Dankesrede von Jacques Tilly anlässlich der Verleihung des Jan-Wellem-Rings durch den Rat der Stadt Düsseldorf am 28.1.2016 Lieber Oberbürgermeister Thomas Geisel lieber Bürgermeister Friedrich Conzen, lieber Bürgermeister Günter Karen-Jungen, lieber Beigeordneter Georg Lohe, lieber Stadtdirektor Burkhard Hinzsche, lieber Kabarettist Jürgen Becker, liebe Heide Lorenz, die du durch Deine Initiative den Stein überhaupt erst ins Rollen gebracht hast, liebe Mitglieder des Comitees Düsseldorfer Carneval, liebes Wagenbauteam, lieber Vorstand der Giordano-Bruno-Stiftung, liebe Familienmitglieder, liebe Pressevertreter, liebe Gäste. „Ein Satiriker, der geliebt werden will, macht seine Arbeit nicht richtig”. Diesen Satz, den ich einmal eher beiläufig in einem Interview von mir gab, hat der Droste-Verlag groß auf die Rückseite des jüngst erschienenen Buches über die Düsseldorfer Mottowagen gesetzt. Und seit heute könnten böse Zungen den Satz variieren: „Ein Satiriker, der sich von Stadtoberhäuptern mit Gold behängen lässt, macht seine Arbeit nicht richtig”. Soll heißen: Ein Satiriker, der wirklich bissige und subversive Satire macht, sollte doch eher Proteste, Ablehnung und wütende Anzeigen ernten, anstelle von goldenen Ringen. Falsch. Zumindest, was die satirische Arbeit im Karneval angeht. Denn bei aller Liebe zu frechen Wagen, zur Provokation und manchmal auch zum Tabubruch – die Wagen sollen selbstverständlich in erster Linie möglichst vielen Menschen gefallen. Ja mehr noch, sie sollen ausdrücken und widerspiegeln, was die Menschen denken und empfinden. So sehe ich jedenfalls meine Aufgabe als Wagenbauer. Und ich finde ich es wunderbar, wenn die Wagen den Narren am Straßenrand, den Medien und auch der Politik gefallen. Deshalb nehme ich auch diesen JanWellem-Ring, verliehen durch den Rat der Stadt Düsseldorf, gerne an und freue mich sehr über die wunderbare Form der Zustimmung und Anerkennung durch meine Heimatstadt. Vielen, vielen Dank an alle Beteiligten. Wobei diese Anerkennung selbstverständlich nicht nur mir gilt, sondern meiner gesamten Wagenbaumannschaft und -frauschaft. Ohne mein wunderbares Team, welches meine Ideen in 3D und dann noch im XXL-Maßstab umsetzt, würde der Rosenmontagszug ein eher trauriges Bild abgeben. Dann bliebe mir nichts anderes übrig, als alleine im Zoch mitzumarschieren und meine Entwürfe hoch zu halten. Viele Teammitglieder sind heute anwesend, und ich freue mich, den hiermit erweiterten Kreis der Ringträger nennen zu dürfen: Svenja Heweling David Salomo 1 Laura Thorenz Nancy Halscheid Anika Gerlach Annette Raht und Gerd Wukasch. Herzlichen Glückwunsch auch euch zur Verleihung des Jan-Wellem-Rings. Und obwohl wir ja noch eineinhalb Wochen Zeit bis Rosenmontag haben und noch längst nicht alle Wagenideen entwickelt sind, können sich die Düsseldorfer, soviel kann man jetzt schon sagen, auch dieses Jahr wieder auf die Mottowagen freuen. Doch ich muss zugeben: In dieser Session hatte ich ein ernstes Problem. Wie soll ich Volkes Meinung in möglichst witzige und treffende Bilder gießen, wenn die Meinung des besagten Volkes derart gespalten ist wie in diesen Tagen? Das seit Monaten omnipräsente Flüchtlingsthema hat zu einer extremen Polarisierung geführt. Da gelingt es mir kaum, beim Wagenbau einen gemeinsamen Nenner zu finden. Wir müssen erleben, wie sich breite Teile der Gesellschaft vom demokratischen Konsens verabschieden. Im Umfeld von AfD und Pegida wird offen das „System” infrage gestellt, die Medien werden als Lügenpresse diffamiert, paranoide Weltbilder und Verschwörungstheorien vergiften das gesellschaftliche Klima, ganze Bevölkerungsteile katapultieren sich selbst in ein wahnwitziges Paralleluniversum ohne jeden Realitätsbezug. Sehr anschaulich bewies das vor wenigen Tagen die AfD-Politikerin Beatrix von Storch, als sie davon faselte, dass unsere Kanzlerin demnächst nach Südamerika ins Exil vertrieben werden wird, genau wie das Ehepaar Honecker. Und der große Held dieser Freunde der wahren Meinungs- und Pressefreiheit ist – ausgerechnet – der russische Autokrat Wladimir Putin. Dagegen wäre prinzipiell nichts einzuwenden. Eine konstruktive Streitkultur ist das Lebenselixier jedes demokratischen Willensbildungsprozesses. Schlimm