Edward Bulwer-Lytton, Das kommende Geschlecht

Proseminar: Okkultismus und Massenmedien in der europäischen Religionsgeschichte
FS 09, Leitung: Jürgen Mohn
Handout zum Vortrag über Okkultismus in der Literatur
Alexandra Gussek
Edward Bulwer-Lytton, Das kommende Geschlecht
Zum Autor: Edward Bulwer-Lytton 1803 – 1873
Britischer Schriftsteller und Politiker
Gehörte zu den erfolgreichsten englischen Romanautoren des 19. Jahrhunderts, bis in 1940er
Jahre auch in deutschsprachigem Raum sehr populär
Schrieb historische Romane, Schauer- und Kriminalromane.
Das kommende Geschlecht gilt als einer der ersten Science-Fiction-Romane
Die meisten Werke sind von Mystik und Okkultismus durchsetzt
Typisch ist die Heroisierung von Macht sowie die Idee einer geheimen Kraft in den Händen
von Auserwählten
übte grossen Einfluss auf Edgar Allan Poe und Charles Dickens aus mit denen er sich über
Ideen austauschte
Zum Roman: Das kommende Geschlecht
Zusammenfassung:
Der Protagonist gerät durch ein Höhlensystem zu den Vril-ya, einer unter der Erde lebenden,
hoch entwickelten Zivilisation. Von den Mühen eines Lebens durch Arbeit haben sie sich
weitestgehend befreit, denn ihr Wissen hat sie befähigt, allerlei nützliches technisches Gerät
zu entwickeln. Unter anderem haben sie den alten Traum vom Fliegen mithilfe der schon
erwähnten künstlichen Flügel verwirklicht. Alltägliche Arbeiten, beispielsweise im Haushalt,
werden ihnen von Automaten abgenommen. Die noch verbleibenden Aufgaben,
beispielsweise den Schutz vor wilden Tieren, erledigen die Kinder der Vril-ya. Diese
Überlegenheit verdanken sie der geheimnisvollen Kraft Vril. Das Streben nach mehr Besitz,
mehr Macht, mehr Ruhm ist den Vril-ya wesensfremd und gilt ihnen als Merkmal
unterentwickelter, barbarischer Zivilisationsformen, die sie selbst seit langem überwunden
haben. Sie sehen sich als etwas Überlegenes und haben keine Skrupel zu töten, falls sie sich
doch einmal bedroht fühlen. Eindeutig sind bei den Vril-ya die Frauen das starke Geschlecht,
was den Erzähler mehr als alles andere verwirrt. Bulwer-Lytton, zur Entstehungszeit bereits
ein alter Mann, betrachtete die damals beginnende Frauenbewegung als einen Irrweg und
parodierte diese schonungslos bis gehässig. Am Ende schafft es der Erzähler mit Hilfe einer
Vril-ya wieder zurück in seine Welt.
Interpretation:
Der Roman ist nicht nur einer der ersten Science-Fiction Romane sondern auch eine Satire,
die sich kritisch mit zeitgenössischen Strömungen in Politik, Kultur und Gesellschaft
auseinandersetzt.
Bulwer-Lytton erdachte die „Vril-ya“ und die „Vril“-Kraft, um seinen Lesern mit ihrer Hilfe
vor Augen zu führen, welche Folgen Sozialdarwinismus, frühsozialistische
Gesellschaftsutopien und die damals beginnende Frauenbewegung seiner Ansicht nach hätten,
wenn sie sich durchsetzen würden.
Während der Roman grösstenteils als Satire verstanden wurde, gab es okkulte Kreise, die ihn
als einen okkulten Schlüsselroman sahen. Es wurde behauptet, Bulwer-Lytton sei ein Mitglied
der Rosenkreuzer und die Vril-Kraft würde tatsächlich existieren.
Proseminar: Okkultismus und Massenmedien in der europäischen Religionsgeschichte
FS 09, Leitung: Jürgen Mohn
Handout zum Vortrag über Okkultismus in der Literatur
Alexandra Gussek
Bulwer-Lytton interessierte sich tatsächlich für Alchemie, Okkultismus, Mesmerismus und
Spiritismus. Die Themen tauchten auch in einigen seiner früheren Romanen auf, vor allem in
dem 1842 erschienenen Zanoni. Als jedoch in den 50er Jahren mehr und mehr Spiritisten als
Betrüger entlarvt wurden, entwickelte er eine innere Distanz zu diesen Vorstellungen und
interessierte sich stattdessen intensiv für die Erkenntnisse der Naturwissenschaft. BulwerLytton betrachtete die Idee der „Lebenskraft“ als einen gescheiterten Traum der Magier und
Alchemisten.
Eine große Rolle bei der Verbreitung der okkultistischen Interpretation der „Vril“-Kraft
spielten die Schriften von Helena Blavatsky und die von ihr gegründete Theosophie.
In einem ihrer Werke wurde die fiktive „Vril“-Kraft als verschlüsselter Verweis auf eine
tatsächlich existierende Kraft behandelt, in einem anderen schreibt sie, auch die Einwohner
von Atlantis hätten diese Kraft zum Bau kolossaler Bauwerke eingesetzt. Mit dem Untergang
von Atlantis sei das Wissen um ihre Nutzung beinahe verloren gegangen, nur eine kleine
Gruppe überlebender Priester bewahre dieses Wissen und gebe es von Generation zu
Generation an Auserwählte weiter. Diese psychische Energie soll die Beherrschung der
gesamten Natur erlauben.
Im Jahre 1904 wurde in London eine Gesellschaft gegründet (der Vril-ya-Club), die sich mit
derartigen Themen beschäftigt zu haben scheint und es erschienen in der Folge auch mehrere
Bücher über diese Thematik.
In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts erhielten diese Werke erneute Aufmerksamkeit.
Das wissenschaftliche Weltbild geriet stark ins Wanken, da zu dieser Zeit die Physik durch
die Relativitätstheorie und die Quantenphysik tiefgreifend verändert wurde. Die Ablösung
eines relativ verständlichen physikalischen Weltbildes, durch die schwer nachvollziehbaren
neuen Theorien irritierte weite Teile der Öffentlichkeit. In diesem Klima konnte ein Konzept
wie die „Vril“-Kraft selbst technisch gebildeten Personen plausibel erscheinen. In der Folge
florierten Laientheorien, die behaupteten, angebliche Lücken der Wissenschaft füllen zu
können.
In den 30er Jahren wurde die Theorie der Vril-Kraft von den Nationalsozialisten
aufgenommen, denen die Idee einer der restlichen Menschheit überlegenen Rasse sehr
gelegen kam.