Familie und Zeit - FaFo FamilienForschung Baden

REPORT
in Baden-Württemberg
1/2016
2016
Familie und Zeit
in Baden-Württemberg
Report: Familie und Zeit
Inhalt
Wichtige Ergebnisse im Überblick 3
Editorial 5
1.
Zeitkonflikte und Zeitverwendung von Familien 6
1.1 Einleitung Familie und Zeit 6
1.2 Zeitkonflikte von Familien 6
1.3 Zeitverwendung von Müttern und Vätern 9
2.
Zeitpolitik für Familien 16
2.1 Aktuelle Entwicklungen 16
2.2 Kommunale Familienzeitpolitik 18
2.3 Betriebliche Familienzeitpolitik 22
2.4 Haushaltsnahe Dienstleistungen 24
3.
Haushaltsnahe Dienstleistungen in Europa:
der belgische Dienstleistungsscheck 25
Literatur 27
Impressum 31
2
in Baden-Württemberg
Report: Familie und Zeit
Familie und Zeit
Wichtige Ergebnisse im Überblick
„„ Der Alltag vieler Familien ist heute durch Zeitknappheit geprägt. Aktuelle Befragungen
zeigen, dass über die Hälfte der Familien Zeitmangel als großes oder als sehr großes
Problem sieht. Der Achte Familienbericht (2012) sowie weitere empirische Befunde
machen jedoch auch deutlich, dass Familien nicht generell unter Zeitmangel leiden,
es aber bestimmte Lebensphasen und -lagen gibt, die besonders von Zeitknappheit
geprägt sind. Davon betroffen sind insbesondere Alleinerziehende, zweifach vollzeit­
erwerbstätige Eltern, Mehrkindfamilien, Familien, die zeitgleich Fürsorge für K
­ inder
und pflegebedürftige Angehörige leisten, sowie Familien mit Kindern mit Behinderungen.
„„ Die subjektive empfundene Zeitnot hat auch strukturelle Ursachen. Dazu gehören
Veränderungen im Erwerbsleben, denen sich familienergänzende Institutionen wie
Kindertageseinrichtungen, Kindergärten und Schulen sowie weitere „Taktgeber“ des
Familienlebens nur langsam anpassen. Darüber hinaus ist Zeit durch die verstärkte
Erwerbsintegration von Frauen zur knappen Ressource geworden. Zudem verändern
sich durch Individualisierungsprozesse Ansprüche der einzelnen Familienmitglieder auf
Eigenzeit und Eigenaktivitäten.
„„ Pro Woche investieren Personen ab 10 Jahren in Baden-Württemberg durchschnittlich
gut 48 Stunden in Erwerbsarbeit, Bildung und Qualifikation sowie unbezahlte Arbeit.
Den größten Teil macht mit rund 24 Stunden die unbezahlte Arbeit aus. Die Zeitverwendung von Männern und Frauen unterscheidet sich sowohl in Baden-Württemberg
als auch im Bundesgebiet nach wie vor gravierend. Frauen in Baden-Württemberg
leisten etwa zwei Drittel ihrer gesamten wöchentlichen Arbeitszeit als unbezahlte Arbeit
(ca. 29,5 Stunden), bei Männern ist es weniger als die Hälfte (knapp 18,5 Stunden).
„„ Betrachtet man ausschließlich unbezahlte Arbeit in Paarfamilien, dann wird deutlich,
dass es nicht nur im Hinblick auf den Umfang unbezahlter Arbeit, sondern auch im
Hinblick auf ausgewählte Aktivitäten deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede
gibt. Während baden-württembergische Frauen in Paarfamilien ihre Zeit schwerpunktmäßig in Kinderbetreuung und Pflege von Kindern sowie in die Bereiche Waschen,
Putzen und Kochen investieren, liegt der Schwerpunkt bei Männern in der Kinderbetreuung und Pflege von Kindern sowie auf dem Bereich Garten/Tierpflege/Handwerk.
Letzterer ist der einzige Bereich, in den Männer auch absolut gesehen mehr Zeit investieren als Frauen.
„„ Im Vergleich zu 2001/2002 ist der Zeitaufwand für die Betreuung von Kindern unter
18 Jahren nach Auswertungen des Statistischen Bundesamts bei Müttern und Vätern
in Deutschland um täglich rund 10 Minuten angestiegen. Väter mit jüngstem Kind unter
6 Jahren engagieren sich heute mehr bei der Beaufsichtigung und der Pflege der Kinder, Mütter verwenden etwas mehr Zeit für Spielen und Sport. Sowohl bei Müttern
als auch bei Vätern hat der Zeitaufwand für Fahrdienste und Begleiten der Kinder zugenommen.
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in Baden-Württemberg
Report: Familie und Zeit
„„ Familienzeitpolitik verfolgt das Ziel, die Zeitsouveränität von Familien zu erhöhen und
damit ihre Lebensqualität zu verbessern. Konkrete Umsetzungsschritte auf Bundes­
ebene waren in den letzten Jahren beispielsweise Initiativen im Bereich der kommunalen Familienzeitpolitik, das Unternehmensprogramm und die Initiative „Neue Zeiten
für Familie“, das ElterngeldPlus oder die Einführung der Familienpflegezeit.
„„ Auf kommunaler Ebene hat das Bundesfamilienministerium vor dem Hintergrund bundesweiter Praxiserfahrungen sieben Handlungsfelder identifiziert, in denen Maßnahmen ansetzen können, um Zeitkonflikte von Familien zu entschärfen. Dazu gehören:
zeiteffiziente Mobilität, Betreuungs- und Bildungsinfrastrukturangebote nach Maß,
familienbewusste Arbeitswelt und Ausbildung, erreichbare, flexible Gesundheitsangebote, flexible Bereitstellung von Dienstleistungen und Versorgung, bürgernahe und
serviceorientierte Verwaltung und familienorientierte Freizeitangebote.
„„ Der Ausbau und die Förderung von haushaltsnahen Dienstleistungen tragen dazu
bei, dass durch Möglichkeiten zur Auslagerung von Haus- und Familienarbeit mehr
Raum für Qualitätszeit in Familien zur Verfügung steht. In Baden-Württemberg geht im
­Februar 2016 das im Auftrag des Sozialministeriums erstellte Portal „Haushaltsnahe
Dienste Baden-Württemberg“ online.
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in Baden-Württemberg
Report: Familie und Zeit
Editorial
Zeit ist zu einer wichtigen und zugleich knappen Ressource von Familien geworden. Der
Achte Familienbericht (2012) weist darauf hin, dass die Qualität des Zusammenlebens von
Familien untrennbar mit den zeitlichen Ressourcen verbunden ist.1 Gleichzeitig ist sowohl
im Familienalltag als auch im Lebenslauf von Familien Zeitknappheit allgegenwärtig.2 Das
bestätigt auch die AOK-Familienstudie 2014, der zufolge sich knapp die Hälfte der Eltern in
Deutschland zeitlich stark oder sehr stark belastet fühlt, Tendenz steigend.3
Da die subjektiv empfundene Zeitknappheit von Familien auch strukturell bedingt ist und
sich Zeitkonflikte von Familien in den letzten Jahrzehnten verschärft haben, hat das Thema „Zeit für Familie“ in familienpolitischen Diskussionen an Bedeutung gewonnen. Spätestens mit dem Siebten Familienbericht (2006), der eine nachhaltige Familienpolitik als
Dreiklang aus Zeit-, Infrastruktur- und Geldpolitik beschreibt, ist deutlich geworden, dass
Familienpolitik auch Zeitpolitik ist. In diesem Zusammenhang wird auch von einem „temporal turn“, einer zeitpolitischen Wende, in der Familienpolitik gesprochen.4 Der Achte
Familienbericht „Zeit für Familie – Familienzeitpolitik als Chance einer nachhaltigen Familienpolitik“ beschäftigte sich in der Folge schwerpunktmäßig mit der Bedeutung von Zeitpolitik für Familien und auch in der Demografiestrategie der Bundesregierung wurde das
Thema aufgegriffen. Familienzeitpolitik zeichnet sich einerseits durch eine starke Orientierung am Alltag von Familien aus. Anderseits wird das Thema „Familie und Zeit“ auch in
einer Lebenslaufperspektive diskutiert. In Deutschland gehen Überlegungen hierzu bis in
die 1980er-Jahre zurück. Diskutiert werden in diesem Zusammenhang die im Siebten Familienbericht vorgeschlagenen „Optionszeiten“, „Carezeitbudgets“ oder aktuell „atmende
Lebensverläufe“. Gefordert wird eine „neue Debatte um Zeit, Geschlecht und Erwerb“.5
Mit dieser Ausgabe des Reports greifen wir das Thema „Familie und Zeit“ erstmals
auch im Rahmen der Familienberichterstattung des Landes auf. Dabei geht es zunächst
um die Frage, welche Erkenntnisse es zu Zeitkonflikten und zur Zeitverwendung von
Familien gibt. Aufschluss darüber gibt unter anderem die Zeitverwendungserhebung
2012/2013 des Statistischen Bundesamts und der Statistischen Landesämter. Ausgewählte Ergebnisse dieser Erhebung für Baden-Württemberg und Deutschland werden
im ersten Kapitel vorgestellt. Das zweite Kapitel spannt einen breiten Bogen über das Feld
der Familienzeitpolitik und richtet den Blick auf Erfahrungen und innovative Ansätze in
Baden-Württemberg. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der kommunalen Ebene. Anhand
von Praxisbeispielen werden jedoch auch schlaglichtartig Lösungen aus dem betrieblichen Kontext sowie im Bereich familienunterstützende haushaltsnahe Dienstleistungen
beleuchtet. Die Professionalisierung und Qualitätssicherung im Bereich haushaltsnaher
Dienstleistungen ist in Deutschland seit vielen Jahren in der Diskussion. Daher lohnt sich
ein Blick in europäische Nachbarländer, wo haushaltsnahe Dienstleistungen sehr viel
stärker genutzt werden und es in den vergangenen Jahren gelungen ist, eine deutlich
umfangreichere reguläre Beschäftigung in diesem Bereich zu erreichen. In Belgien beispielsweise gibt es seit über 10 Jahren ein Gutschein-Modell, durch das haushaltsnahe
Dienstleistungen in erheblichem Umfang staatlich subventioniert werden. Dieses wird
im dritten Kapitel vorgestellt.
