Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode –1– Drucksache 18/XXXX Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) (Einzelplan 12) 38 Flugsicherung und Aufsicht klar trennen – Interessenkonflikte vermeiden Kat. B 38.0 Das BMVI nimmt bei der Aufsicht über die Flugsicherung das Risiko von Interessenkonflikten und Zweifeln an der staatlichen Neutralität in Kauf. Es setzt in seinem zuständigen Referat seit über 15 Jahren Beschäftigte einer Flugsicherungs-Organisation ein. Diese unterliegt der staatlichen Aufsicht und steht teilweise im Wettbewerb. Der Einsatz der Beschäftigten entspricht zudem nicht dem Ziel der Europäischen Union, bei der Flugsicherung Regulierungs- und Überwachungsaufgaben von der Abwicklung des Luftverkehrs zu trennen. Der Bundesrechnungshof erwartet, dass das BMVI den genannten Einsatz der Beschäftigten so bald wie möglich beendet. 38.1 Flugsicherung im einheitlichen europäischen Luftraum Die Europäische Union verfolgt seit mehr als zehn Jahren das Ziel, einen einheitlichen europäischen Luftraum zu schaffen. Hierzu will sie u. a. die Flugsicherung europaweit harmonisieren und die Flugsicherungsdienste vereinheitlichen. Letztere dienen der operativen Abwicklung des Luftverkehrs. Zu ihnen gehören z. B. Flugverkehrs-, Kommunikations-, Navigations- und Flugberatungsdienste. Sie werden größtenteils von privatrechtlich organisierten Flugsicherungs-Organisationen geleistet, die der staatlichen Aufsicht unterliegen. Bestimmte Flugsicherungsdienste sollen als nicht hoheitliche Unterstützungen zu Marktbedingungen in Form privatwirtschaftlicher Dienstleistungen erbracht werden. Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, Regulierungs- und Überwachungsaufgaben von der Durchführung der Flugsicherungsdienste zu trennen (Trennung von regulativen und operativen Flugsicherungsaufgaben). Aufgaben des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung Zu diesem Zweck hat der Bund die inländischen regulativen Flugsicherungsaufgaben im Jahr 2009 bei dem neu errichteten Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) konzentriert. Als nationale Aufsichtsbehörde ist das BAF für die staatliche Aufsicht über die zivile Flugsicherung zuständig. Es hat zu überwachen, dass alle in Deutschland tätigen Flugsicherungs-Organisationen die für sie geltenden Vorschriften einhalten. Dazu gehört insbesondere, dass die zur Flugsicherung eingesetzten Systeme, Verfahren und Personen die einschlägigen Sicherheitsanforderungen erfüllen. Um die Unabhängigkeit des BAF zu gewährleisten, ist ausdrücklich vorgesehen, dass es kein Personal einer zu beaufsichtigenden Flugsicherungs-Organisation beschäftigen darf. Für die Rechts- und Fachaufsicht über das BAF ist das Referat „Flugsicherung“ des BMVI zuständig. Externe Beschäftigte im Referat „Flugsicherung“ des BMVI Der Bundesrechnungshof stellte fest, dass in diesem Referat seit über 15 Jahren jeweils für mehrere Jahre ein Beschäftigter einer Flugsicherungs-Organisation mit Fluglotsenausbildung tätig ist. Die Flugsicherungs-Organisation ist privatrechtlich organisiert und gehört dem Bund. Die Beschäftigten werden in der Sachbearbeitung eingesetzt. Sie treten im Innenwie im Außenverhältnis als Beschäftigte des BMVI auf. Die Flugsicherungs-Organisation bezahlt weiterhin ihr Gehalt. Nach Ende des Entsendezeitraums kehren die meisten Be- Drucksache 18/XXXX –2– Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode schäftigten wieder zur Flugsicherungs-Organisation zurück. Nach der Aufgabenbeschreibung sollen sie im BMVI z. B. • neue Strategien und Konzeptionen für die Flugsicherung sowie fachliche Aspekte bei der Ausarbeitung und Verhandlung von Staatsverträgen bewerten, • an der Weiterentwicklung luftverkehrsrechtlicher Vorschriften im Bereich der Flugsicherung mitarbeiten, • Abläufe und Verfahren innerhalb eines bestimmten Luftraums bewerten und die deutschen Interessen in der gemeinsamen europäischen Luftraumstrategie vertreten sowie • Flugsicherungsthemen im Bund-Länder-Fachausschuss Luftfahrt vorbereiten. Bei einigen Teilaufgaben (z. B. Luftraumstruktur, Festlegen von Lufträumen) arbeiten sie im Einzelfall als Beauftragte des BMVI mit der entsendenden Flugsicherungs-Organisation zusammen. Beschluss des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages zum Einsatz externer Personen Unabhängig von dem vorstehenden Sachverhalt befasste sich der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages im Jahr 2008 mit dem Einsatz externer Personen in obersten Bundesbehörden. Er beschloss hierzu, dass • Einsätze von Externen, die Zweifel an der staatlichen Neutralität aufkommen lassen, nicht akzeptabel sind und • Einsätze in Bereichen mit dem Risiko von Interessenkonflikten sowie materielle und fachliche Abhängigkeiten ausgeschlossen sein müssen. 