Kulturkampf, Politik und Schriftstellerei Der ehemalige Weltpriester Julius Pederzani (1836 1921)1 Christian Blankenstein Man fühlt sich an den Österreicher und ehemaligen Weltgeistlichen Charles Sealsfield, alias Carl Postl, erinnert, wenn man das Leben eines weiteren Außenseiters wie Julius Pederzani anschaut. Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen diesen beiden schriftstellerischen Größen: Sealsfield verschwand in Amerika und hat wenig hinterlassen, Pederzani schon mehr allerdings muss er erst wieder entdeckt werden, denn heute ist in Österreich kaum jemanden der Name Julius Pederzani bekannt, sieht man von Broschüren der Altkatholischen Kirche Österreichs ab, wo er, was das Jahr 1871/72 angeht, Erwähnung findet, dies aber ohne weitere Nennung von Lebensdaten, da bislang nahezu unbekannt. Umso erfreulicher ist es nun, mit diesem Artikel eine durchaus markante Persönlichkeit Wiens aus der Zeit des österreichischen Kulturkampfes bis zur Aufhebung des Konkordates 1870 wieder auferstehen zu lassen und seinen außergewöhnlichen Lebensweg nachzuzeichnen. Kindheit und Jugend Pederzanis Eltern galten als gut situierte Bürger. Sein Vater, Aloys Pederzani, war Senatspräsident des k. k. obersten Gerichts- und Cassationshofes (* 4. September 1794 in Villa Lagarina bei Rovereto, Trentino/Italien, + 19. April 1854 in Wien). Er heiratete am 28. Jänner 1830 in der Propsteikirche St. Jakob zu Innsbruck Maria von Gumer zu Engelsburg aus Bozen, Tochter eines Bankiers (* 29. September 1810 in Bozen2, + 30. September 1861 in Bozen).3 Julius Pederzani wurde am 17. Mai 1836 in Klagenfurt als viertes von sechs Kindern geboren, im Haus Obere Burggasse 372 (heute Nr. 15), und in der nahe gelegenen Stadtpfarrkirche St. Egyd getauft. 1839 1 Die Tatsache, dass dieser Artikel und somit der Schleier, der auf der Person Pederzanis lag, gelüftet werden konnte, liegt einerseits in der persönlichen Archivarbeit des Autors und andererseits im Medium Internet, das Frau Ilse Suhrke, geb. Pederzani, auf Ergebnisse in altkatholischen Publikationen über ihren Vorfahren brachte. So fließen zwei Hauptquellen, die umfangreichen Studien der Familie Pederzani und die Recherchen des Autors zusammen und bilden diesen für die Zeit des österreichischen Kulturkampfes wichtigen Beitrag zusammen. Was die im Artikel zusätzlich zu meinen Daten angeführten Informationen angeht, so sei darauf verwiesen, dass es eine Gemeinschaftsarbeit der Familie war, welche außerordentlich genau über Jahre recherchierte. 2 Daten aus: Klaus Jodeit, Pederzani. Geschichte einer Familie, Eigenverlag 1994. 3 Daten aus: Chronik der 2. Familienreise nach Wien 1986, erstellt von Jutta Heyn, geb. Gille. Konvolut zur Familiengeschichte Pederzani, Privatbesitz Ilse Suhrke. 1 zog die Familie Pederzani mit fünf Söhnen nach Wien in die Obere Bräunerstraße 1136, heute Habsburgergasse 5, auch Cavrianisches Haus genannt. Später wohnte die Familie bis 1859 4 im Haus Rotenturmstrasse 13 am Lugeck. Hier starb 1854 der Vater, 59-jährig, und hinterließ seine 43-jährige Frau mit vier minderjährigen Kindern. Die Witwe Maria erhielt durch kaiserlichen Entschluss eine Jahrespension von 1200 fl und pro Kind je 200 fl. Vormund wurde ein Ministerialrat Scharfen. Maria Pederzani lebte noch bis 1859 in Wien, verlegte dann ihren Wohnsitz in ihre Heimatstadt Bozen, zusammen mit der jüngsten Tochter Louise. Maria starb am 30. September 1861 in Bozen im 51. Lebensjahr. Louise starb 77-jährig 1917 in Bozen. Soviel zunächst zur Familie.5 Schulzeit Julius Pederzani war Schüler des Akademischen Gymnasiums in Wien, wo er am 19. Juli 1854 die Matura absolvierte, also im Todesjahr seines Vaters, der die Söhne auch selbst in Latein und Geschichte unterrichtet hatte. Wohl unter dem Einfluss der Mutter wollte Julius Priester werden und hatte sich aus jugendlichem Enthusiasmus - einer Missionsgruppe auf dem Weg nach Amerika angeschlossen, durfte aber nicht mitziehen.6 Sein Bruder Johann Baptist wollte ebenfalls 1854 nach Amerika auswandern, aber aus anderen Gründen. Er beschloss jedoch, in Europa zu bleiben und ging nach Lübeck.7 Daraufhin schloss Julius sich 1855 einer Jesuitenmission an, die durch Ungarn und Deutschland zog. Im Zuge dieser Mission wurde anscheinend sein Redetalent entdeckt. 8 1856 finden wir ihn als Novizen im Augustiner-Chorherren-Stift Klosterneuburg bei Wien. Er konnte sich aber nicht zum Bleiben durchringen. Noch bevor die Professen kamen, bat er um seine Entlassung. Julius Pederzani wurde auf eigenen Antrag entlassen und trat als PriesterAlumnus in die Diözese Gurk, Seminar Klagenfurt, ein. Er wollte nun Weltpriester werden, aber nicht Mönch. Er bat mit Brief vom 23. Oktober 1856 um die Aufnahme in das fürstbischöfliche Gurker Priesterseminar.9 Am 1. November 1856 erfolgte die Aufnahme als Alumne für die Diözese Gurk. Aus diesem Jahr existiert eine Passanweisung10: Theologe im zweiten Jahr, Wohnort in der Stadt 638.11 Weiters geht daraus hervor: er war römisch katholisch, ledig und von großer Statur, Gesicht: oval, Haare und Augen: braun. Außerdem findet sich die Eintragung, dass er weiter nach Klagenfurt reisen möchte, was er dann auch tat. Im Jahre 1857 kam er in das Klagenfurter Priesterseminar, wie ein handschriftliches Verzeichnis Charakteristika der f.b. (Quartier?)