Wie wird Selbststigmatisierung von Klienten erlebt

Wie kann die
Selbststigmatisierung
des APP - Klienten
durch die Pflege positiv
beeinflusst werden?
Warum dieses Thema
Stigmatisierung ist Thema vieler Studien, allerorten versucht man ihr
entgegen zu wirken. Am Rand wird dabei auch immer wieder die
Selbststigmatisierung erwähnt, der Focus liegt aber nicht dort.
In unserer Arbeit begegnen wir immer wieder Klienten,
welche sich durch Selbststigmatisierung in ihren Handlungsmöglichkeiten massiv einschränken.
Was sind die Ursachen?
Liegen die Ursachen vielleicht auch bei uns?
Welche Interventionen der APP im Rahmen von Empowerment und Recovery
stehen der Pflege zur Verfügung und haben sich bewährt?
Udo Finklenburg
Fachtagung Ambulante Psychiatrische Pflege
Ablauf
-
Einführung ins Thema
Grundlagen
Interventionen
Diskussion
Stigma durch die Pflege
Gruppenarbeit
Austausch
Udo Finklenburg
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Einführung
Im wesentlichen 2 Aspekte:
- Erlebtes Stigma
- Erlerntes Stigma
Udo Finklenburg
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Erlebtes Stigma
Stigmatisierung ist eine tief in uns verwurzelte Reaktion auf alles unbekannte, nicht sofort
nachvollziehbare. So tief, dass wir sogar uns selber stigmatisieren, wenn wir betroffen sind,
z.B. von einer psychischen Erkrankung.
Allerdings liegt es in der Natur der Sache, dass stigmatisierendes Verhalten der Umgebung
nicht durch die Therapie des Klienten beeinflusst werden kann.
Beeinflusst wird die Reaktion des Klienten auf die Stigmatisierung
Udo Finklenburg
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Erlerntes Stigma
Erlerntes Stigma: das ist Selbststigma, das ist internalisiertes Stigma
Diese Begriffe zu unterscheiden ist schwierig, da sie auch in der Literatur unterschiedlich gehandhabt
werden.
Die Inhalte sind anerzogen und die Summe eigener Erfahrungen und führen zu einer permanenten
Verunsicherung: Wie soll ich mich verhalten, was darf ich sagen, wem kann ich trauen?
Letztlich hindern sie den Klienten durch «ich kann nicht», ich darf nicht», «ich werde es nie schaffen»
am erreichen jedweden Ziels.
Ausserdem geschieht häufig ein Vermeiden von Situationen, in denen Stigmatisierung erwartet wird.
Udo Finklenburg
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Konsequenzen
- Public Health Massnahmen reichen nicht aus (A. Finzen 2013)
- Ein Grossteil des Stigmaerlebens entsteht aus (eigenen) Annahmen und Vorurteilen
(internalisiertes Stigma) (A.Finzen 2013 & Sibitz et al 2013)
- Jedes Stigmaerleben bedeutet eine Destabilisierung des Therapieverlaufs
(Angermeyer 2003)
- Stigma kann als eigenständiges Symptom, wenn nicht gar als Krankheit betrachtet
werden und verdient entsprechende Behandlung. (A.Finzen 2010)
Udo Finklenburg
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Versuch einer Definition
«Stigmatisierung psychisch eingeschränkter Menschen
ist die Summe von mangelnder Information über und
unreflektierter Reaktionsweisen auf psychische Erkrankungen
sowohl des Betroffenen als auch seiner jeweiligen Umgebung,
welche den Betroffenen an seiner Genesung hindert.»
U.F.2015
Udo Finklenburg
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Grundlagen
All diesen Phänomenen begegnen wir uns in unserem Alltag, wir müssen sie wahr nehmen, ernst
nehmen, in unsere Arbeit mit einbeziehen.
Nur:
In vielen Untersuchungen zeigte sich, dass Möglichkeit gibt, unmittelbar gegen (Selbst-) Stigmatisierung
vorzugehen.