38.2 Der Bundesrechnungshof hat kritisiert, dass Beschäftigte einer zu beaufsichtigenden Flugsicherungs-Organisation seit Jahren bei der zuständigen obersten Aufsichtsstelle im BMVI tätig sind. Er hat darauf hingewiesen, dass deren Einsatz beim BAF ausdrücklich ausgeschlossen ist und für das Ministerium als vorgesetzte Behörde nichts anderes gelten kann. Die Gefahr von Interessenkonflikten liegt hier schon angesichts dieser Konstellation auf der Hand. Auch können bei den Aufgaben, die Beschäftigten der Flugsicherungs-Organisation im BMVI übertragen werden, nicht selten deren Unternehmensinteressen berührt sein. Obwohl die Flugsicherungs-Organisation dem Bund gehört, müssen deren Interessen keineswegs immer den Bundesinteressen entsprechen. Denn die Flugsicherungs-Organisation unterliegt nicht nur der staatlichen Aufsicht, sondern betätigt sich zumindest teilweise auch privatwirtschaftlich und wettbewerblich. Außerdem widerspricht es der angestrebten Trennung von regulativen und operativen Flugsicherungsaufgaben, wenn Mitarbeiter einer operativ tätigen Flugsicherungsorganisation im zuständigen Ressort Regulierungsaufgaben wahrnehmen. Auch unter Wettbewerbsgesichtspunkten hat der Bundesrechnungshof Einwände gegen die genannte Tätigkeit erhoben. Soweit Flugsicherungsdienste zu Marktbedingungen erbracht werden, ist es nicht hinnehmbar, dass Beschäftigte eines Anbieters im BMVI am rechtlichen Rahmen des Wettbewerbs mitarbeiten. Dadurch genährte Zweifel an der staatlichen Neutralität sind in besonderem Maße geeignet, das Bundesministerium dem Vorwurf auszusetzen, lobbybeeinflusst zu arbeiten. 38.3 Das BMVI ist der Kritik entgegengetreten. Im Ergebnis betrachtet es die beanstandeten Tätigkeiten der Beschäftigten einer aufsichtsunterworfenen Flugsicherungs-Organisation in seinem für Flugsicherung zuständigen Referat als unbedenklich und unverzichtbar. Im Einzelnen hat es hierzu geltend gemacht: Die Trennung zwischen Aufsichtsbehörde und Flugsicherungs-Organisation sei gewährleistet, weil deren Beschäftigte nicht im zuständigen BAF, sondern im BMVI tätig seien. Sie Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode –3– Drucksache 18/XXXX würden auch nicht mit den Aufgaben der Rechts- und Fachaufsicht des BMVI über das BAF betraut und könnten diese folglich nicht beeinflussen. Im Übrigen seien dieser Aufsicht durch Recht- und Zweckmäßigkeit klare Grenzen gesetzt. Zu Interessenkonflikten hätten die kritisierten Tätigkeiten bislang nicht geführt. In den wenigen ggf. kritischen Fällen hätten sich die Beschäftigten der Flugsicherungs-Organisation korrekt verhalten. Im Übrigen seien die Beschäftigten sachbearbeitend tätig und brächten ihre besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen beratend ein. Entscheidungen träfen sie i. d. R. nicht. Selbst wenn im Einzelfall Interessenkonflikte bestünden, könne es daher nicht zu einer Beeinflussung kommen. Eine Gefährdung des Wettbewerbs bei Flugsicherungsdiensten sei ebenfalls nicht zu befürchten. Für die unternehmerische Betätigung der Flugsicherungs-Organisation sei nicht das Referat „Flugsicherung“ zuständig, sondern die Beteiligungsverwaltung. Die fraglichen Tätigkeiten bezögen sich zudem überwiegend auf die dem Wettbewerb entzogenen Flugverkehrsdienste; relevante Wettbewerbssituationen seien folglich untypisch. Außerdem träfen die Beschäftigten der Flugsicherungs-Organisation auch hier nicht die abschließenden Entscheidungen. Des Weiteren hat das BMVI auf die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Einsatz von außerhalb des öffentlichen Dienstes Beschäftigten in der Bundesverwaltung (AVV) hingewiesen. Die AVV schränke die Tätigkeit der Beschäftigten der bundeseigenen Flugsicherungs-Organisation im BMVI nicht ein, weil diese keine externen Personen im Sinne der Vorschrift seien. Schließlich sieht sich das BMVI außerstande, das nach seiner Einschätzung dringend erforderliche Fachwissen auf andere Weise in seinem Haus vorzuhalten. Die Gehaltsstrukturen des öffentlichen Dienstes ließen es nicht zu, hinreichend qualifizierte Beschäftigte mit Fluglotsenausbildung anderweitig in das Besoldungssystem und die Verwaltungsstrukturen zu integrieren. 