1
2
3
4
5
BMFSFJ (Hrsg.), 2012, S. 68.
DJI, 2015, S. 2.
Calmbach et al, 2014.
Heitkötter, 2009.
Jurczyk, 2015a.
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in Baden-Württemberg
Report: Familie und Zeit
1. Zeitkonflikte und Zeitverwendung von Familien
1.1 Einleitung Familie und Zeit
Für Familien ist es elementar, dass im Alltag sowie im Lebenslauf ein ausreichendes
Maß an gemeinsamer Zeit, an Zeit für Fürsorge, Bildung und Erziehung zur Verfügung
steht. Familien brauchen Zeit „(…) um überhaupt als Familie existieren und sich als solche erfahren zu können. Diese Dimension gemeinsamer Zeit im Alltag ist die Grundbedingung des Familienlebens.“6 Dabei ist die Qualität der gemeinsam verbrachten Zeit
ebenso wichtig wie die Quantität. Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) weist in einer aktuellen Stellungnahme zum Thema „Zeitpolitik“ darauf hin, dass begrenzte Zeitfenster
von „Quality Time“ für ein gelingendes Familienleben ebenso wenig zufriedenstellend
sind wie die reine Anwesenheit in Stunden. Neben geplanter gemeinsam verbrachter
Zeit ist die „Beiläufigkeit“ ein wichtiges Element von Zeit in Familien. Damit ist gemeint, dass ein Teil der Kommunikation zwischen Eltern und Kindern, häufig der wichtigere, eher nebenher und spontan geschieht und wenig planbar ist.7 Nach Auffassung
des DJI besteht eine besondere Anforderung darin, „familiäre Kopräsenz“, das heißt
die gemeinsame zeitlich-räumliche Anwesenheit der Familienmitglieder, zu ermöglichen. „Familie wird oft in den Zeitlücken der Erwerbsarbeit gelebt, dabei haben die
Beschäftigten wenig Einfluss auf ihre Arbeitszeitpläne; ihre Arbeitseinsätze sind teilweise kurzfristig und wenig planbar. Familienleben muss gleichsam „auf Knopfdruck“
stattfinden, wenn gerade Zeit dafür ist.“8
Familienzeit umfasst mehrere Dimensionen, zu denen die gemeinsame Zeit von Eltern
und Kindern (auch für Vater-Kind- oder Mutter-Kind-Beziehungen), Zeit für die Eltern
als Paar, Zeit der einzelnen Familienmitglieder für sich selbst sowie Zeit für soziale und
verwandtschaftliche Netzwerke gehören.9 Der Siebte Familienbericht weist darauf hin,
dass eine gute Lebensqualität für Familien in der Dimension Zeit das gelungene Zusammenspiel dieser verschiedenen Ebenen von Familienzeit ebenso v­ oraussetzt wie
das Zusammenpassen mit Erwerbs- und Infrastrukturzeiten.10
1.2 Zeitkonflikte von Familien
Der Alltag vieler Familien ist heute durch Zeitknappheit geprägt. Eine Repräsentativ­
befragung von Eltern mit Kindern im Alter von 4 bis 14 Jahren im Auftrag des AOK-­
Bundesverbands im März 2014 macht deutlich, dass sowohl für Mütter als auch für
Väter heute die zeitliche Belastung stärker wiegt als finanzielle, psychische oder partner­
schaftliche Belastungen oder körperliche Anstrengungen.11
6
7
8
9
10
11
Heitkötter et al, 2009, S. 13, vgl. dazu auch BMFSFJ (Hrsg.), 2012, S. 5.
Jurczyk, 2009, S. 58.
DJI, 2015, S. 8.
BMFSFJ (Hrsg.), 2006, S. 210; DJI 2015, S. 3.
BMFSFJ (Hrsg.), 2006, S. 210.
Das gilt für Mütter und Väter in Paarfamilien sowie für Alleinerziehende, wobei letztere eine ebenso starke finanzielle wie zeitliche Belastung empfinden.
Calmbach et al, 2014, S. 15.
6
in Baden-Württemberg
Für über die Hälfte der
Eltern stellt Zeitmangel
ein großes oder sehr
großes Problem dar.
Report: Familie und Zeit
Auch eine aktuelle Befragung von Familien im Rahmen des im Oktober 2015 erschienenen Familienberichts aus Nordrhein-Westfalen zeigt, dass Zeitmangel aus Sicht der
befragten Familien von sechs abgefragten Themenbereichen als größtes Problem gesehen wird. Für 55 % der befragten Eltern stellt Zeitmangel ein Problem oder ein
großes Problem dar.12 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine Befragung des
Instituts für Demoskopie Allensbach (2014), nach der über die Hälfte der Eltern angibt,
„viel zu wenig Zeit“ zu haben.13
Die subjektiv empfundene Zeitnot hat auch strukturelle Ursachen. Der Siebte Familien­
bericht „Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit – Perspektiven für eine lebenslaufbezogene Familienpolitik“ beschreibt unter anderem, wie Veränderungen in den
Arbeits- und Geschlechterverhältnissen, die durch den Wandel zur Dienstleistungsund Industriegesellschaft bedingt sind, zu „Brüchen in der Zeitordnung“ und zu neuen
Anforderungen an Familien führen.14 Diese Umbrüche in Zeitstrukturen sind demzufolge durch das Zusammentreffen von vier Tendenzen bedingt, die dazu beitragen, dass
“(…) sowohl auf der Ebene der gesellschaftlichen und betrieblichen Zeitstrukturen als
auch auf der Ebene der Koordinierungsanforderungen im Familienleben zwar neue
Chancen, aber zunächst vor allem neue Widersprüche und Konflikte entstehen, die
Gestaltungsbedarf bei der Organisation von Zeit signalisieren.“15
Zeitkonflikte von
­Familien sind auch eine
Folge des gesellschaft­
lichen Wandels.
Dazu gehören zum Ersten Veränderungen im Erwerbsleben selbst, die mit den Stichworten Digitalisierung der Arbeitswelt sowie Destandardisierung und Flexibilisierung
von Arbeitsort und -zeit umschrieben werden können und zu veränderten Zeittakten
führen. Neue Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglichen es, prinzipiell immer und an jedem Ort zu arbeiten. Vielfältige und häufig prekäre Beschäftigungsformen führen zu vermehrten Abstimmungsprozessen in der Familie im Hinblick auf
die Anwesenheitszeiten der Partner und bringen oft Synchronisationsprobleme oder
zusätzliche Zeitkonflikte mit sich.16 Die Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen führt
zu räumlichen und zeitlichen Entgrenzungen in Arbeit und Familie.17 Diese Veränderungen, die auch als „doppelter Entgrenzungsprozess“ beschrieben werden, verändern
die Rahmenbedingungen für Fürsorge in der Familie und führen zu „(…) Zeit-, Energie- und Aufmerksamkeitskonkurrenzen, die unter bestimmten Bedingungen letztlich
eine Beteiligung am Familienleben erschweren und damit die Herstellungsleistungen
in Familien beeinträchtigen.“18
Zweitens sind Zeitkonflikte dadurch bedingt, dass sich familienergänzende Institu­
tionen wie Kindertageseinrichtungen, Kindergärten und Schulen diesen veränderten
Strukturen nur langsam anpassen und diese „Taktgeber“ des Familienlebens ebenso
wie Freizeitangebote, Verkehrssysteme, Öffnungszeiten von Ämtern sowie andere Infrastrukturen des sozialen Nahraums auf die gewandelten Realitäten vieler Familien
nach wie vor oft zu wenig Rücksicht nehmen. Der Siebte Familienbericht benennt die
Folgen: „Die hieraus resultierenden strukturellen Zeitbrüche zwischen Partnern, Eltern
12 Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), 2015, S. 165. Abgefragt wurden die Themen „Zeitmangel“, „Geldmangel“, „gute Kinderbetreuung“, „passende Wohnung finden“, „Angebote und Beratung finden“ und „Sicherheit der Wohngegend“. Für
weitere Differenzierungen unter anderem nach Geschlecht und Umfang der Erwerbstätigkeit. vgl. ebd. S. 172 ff.
13 Prognos AG, 2015, S. 8.
14 BMFSFJ (Hrsg.), 2006, S. 206 f. Zu familialen Zeitkonflikten als Folge gesellschaftlichen Wandels vgl. auch Heitkötter, 2009, S. 403 f.