Stattdessen:
«Selbststigmatisierung und Empowerment sind die entgegengesetzten Enden des selben Themas»
(N. Rüsch, 2005)
Udo Finklenburg
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Grundlagen 2
Fazit:
Wirksame Interventionen gegen Stigmatisierung finden wir nicht «gegen Stigmatisierung»
sondern «für Empowerment»
Also unsere Aufgabe:
Förderung des Selbstbewusstseins und der Selbstwirksamkeit
Dazu finden sich in verschiedenen Büchern und Studien folgende Interventionen, welche von einer
Fokusgruppe auf Eignung überprüft wurden:
Udo Finklenburg
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Interventionen 1
1
Hand – und Lehrbuch basierte Interventionen
Interpretation der Fokusgruppe
Verbreitung sachlicher Informationen über psychisch erkrankte
Wissen reduziert Ängste, aber es ist eher ein Public Health Auftrag
(Wolff, S. 2012)
2
Reflektion der eigenen Haltung: Sehe ich in dem anderen
Reflektion sollte für alle ein (zwingender) Standard sein
überwiegend einen schwachen Patienten? (Wolff, S. 2012)
3
Den Klienten aktiv aus der Krankenrolle herausführen und über
Zu defizitär formuliert, der Klient wird begleitet und ermutigt
realistische Ziele zu Erfolgserlebnissen führen (Wolff, S. 2012)
4
5
Die Anwendung von Fähigkeiten und Fertigkeiten fördern (Wolff, S.
Der Wille des Klienten steht im Vordergrund: Wenn er eine Begabung
2012)
nicht leben will, ist es so…
Gegenüber dritten den Klienten als fähig darstellen (Wolff, S. 2012)
Nur in Einzelfällen; wenn eben möglich, den Klienten befähigen, für sich
selber einzustehen
Udo Finklenburg
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Interventionen 2
6
Die Bedrohungsgefühle Nichtkranker erkennen und die Hintergründe
Wie 1.: Wissen reduziert Ängste, aber eher ein Public Health Thema
erfassen (Wolff, S. 2012)
7
Klienten emotional unterstützen und zu aktiver Gesellschaftsteilnahme
Den Bedürfnissen des Klienten entsprechend als Grundauftrag der Pflege
ermutigen (Wolff, S. 2012)
8
9
Psychisch kranken Menschen aktiv bei der Vertretung ihrer Interessen (z.B.
Wie Pkt. 5: Nur in Einzelfällen; den Klienten befähigen, für sich selber
als MieterIn, KundIn, ArbeitnehmerIn) unterstützen (Wolff, S. 2012)
einzustehen
Gesunde dazu auffordern, Kontakte zu psychisch kranken Menschen zu
Durch aus wünschenswert, aber unterstützen, nicht fördern.
pflegen und aktiv auf sie zuzugehen. (Wolff, S. 2012)
10
Coming Out Beratung: wie weise ich auf mein seelisches Problem hin, mit
Niemand muss wissen, ob das Gegenüber eine Diagnose hat. Den Klienten
welchen Reaktionen muss ich rechnen, wie werde ich darauf reagieren?
unterstützen, die eigene Haltung zu erarbeiten.
(Wolff, S. 2012)
11
Aktiv Zeit investieren im Umgang mit den Klienten (zeigt Wertschätzung)
Grundauftrag der Pflege: wenn ich beim Klient bin, bin ich vollumfänglich für ihn
(Townsend, M.C. 2012)
da.
Udo Finklenburg
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Interventionen 3
13
Den Klienten ermutigen, nicht zurück-zuschauen, sondern
Nicht an die Vergangenheit klammern, aber doch auch schauen, was ist
gegenwarts- und
gut gegangen, was war hilfreich…
zukunftsbezogen zu sein (Townsend, M.C. 2012)
14
Möglichst wenig negatives Feedback, Regeln sachlich durchsetzen
Die Basis ist eine vertrauensvolle, therapeutische Beziehung, und die
(Townsend, M.C. 2012)
funktioniert nur mit Ehrlichkeit, also auch offenes Feedback.
Den Klienten wenn eben möglich zur Eigenständigkeit ermutigen
Ein Grundversorgungsauftrag, so selbstverständlich, dass eigentlich keine
(Townsend, M.C. 2012)
spezielle Erwähnung nötig ist.
16
Achtsamkeit fördern (DBT) (Dinesh et al, 2012).
Gut, KVT und DBT im Therapieschrank zu haben, der Einsatz ist aber nicht
17
Situation im Rahmen der KVT reflektieren (Dinesh et al, 2012)
zwingend
15
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Diskussion
Stimmt das Modell Empowerment versus Selbststigma?