-Alumnen in den drei unteren Jahrgängen mit Ende des Schuljahres 1857 belegt. Im Klagenfurter Seminar 4 Heute nicht mehr bestehend. Alle Daten aus: Jodeit, Pederzani, 165-230. 6 Christian Blankenstein, Der Weltpriester Julius Pederzani, in: Christian Halama, Altkatholiken in Österreich. Geschichte und Bestandsaufnahme, Böhlau 2004, 110-115 ; ders., Festschrift Einhundert Jahre Alt-Katholiken in Kärnten, Klagenfurt 2001, 23-25; Schriftverkehr mit Silke Suhrcke, geb. Pederzani. 7 Siehe Lebensbild Johann Baptist Pederzani , Konvolut zur Familiengeschichte Pederzani, Privatbesitz Ilse Suhrke. 8 Vgl. Carl Linder, Wiener Roth-Buch, Wien 1872, Fußnote zum Artikel Pederzanis, Ein Blatt aus dem Geschichtsbuche der Religion, 199. 9 (Ton)Kassette 5 B, Pulheim 1984, Konvolut zur Familiengeschichte Pederzani, Privatbesitz Ilse Suhrke. 10 WStLA, M.Abt. 116, Heimatschein 1909, Nr. der Anweisung 7711. 11 Heute: Wien 1, Rotenturmstraße 13. 5 2 war Julius bis 1858, dann trat er dort wieder aus, angeblich weil ihm die schweren Seelsorgestationen in dem gebirgigen Lande gesundheitlich nicht bekamen. Mönch und Priester Er trat nun in den Redemptoristen-Orden ein, der sich nicht nur in besonderer Weise um die religiöse Schulung und die Stärkung des Glaubenslebens der Gläubigen sorgte, sondern in erster Linie auf Predigttätigkeit und Glaubensunterweisung Wert legte. Hier war ein guter Redner wie Pederzani herzlich willkommen. In einer Beurteilung aus Rom des Novizenmeisters des Redemptoristen Ordens vom 5. August 185812 heißt es: Frater Julius Peterzany,13 Theologe im zweiten Jahre, 22 Jahre alt, geboren am 17. Mai 1836, trat ins Noviziat am September 1857. Dieser Bruder zeigte gleich nach dem ersten Monate seines Noviziats eine große Zufriedenheit über seinen Beruf, und zwar, dass sich mehrere neuere Priester darüber verwunderten. Er war stets gehorsam, aufrichtig, genau in der Beobachtung der Regel und dienstfertig. In der Abtötung14 und in den Prädikatsandachten musste er zurückgehalten werden, wobei er sich stets willig unterwarf. Er hat eine lebhafte Fantasie, was seiner früheren Bildung und dem Einflusse seiner Mutter zuzuschreiben ist, welche ihn zu dieser Richtung aufgemuntert hatte. Seine Auffassungsgabe gehört zwar meiner Ansicht nach nicht unter die Vorzüglichsten doch lässt sich bei seiner Jugend das Beste hoffen. Sein Gesundheitszustand ist gut. Nur dann und wann leidet er, jedoch mehr vorübergehend, an Rheumatismus, und zwar nur, wenn auf ein warmes Wetter ein nasskaltes folgt. Er wurde im Kloster Mautern, in der Nähe des steirischen Schoberpasses, ausgebildet und erhielt dort 1859 auch die Priesterweihe durch den Fürstbischof von Graz. Nach seinem Studienabschluss in Mautern wurde der Redemptorist Pederzani wohl ans Kloster in Innsbruck religiert. Dort predigte er als Seelsorger im Spital und in der Johanniskirche. Er war in der Volksmission als Fastenprediger tätig, was seiner Rednergabe durchaus angemessen war. Bereits 1862/63 kam er nach Wien predigte auch in der Kirche Maria am Gestade in der Innenstadt. 1863 war er zusätzlich Bibliothekar des Provinzials der Redemptoristen in Wien (Kloster Maria am Gestade). Wegen allzu freimütiger Äußerungen wurde er jedoch von Wien weg nach Innsbruck an das dortige Redemptoristenkloster versetzt. Kulturkampf in Österreich Das Konkordat des jungen Kaiser Franz Joseph mit dem Vatikan 1855 war der offizielle Abschluss des Josephinismus und legte fortan wieder viele Befugnisse in die Hände der römisch-katholischen Kirche (Unterricht, Eheschließung und kanonisches Eherecht usw.). Damit einher ging die Benachteiligung vor allem der Evangelischen Kirche und die Zuspitzung des Problemkreises der sogenannten Mischehen. Reger Widerstand regte sich bald von den Liberalen im Reichstag. Hier seien nur die Namen Mühlfeld oder Herbst zu nennen. Letztendlich führte ihr Bemühen zur Durchlöcherung der Bestimmungen des Konkordates durch verschiedene neue Gesetze und 12 Kassette 5 B, Pulheim 1984, Konvolut zur Familiengeschichte Pederzani, Privatbesitz Ilse Suhrke. 13 Variierende Schreibweise. 14 Meint Bußübungen und allgemeines Verhalten. 3 letztlich durch die einseitige Aufhebung des Konkordates durch den Kaiser nach Beendigung des Ersten Vatikanischen Konzils 1870.15 Auch der junge Geistliche Pederzani kam in den Sog der Auseinandersetzungen. Vorlauter Kleriker In der Innsbrucker Spitalkirche hielt er wiederum freisinnige Predigten und tat sich als beliebter und guter Fastenprediger hervor. Dann soll er sich mit dem Fürstbischof von Brixen, Vinzenz Gasser zerschlagen haben. (Die Diözese Brixen unterstand damals Innsbruck.) Julius Pederzani bat daraufhin um Dispens aus dem Redemptoristenorden. Dies wurde ihm zunächst nicht genehmigt, er solle sich das erst einmal 14 Tage überlegen, und er hielt Exerzitien in Mautern ab. Vielleicht war es sogar die damals noch übliche Strafhaft? In seinem 1874 erschienen Buch In Acht und Bann , eine Art Selbstbiographie, lässt er seinen Helden, den Priester Emmanuel aus einem Kloster entfliehen. Der Held des Buches stirbt, während der Autor weiterlebte.16 Hermann Sudermann, der Julius Pederzani 1880 im Redaktionsbüro der Liberalen Correspondenz in Berlin kennen gelernt hatte, bestätigt indirekt die autobiographischen Details dieses Romans, als er im Bilderbuch meiner Jugend 17 schildert: [ ] hatte ich einen Herrn Pederzani-Weber kennen gelernt. Ein schöner Mann, den ich schon darum mit besonderer Anteilnahme