15 BMFSFJ (Hrsg.), 2006, S. 207.
16 Ein Beispiel für die Verschärfung von Zeitkonflikten durch prekäre Arbeitsverhältnisse sind die so genannten „Multijobber“, die überdurchschnittlich viel
Zeit für verschiedene Minijobs aufbringen müssen, um Einkommensarmut zu vermeiden. Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und
Senioren, 2015, S. 205 f.
17 Zu Entgrenzungen von Arbeit und Familie vgl. beispielsweise Lange, 2006.
18 Jurczyk, 2009, S. 58.
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in Baden-Württemberg
Report: Familie und Zeit
und Kindern sowie zwischen Institutionen führen zu chronischer Hetze und zu psychischen Belastungen der Eltern, vor allem der Mütter als den Hauptzuständigen.“19
Drittens führt die verstärkte Erwerbsintegration von Frauen dazu, dass das Potential an
Haus- und Fürsorgearbeit zur knappen Ressource wird und sich durch die Erwerbstätigkeit von Müttern zusätzliche erwerbsbedingte zeitliche Anforderungen an die
Familie stellen. Und nicht zuletzt – als vierte Tendenz – verändern sich durch Individualisierungsprozesse Ansprüche der einzelnen Familienmitglieder auf Eigenzeit und
Eigenaktivitäten.20
Die beschriebenen Zeitkonflikte, die durch den gesellschaftlichen Wandel entstehen,
werden auf einer individuellen Ebene als Zeitdruck, Zeitnot und -knappheit sowie als
hohe Abstimmungs- und Koordinationsanforderungen erlebt.21 Verschärfend kommt
hinzu, dass die gesellschaftlichen und individuellen Erwartungen an das Familienleben
gestiegen sind. „Eltern sehen sich heute mit veränderten Rollenerwartungen, einem
veränderten Partnerschaftsverständnis und Aufgaben konfrontiert, die an sie deutlich
mehr Ansprüche und Erwartungen stellen als noch vor einigen Jahrzehnten“.22 Ein
Beispiel hierfür ist die zunehmende Inanspruchnahme von Eltern durch höhere Bildungsansprüche an Kinder.23 Ein großer Teil der Eltern bemüht sich heute intensiv um
die Förderung ihrer Kinder, was mit erheblichem zeitlichem, logistischem und finanziellem Aufwand verbunden ist.24 Als Erklärungen für das Gefühl des „Gehetztseins in
Familien und den Mangel an gemeinsamer Zeit“ werden außerdem ein beschleunigtes Tempo wirtschaftlicher und medialer Prozesse25 sowie gestiegene Ansprüche des
Einzelnen an ein möglichst intensives und zeitlich dichtes Familien- und Freizeitleben
diskutiert.26
Der Achte Familienbericht sowie empirische Befunde machen allerdings auch deutlich,
dass Familien – trotz der skizzierten strukturellen Ursachen von Zeitkonflikten – nicht
generell unter Zeitmangel leiden.27
Zeit ist nicht per se
knapp, aber in bestimm­
ten Lebensphasen und
-lagen von Familien.
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Vielmehr ist ein differenzierter Blick auf die Situation von Familien notwendig. Unterschiede zeigen sich im Hinblick auf die Familienform, die Familienphase, die Lebenslage,
den Erwerbsstatus bzw. die Erwerbskonstellation der Eltern und das Geschlecht.28
Zeitstrukturen von Familien unterscheiden sich zudem regional. So haben Familien in
ländlichen Räumen häufig weitere räumliche Entfernungen zurückzulegen und finden
vor Ort ein anderes Dienstleistungsangebot vor als Familien in Großstädten.29 Besonders ausgeprägt sind Zeitkonflikte bei Alleinerziehenden, zweifach vollzeiterwerbstätigen Eltern, Mehrkindfamilien sowie Familien, die zeitgleich Fürsorge für Kinder und
pflegebedürftige Angehörige leisten.30 Allerdings kann nicht nur zu wenig, sondern
auch zu viel Zeit zu großen Belastungen für das Familienleben führen. So können sich
BMFSFJ (Hrsg.), 2006, S. 231.
BMFSFJ (Hrsg.), 2006, S. 206 f.
Heitkötter, 2009, S. 404.
Henry-Huthmacher, 2008, S. 5.
Bianchi/Robinson/Milkie, 2006; Bianchi/Milkie, 2010, zitiert nach Bertram/Deuflhard, 2014.
BMFSFJ (Hrsg.), 2006, S. 229.
Zum Thema „Familien in der Medienwelt“, vgl. Landesfamilienrat Baden-Württemberg, 2010.
Darüber hinaus wird Zeitknappheit heute, im Gegensatz zu früher, häufig mit einem hohen Status assoziiert. Jurczyk, 2009, S. 37.
BMFSFJ (Hrsg.), 2012, S. 135.
BMFSFJ (Hrsg.), 2006; Heitkötter, 2009, S. 404. Zu geschlechtsspezifischen Unterschieden im Umgang mit der Zeit vgl. Hewener, 2004.
DJI, 2015, S. 5.
DJI, 2015, S. 2.
8
in Baden-Württemberg
Report: Familie und Zeit
bei länger anhaltender Erwerbslosigkeit Desorganisationstendenzen und ein „Entgleiten von Zeitstrukturen“ im Alltag zeigen, die sich negativ auf das Familienleben auswirken.31
Als besonders zeitknappe Lebensphase gilt die so genannte Rushhour des Lebens, das
heißt die Jahre zwischen 28 und 40, in denen häufig der berufliche Abschluss, die Etablierung am Arbeitsmarkt, die Partnerwahl und die Familiengründung zusammentreffen.32 Sorgeintensive Phasen im Familienleben sind insbesondere die Zeit um die Geburt und die ersten 3 Lebensjahre der Kinder sowie die spätere Phase im Familienleben,
in der Familien mit Pflegeanforderungen durch die ältere Generation konfrontiert sind.
Auch in Übergangsphasen (zum Beispiel wenn die Kinder in die KiTa oder die Schule
kommen oder Schulübergänge) oder bei unvorhersehbaren Belastungen, beispielsweise
durch Krankheit, sind Familien besonders auf zeitliche Entlastung angewiesen. Familien
mit Kindern mit Behinderungen sind ebenfalls zeitlich häufig stark beansprucht.33
Quantitative Ergebnisse, die eine objektiv vorhandene Zeitknappheit in bestimmten
Lebenslagen, Familienformen und -phasen beschreiben, sagen allerdings nichts über
Ambivalenzen und Motive der Zeitverwendung sowie über subjektiv empfundene Belastungen aus, das heißt über die qualitative Seite familialer Zeitkonflikte. Für eine angemessene Beschreibung von Zeitkonflikten von Familien ist diese aber mindestens
ebenso wichtig, denn „Zeitprobleme ergeben sich für Familien nicht alleine aus einem
unzureichenden Zeitbudget, sondern ebenso aus einer unzureichenden Qualität von
Zeit, das heißt aus Belastungen, die Zeitdruck und Verdichtung von Zeit, Parallelaktivitäten und Synchronisationsprobleme, Fremdbestimmtheit und mangelnde Zeitsouveränität und vieles mehr umfassen.“34
1.3 Zeitverwendung von Müttern und Vätern
Die Zeitverwendungserhebung 2012/2013 des Statistischen Bundesamts und der
Statistischen Ämter der Länder liefert differenzierte Ergebnisse zu verschiedenen
Lebens­bereichen wie bezahlte und unbezahlte Arbeit, ehrenamtliches und freiwilliges
Engagement, Bildung oder Freizeit.35 Von August 2012 bis Juli 2013 wurden bundesweit etwa 5 000 Haushalte mit rund 11 000 Personen ab 10 Jahren auf freiwilliger
Basis befragt. Jede Person dokumentierte in einem Tagebuch für 3 vorgegebene Tage
jeweils in 10-Minuten-Schritten, welche Haupt- und Nebentätigkeit sie ausübte. Diese
Zeitverwendungserhebung ist – nach den Erhebungen 1991/1992 und 2001/2002 –
bereits die dritte Erhebung dieser Art, so dass auch Veränderungen im Zeitverlauf
nachvollzogen werden können.36 Aufgrund der Fallzahlen sind Auswertungen auf Landesebene nur eingeschränkt möglich. In Baden-Württemberg wurden im Rahmen der
Zeitverwendungserhebung 2012/2013 rund 630 Haushalte befragt.37
31 BMFSFJ (Hrsg.), 2006, S. 226. Als empirisch belegt gilt, dass Erwerbslosigkeit bei vielen Menschen zu einer Entwertung der Alltagszeit und damit auch der
Lebensqualität führt. Rogge, 2009, S. 84.
32 DJI, 2015, S. 8.
33 DJI, 2015, S. 7.
34 BMFSFJ (Hrsg.), 2006, S. 229. Der Siebte Familienbericht beschreibt unterschiedliche Gründe und Ursachen für diese „gefühlte Zeitnot“ und beleuchtet, zu
welchen Ambivalenzen, Konflikten und oft mühsamen Aushandlungsprozessen gesellschaftliche Veränderungen, die für die Entstehung von Zeitkonflikten
ursächlich sind, führen.
35 Zur Methodik und Durchführung der Zeitverwendungserhebung 2012/2013. vgl. Maier, 2014.
36 Statistisches Bundesamt, 2015a.
37 Im folgenden Kapitel liegt der Schwerpunkt auf der durchschnittlichen Zeitverwendung sowie auf unbezahlter und bezahlter Arbeit und Zeit für Kinder.