ist aber, mit welchem Hass, mit welchem Mangel an Maß, Besonnenheit und Menschlichkeit dieser Kampf geführt wird. Die Lynchstimmung, die den Medien und der Politik gerade in großen Teilen des deutschen Ostens entgegenschlägt, ist alarmierend. Vor wenigen Monaten konnte man diese Leute noch als Spinner belächeln. Doch die Silvesternacht in Köln und die damit einhergehenden kläglichen Vertuschungsversuche haben jetzt mitgeholfen, aus einer Minderheitenposition ein schnell wachsendes Massenphänomen zu machen. Die AfD liegt in aktuellen Umfragen bundesweit bei unglaublichen 13 Prozent. Was wir in Deutschland beobachten, ist aber nur Ausdruck eines internationalen Phänomens. Osteuropa putinisiert sich gerade, Polen missachtet seine eigene Verfassung, der arabische Frühling endet in Bürgerkrieg und Militärherrschaft, in den USA zerstört eine völlig durchgeknallte politische Rechte jede vernünftige Diskussion, Teile der islamischen Welt mutieren zu einem gewalttätigen Fundamentalismus und dominieren immer mehr Landstriche, wie jetzt auch in Libyen und anderen Staaten vor allem Nordafrikas. Wir alle spüren, dass gerade im letzten Jahr irgendetwas ins Rutschen gekommen ist. Uns beschleicht ein ziemlich mulmiges Gefühl, wenn wir uns vorzustellen versuchen, wohin das noch 2 alles führen kann. Doch was genau ist eigentlich los? Was passiert gerade? Wie kann man diese Entwicklung begreifen, auf einen einfachen Nenner bringen? Auch wenn diese kleine Dankesrede jetzt Züge eines politischen Vortrags anzunehmen droht, erlauben Sie mir, hier das Erklärungsmodell vorzustellen, das der Historiker Philipp Blom jüngst ins Spiel gebracht hat. Es hat mir jedenfalls sehr geholfen, ein größeres Maß an Verständnis und Orientierung zu erlangen. Philipp Blom wurde Ende letzten Jahres vom „Düsseldorfer Auflklärungsdienst“ (DA) eingeladen und hat in der Jazzschmiede einen hervorragenden Vortrag gehalten. Da hatte unsere Lokalpresse, die natürlich auch geladen war, wieder eine hochrangige Düsseldorfer Aufklärungsdienst-Veranstaltung schlicht verschlafen. Blom unterscheidet ganz einfach Menschen, Gruppierungen oder ganze Gesellschaften dahingehend, dass sie entweder den autoritären Traum oder den liberalen Traum träumen. Zwischen dem autoritären und dem liberalen Gesellschaftsmodell verläuft die Konfliktlinie des weltweiten Kulturkampfes, den wir gerade erleben. Der autoritäre Traum ist überfordert von den Zumutungen der Moderne. Er idealisiert vormoderne Gesellschaftsformen, in denen dem Einzelnen seine Rolle zugeteilt wird. Es gilt ein für alle verbindlicher, klarer Kanon traditioneller Werte. Ganz unterschiedliche Akteure, so Blom, träumen diesen Traum: Pegida und AfD, Putin, Orban, Kaczinsky, Anders Breivig, Hindunationalisten, der unsägliche Donald Trump, die Tea Party, radikale US-Evangelikale, der Front National, Erdogan, die klerikalfaschistischen Regime in Saudi Arabien und im Iran, und, last not least, die Massenmörder des IS. Sie alle verbindet der gemeinsame Hass auf den liberalen Traum. Für den haben sie nur Hohn und Verachtung übrig. Was ist nun der liberale Traum? Dieser besteht etwa in der Postulierung der universellen Geltung der Menschenrechte. Er besteht in dem Ideal einer wirklich pluralistischen Gesellschaft, in der jedem Einzelnen ein größtmöglicher Grad an Selbstbestimmung ermöglicht wird. Dieses Selbstbestimmungsrecht schützt das Individuum vor Kollektivzwang und Bevormundung durch Staat, Religion, Familie und festgelegte Geschlechterrollen. Dem Staat und der Justiz fällt die Aufgabe zu, den liberalen Ordnungsrahmen zu garantieren, in dem die verschiedensten Lebensformen friedlich und zivilisiert nebeneinander und miteinander existieren können. Es ist ein Traum, in dem es, um ein Beispiel zu nennen, weder den Staat noch die Gesellschaft und erst recht nicht irgendeine Religionsgemeinschaft auch nur im Geringsten etwas angeht, welcher erwachsene Mensch in gegenseitigem Einvernehmen mit wem auf welche Weise Sex hat. Es ist der Traum der Moderne, gespeist von den Werten des Humanismus und der Aufklärung. Dass wir im Westen diesen liberalen Traum in der Vergangenheit durch Sklaverei und Kolonialismus selbst verfehlt haben und noch immer vielfach unterbieten (Stichwort