betrachtete. Dann aber auch, weil er als Mönch aus einem österreichischen Kloster entflohen war. Es gibt Belege, dass man die Priester damals mundtot machen wollte, daher könnte es gut sein, dass er vielleicht geflüchtet ist. Julius Pederzani trat am 1. April 1864 aus dem Orden aus. Weltpriester in Wien Erneut wechselte er die Stationen seines Lebens. Durch die Gunst seines Firmpaten und Freundes des Vaters, des damaligen österreichischen Ministerpräsidenten Anton Ritter von Schmerling, gelang ihm die Entlassung aus der Gurker Diözese und die Aufnahme in die Wiener Erzdiözese. Kardinal Rauscher, ein Freund von Schmerling, vermittelte ihm eine Stelle als Kooperator, also Hilfsprediger, zunächst in Fischamend bei Wien und 1865 in der Pfarre Maria Geburt am Rennweg in Wien. 1864 war bereits der Kulturkampf ausgebrochen. Der damalige Papst Pius IX. hatte den sogenannten Syllabus18 erlassen, in dem er unter anderem bestimmte, dass Mischehen nicht zulässig seien, und dass Ketzer nicht in geweihter Erde bestattet werden dürfen. Auch in Wien fiel Julius Pederzani erneut durch freimütige Äußerungen und durch seine erste Schrift Die Kirche der Zukunft auf. Sie erschien 1868 anonym, aber es war unschwer zu erraten, wer der Verfasser war. Dieses Elaborat war jedoch wesentlich schärfer als jene Schrift und Predigt, wegen der er später exkommuniziert wurde ( Die Kirche der Wahrheit ). In dieser ersten Schrift griff er den Syllabus auf das Schärfste an und bekannte sich zum Liberalismus, zur Trennung von Kirche und Staat, also zum freisinnigen Gedanken. Seine Position dabei war nicht antikatholisch, 15 Vgl Christian Halama, Altkatholiken in Österreich, 25 59. Dies erinnert auch an das Schicksal des Geistlichen und Sozialdemokraten Hans Kirchsteiger in Salzburg, dem Erfinder der Kirchsteiger Ehen , der aus Klosterhaft entflohen war 17 Hermann Sudermann, Bilderbuch meiner Jugend, o.A. 383. 16 4 sondern eher liberal-katholisch. Julius Pederzani wurde in die Pfarre Zu den neun Chören der Engel , Am Hof, versetzt. Dort hielt er am 3. März 1871 seine berühmte Fastenpredigt Die Kirche der Wahrheit , in der er sich gegen das neu verkündigte Unfehlbarkeitsdogma aussprach.19 Suspension Er wurde daraufhin von fanatischen, jesuitisch eingestellten Priestern denunziert und als Prediger abgezogen. Als er sich dann auch noch in die Auseinandersetzungen rund um Ignaz von Döllinger einmischte, kam es zu seiner Suspension. Kardinal Rauscher erwog es, sich zunächst sogar noch schützend vor ihn stellen. Als Julius Pederzani seine Ansichten auch noch drucken ließ, war dies nicht mehr möglich. Die Klagenfurter Zeitung berichtete am 9. September 1871 unter dem Titel Ein Fastenprediger in Wien 20 : In der Kirche zu den neun Chören der Engel Am Hof hält der Cooperator Julius Pederzani heuer die Fastpredigten. Herr Pederzani ist ein junger Mann von eminenter Begabung und kühnem Geistesfluge, der seine Predigten keineswegs in dem Polterstyle der Herren Steiner und Bremer verfaßt, der auch nicht nach dem Ruhme strebt, als zweiter Abraham a Santa Clara zu gelten, und der endlich bezüglich gewisser kirchlicher Fragen einer freieren Anschauung huldigt, als die meisten seiner Collegen. Schon nach der ersten von ihm gehaltenen Fastenpredigt verbreitete sich das Gerücht, Pederzani predige nicht im Sinne der katholischen Kirche, er stelle Sätze auf, welche dem Dogma widersprechen e c. Zur zweiten Predigt stellten sich auch eine Anzahl Geistlicher ein, welche mit strengen Censormienen die Deductionen des jungen Cooperators verfolgten und die ganz entsetzt über die Lehre und Aussprüche desselben waren. Gleich am anderen Morgen begaben sie sich zum Cardinal Rauscher, um den liberalen Fastenprediger zu verklagen und zu begehren, daß derselbe seine schändlichen Aussprüche widerrufe. Herr Pederzani legte dem Cardinal Rauscher seine Predigt vor und dieser erklärte, nachdem er sie gelesen, er finde nichts Anstößiges darin, der Herr Cooperator solle nur fortfahren mit seinen Fastenpredigten ... Kein Einzelschicksal in Bezug auf gemaßregelte Theologen Da Pederzani auch heute noch zu den aufgrund ihres artikulierten Konzilsprotestes gemaßregelten Geistlichen gehört, also letztendlich aus dem geistlichen Dienst ausgeschieden ist, ist seine Biographie in Bezug auf seinen kirchlichen Werdegang in den Personal-Tabellen der Erzdiözese Wien ungenau verzeichnet. Was die Stationen seines Dienstes angeht, liest man in den Wiener Personal-Tabellen: (Niederösterreich) Fischamend (Wien) Cooperator (Kirche) am Hof Cooperator 9. Juni 1864 Juli 1865 Cooperator 11. Dezember 1868 Der Seelsorgefunktion enthoben am 12. März 1871.21 Weitere Hinweise auf Suspendierung, Ausscheiden aus dem Klerus und Tod fehlen hier gänzlich.22 18 Päpstliche Verlautbarung, in der moderne philosophische und theologische Strömungen verurteilt wurden, was in Europa zu heftigen Verstimmungen auch im politischen Bereich beitrug. 19 1870 verkündet von Pius IX. (1846 1878) das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes. 20 Zeitungskopie aus dem Nachlass von Hans Pederzani. Konvolut zur Familiengeschichte Pederzani, Privatbesitz Ilse Suhrke. 