Weitere für Familien wichtige Bereiche wie ehrenamtliches und freiwilliges Engagement, Bildung oder Freizeit können im Rahmen dieses Reports nicht
berücksichtigt werden. Bundesweite Ergebnisse hierzu finden sich in der vom Statistischen Bundesamt (2015) veröffentlichten Broschüre „Wie die Zeit
vergeht. Ergebnisse zur Zeitverwendung in Deutschland 2012/2013“.
9
in Baden-Württemberg
Report: Familie und Zeit
1.3.1 Durchschnittliche Zeitverwendung in Baden-Württemberg
In Baden-Württemberg verbringen Personen ab 10 Jahren gut ein Viertel eines durchschnittlichen Tages mit Erwerbstätigkeit, Qualifikation und Bildung sowie mit unbezahlter Arbeit in Haushalt und Familie (27 %).38 Knapp ein weiteres Viertel des Tages
steht für die Freizeitgestaltung zur Verfügung (23 %). Etwas weniger als die Hälfte
des Tages wird für persönliche Grundbedürfnisse wie Schlafen, Körperpflege sowie
Essen und Trinken verwendet (46 %).39 Schaubild 1 zeigt auch, dass es im Hinblick
auf die durchschnittliche Zeitverwendung keine nennenswerten Unterschiede zwischen
Baden-Württemberg und dem Bundesgebiet gibt.
Schaubild 1
Durchschnittliche Zeitverwendung von Personen ab 10 Jahren
in Baden-Württemberg und Deutschland 2012/2013
Angaben in Stunden je Tag
0:21
0:18
Deutschland
0:20
0:24
5:52
5:41
BadenWürttemberg
11:07
Persönliche Grundbedürfnisse
Erwerbstätigkeit, Bildung, unbezahlte Arbeit
11:06
Freizeitgestaltung
Ehrenamtliches Engagement
Sonstige Wegezeiten
6:29
6:22
Datenquelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg.
Statistisches Landesamt Baden-Württemberg
3 16
1.3.2 Erwerbsarbeit und unbezahlte Arbeit
Die Zeitverwendung von Männern und Frauen unterscheidet sich sowohl in Baden-­
Württemberg als auch im Bundesgebiet nach wie vor gravierend.
38 Haushalt und Familie 13 %, Erwerbstätigkeit 12 %, Bildung und Qualifikation 2 %.
39 Hierbei ist zu beachten, dass es sich um Mittelwerte für Jung und Alt, Männer und Frauen, Erwerbstätige und Arbeitslose handelt. Der Durchschnitt wurde
über Werktage und Wochenenden hinweg gebildet. Statistisches Bundesamt, 2015a, S. 6.
10
in Baden-Württemberg
Report: Familie und Zeit
Schaubild 2
Erwerbsarbeit, Qualifikation und Bildung sowie unbezahlte Arbeit
von Personen ab 10 Jahren in Baden-Württemberg 2012/2013
Angaben in Stunden je Woche
Männer
Frauen
4:05
20:04
insgesamt
Unbezahlte Arbeit1)
Bildung und Qualifikation
Erwerbsarbeit
24:02
4:19
25:26
3:51
14:56
18:26
29:31
1) Zum Beispiel Haushaltsführung, Kinderbetreuung, ehrenamtliches Engagement
Datenquelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg.
Statistisches Landesamt Baden-Württemberg
4 16
Pro Woche investieren Personen ab 10 Jahren in Baden-Württemberg durchschnittlich
gut 48 Stunden in Erwerbsarbeit40, Bildung und Qualifikation sowie unbezahlte A
­ rbeit
(Schaubild 2). Den größten Teil macht mit rund 24 Stunden die unbezahlte Arbeit aus.
Dazu zählen Tätigkeiten der Haushaltsführung wie Kochen, Waschen, Einkaufen und
Gartenarbeit ebenso wie die Betreuung und Pflege von Kindern und anderen Haushaltsangehörigen sowie ehrenamtliches oder freiwilliges Engagement und die Unterstützung
von Personen, die nicht im Haushalt leben. Frauen leisten etwa zwei Drittel ihrer gesamten wöchentlichen Arbeitszeit als unbezahlte Arbeit (ca. 29,5 Stunden), bei ­Männern ist
es weniger als die Hälfte (knapp 18,5 Stunden).
Mütter und Väter zwischen 18 und 64 Jahren arbeiten bundesweit im Schnitt knapp
10 Stunden pro Woche mehr als Alleinlebende derselben Altersgruppe und Paare ohne
Kind (Erwerbsarbeit und unbezahlte Arbeit, Schaubild 3).41 Diese Differenz ist einerseits auf den wesentlich höheren Zeitaufwand für unbezahlte Arbeit zurückzuführen.
Mütter brachten in der Woche rund 15 Stunden mehr für unbezahlte Arbeit auf als
alleinlebende Frauen und Frauen in Paargemeinschaften ohne Kind, bei Vätern lag der
Unterschied bei rund 4 Stunden.42 Andererseits bestätigen diese Daten die Ergebnisse früherer Untersuchungen, die zeigen, dass Väter im Durchschnitt eine höhere wöchentliche Arbeitszeit (Erwerbsarbeit) haben als kinderlose Männer.43 Nach den vorliegenden Ergebnissen betrug der Unterschied 2012/2013 gut 7 Stunden pro Woche.
40 Einschließlich Arbeitssuche und Wege zur Arbeit.
41 Die folgenden Auswertungen beziehen sich teilweise auf das Bundesgebiet, da zum Zeitpunkt der Erstellung des Reports die Ergebnisse für Baden-Württemberg entweder noch nicht vorlagen oder die Fallzahlen für eine Auswertung auf Landesebene zu gering waren. Aufgrund der geringen Unterschiede in
der Zeitverwendung insgesamt (vgl. Schaubild 1) ist jedoch davon auszugehen, dass die Ergebnisse für Deutschland weitgehend auf Baden-Württemberg
übertragbar sind.
42 Zu bedenken ist hierbei, dass die zeitlichen Belastungen von Müttern und Vätern auch vom Alter der Kinder abhängen. Mit jüngstem Kind unter 6 Jahren
arbeiten Eltern pro Woche in Deutschland insgesamt gut 5 Stunden mehr als mit jüngstem Kind zwischen 6 und 18 Jahren. Statistisches Bundesamt 2015,
S. 9.
43 Vergleiche hierzu auch Report Familien im Baden-Württemberg 3/2014 „Väter“, S. 18, http://www.fafo-bw.de/BevoelkGebiet/FaFo/Familien_in_BW/
R20143.pdf (abgerufen am 12.10.2015).
11
Report: Familie und Zeit
in Baden-Württemberg
Schaubild 3
Erwerbsarbeit und unbezahlte Arbeit von Personen zwischen 18 und 64 Jahren
in Deutschland 2012/2013
Angaben in Stunden je Woche
Erwerbsarbeit
unbezahlte Arbeit
Alleinlebende und Paare ohne Kind
insgesamt
Männer
48:04
18:04
30:00
Frauen
48:33
21:18
27:15
24:47
24:18
49:05
Alleinerziehende und Paare mit Kind(ern)
insgesamt
Männer
Frauen
31:42
26:32
58:14
22:09
17:17
39:50
17:22
59:26
57:12
Datenquelle: Statistisches Bundesamt 2015a, S. 9.
Statistisches Landesamt Baden-Württemberg
5 16
1.3.3 Unbezahlte Arbeit in der Familie
Betrachtet man ausschließlich unbezahlte Arbeit in Paarfamilien, dann wird deutlich, dass
es nicht nur im Hinblick auf den Umfang unbezahlter Arbeit, sondern auch auf ausgewählte
Aktivitäten deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede gibt (Schaubild 4). Frauen in
Paarfamilien leisten in Baden-Württemberg im Durchschnitt pro Tag 6 Stunden und
27 Minuten unbezahlte Arbeit, bei Männern liegt der Durchschnitt bei 3 Stunden und
11 Minuten. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede fallen damit in Baden-Württemberg noch etwas größer aus als im Bundesgebiet. Während Frauen in Paarfamilien
in Baden-Württemberg am Tag 3 Stunden und 16 Minuten mehr als Männer in unbezahlte Arbeit investieren, liegt der Unterschied zwischen Frauen und Männern im
Bundesgebiet bei 2 Stunden und 42 Minuten.
Mit Blick auf unterschiedliche Aktivitäten zeigt sich, dass die innerfamiliäre Aufgabenverteilung von Eltern nach wie vor entlang der traditionellen Geschlechterzuschreibungen verläuft.44 Frauen investieren ihre Zeit schwerpunktmäßig in Kinderbetreuung und
Pflege von Kindern45 sowie in die Bereiche Waschen, Putzen und Kochen, bei Männern liegt der Schwerpunkt der unbezahlten Arbeit in der Kinderbetreuung und Pflege
von Kindern sowie auf dem Bereich Garten, Tierpflege, Handwerk. Letzterer ist der
einzige Bereich, in den Männer auch absolut gesehen mehr Zeit investieren als Frauen.