38.4 Die Argumentation des BMVI überzeugt den Bundesrechnungshof nicht: Die Trennung zwischen Aufsichtsbehörde und Flugsicherungs-Organisation wird allenfalls formal gewahrt. Denn bei seiner Fachaufsicht kann das BMVI jede Entscheidung der Aufsichtsbehörde BAF überprüfen und ggf. übersteuern. Zwar ist es hierbei ebenfalls an Recht und Gesetz gebunden. Der Rechtsvollzug eröffnet jedoch nicht selten Beurteilungs- oder Ermessensspielräume, sodass unterschiedliche Entscheidungen in Betracht kommen. Auch wenn die Beschäftigten der Flugsicherungs-Organisation nicht selbst unmittelbar die Fachaufsicht über das BAF führen, ist eine Einflussnahme keineswegs ausgeschlossen. Denn Aufsichtsfälle können in den fachlichen Aufgabenbereich der Beschäftigten fallen oder ihre besonderen Kenntnisse und Erfahrungen benötigen. Entgegen dem europäischen Ziel nehmen hier außerdem Beschäftigte einer operativ tätigen Flugsicherungs-Organisation regulative Flugsicherungsaufgaben wahr. Die Gefahr von Interessenkonflikten bei der fraglichen Tätigkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass bisher nach Aussage des BMVI noch keine offenbar geworden sind oder die Beschäftigten sich im Einzelfall korrekt verhalten haben. Aus Sicht des Bundesrechnungshofes bedarf es nicht des Nachweises konkreter Interessenkonflikte. Vielmehr muss bereits deren strukturelle Möglichkeit vermieden werden, um nicht den Anschein einer unzulässigen Einflussnahme („böser Schein“) zu erwecken. Eine solche Einflussnahme scheidet nicht schon deswegen aus, weil die Beschäftigten „in der Regel“ nicht entscheidungsbefugt sind. Auch die fachlich geprägte, beratende Tätigkeit zur Vorbereitung von Entscheidungen birgt erhebliche Einflussmöglichkeiten, zumal sie häufig mit einem Entscheidungsvorschlag verbunden sein wird. Aus der Stellungnahme des BMVI zu den möglichen Gefährdungen des Wettbewerbs bei Flugsicherungsdiensten ergibt sich, dass sich die kritisierten Tätigkeiten zumindest auch auf wettbewerbsrelevante Sachverhalte erstrecken können. Die Unzuständigkeit des Referates „Flugsicherung“ für die unternehmerische Betätigung der Flugsicherungs-Organisation Drucksache 18/XXXX –4– Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode ändert daran nichts. Entscheidend ist insoweit vielmehr die allgemeine Zuständigkeit für die Aufgabe Flugsicherung, die den Rahmen für den Wettbewerb bei bestimmten Flugsicherungsdiensten einschließt. Auch hier gibt es unabhängig von einer Entscheidungsbefugnis erhebliche Einflussmöglichkeiten der Beschäftigten. Es kommt im Übrigen auch insoweit maßgeblich darauf an, den Anschein einer unzulässigen Einflussnahme zu vermeiden. Die vom BMVI angeführte AVV schränkt in ihrer derzeitigen Fassung den Einsatz von Beschäftigten bundeseigener Unternehmen in der Tat nicht ein, weil sie nicht als externe Personen gelten. Der Bundesrechnungshof hat diese Ausnahme wiederholt kritisiert und aufgezeigt, dass auch derartige Konstellationen problembehaftet sein können. Er sieht sich darin durch den vorliegenden Fall bestätigt. Es kommt hier jedoch auf die Anwendung der AVV nicht an. Denn diese erlaubt den obersten Bundesbehörden ausdrücklich, für ihren Bereich den Einsatz Dritter weitergehend einzuschränken. Eine solche Einschränkung ist aus den dargelegten Gründen unerlässlich. Auch nach dem erwähnten Beschluss des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages ist bereits dem Risiko von Interessenkonflikten sowie Zweifeln an der staatlichen Neutralität entgegenzutreten. Der Einsatz von Beschäftigten einer Flugsicherungs-Organisation im Referat „Flugsicherung“ des BMVI ist unter beiden Gesichtspunkten nicht hinnehmbar. Eine andere Beurteilung können weder personalwirtschaftliche Erwägungen noch vermeintliche Sachzwänge rechtfertigen. Wenn besondere Fachkenntnisse und Erfahrungen von Fluglotsinnen oder Fluglotsen im BMVI nachweisbar unerlässlich sind, müssen hierfür andere Lösungen gefunden werden. Ggf. sind die haushalterischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass zwingende Bundesaufgaben rechtsstaatlich einwandfrei von Bundesbediensteten erfüllt werden können. Der Bundesrechnungshof erwartet, dass das BMVI den Einsatz von Beschäftigten einer Flugsicherungs-Organisation in seinem für Flugsicherung zuständigen Referat baldmöglichst beendet.
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