5 Aufgrund der Gestions-Protokolle 1871 kann man die Ereignisse ansatzweise nachzeichnen, zieht man außerdem die Artikel der Konstitutionellen Wiener Vorstadtzeitung 23 heran. Pederzani, 24 der auch als Fastenprediger tätig war, hatte bereits 1868 bei Julius Weber sein Traktat Die Kirche der Zukunft verlegt, in dem er sich mutig auch mit der in Aussicht gestellten Definierung der päpstlichen Unfehlbarkeit auseinandersetzt. Argumentation Pederzanis in Die Kirche der Wahrheit Ausgehend von der päpstlichen Erklärung des Syllabus , in welcher der Satz, dass sich der Papst mit dem Liberalismus und dem Fortschritt versöhnen solle, verurteilt wurde, stellt Pederzani fest, dass Papsttum und Fortschritt seiner Meinung nach gegenwärtig unüberwindliche Gegensätze darstellen.25 Er persönliche zähle sich zu jenen Katholiken, die weder das Papsttum, noch den Fortschritt aufgeben wollten und dabei froh seien, dass die Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit noch kein Dogma darstelle. Deshalb gehe er davon aus, dass sich der Papst, zumindest was Fortschritt und Liberalismus angehe, geirrt habe, so wie Rom im Falle Galileis.26 Innerhalb der römischen Kirche stelle er eine Kirchenspaltung fest, die nicht die Gläubigen, sondern das Haupt der Kirche provoziere, weil sich die Kirche durch Konkordate auf die Gesellschaft (Geburt, Heirat, Tod, Familie, Schule) Einfluss nehmen wolle und ihrer Gesetzgebung unterwerfen möchte.27 Dieser mittelalterlichen Vorgangsweise könne aber der Staatsbürger nicht gleichgültig gegenüber stehen, er sollte vielmehr die Lösung des Konkordates anstreben.28 Was das bald darauf zusammentretende Konzil angehe, sei es durch die Hierarchie heraufbeschworen worden, um all das zu verdammen, was dem profanen Menschengeiste hoch und heilig ist.29 Dabei wird auch deutlich, wie sich die Verfassung der Kirche, die früher demokratisch gewesen sei, verändert habe. Daher gelte es, sie im altchristlichen Sinne zu reformieren.30 Angesichts der Übelstände in der Kirche fordert er das Recht, aus der Kirche auszutreten, wenn sich staatsbürgerliche Pflichten und Rechte mit der Kirchenmitgliedschaft nicht mehr vereinbaren ließen.31 Lösungsvorschlag Pederzanis In einem von ihm entworfenen Gesetzentwurf heißt es: a) Das Konkordat ist aufgehoben. b) Der Staat nimmt keinen Einfluss auf die Gründung neuer Religionsgesellschaften. 21 Personal-Tabellen, Bd. 8, Diözesanarchiv Wien. Im Fall des in Wien lebenden Stiftspropstes Wenzel Reichel war es genau so, vgl. Halama, Altkatholiken in Österreich (Anm. 15), 115-121 23 In der Folge abgekürzt KVZ. 24 Vermutung: Vielleicht gibt es auch Zusammenhänge zwischen dem Verlagsnamen Julius Weber und Julius Pederzanis späterem Schriftsteller Pseudonym: Pederzani-Weber 25 Julius Pederzani, Die Kirche der Zukunft. Eine Enzyklika an alle denkenden Christen, Wien 1868, 5. 26 Ebenda, 6 f. 27 Ebenda, 10 f. 28 Ebenda, 13. 29 Ebenda, 18. 30 Ebenda, 19. 31 Ebenda, 24. 22 6 c) Ehe-Schule-Beerdigung sind weltliche Angelegenheiten und unterliegen den Staatsgesetzen. d) Die Seelenstandsregister (=Matriken) werden ausschließlich von behördlichen Organen geführt.32 Was die gegenwärtigen Zustände in der österreichischen Gesellschaft angeht, sieht Pederzani den goldenen Mittelweg zwischen Aberglaube und kalter Glaubenslosigkeit einzig im Weg des aufgeklärten Glaubens, der zu wahren, versittlichenden Befriedung unseres religiösen Bedürfnisses führt.33 In diesem Geist werde die Kirche der Zukunft entstehen, die seiner Ansicht nach folgendermaßen geprägt sein wird: Kirche ohne Hierarchie und weltlichen Herrschaftsgelüsten; kein Einmengen in die staatliche Gesetzgebung (Ehe-Schule); von Menschen gewählten Geistliche (d. h. nicht vom Bischof ernannt), die Teil der Gläubigen sind; kein widernatürlicher Zölibat ; einzig jene Dogmen sind vorhanden, welche die wesentlichen religiösen Grundwahrheiten umfassen ; eine Kirche, die sich letztendlich gründet und herleitet vom Liebesgebot Jesu und die nicht mehr verketzert.34 Soweit diese mutige Schrift, nach deren Lektüre es verwundert, dass der Autor nicht sofort seitens der Kirche gemaßregelt wurde. Das nächste Mal aufgefallen war Pederzani mit seinen Predigten an den ersten drei Fastensonntagen des Jahres 1871. Die Kirche der Wahrheit Dieser Predigt am 3. März 1871 in der Kirche Am Hof, die in der Folge gedruckt wurde, gab er den Titel Die Kirche der Wahrheit . Zu Beginn verwies er auf Jesus Christus, der die Theologie der Liebe gelehrt hätte und stellte resigniert fest, wie weit sich die gegenwärtige römische Kirche davon entfernt hätte: [ ] ich spreche die Klage Döllingers, des erleuchteten Kirchenlehrers: In der Kirche steht eine Läuterung bevor, die schmerzlich ist aber nicht hoffnungslos. An Schlacken ist kein Mangel, viel Rost findet sich an Missbräuchen und abergläubischem Mechanismus. Die Diener der Kirche haben durch Trägheit und Unwissenheit das Geistige im Volke vergröbern geholfen [ ].35 Was die Kirche angeht, so stehe sie nun ohne Liebe und Wahrheit da. Er verwies auf die Inquisition ( Rauch der Scheiterhaufen ), die Zerrissenheit der Familien bei unterschiedlichen Konfessionen der Ehepartner und die Gesetzgebung des österreichischen Konkordates, die getrennte Beerdigung von Katholiken und Protestanten auf den Friedhöfen anordnete.36 Ausdrücke Pederzanis wie die materielle Kirche die Kirche Roms das Werk herrschsüchtiger Menschen, wird zerfallen, der Vergleich Döllingers mit dem leidenden Christus am Kreuz, oder das Unfehlbarkeitsdogma als Ausdruck von menschlichem Größenwahn und Herrschsucht müssen Kardinal Rauscher letztendlich so erbost haben,37 dass er mit dem 12. März 1871 Pederzani von der Seelsorge an der Kirche Am Hof enthob.38 32 Ebenda, 26. Ebenda, 38. 