44 Untersuchungen deuten darauf hin, dass gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern die Organisation von Beruf und Haushalt zeitlich und sachlich gleicher
verteilen als verschiedengeschlechtliche Paare. Die Partnerinnen und Partner nehmen die Aufgaben eher entlang persönlicher Präferenzen und weniger
nach geschlechtsspezifischen Rollenverteilungen wahr. Eggen/Ulrich, 2015.
45 Die Pflege von erwachsenen Haushaltsmitgliedern wurde hier aufgrund geringer Fallzahlen nicht berücksichtigt. Insgesamt gaben 2,3 % der Befragten in
Baden-Württemberg an, erwachsene Haushaltsmitglieder zu pflegen. Bei diesen lag die durchschnittliche Dauer der Pflege bei 47 Minuten pro Tag. Die Angaben beziehen sich auf Pflege von erwachsenen Haushaltsmitgliedern als Hauptaktivität. Daher ist davon auszugehen, dass damit der tatsächliche Aufwand
für Pflege tendenziell unterschätzt wird.
12
Report: Familie und Zeit
in Baden-Württemberg
Schaubild 4
Unbezahlte Arbeit in Paarfamilien nach ausgewählten Aktivitäten
und Geschlecht in Baden-Wüttemberg 2012/2013
Angaben in Stunden je Tag
06:27
insgesamt
Küche
Putzen, Wäsche
Garten, Tierpflege, Handwerk
Einkaufen, Behördengänge, Inanspruchnahme von Dienstleistungen
Kinderbetreuung, Pflege von Kindern
03:11
01:14
00:21
01:19
00:19
00:22
00:34
Männer
00:42
00:21
01:29
00:46
sonstige Tätigkeiten im Bereich Haushaltsführung
00:29
00:16
Wegezeiten
00:32
00:15
Ehrenamt, Unterstützung anderer Haushalte
Frauen
00:20
00:19
Datenquelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg.
Statistisches Landesamt Baden-Württemberg
6 16
Ergebnisse einer qualitativ-quantitativen Studie des Fritz-Erler-Forums Baden-Württemberg (2015) zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der Befragten im Land zwar
das Ideal einer partnerschaftlichen Aufgabenteilung teilt, in der Realität aber sehr große Diskrepanzen zwischen Wunsch und Wirklichkeit bestehen und es zu einer Verschiebung zu Lasten der Frauen kommt.46 Die Wahrnehmung der Geschlechter im
Hinblick auf die Frage, wer welchen Anteil der Hausarbeit übernimmt, geht bundesweit und auch in Baden-Württemberg auseinander. Während 34 % der baden-württembergischen Männer der Meinung sind, dass die Hausarbeit überwiegend von ihrer
Partnerin übernommen wird, sagen 58 % der Frauen, dass sie hauptsächlich für den
Haushalt zuständig sind.47
1.3.4 Zeit für Kinder
Nach Auswertungen des Statistischen Bundesamts verbringen Eltern in Deutschland
im Durchschnitt 1 Stunde und 20 Minuten pro Tag mit der Betreuung von Kindern unter
46 Fritz-Erler-Forum Baden-Württemberg, 2015, S. 20. Zur tatsächlichen Arbeitsteilung in Familien vgl. auch Report Familien in Baden-Württemberg 3/2014
„Väter“, S. 10 f, http://www.fafo-bw.de/BevoelkGebiet/FaFo/Familien_in_BW/R20143.pdf (abgerufen am 12.10.2015).
47 Fritz-Erler-Forum Baden-Württemberg, 2015, S. 21. Für bundesweite Ergebnisse vgl. Calmbach et al., 2014, S. 18.
13
in Baden-Württemberg
Report: Familie und Zeit
18 Jahren (Tabelle 1).48 Dabei ist der Zeitaufwand von Müttern mit 1 Stunde und
45 Minuten etwa doppelt so hoch wie der von Vätern (51 Minuten). Am meisten Zeit
verbringen Eltern mit der Beaufsichtigung und Pflege, mit Spielen und Sport sowie mit
Fahrdiensten und Terminen, zu denen das Kind begleitet werden muss. Auf die so genannte „Begleitmobilität“ entfällt ein Viertel der gesamten Kinderbetreuungszeit. Wie
viel Zeit Eltern für die Kinderbetreuung aufwenden, ist auch stark abhängig vom Alter
des Kindes. Ist das jüngste Kind unter 6 Jahre alt, verwenden Eltern dreimal so viel Zeit
für die Kinderbetreuung wie Eltern, deren jüngstes Kind 6 bis unter 18 Jahre alt ist.49
Ergebnisse zum subjektiven Zeitempfinden zeigen, dass bundesweit 32 % der Väter
und 19 % der Mütter in Alleinerziehenden- und Paarhaushalten der Meinung sind,
nicht genügend Zeit für ihre Kinder zu haben.50
Tabelle 1
Zeitaufwand für Kinderbetreuung in Alleinerziehenden- und Paarhaushalten
in Deutschland 2012/2013
Mütter
Insgesamt
Kinderbetreuung
Väter
insgesamt
nicht erwerbstätig
erwerbstätig
02:35
01:21
Stunden je Tag
Kinderbetreuung insgesamt
01:20
00:51
01:45
Beaufsichtigung und Körperpflege
00:31
00:17
00:43
01:14
00:28
Hausaufgabenbetreuung
00:05
00:02
00:07
00:09
00:06
Spielen und Sport
00:18
00:16
00:19
00:28
00:15
Gespräche und Vorlesen
00:06
00:03
00:08
00:09
00:08
Begleiten und Wege
00:19
00:11
00:26
00:33
00:22
Sonstiges
00:01
(00:01)
00:02
(00:02)
(00:02)
Abweichungen in den Summen sind rundungsbedingt.
Datenquelle: Statistisches Bundesamt 2015a, S.12.
Erwerbstätige Mütter verbringen 1 Stunde und 14 Minuten weniger pro Tag mit der
Kinderbetreuung als Mütter, die nicht erwerbstätig sind, und damit in etwa halb so viel
Zeit wie diese. Besonders groß ist der Unterschied bei der Beaufsichtigung der Kinder
(46 Minuten). Keine oder sehr geringe Unterschiede zeigen sich bei Gesprächen und
beim Vorlesen sowie bei der Hausaufgabenbetreuung.
Diese Ergebnisse bestätigen im Wesentlichen Analysen aus dem Deutschen Institut
für Wirtschaftsforschung (DIW), die zeigen, dass eine höhere Erwerbstätigkeit der
Mütter deren Kinderbetreuungszeit nur geringfügig reduziert und so gut wie keinen
48 Die Angaben in diesem Abschnitt beziehen sich auf Angaben zur Kinderbetreuung als Hauptaktivität. Bezieht man Angaben zur Kinderbetreuung als
Nebenaktivität mit ein, dann erhöht sich der tägliche Zeitaufwand für Kinderbetreuung um 45 Minuten auf 2 Stunden und 5 Minuten pro Tag. Statistisches
Bundesamt 2015a, S. 14.
49 Statistisches Bundesamt 2015a, S. 12.
50 Für weitere Ergebnisse zum subjektiven Zeitempfinden und zu Zeitwünschen von Familien vgl. Statistisches Bundesamt, 2015, S. 10.
14
in Baden-Württemberg
Report: Familie und Zeit
Einfluss auf die Häufigkeit gemeinsamer Aktivitäten von Eltern und Kindern hat.51 Danach waren bei keiner Aktivität Unterschiede zwischen Kindern vollzeiterwerbstätiger
und nicht erwerbstätiger Mütter festzustellen. Für Kinder teilzeiterwerbstätiger Mütter
war eine etwas geringere Häufigkeit bei der Aktivität „Auf den Spielplatz gehen“ zu
beobachten, dafür höhere Häufigkeiten bei der Aktivität „Geschichten vorlesen“ für
Kinder in der Altersgruppe 5 bis 6 Jahre.52 Die vorliegenden Analysen zeigen, dass
erwerbstätige Mütter eher an Eigenzeit und an Erholungszeiten (zum Beispiel Schlaf)
sowie an Zeit, die sie mit Freunden verbringen, oder für Hausarbeit sparen als an Zeit
mit ihren Kindern.53
Im Vergleich zu 2001/2002 ist der Zeitaufwand für die Betreuung von Kindern unter
18 Jahren nach Auswertungen des Statistischen Bundesamts bei Müttern und Vätern
um täglich rund 10 Minuten angestiegen. Väter mit jüngstem Kind unter 6 Jahren engagieren sich heute mehr bei der Beaufsichtigung und der Pflege der Kinder, Mütter
verwenden etwas mehr Zeit für Spielen und Sport. Sowohl bei Müttern als auch bei
Vätern hat der Zeitaufwand für Fahrdienste und Begleiten der Kinder zugenommen.54
Mütter und Väter inves­
tieren heute im Schnitt
täglich 10 Minuten mehr
in die Betreuung ihrer
Kinder als vor 11 Jahren.