Guantanamo) ist unbestritten. Aber es lohnt sich, diese Ideale weiterhin offensiv zu verteidigen und sich, gerade heute, ihrer Fragilität und Verletzlichkeit bewusst zu werden. Denn momentan ist der liberale Traum in die Defensive geraten. Er wird diffamiert und zum neuen Totalitarismus einer aus dem Ruder gelaufenen Political Correctness hochstilisiert. Uneingeschränkte Liberalität bringe nur naives Gutmenschentum, Genderwahn, Homopropaganda, den Verlust von Ehre und Männlichkeit, von Spiritualität, von Heimat und ethnischer Zugehörigkeit mit sich. 3 Das westliche, freiheitliche Gesellschaftsmodell führt direkt – so die Lesart - in einen sinnleeren und gottesfernen Hedonismus, führt zu Werteverfall und Dekadenz. Darin sind sich Putin, Pegida, Akif Pirincci und die Salafisten wirklich einig. Auch wenn Pegida und die Salafisten glauben, sie seien Todfeinde – ihre Schnittmenge ist viel größer, als sie wahrhaben wollen. Alle diese Menschen kommen mit dem Modernisierungsschub einer globalisierten Welt einfach nicht mit. Im Grunde führen sie alle ein verzweifeltes und letztlich dann doch aussichtloses Rückzugsgefecht. Sie sehnen sich zurück nach der vermeintlich heilen Welt der geschlossenen und autoritär geführten Stammesgesellschaften. Genau das war das Erfolgsrezept des europäischen Faschismus der 30er Jahre. Und zugegeben: Die Freiheit ist ja auch eine Zumutung. Ein Lebenssinn, ein verbindliches Lebensmodell ist in pluralistisch organisierten Gesellschaften nicht vorgegeben und auch nicht vorzufinden. Da muss sich jeder schon selbst bemühen. Freiheit kann eben auch Leere und Orientierungslosigkeit für denjenigen bedeuten, der von ihr schlicht und ergreifend überfordert ist. Deshalb rennen so viele junge Menschen zum IS und unterwerfen sich mit Lust der Geborgenheit, die eine totale Unfreiheit bieten kann. Dagegen wäre ja nichts einzuwenden. Wenn es denen Spaß macht… Das Problem ist nur, dass der IS, diese extremste Ausprägung des zeitgenössischen Autoritarismus, uns alle, das heißt den gesamten Rest der Welt, ebenfalls in die totale Unfreiheit zwingen will. Und das mit den Mitteln größtmöglicher Brutalität. Wie sollen wir jetzt mit dieser Bedrohung umgehen? Diese Frage stellt sich allgemein, aber eben auch mit Blick auf die kommenden Rosenmontagszüge. Sicher nicht durch beschwichtigende Anpassung. Die absurde und absolut lächerliche Verhüllung der nackten Statuen auf dem römischen Kapitol vor drei Tagen während des Staatsbesuches des iranischen Präsidenten in Italien war sicher das falsche Zeichen gegenüber einer intoleranten Ideologie. Und falsch wäre es auch, sich jetzt in Spott und Satire zu „mäßigen”, um bloß niemanden zu reizen. Denn wo soll diese Anpassung jemals enden? Wann hätten wir uns denn in den Augen der Dschihadisten genug angepasst? Wenn weltweit alle Frauen in der Burka stecken? Der Chefredakteur von Charlie Hebdo, Gerard Biard, hat jüngst gesagt: „Aufhören, wir selbst zu sein, wird uns nicht vor Terrorismus und Totalitarismus schützen. Uns zu ändern, wäre sinnlos. Der IS braucht keinen Grund, um uns zu töten.” Recht hat er. Die pure Existenz von uns allen hier, die wir hier in diesem Raum versammelt sind, ist an sich schon ein todeswürdiges Verbrechen. Denn sie hassen alles an uns, unsere gesamte Lebensform, unser Lachen, unsere Freiheit, unser gesamtes Sein in allen seinen lebenswerten Facetten. Wir alle haben, so deren menschenverachtende Sichtweise, den Tod verdient. Und da ist es völlig egal, wie wir uns verhalten. Das wirksamste Mittel gegen den Terror ist es, sich einfach so wenig beeindrucken zu lassen wie möglich. Gelassen bleiben. Weitermachen. Wir sollten uns gar nicht erst auf deren grausame Spielregeln von Angst, Hysterie, Vergeltung und Hass einlassen. Die Reaktion des norwegischen Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg auf den Terroranschlag des rechtsradikalen Anders Breivig 4 im Jahre 2011 war vorbildlich. Er redete nicht von Krieg, Gesetzesverschärfungen und Schuldzuweisungen. Er sagte schlicht: „Unsere Antwort lautet: Mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit”. Und als Rheinländer ergänze ich: Mehr Lebensfreude, mehr Karneval. Helau! 5
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