34 Ebenda, 39 35 Julius Pederzani, Die Kirche der Wahrheit, Wien 1871, 11. 36 Diese klerikalen Repressionen führten mitunter zu familiären Tragödien. 37 Die Rolle Rauschers, der zuerst Gegner der Unfehlbarkeit war und dann die Antivatikanischen Katholiken verfolgte, gibt bis heute einige Rätsel auf. 38 Wiener Diözesanarchiv, Gestions-Protokoll, Zl. 1334 vom 12. 3. 1871. 33 7 Die KVZ Nr. 102 vom 14. April 1871 berichtete ausführlich darüber und erklärte außerdem, dass Pederzani vorläufig suspendiert worden sei, und ihm das entsprechende Dekret vom zuständigen Pfarrer (St. Peter, Innere Stadt) durch dessen Mesner überbracht worden wäre. Im Artikel wurde bedauert es, dass Pederzani nicht länger als Anreger und Übermittler des Schreibens an Döllinger fungieren werde, und es endete mit dem Wunsch, dass sich hoffentlich freisinnige Katholiken genug finden, welche sich der Sache annehmen, die Adresse, vielleicht mit Zugrundelegung des Pederzani schen Entwurfs, trotz der klerikalen Gegenagitation verfassen und zur Unterzeichnung öffentlich auflegen. Ob und wie das geschehen ist, darüber gibt es keine Hinweise. Pederzani unterwarf sich dem Erzbischof von Wien jedoch nicht, was auch die Eintragung der GestionsProtokolle belegen. Zl. 1497 vom 22. März 1871 gibt an, dass die Pfarre Am Hof den Austritt Pederzanis aus der römischen Kirche vom 16. März gemeldet hat und dies sofort der k. k. Statthalterei weitergegeben worden sei. Zl. 1338 vom 11. April 1871 bezeichnet eine Vorladung Pederzanis in die Ordinariatskanzlei, mit der Aufforderung, sich schriftlich zu seinem Solidaritätsschreiben zu äußern. Da dies offensichtlich nicht zur vollsten Zufriedenheit erledigt wurde, meldet Zl. 1879 vom 12. April 1871 die endgültige Suspension a divinis . Julius Pederzanis und seine Berührungspunkte mit den Wiener Altkatholiken Am 18. Juli 1870 hatte Papst Pius IX. beim Vatikanischen Konzil in Rom die Dogmen von der päpstlichen Unfehlbarkeit und des päpstlichen Allprimates verkündet. Diesen Lehren negativ gegenüber stehende Konzilsväter wie der Wiener Erzbischof Kardinal Othmar von Rauscher oder der Prager Erzbischof Kardinal Friedrich von Schwarzenberg hatten vor der Schlussabstimmung das Konzil aus Protest verlassen. Nach der Abstimmung unterwarfen sie sich aber dennoch. Hatten sie die Konzilsgegner bislang durchaus unterstützt, kam es jetzt vor allem bei Rauscher zu einem Umdenken und zur Distanzierung von den oppositionellen Theologen und ihren Anhängern. Julius Pederzani sollte das erste Opfer dieser neuen Politik Rauschers werden. In Wien hatte Pederzani mit dem Schriftsteller Alois Anton (1822 1878), einem aus der Diözese Linz stammenden Weltpriester, Kontakt aufgenommen. Anton schrieb gemeinsam mit Carl Linder für die KVZ und berichtete von den Ereignissen rund um das Konzil und über die Auswirkungen in der Wiener Gesellschaft.39 Erster wichtiger Bannerträger des Protests gegen die sich im Frühjahr 1871 abzeichnende Exkommunizierung des Münchner Professors für Kirchengeschichte Ignaz von Döllinger (1799 1890) war Julius Pederzani. Er rief in Wien am 9. April zu einer Unterschriftenaktion für Döllinger auf und brachte damit die Lawine, was sein eigenes persönliches Schicksal anging, zum Rollen. Mit der Suspendierung am 14. April 1871 stellte Pederzani öffentlich fest, dass er als Suspendierter nun nicht mehr derjenige sein könne, welcher den Protest gegen das Konzil weiter führen könnte. Für ihn trat nun Alois Anton ein. Mit reißerischen Beiträgen in der KVZ trat er an die Öffentlichkeit und veranlasste die erste Versammlung der Konzilsgegner. Von Julius Pederzani hörte man in dieser Zeit absolut nichts. Erst im Juli 1871, als sich in Wien unter der Leitung von Carl Linder (Journalist und Wiener Gemeinderat) und Alois Anton (als Geistlichen) ein sogenanntes Aktionskomitee zur Gründung einer romfreien katholischen Kultusgemeinde zusammengefunden hat, wird auch die Teilnahme von Julius Pederzani bei den Beratungen 39 Vgl. Halama, Altkatholiken in Österreich (Anm. 15), 99 f. 8 erwähnt.40 Unter den nun gewählten Funktionären schien er nicht auf, es darf aber angenommen werden, dass er in den kommenden Monaten bis zur Feier des ersten altkatholischen Gottesdienstes am 15. Oktober 1871 engen Kontakt zu den Wiener Altkatholiken hatte. Binden wollte sich Pederzani jedoch nicht (mehr) zumindest was Kirche anging. Warum er sich der altkatholischen Bewegung formell nie angeschlossen und auch seine priesterlichen Dienste nie angeboten hat, kann heute nicht mehr festgestellt werden. Dennoch hielt er in durchaus feststellbaren Zusammenhängen mit den Wiener Altkatholiken Vorträge im Sinne der Kirchenreform41 und verfasste auch tendenzielle Broschüren. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang auch die Broschüre Aus den Fesseln Roms (1871). In ihr nimmt er Stellung zum Syllabus Pius IX. und vertritt auch die teilweise bei den Altkatholiken vertretene These, dass der Papst mit der Verkündigung der päpstlichen Unfehlbarkeit vom Glauben abgefallen sei.42 Pederzani schreibt in der Folge auch über anti-kirchliche Themen, aber er verstand sich immer als reform-katholisch . Aufsehen erregte er nicht nur durch sein mutiges Auftreten, sondern auch durch seinen blitzartigen Abgang, der die Menschen verwunderte. Prozesse und Angriffe Er schrieb aber weiterhin kritisch über kirchliche Dinge, brachte auch vieles ans Licht, und geriet deswegen in zehn Presseprozesse wegen Beleidigung der römisch-katholischen Kirche und ihrer Orden. Er wurde in den meisten Fällen freigesprochen. Über einen dieser Prozesse berichtete das Neue Wiener Tagblatt , für das Pederzani ebenso arbeitete wie für das Extrablatt , am 16. März 187443: Der Staatsanwalt erklärte dann: Herr Pederzani hatte das Malheur, in dem inkriminierten angezeigten Roman, der demnächst in Buchform erscheinen wird, eine selbst erlebte Geschichte aus einem Nonnenkloster zu erzählen, in welchem er, als er noch Priester war, ein und aus ging. Diese Erzählung verstößt aber nach Anschauung der Staatsanwaltschaft gegen die öffentliche Sittlichkeit. Der Prozeß ist da. Nun erzählt man uns, daß bei den Jesuiten von den alten Weibern gebetet wird, Pederzani möge eine recht schwere Strafe finden und sie geben sich der Hoffnung hin, daß Pederzani gehängt wird. Damit die Sache aber noch gräßlicher wird, erzählen sich die guten Weiber, Pederzani habe eine Nonne umgebracht und werde deshalb gerichtlich verfolgt. Man kann sich schon jetzt den Jubel der Frauen vorstellen, falls die Geschworenen den Angeklagten schuldig sprechen. Der Angeklagte wurde freigesprochen. Vom Geistlichen zum Bankbeamten 1872 bis 1876 verdiente er seinen Unterhalt als Beamter der Österreichischen Unionsbank , in der er als Sekretär des Inseratendepartements gearbeitet hatte. Besitzer der Bank war ein jüdischer Baron Schey von Koromla. Die Morgenpost vom 7. Juli 1872 schilderte Pederzani im Joche 44 seine damalige Situation, in der eines Tages der Bankdirektor über den Flur ging und hinter Pederzanis Tür hörte, wie er einen Kunden lautstark über die Religion belehrte, statt ihm einen 40 KVZ, 28. Juli 1871. Vortrag am 14. Juli 1871 in Villach: Die Arbeiter-Frage. Ein Friedensvorschlag, o.A. 42 Julius Pederzani, Aus den Fesseln Roms!, Pest 1871, 46. 43 Kassette 5 B, Pulheim 1984, Konvolut zur Familiengeschichte Pederzani, Privatbesitz Ilse Suhrke. 41 9 , Kredit zu gewähren. Julius Pederzani wurde in diesem Jahr zu einer Zentralfigur des österreichischen Kulturkampfes. Seine Fotografie hing in allen Wiener Buchhandlungen. Die Affäre wurde weit über Wien hinaus in allen Tageszeitungen publiziert, wie etwa in Berlin oder auch in der Norddeutschen Allgemeinen . Er hat sich ganz in den Dienst der antiklerikalen Bewegung gestellt, doch sich auch stark gegen den Antisemitismus engagiert. Damals gab es im Zuge dieser ganzen Sache die Meinung, die Liberalen und die Juden wären ein und dieselben. Der Schriftsteller Julius Pederzani, später Pederzani-Weber Julius Pederzani stand auch zeitweilig in Diensten des Verlegers Gustav Heckenast in Wien, des Verlegers von Adalbert Stifter, auch seine frühen Schriften wurden dort veröffentlicht. Mit Peter Rosegger, den er in Graz kennen lernte, wollte er eine reform-katholische Zeitschrift Die Wahrheit herausgeben. Dazu ist es aber nie gekommen. In der Grazer Tagespost veröffentlichte Peter Rosegger am 7. Juni 1874 eine Buchbesprechung der Erzählung In Acht und Bann 45 : Die Erzählung In Acht und Bann ist ein gewaltiger Keulenschlag gegen die katholische Kirche überhaupt und gegen den Orden der Jesuiten insbesondere. Pederzani führt uns mitten in das Treiben der Jesuiten hinein. Da sehen wir nichts als Betrug, Erbschleicherei, Mord, Schändung, Meineid usw. Überall das nackte Verbrechen in seiner rohesten Form und der Leser muß wohl den Kopf schütteln und ausrufen: Das sind Teufelsfratzen. Nein, so sind die Menschen nicht. Der Mensch kann schlecht sein, aber menschlich schlecht. Und so ganz dürfen wir den Glauben an die Gesellschaft nicht verlieren. Solche Dinge und Gestalt wohlverstanden in solcher Motivierung und wie sie in dieser Erzählung dargetan werden, können in einem gesitteten Staate nicht vorkommen. Der Held in Pederzanis Erzählung, Emmanuel selbst, geht aus einem Kreise von Vergehen und Verbrechen hervor, wächst in einem solchen auf, wird Priester und Liguorianer. Sein besseres Bewusstsein beginnt sich nach und nach gegen all die Ungerechtigkeiten zu empören. Sein Ringen mit dem Ungeheuer des Ordens ist trefflich dargestellt ... Wir merken wohl, dass der Verfasser bei der Darstellung seines Emmanuel viel an sich selbst gedacht hat. Das Buch ist im leichten Romanstile geschrieben, sehr häufig sind die Gedanken und Szenen nur flüchtig hingeworfen, und fast jedes Blatt bringt ein neues Bild, einen neuen Effekt und wenn der Leser mit dem wüsten, grausigen, aber oft gar sehr pikanten Stoff nur überhaupt einverstanden ist, die Langeweile wird ihn nicht plagen. Die renommierte Verlagshandlung46 hat das Buch sehr hübsch ausgestattet und so empfehlen wir es ruhigen Gewissens allen Freunden pikanter Lektüre.47 Zum Inhalt dieses Schlüsselromans : Emmanuel Kulmer wird durch Erpressung seiner Mutter zum Priester bestimmt. Ein Domherr am Wiener Stefansdom lässt das Kind entführen und bei einer alten Jüdin aufziehen. Er versucht, die Mutter zu bewegen, ihn zum Universalerben einzusetzen. Der geistliche Werdegang des Kindes ist schwierig, er fällt wegen freimütiger Kritik auf, kommt in Klosterhaft, kann fliehen und findet Asyl bei einem Adeligen. Hier verliebt er sich in eine Förstertochter und wird bei einem Fluchtversuch aus dem Forsthaus von einem Priester ermordet. 