Dieser Befund, dass Eltern heute – trotz Geburtenrückgang, steigender Erwerbstätigkeit von Müttern und dem Ausbau der Kinderbetreuung – mehr Zeit für die Kinder­
betreuung aufwenden, ist für einen längeren Zeitraum auch durch amerikanische Zeitbudgetstudien und internationale Vergleiche belegt.55 Erklärt wird dies unter anderem
damit, dass die Bildungsanforderungen an Kinder und damit verbunden der Erwartungsdruck, unter dem Eltern stehen, weltweit in allen OECD-Ländern im Vergleich zu
den 1960er-Jahren deutlich angestiegen ist.56
51 Prognos-AG, 2014, S. 266 f. Im Rahmen der Analysen des DIW wurden folgende Aktivitäten untersucht: (Vor-)Singen von Kinderliedern, Spaziergänge an
der frischen Luft, malen oder basteln, Geschichten vorlesen oder erzählen/Bilderbücher anschauen, auf den Spielplatz gehen, Besuch bei anderen Familien
mit Kindern, mit dem Kind einkaufen gehen, zusammen Fernsehen/Video/DVD ansehen. Für Kinder im Alter von 5 bis 6 Jahren wurden zusätzlich folgende
Aktivitäten untersucht: zusammen Computer/Internetspiel machen, Karten- oder Würfelspiele oder andere gemeinsame Spiele, Besuch Kindertheater,
Zirkus, Museum, Ausstellung oder ähnliches. DIW, 2013, S. 150 f.
52 DIW, 2013, S. 155.
53 DJI, 2015, S. 11. Zu diesem Ergebnis kam auch der Monitor Familienleben 2012: Wenn Mütter nicht genug Zeit für alles haben, machen sie zuerst bei sich
selbst Abstriche (78 %), dann bei der Hausarbeit (48 %) und bei ihren Freundinnen und Freunden (42 %). An der Zeit für den Partner (8 %) und für die
Kinder (3 %) wird von den Müttern dagegen zuletzt gespart. Institut für Demoskopie Allensbach, 2012, S. 25.
54 Statistisches Bundesamt, 2015a, S. 13.
55 BMFSFJ (Hrsg.), 2006, S. 222; Bertram/Deuflhard, 2015, S. 127.
56 Bertram/Deuflhard, 2015, S. 127.
15
in Baden-Württemberg
Report: Familie und Zeit
2. Zeitpolitik für Familien
2.1 Aktuelle Entwicklungen
Familienzeitpolitik verfolgt das Ziel, die Zeitsouveränität von Familien zu erhöhen und
damit ihre Lebensqualität zu verbessern.57 Sie hat sich bundesweit zu einem wichtigen familienpolitischen Handlungsfeld entwickelt, das vor allem durch den Siebten
(2006) und Achten (2012) Familienbericht verstärkt ins Blickfeld geraten ist. Konkrete
Umsetzungsschritte in den letzten Jahren waren beispielsweise Initiativen im Bereich
der kommunalen Familienzeitpolitik (vgl. Abschnitt 2.2), das Unternehmensprogramm
und die Initiative „Neue Zeiten für Familie“, das ElterngeldPlus oder die Einführung der
Familienpflegezeit.58
Viel diskutiert wurde in den letzten Jahren auch die sogenannte Familienarbeitszeit,
die einen Beitrag für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf leisten und eine partnerschaftliche Aufgabenteilung unterstützen soll. Das Konzept wurde vom DIW im
Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung entwickelt. Es sieht vor, dass Eltern von Kindern
im Alter von 1 bis 3 Jahren eine partielle Lohnersatzleistung erhalten, wenn sowohl die
Mutter als auch der Vater 32 Stunden pro Woche erwerbstätig sind und Erwerbsarbeit,
Haushalt und Kinderbetreuung damit partnerschaftlich aufteilen. Nach Berechnungen
des DIW würde dies dazu führen, dass zukünftig 2 % der Familien, und damit doppelt
so viele wie bisher, dieses Arbeitsmodell wählen. Aktuell werden auch alternative Modelle diskutiert, die statt der starren Vorgabe von 32 Stunden einen flexiblen Korridor
von 28 bis 32 Stunden oder statt einer Lohnersatzleistung, die an das bisherige Vollzeiteinkommen gekoppelt ist, eine Pauschalleistung vorsehen.59
Eine aktuelle Stellungnahme des Deutschen Jugendinstituts (2015) bündelt zentrale
Aussagen zur Zeit- und Familienpolitik und spiegelt damit den derzeitigen Stand der
Diskussion zur Zeitpolitik für Familien wider. Das DJI betont, dass Zeitressourcen für
Familien im Dreiklang nachhaltiger Familienpolitik ebenso wichtig sind wie Ressourcen im Bereich von Geld und Infrastruktur. Insbesondere für gering verdienende Familien müssten zeitpolitische Optionen allerdings mit geldpolitischen Absicherungen
verknüpft werden.60
Einerseits zeichnet sich Familienzeitpolitik durch eine starke Alltagsorientierung aus.
Hierbei spielen sowohl das örtliche Lebensumfeld von Familien als auch die betriebliche Ebene eine wichtige Rolle. Andererseits weist der Achte Familienbericht darauf
hin, dass eine grundsätzliche Umverteilung von Zeit im Lebenslauf, zwischen Generationen sowie zwischen Geschlechtern anzustreben sei.61 Auch das DJI betont die Notwendigkeit, die Alltagsorientierung in der Familienzeitpolitik systematisch durch einen
„konsequenten Lebenslaufbezug“ zu ergänzen.62 Dazu müssten (auch gesetzliche)
Möglichkeiten geschaffen werden, die es erlauben, Sorgeaufgaben in sorge­intensiven
57 In der Diskussion einer neu ausgerichteten Konzeption von Wohlstand werden Zeitwohlstand und Zeitsouveränität als wesentliche Element von Lebensqualität gesehen. BMFSFJ (Hrsg.), 2012, S. 5 ff sowie Rinderspacher, 2012.
58 Metker, 2014.
59 Diese Lösung würde den Verwaltungsaufwand verringern und wäre sozial ausgewogener, da einkommensschwache Haushalte im Vergleich zum bisherigen
Vorschlag mehr und einkommensstarke Haushalte weniger Geld bekommen würden. DIW, 2015.
60 DJI, 2015, S. 3. Die Stellungnahme kann unter folgendem Link heruntergeladen werden: http://www.dji.de/fileadmin/user_upload/dasdji/stellungnahmen/
2015/2015_08_24_Familienzeitpolitik.pdf (abgerufen am 29.09.2015).
61 BMFSJ (Hrsg.), 2012, S. 136.
62 DJI, 2015, S. 2.
16
in Baden-Württemberg
Report: Familie und Zeit
Phasen besser gerecht zu werden als bisher. Gefordert wird – in Deutschland und
anderen europäischen Ländern – schon seit längerem eine neue Konstruktion von Lebensläufen, die die als „Rushhour des Lebens“ bezeichnete Lebensphase entzerrt
und im gesamten Lebenslauf Zeiten für Sorgeverantwortung vorsieht. Dabei existieren
unterschiedliche – im europäischen Ausland teilweise erprobte – Modelle.63
In Deutschland gehen Überlegungen hierzu bis in die 1980er-Jahre zurück.64 Diskutiert
werden in diesem Zusammenhang beispielsweise die im Siebten Familienbericht vorgeschlagenen „Optionszeiten“, „Carezeitbudgets“ oder aktuell „atmende Lebensverläufe“.65 „Atmende Lebensverläufe“ sollen eine individuelle und flexible Gestaltung
der Lebensverläufe von Männern und Frauen ermöglichen, die Raum lässt für – sozial
abgesicherte – Sorgeverantwortung für Kinder und ältere Angehörige oder ehrenamtliche Tätigkeit. Die Vorstellung ist, dass durch Rückgriff auf ein Zeitkonto von insgesamt
etwa 5 bis 8 Jahren, das allen zusteht, Arbeitszeiten für Sorgetätigkeiten entweder
phasenweise verkürzt oder unterbrochen werden können und es dafür einen steuerfinanzierten Lohnausgleich gibt. Dafür wäre es erforderlich, starre Verrentungsgrenzen
aufzugeben, so dass auch die gewonnenen Lebensjahre danach für Erwerbsarbeit genutzt werden können. Zum anderen müssen Karrierewege auf dem Arbeitsmarkt so
umgestaltet werden, dass Auszeiten, Arbeitszeitverkürzungen, Wieder- und Neueinstiege jederzeit möglich sind und nicht zu persönlichen Einbußen mit Blick auf das Einkommen, die Karrierechancen oder die Alterssicherung führen.66 Das DJI weist darauf
hin, dass für eine solche lebenslaufbezogene Neukonzeption zukünftig „…konsistente
arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen sind, die
über eine sogenannte Familienarbeitszeit hinausgehen.“67
Zeitpolitik für Familien hat neben diesen lebenslauf- oder lebensphasenorientierten
Ansätzen einen starken Bezug auf den konkreten Alltag von Familien und umfasst ein
breites Spektrum an möglichen Maßnahmen und Initiativen. Im Rahmen der Demografiestrategie der Bundesregierung wurde das Thema auf der Grundlage des Achten
Familienberichts aufgegriffen. In drei Unterarbeitsgruppen wurden Möglichkeiten der
politischen Umsetzung erarbeitet. Diese widmeten sich zeitpolitischen Initiativen auf
kommunaler Ebene, in der Arbeitswelt sowie familienunterstützenden haushaltsnahen Dienstleistungen.68 Diese drei Perspektiven sollen auch im Folgenden berücksichtigt werden. Im Mittelpunkt stehen dabei Erfahrungen und innovative Ansätze in
­Baden-Württemberg, der Schwerpunkt liegt auf kommunaler Familienzeitpolitik. Für
die anderen beiden Bereiche wird anhand je eines Beispiels aus der Praxis schlaglichtartig ein Blick auf mögliche Lösungsansätze bzw. aktuelle Entwicklungen in
­Baden-Württemberg geworfen.
