleuropa das einzige mögliche Fluchtziel von Flüchtlingen aus dem Orient
und Nordafrika sowie der Sahelzone.
Eigentlich sind diese Probleme seit langem bekannt. Nur wurden sie von der offiziellen Politik
weitgehend ignoriert oder verdrängt. Und das wird so weiter gehen, auch wenn allein in
diesem Jahr mindestens 1,5 Million Flüchtlinge allein nach Deutschland kommen. Doch sie
sind erst der Anfang einer neuen Völkerwanderung:
Dazu einige Zahlen:
Nach dem Bericht des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge vom 18. Juni dieses Jahres
waren Ende 2014 – also vor zehn Monaten – 59,5 Millionen Menschen auf der Flucht. Es
waren 8,3 Millionen mehr als Ende 2013 – und damit gab es global einen Zuwachs von der
Gesamtbevölkerung der Schweiz. 2014 konnten nur 126.800 Flüchtlinge in ihre Heimat
zurückkehren. Das ist dem UNHCR-Bericht zufolge die niedrigste Zahl seit 31 Jahren. Die
Zahl der Flüchtlinge nimmt seit zehn Jahren kontinuierlich zu. Das Alarmierenste besteht
meiner Meinung nach darin, dass die Hälfte der Flüchtlinge Kinder sind.
Täglich werden weltweit 42 500 Menschen zu Flüchtlingen, Asylsuchenden oder
Binnenvertriebenen. Etwa ein Prozent der Menschheit ist auf der Flucht. UNFlüchtlingskommissar Antonio Guterres sieht alles Vorherige in den Schatten gestellt. Zitat:
„Es ist erschreckend zu beobachten, dass jene straflos bleiben, die Konflikte auslösen.
Gleichzeitig scheint die internationale Gemeinschaft unfähig zur Zusammenarbeit, um Kriege
zu beenden sowie Frieden zu schaffen und zu sichern.“
Einige Staaten der Region, aus der auch Flüchtlinge kommen, sind extrem reich – wie die
Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi Arabien, Kuwait und Katar.
Doch die sozialen Verhältnisse in diesen Staaten erinnern an die Zeit der Sklaverei. Im Emirat
Dubai gibt es die höchste Rate von politischen Gefangenen im Verhältnis zu den
Staatsbürgern. Diese Herrscher dieser Staaten behalten den Reichtum für sich und geben
einen Teil an Bürger ihrer Staaten weiter. Fremdarbeiter oder die andere Staaten gehen
weitgehend leer aus. Kein Wunder sind diese Staaten und ihre Herrscherfamilien doch das
direkte Ergebnis europäischer Kolonialpolitik.
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass es den Staaten des Mittleren Ostens nicht gelungen ist, für
ihre wachsende Bevölkerung lebenswerte Bedingungen zu schaffen. Darin liegt der Grund für
die Proteste des arabischen Frühlings. Plötzlich stellten die reichen Golfstaaten Geld bereit, um
zu intervenieren und die friedlichen Proteste zu unterdrücken oder in einen blutigen
Bürgerkrieg zu transformieren. Bis zum Sturz des tunesischen Diktators Ben Ali gab es nicht
einmal hundert Tote. Bis zum Sturz des ägyptischen Diktators Mubarak waren es knapp 1000
Menschen.
Dann erfolgte die militärische Intervention der USA und der reichen Golfstaaten. Bis zum
Sturz Gaddafis starben etwa 30 bis 50 Tausend Menschen. Heute herrscht inn Libyen
Bürgerkrieg. In Syrien sind es bisher 250 000 Opfer politischer Gewalt geworden und der
Sturz Assads ist noch nicht in Scht. In Bahrain, Jemen und anderswo herrscht weiter Chaos.
Ein Ende der Konflikte odeer Kriege zeichnet sich nicht ab..
Diese Entwicklung erzeugt eine Flüchtlingslawine. Doch die demografischen und sozialen
Gründe werden meiner Meinung nach langfristig weitaus bedeutsamer sein:
Zum Beispiel wird sich die Bevölkerung Afghanistans in 30 Jahren in Pakistan verdreifachen,
während der Zuwachs in der Schweiz nur 19 Prozent beträgt, die ja im Wesentlichen auf
Einwanderung zurückzuführen ist.
Diese zunehmende Zahl von Menschen leben unter stagnierenden wirtschaftlichen und
sozialen Verhältnissen. Wobei es in den reichen Staaten der arabischen Halbinsel Reichtum im
Übermass gibt. Selbst Tunesiens Diktator Ben Ali musste einiges zurücklassen, als er Ende
Februar 2011 überstürzt seinen Palast verliess, um nach Saudi Arabien zu fliehen.
Diese Gelder fehlen, wenn es darum geht, Projekte für die Entwicklung der Region zu
finanzieren.
Während in Pakistan eine Durchschnittsfamilie nahezu die Hälfte des Haushaltseinkommens
für den Kauf von Lebensmitteln aufwenden muss, sind dies in Katar nur knapp 13 und in der
Schweiz nur 8,9 Prozent des Haushaltseinkommens.
Deshalb durfte die Flüchtlingsproblematik ein Dauerthema bleiben. Ein Ende der
Zuwanderung zeichnet sich auch deshalb nicht ab, weil die Schaffung von Zivilgesellschaften
im Orient bis heute weitgehend gescheitert ist. Die enormen Öleinnahmen der Region werden
in einer verfehlten Militär-Politik oder durch die Finanzierung einer Politik des Machterhalts
vergeudet.
Den Menschen im Orient geht es schlecht. Auch das treibt sie nach Europa: Langfristig
dürften sich die Bewohner der grossen Städte der arabischen Welt mit ihren Forderungen
nach sozialer Gerechtigkeit und Freiheit aber durchsetzen – daran habe ich keinen Zweifel:
Es bleibt an uns, diese Entwicklung zu fördern und die zu lange praktizierte Kooperation mit
den Dunkelmännern der Geschichte zu minimieren. Vielen Dank