44 Ebenda. Kassette 5 B, Pulheim 1984, Konvolut zur Familiengeschichte Pederzani, Privatbesitz Ilse Suhrke. 46 Gustav Heckenast. 45 10 Notwendiges Pseudonym Zeitweise hat Julius Pederzani dann ab 1875 das Pseudonym Dr. Paul Weber angenommen, er entlehnte es vielleicht dem Währinger Briefträger Paul Weber, den er wohl kannte, da er in diesen Jahren selbst in Währing wohnte, oder dem Schriftsteller Karl Julius Weber (1757 1832), mit dem er sich vielleicht identifizierte.48 1876 beantragte Julius einen Pass fürs Ausland als Berichterstatter für Wiener Zeitungen. 1876 bis 1878 war er als Kriegsberichterstatter im serbisch-türkischrussischen Krieg auf dem Balkan tätig. Nach dem Ende liberale Ära in Österreich zog es Pederzani nach Deutschland. Die Eltern waren wie zwei seiner Brüder bereits verstorben. Der ältere Bruder Johann Baptist war 1854 nach Deutschland gegangen und lebte in Lübeck, ebenso sein Bruder Theodor seit 1863. Die Schwester Louise wohnte ab 1859 in Bozen. Neubeginn in Deutschland Julius Pederzani zog 1879 zunächst nach Berlin49, wurde dann Redakteur an der national-liberalen Thorner Zeitung in Thorn/Ostpreußen (heute Torun/Polen).50 Dort lernte er seine Frau kennen, (Anna) Edith(a) Neumann, eine an ihrem Hochzeitstag getaufte Jüdin. Laut einer Zeitungsnotiz51 wurde sie von einem evangelischen Prediger (alt)-katholisch auf den Namen Anna getauft52, bevor sie 29-jährig den 15 Jahre älteren Julius Pederzani am 3. März 1880 in Thorn heiratete. Durch Vermittlung seines nationalliberalen Freundes aus Berlin, Heinrich Rickert53 er war Mitglied des Deutsches Reichstages und Vorsitzender der Freisinnigen Partei , auch Vorsitzender des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus , schickte man Pederzani im April/Mai 1880 als Verleger und Gründungsredakteur der Paderborner Zeitung nach Paderborn. Am 21. Mai legte er jedoch die Redaktion der Paderborner Zeitung nieder und verließ Paderborn. Kulturkampf in Deutschland Die Zeit des Kulturkampfes, in der zahlreiche Geistliche abgesetzt wurden, führte zu erbittertem Widerstand der Katholiken gegen Bismarck. Nach der Reichsgründung 1870/71 begannen die Auseinandersetzungen zwischen Staat, Parteien und römisch-katholischer Kirche. Der mit äußerster Härte geführte Kampf, von Reichskanzler Otto von Bismarck gegen die römischkatholische Kirche vom Zaun gebrochen, brachte auch die Paderborner Kirche in arge Bedrängnis. 1883 ging Pederzani nach Berlin und nahm dort seinen ständigen Wohnsitz. Zunächst war er als Journalist an der Liberalen Correspondenz tätig. Ab 1884 bis zu seinem Lebensende 1921 lebte 47 Rosegger war u. a. mit dem altkatholischen Pfarrer Anton Nittel (Warnsdorf/Böhmen) befreundet, der die damals bekannten Hockewanzel -Geschichten verfasste. 48 Dieser vertrat einen noch von den französischen Enzyklopädisten beeinflußten rationalistischen, spöttischen Skeptizismus. Er bekämpfte mit witzigen Übertreibungen die von der Romantik gepriesenen mittelalterlichen Institutionen des Rittertums , des Mönchwesens und der Papstkirche . Quelle: Brockhaus. 49 Wird in der Trauungs-Urkunde erwähnt. 50 Hafenstadt an der Weichsel. 51 Unbekannte Quelle. 52 Taufurkunde bisher nicht gefunden. 53 Bismarck hasste Rickert, der dem damaligen Kronprinzen, dem späteren Kaiser Friedrich III,. sehr nahe stand. Von ihm stammt das Zitat: Der Antisemitismus ist die Schande des Jahrhunderts. 11 er als freier Schriftsteller. Er schrieb über 40 Werke, hauptsächlich historische Jugendbücher. Die frühen Schriften erschienen unter Julius Pederzani, auch unter von Pederzani , und ab 1884 unter Julius Pederzani-Weber. Er verfasste auch Essays, Feuilletons und Übersetzungen, auch in italienischer, spanischer und englischer Sprache. Eine Auswahl aus seinen Werken Der große Kaiser und sein Jugendfreund (1889) ist eine frei erfundene Erzählung aus dem Leben Kaiser Wilhelms I. Zum Inhalt: Der junge Prinz wird Retter des Jungen Boto. Eine Jugendfreundschaft entsteht. Der Junge revanchiert sich und rettet dem Prinzen das Leben. Wiedersehen bei der Krönungsfeier des Kaisers, später warnt Boto hellseherisch vor einem Attentat, das tatsächlich eintritt. Das Thorner Blutgericht (1904) ist eine Erzählung aus der Zeit der Polenherrschaft in Preußen. Der Einsiedler von St. Michael (1888) schildert die Erlebnisse eines Deutschen auf der Halbinsel Alaska und den Aleuten nach wirklichen Aufzeichnungen, die allerdings ausgeschmückt wurden, jedoch viele ethnographische Belehrungen enthalten.54 In Mit Kreuz und Schwert oder Und deutsch sei die Erde geht es um die heidnischen Pruzzen, die durch das Schwert und die erzwungene Annahme der Kultur kerndeutsch wurden, als solche aber dann das Land des Deutschen Ritterordens gegen die Polen verteidigt hätten. Hier treten natürlich die alten Feindbilder des Deutschen in den Vordergrund. Im Vorwort der Erzählung Auf rauhen Pfaden formuliert der Autor seine pädagogische Maxime: Wer ein unerschütterliches Gottvertrauen und einen frohen Mut im herzen trägt, einen starken Willen besitzt und in allen Lagen des Lebens seine Pflicht tut, gelangt zu einem guten und glücklichen Ziele. Marie Luise Christalder bezeichnet Pederzani in ihrer Studie Kriegeserziehung im Jugendbuch (1978) als Vertreter eines epochal überschätzten pädagogischen Optimismus.55 Kleine Knaben große Helden. Bilder aus der Jugendwelt (1899) ist eine Sammlung von kurzen Erzählungen, in denen Knaben Heldentaten vollbringen. Das Buch verfolgt die Absicht, bereits in jungen Menschen Mut und Entschlossenheit aufzubauen. Goetz von Berlichingen mit der eisernen Hand (o. J.)erzählt in spannender Weise Leben und Taten eines Schützers der Rechtlosen . Zugleich wird ein lehrreiches Kulturbild aus dem 16. Jahrhundert dem Leser vor Augen gestellt, das nicht nur Tugend, sondern auch Gläubigkeit und Liebe zum eigenen Volk aufzeigen will. Eine Fülle von Kritiken begleiten seine Bücher. Noch 1979 findet der Autor Erwähnung im Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur 56 : P.