63 DJI, 2015, S. 17. Zum belgischen Modell des „Time Credit Scheme“ vgl. beispielsweise DJI, 2015, S. 18. Das DJI weist darauf hin „…dass die meisten bisherigen Modelle insofern gescheitert sind, als „angesparte Zeiten“ weit überwiegend für einen früheren Rentenbeginn genutzt worden sind, jedoch nicht
für Phasen der Sorgearbeit.“. DJI, 2015, S. 17.
64 Jurczyk, 2015b.
65 Siehe auch Jurczyk, 2015a/2015b.
66 DJI, 2015, S. 16 ff. Diskutiert wird auch eine breitere Neukonzeption des Erwerbsverlaufs, die nicht nur Zeiten für Sorgearbeit, sondern auch für (Weiter-)
Bildung, zivilgesellschaftliches Engagement und Eigenzeiten vorsieht.
67 DJI, 2015, S. 3.
68 BMFSFJ, 2014b, S. 7 f.
17
Report: Familie und Zeit
in Baden-Württemberg
2.2 Kommunale Familienzeitpolitik
Kommunen und Akteuren vor Ort kommt eine Schlüsselrolle zu, wenn es darum geht,
die Zeitsouveränität von Familien im Alltag zu stärken. Die folgende Definition des
­BMFSFJ skizziert wesentliche Elemente einer kommunalen Familienzeitpolitik: 69
„Der Begriff „kommunale Familienzeitpolitik“ im hier gebrauchten Sinn umfasst grundsätzlich alle Maßnahmen, die vor Ort dazu beitragen, Zeitkonflikte von Familien zu reduzieren. Dazu stimmen Kommunen, Arbeitgeber, Bildungs- und Betreuungseinrichtungen, Dienstleister, Verkehrsbetriebe und Freizeitanbieter ihre Zeitstrukturen und deren
Taktungen entsprechend den Bedürfnissen von Familien besser aufeinander ab. Ziel
der kommunalen Familienzeitpolitik ist es, die Lebensqualität von Familien zu steigern
und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Familienzeitpolitik ist nicht
Infrastrukturpolitik, jedoch eng mit dieser verzahnt. Die Maßnahmen von Zeitpolitik
erstrecken sich im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes auf alle Bereiche des kommunalen Lebens und schaffen damit für Familien in verschiedenen Alltagsbereichen
Entlastung. Kommunale Familienzeitpolitik ist darüber hinaus fest in den Organisationsstrukturen der Kommune verankert, wird meist auch zentral von dort koordiniert und ist
damit ein dauerhaftes Element kommunaler Planungsprozesse.“70
Wichtig sind also eine breite Vernetzung und Beteiligung einerseits und eine zentrale kommunale Steuerung und dauerhafte Verankerung andererseits. Darüber hinaus
tragen das aktive Einbeziehen von Familien vor Ort sowie eine zielgruppengerechte
Kommunikation und wirksame Öffentlichkeitsarbeit entscheidend zum Gelingen kommunaler Familienzeitpolitik bei.71 Vor dem Hintergrund von bundesweiten Praxiserfahrungen hat das Bundesfamilienministerium sieben Handlungsfelder kommunaler Familienzeitpolitik identifiziert:72
„„
„„
„„
„„
„„
„„
„„
Zeiteffiziente Mobilität
Betreuungs- und Bildungsinfrastrukturangebote nach Maß
Familienbewusste Arbeitswelt und Ausbildung
Erreichbare, flexible Gesundheitsangebote
Flexible Bereitstellung von Dienstleistungen und Versorgung
Bürgernahe und serviceorientierte Verwaltung
Familienorientierte Freizeitangebote
Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass Familienzeitpolitik immer in verschiedenen lokalen Handlungsfeldern gleichzeitig ansetzen sollte und es darum geht, ein stimmiges
Gesamtkonzept zu entwickeln. Wesentlich sind außerdem klare Zuständigkeiten und
ein koordiniertes Handeln über Bereichsgrenzen hinweg.73 Kommunale Familienzeitpolitik ist sowohl für kleine Gemeinden, für mittelgroße Städte und Landkreise sowie
für Großstädte relevant. Die Rahmenbedingungen, Schwerpunkte sowie die konkrete Umsetzung variieren jedoch abhängig von der Größe der Kommune.74 Ein Familien-
69 Zur kommunalen Familienzeitpolitik vgl. auch Report Familien in Baden-Württemberg 3/2013 „Kommunale Familienpolitik“, Seite 20 ff,
http://www.statistik-bw.de/BevoelkGebiet/FaFo/Familien_in_BW/R20133.pdf (abgerufen am 05.11.2015).
70 BMFSFJ, 2014a, S. 9.
71 BMFSFJ, 2014a, S. 22; BMFSFJ, 2014b, S. 15.
72 BMFSFJ, 2014a. Diese Handlungsfelder sind nicht ausschließlich. Erfahrungen aus der Praxis zeigen jedoch, dass dies entscheidende Ansatzpunkte sind,
um Zeitkonflikte von Familien zu reduzieren. BMFSFJ 2014b, S. 14.
73 BMFSFJ, 2014b, S. 13.
74 BMFSFJ, 2014a, S. 25.
18
in Baden-Württemberg
Report: Familie und Zeit
Zeit-Bericht kann helfen, sich ein genaues Bild über die Lage vor Ort zu machen und
Ansatzpunkte in der jeweiligen Kommune identifizieren.75
Sowohl im Rahmen des Pilotprojekts „Kommunale Familienzeitpolitik“ als auch durch
die Großstadtinitiative „Neue Zeiten für Familie“ wurden in den letzten Jahren bundesweit Erfahrungen bei der Umsetzung kommunaler Familienzeitpolitik gesammelt und
unterschiedliche Ansätze erprobt.76
Für das Pilotprojekt „Kommunale Familienzeitpolitik“ wurden von Mai 2012 bis Dezem­
ber 2013 fünf Lokale Bündnisse für Familie in Deutschland (Aachen, Herzogenrath,
Landkreis Donau-Ries, Neu Wulmsdorf und Saalekreis) als Modellstandorte ausgewählt, um Konzepte und praktische Maßnahmen zu erproben, durch die Zeitkonflikte
von Familien entschärft werden können. Dabei ging es auch darum, eine systematische Vorgehensweise zu entwickeln, um Familienzeitpolitik auf kommunaler Ebene zu
realisieren sowie Erfolgsfaktoren und Hemmnisse zu identifizieren.77 Die Ergebnisse
und Erfahrungen sind in den im Frühsommer 2014 veröffentlichten Praxisleitfaden des
Bundesfamilienministeriums „Kommunale Zeitpolitik für Familien“ eingeflossen.78 Die
Erfahrungen an den fünf Standorten zeigen, dass die Hauptauslöser für Zeitkonflikte
von Familien überall nahezu dieselben waren.79 Dazu zählen die Erkrankung eines Familienmitglieds, Überstunden und Mehrarbeit, Staus und Rushhour-Verkehr, unpassende
Öffnungszeiten von Ämtern und Arztpraxen, Freizeitaktivitäten der Kinder, mangelnde
Betreuungsangebote in den Schulferien, lange Wege und unflexible Arbeitszeiten.
Die Großstadtinitiative „Neue Zeiten für Familie“ (2013 – 2014) verfolgte das Ziel, Familienzeitpolitik in den teilnehmenden Städten einzuführen, den Austausch der Städte untereinander zu befördern sowie Aktivitäten im Bereich Familienzeitpolitik zu fördern.80
Insgesamt wirkten 39 Städte aus dem gesamten Bundesgebiet und damit mehr als
die Hälfte der Großstädte in Deutschland an der Initiative mit.81 Gemeinsame Arbeitsschwerpunkte waren Ferienganztagsbetreuung in allen Ferienzeiten, Familienzeit in
einer Wissenschaftsstadt, familienfreundliche Verwaltung im Dienstleistungsbereich
(E-Government) sowie Familienzeit in Stadtplanung und Architektur. Die Vorgehensweise, Ergebnisse, Handlungsempfehlungen sowie weiterführende Informationen zur
Initiative und zum Thema kommunale Familienzeitpolitik wurden in der Dokumentation
„Die Initiative „Neue Zeiten für Familie“. Impulse aus der Praxis deutscher Großstädte
für eine kommunale Familienzeitpolitik“ zusammengefasst.82
75 BMFSFJ, 2014a, S. 45.
76 Einen Überblick über bisherige zeitpolitische Maßnahmen in Deutschland gibt auch der Monitor Familienforschung des BMFSFJ (2014b) zum Thema „Mehr
Zeit für Familien – kommunale Familienzeitpolitik in Deutschland“: http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/MonitorFamilienforschung-Ausgabe-33,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf (abgerufen am 10.11.2015).
77 BMSFJ, 2014a, S. 13.
78 Der Praxisleitfaden kann unter folgendem Link abgerufen werden: http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/familie,did%3D207994.html (abgerufen am 05.11.2015).
79 Trotz der strukturellen Unterschiede zwischen den einzelnen Standorten und im Hinblick auf die Erwerbs-und Familienkonstellationen unterschieden sich
die Hauptauslöser allenfalls in der Gewichtung. BMFSFJ, 2014a, S. 15.