Wie wirken die vorgeschlagenen Interventionen auf Euch?
Habt Ihr Ergänzungen?
Kann man damit arbeiten?
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Zusammenfassung
KEIN KRAUT IST GEGEN SELBSTSTIGMATISIERUNG GEWACHSEN!
Aber dafür für Empowerment.
Durch die echte, ehrliche Förderung des Selbstwirksamkeit und des Selbstbewusstseins verliert die (Selbst-)
Stigmatisierung an Bedeutung, der Wille und die Wünsche des Klienten an Gewicht.
Aber einen wesentlichen Aspekt der Stigmatisierung haben wir noch nicht betrachtet:
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Stigmatisierung durch Pflege
2 Studien stellten relativ verblüfft fest, dass die involvierten Professionen durch primär negative
Glaubenssätze die Stigmatisierung noch verstärken. (Hansson et al, 2011)
Und dabei würden diese Personen es eigentlich gut meinen. Allerdings machen die Klienten beim
Zahnarzt die besseren Erfahrungen…(Harangozo et al, 2013)
Aber durch z.B. vermeidendes und / oder beschützendem Verhalten wird lediglich die internale
Stigmatisierung, nicht das Selbstbewusstsein gefördert.
Udo Finklenburg
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Arbeitsgruppenauftrag
2 Fragestellungen in je 2 Gruppen:
- Wie geht ihr mit dem eigenen stigmatisierendem Verhalten um?
- Wie geht Ihr auf Kollegen ein, welche bewusst / unbewusst stigmatisieren?
- Jede Gruppe stellt kurz ihre Ergebnisse vor.
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Gemeinsamer Austausch
Udo Finklenburg
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Gemeinsamer Austausch
Strategien gegen eigenes Stigmatisieren
- Reflektion des eigenen Handelns
- Innerer Schalter – Stopp, was tust du da?
- Bewusst machen: was ist mein Auftrag
- Bewusst machen: der Klient ist der Auftraggeber
- Intervision im Team
- „Warum genau tust / denkst Du das?“
Teilergebniss der
Fokusgruppe
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Literatur
Angermeyer, M. 2003 Das Stigma psychischer Krankheit aus der Sicht der Patienten - Ein Überblick
Psychiatrische Praxis 2003; 30: 358-366 Stuttgart: Georg Thieme Verlag
Dinish, M. et al, (2012) Empirical Studies of Self-Stigma Reduction Strategies: A Critical Review of the Literature; Psychiatric Services,
ps.psychiatryonline.org, Vol. 63 No.10
Finzen, Asmus (2010) Psychose und Stigma Köln: Psychiatrie Verlag
Finzen, Asmus, (2013) Stigma psychische Krankheit Köln: Psychiatrie Verlag
Hansson, L., Jormfeldt, H., Svedberg, P., Svensson, B. (2011) Mentalhealth professionals attitudes towards people with mental illness:
Do they difer from attitudes held by people with mental illness? International Journal of Social Psychiatry, 59, 48 – 54
Harangozo, J., et al, (2013) Stigma and discrimination against people with schizophrenia related to medical services International
Journal of Social Psychiatriy 2014, 60, 359 - 366
Rüsch, N., (2005) Mental illness stigma: concepts, consequences and initiatives to reduce stigma : European Psychiatry 2005
www.france.elsevier.com/direct/EURPSY/
Sauter, D., Abderhalden, C., Needham, I., Wolff, Stephan (2011) Lehrbuch Psychiatrische Pflege, 3. Aufl. Bern: Hans Huber Verlag
Sibitz et al, 2013 Internalisiertes Stigma bei Schizophrenie: Validierung der deutschen Version der Internalized Stigma of Mental
Illness-Skale(ISMI) Psych. Praxis 2013, 40, 83 – 91, Stuttgart: Georg Thieme Verlag
Townsend, M.C. (2102) Pflegediagnosen und Pflegemassnahmen für die psychiatrische Pflege 3.Aufl., Übersetzung C. Abderhalden &
I. Needham, Bern: Hans Huber Verlag
Udo Finklenburg
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Besten Dank
für Ihre
Aufmerksamkeit
Udo Finklenburg
[email protected]
Udo Finklenburg
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