-W.s Beitrag zur Jugendliteratur, der in seine dritte Schaffensperiode fällt, ist charakteristisch für den Zustand der Kinder- und Jugendliteratur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Thematisch bewegt sich der Autor in den Bereichen der patriotisch-historischen und zeitgeschichtlichen Erzählung, der moralischen, tendenzgesteuerten Umweltgeschichte, der 54 So Westermanns illustrierte deutsche Monatshefte 1889. Kassette 8 B, Hamburg 1985, Konvolut zur Familiengeschichte Pederzani, Privatbesitz Ilse Suhrke. 55 12 Abenteuergeschichte und der Jungmädchenerzählung. Die von ihm bevorzugten historischen Stoffe dienten ihm zur Darstellung deutscher Herrlichkeit (Heinrich Wolgast) und zur Mobilisierung patriotischer, herrschaftsstabilisierender Gefühle. So heißt es in der Erzählung Der große Kaiser und sein Jugendfreund (1891): Ein Hohenzoller bricht niemals Wort und Treue. Und an anderer Stelle: Er hat den richtigen Blick, der den Hohenzollern eigen ist. In den meist der reiferen Jugend, dem Volk und dem Heer gewidmeten Erzählungen sollen die jugendlichen Identifikationsfiguren von der Untertanenmittelmäßigkeit zur werteverkörpernden Größe der historischen Glanzgestalten Brücken schlagen. Auffällig ist dabei, dass sich zahlreiche jener literarischen Gestalten zeitweilig noch in einer Protesthaltung zu den Großen befinden. Dies könnte als entwicklungspsychologischer Zug ausgelegt werden. Doch wandelt sich meist recht schnell und nicht immer logisch zwingend der Protest zum Bekenntnis. Vielfach stellt der Autor in seinen historischen Erzählungen der leuchtenden Größe deutschen Menschentums dunkle Feindbilder entgegen. Als Erbfeind gilt der Welsche , als Feind aus dem Osten wird der grausame Pole angeprangert. Die von Hermann Leopold Köster 1906 gerügte herrschende Ansicht, geschichtliche Belehrung sei am besten in der Form einer Erzählung zu kleiden, vertrat Pederzani ausdrücklich. Bedenklich ist dabei sein Bekenntnis, im grausigen Kriegsbilde offenbare sich das Walten der Vorsehung, die oft das Schlimmste zum Guten wendet Die letzte Zeit seines Lebens Seine Gattin Edith starb am 25. Oktober 1912 in Berlin, sein Sohn Guido 1917. Pederzani zog zu seiner Schwägerin Berta Neumann nach Stuttgart. Diese betreute mit ihrer Freundin Mina Liermann den inzwischen betagten und kranken Schriftsteller. Am Ende seines Lebens beschäftigte er sich offensichtlich schriftstellerisch wieder mit religiösen Themen. Der Titel seines letzten Buches lautet: Stimmen aus dem Mittelalter. Die Spruchweisheit der Gottesfreunde Eckart, Tauler und Suso .57 Der Brief an den Verleger Cotta Marbach er liegt im Deutschen Literaturarchiv in kündigt einen Fortsetzungsband mit der Spruchweisheit von Mystikerinnen an. Dazu kam es aber nicht mehr.58 1907 bot er sein letztes Buch dem Verleger Cotta an, der es aber nicht druckte. Erst 1913 wurde es vom Verlag Kober in Basel verlegt. Am 15. April 1920 übersiedelte Julius Pederzani-Weber in das evangelische Männerheim Salon in Ludwigsburg. Dort starb er am 2. Dezember 1921 an Herzlähmung. Er wurde, obwohl aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten, römisch-katholisch auf dem Prag-Friedhof in Stuttgart beerdigt. Sein Grab bestand bis etwa 1940. Er war also offensichtlich nicht römisch-katholisch, aber auch nicht evangelisch noch altkatholisch geworden. Dennoch wird er von und Altkatholiken seitens seiner Gesinnung als einer der ersten Altkatholiken bezeichnet.59 Nicht erwiesen sind Kontakte zu Ignaz von Döllinger in München, den er ja ursprünglich von Wien aus unterstützt hatte, ebensowenig zu den Altkatholiken in 56 Klaus Doderer (Hrsg.), Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur. Personen-, Länder- und Sachartikel zu Geschichte und Gegenwart der Kinder- und Jugendliteratur, 4 Bde, Weinheim/Basel 1984, 448. 57 Das meint die deutschen Mystiker Meister Eckart, Johannes Tauler und Heinrich Seuse, lat. Suso, ein Schüler von Meister Eckart. 58 Z.B. Hildegard von Bingen, Mechthild von Magdeburg , Mechthild von Hackeborn. 59 Siehe u.a. Einhundert Jahre Alt-Katholiken in Kärnten, 23 u. 25 13 Deutschland. Zumindest haben diese heutzutage auch keine Kenntnis mehr von einem Buch, welches Julius Pederzani 1875 schrieb:60 Die christliche Andacht , verlegt bei Heckenast , welches in einer späteren Auflage den Titel-Zusatz Gebetbuch für Altkatholiken hatte. Sein an Ereignissen reiches Leben spiegelt das 19. Jahrhundert in allen seinen Varianten wieder: Kulturkampf, Politik, Schriftstellerei und persönliches Ringen nach Orientierung. 60 Anfrage von Silke Suhrcke per E-Mail bei den Altkatholiken in Österreich und den Altkatholiken in Deutschland. 14
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