80 Weitere Informationen unter: http://www.lokale-buendnisse-fuer-familie.de/grossstadtinitiative.html (abgerufen am 09.11.2015).
81 Teilnehmende Städte aus Baden-Württemberg waren Heidelberg, Karlsruhe und Mannheim.
82 Die Dokumentation kann unter folgendem Link abgerufen werden: http://www.lokale-buendnisse-fuer-familie.de/fileadmin/user_upload/lbff/Gross
stadtinitiative/Broschuere_NZfF_Doppelseitig.pdf (abgerufen am 09.11.2015).
19
in Baden-Württemberg
Report: Familie und Zeit
Kommunale Familienzeitpolitik – Praxisbeispiele aus Baden-Württemberg
Im Folgenden werden Beispiele innovativer und guter Praxis aus Baden-Württemberg
vorgestellt, die das breite Spektrum familienzeitpolitischer Ansätze und Maßnahmen
auf kommunaler Ebene widerspiegeln. Häufig geht es weniger darum, große und teure
Maßnahmen auf den Weg zu bringen als darum, vorhandene Angebote und Strukturen
unter einem neuen Blickwinkel zu betrachten sowie diese besser aufeinander abzustimmen und bekannter zu machen. Im Handlungsfeld „Bürgernahe und serviceorientierte Verwaltung“ können beispielsweise Zeitkonflikte von Familien schon dadurch
entschärft werden, dass Bürgerbüros und Stadtverwaltungen auch samstags geöffnet
sind. Dafür finden sich in Baden-Württemberg unterschiedliche Modelle.
Praxisbeispiel
Lauchheim: Familienfreundliche Öffnungszeiten der Stadtverwaltung
Bereits seit ca. 7 Jahren hat man in Lauchheim Erfahrungen mit familienfreundlichen Öffnungszeiten in der Stadtverwaltung. Das ursprüngliche Modell sah
vor, dass die Stadtverwaltung jeden zweiten Samstag je 2 Stunden geöffnet
hat. Mittlerweile ist jeden letzten Samstag im Monat von 8.00 Uhr bis 11.00 Uhr
geöffnet. Das Team in Lauchheim umfasst drei Mitarbeiterinnen, von denen
jede viermal pro Jahr samstags arbeitet. Das Angebot, auf das Bürgerinnen
und Bürger regelmäßig persönlich hingewiesen werden, hat sich bewährt und
wird gut angenommen.
Flexible und bedarfsgerechte Betreuungsangebote sind ein Schlüssel zur Vereinbarkeit
von Familie und Beruf und zur zeitlichen Entlastung von Eltern. Befragungen machen
deutlich, dass für Mütter und Väter vor allem durch eine zu kurze Betreuung am Nachmittag, unflexible Bring- und Abholzeiten sowie zu lange Ferienzeiten Probleme entstehen.83 Die folgenden beiden Praxisbeispiele nehmen das Thema Ferienbetreuung
in den Blick und zeigen, wie es durch innovative Ansätze und breite Netzwerke gelingen kann, eine verlässliche und umfangreiche Ferienbetreuung für Kinder anzubieten.
Praxisbeispiel
Heidelberg: „FerienTicket. Ferienbetreuung ist Chefsache“. Ein innovatives
Angebot für Familienfreundliche Betriebe mit berufstätigen Eltern84
Das Heidelberger FerienTicket wurde in der Arbeitsgruppe „Ferienbetreuung“
des „Bündnis für Familie Heidelberg“ in einem breiten Netzwerk mit allen
relevanten Einrichtungen und Trägern entwickelt. Das FerienTicket ist ein Gutschein für die Bezuschussung von Ferienbetreuung. Arbeitgeber können beim
„Bündnis für Familie Heidelberg“ das „FerienTicket-Paket“, das die eigentlichen
FerienTickets sowie Informationsmaterial umfasst, bestellen. Sie versehen
diese Tickets unternehmensintern mit einem individuellen Zuschussbetrag,
83 Prognos AG, 2015, S. 26 f.
84 Weitere Informationen finden sich unter http://www.familienfreundliche-kommune.de/FFKom/Praxisbeispiele/detail.asp?221000.4.xml (abgerufen am
11.11.2015).
20
in Baden-Württemberg
Report: Familie und Zeit
der an die Verwendung für die Ferienbetreuung des Kindes gekoppelt ist,
und verteilen diese FerienTickets an die Beschäftigten. Diese wählen aus dem
umfangreichen Ferienangebot in Heidelberg und Umgebung eine passende
Veranstaltung aus, melden ihr Kind an und lassen im Anschluss vom Anbieter die Teilnahme bestätigen. Die Ferienbetreuungsangebote der Anbieter in
Heidelberg stehen schon zu Jahresbeginn fest und werden von der Stadt über
ein Ganzjahresprogramm kommuniziert. Das ermöglicht Eltern eine gewisse
Planungssicherheit und trägt damit zu einer besseren Vereinbarkeit von Beruf
und Familie bei. Mit dem Projekt „FerienTicket. Ferienbetreuung ist Chefsache!“ hat das Bündnis für Familie Heidelberg eine konkrete Lösung entwickelt,
mit der Ferienbetreuung unkompliziert auch von kleinen Betrieben unterstützt
und gefördert werden kann.
Praxisbeispiel
Meckenbeuren-Hegenberg: Inklusion durch Kooperation: Ferienprogramme
für Kinder mit und ohne Behinderung85
In Meckenbeuren-Hegenberg hat sich die Gemeinde Meckenbeuren mit mehreren regionalen Trägern für ein umfassendes (8 Wochen im Jahr) und inklusives
Ferienprogramm zusammengeschlossen, in dem über 40 junge Ehrenamtliche
mitarbeiten. Das aufwändige Ferienbetreuungsangebot umfasst Plätze für bis
zu 100 Kinder im Grundschulalter. Neben der Gemeinde Meckenbeuren beteiligen sich folgende Träger an dem Projekt „Ferienspaß im Schussental“, das
auch durch die Kinderland Stiftung Baden-Württemberg gefördert wird:
•
•
•
•
•
Familientreff der Caritas Bodensee-Oberschwaben, Ravensburg
Bund der deutschen katholischen Jugend (BDKJ) Dekanat Ravensburg
Stiftung Liebenau, Fachbereich Kinder, Jugend und Familie der St. GallusHilfe, Meckenbeuren
Bildungszentrum Hort St. Konrad, Ravensburg-Weingarten
Verein Schweizer Kinder e.V.
Den Eltern steht durch das Projekt ein verlässliches und qualitativ hochwertiges Ferienangebot zur Verfügung, durch das die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf erleichtert wird. Wichtig ist dabei die barrierefreie Ausgestaltung der
Ferien- und Freizeitangebote, die sich an Kinder mit Behinderungen, die zuhause bei ihren Eltern leben, und an Kinder ohne Behinderungen richten. Darüber
hinaus sollen durch das Projekt auch Kinder aus sozial benachteiligten Lebensverhältnissen erreicht werden, die in der Regel nur über eine direkte Ansprache
für freizeitpädagogische Maßnahmen zu erreichen sind. Durch die Einbeziehung der Mitarbeitendenkinder der Stiftung Liebenau sowie von Kindern aus
der Gemeinde Meckenbeuren in dieses Programm begegnen sich Kinder gleichen Alters aus der Region, die aufgrund ihrer unterschiedlichen Lebenswelten
sonst im Alltag kaum oder keine Berührungspunkte haben.
85 Weitere Informationen unter http://www.kompetenzzentrum-bw.de/FFBetr/Praxisbeispiele/detail.asp?435035.2.xml (abgerufen am 1.12.2015).
21
in Baden-Württemberg
Report: Familie und Zeit
Die Schulferienbetreuung wird durch die Einrichtungen selbst, die Gebühren der
Eltern und die Stiftung Kinderland Baden-Württemberg finanziert. Die Einrichtungen teilen sich die organisatorischen Aufgaben und die dafür anfallenden
Kosten auf: Durch die Zusammenarbeit mit dem BDKJ können für die Betreuung der Kinder ehrenamtlich tätige Jugendleiterinnen und Jugendleiter gewonnen und eingesetzt werden. Für die Ansprache der Kinder aus sozial benachteiligten Familien ist eine regelmäßige Zusammenarbeit mit den Beratungsstellen
in der Region notwendig (Caritas). Der Verein Schweizer Kinder e.V. ist in die
Finanzierung von Teilnehmendenbeiträgen für Kinder aus sozial benachteiligten Lebensverhältnissen eingebunden. Mitarbeiterinnen (FSJ, Fachkräfte…)
des Bildungszentrums St. Konrad arbeiten regelmäßig mit. Ebenso muss übers
Jahr der Einsatz der ehrenamtlich Tätigen geplant und die inhaltliche Ausgestaltung der Arbeit weiterentwickelt werden. Um das Programm für Kinder mit
unterschiedlichen Behinderungen sozial barrierefrei gestalten zu können, ist
sowohl in der Vorbereitung wie auch in der Durchführung eine Einbeziehung
von Fachkräften aus dem Bereich der Eingliederungshilfe notwendig (St. Gallus-Hilfe gGmbH). Die Gemeinde Meckenbeuren kommuniziert die Angebote
über die kommunale Berichterstattung (Gemeindeblatt) sowie Kindergärten
und Grundschulen der Gemeinde (Hauptamt Gemeindeverwaltung). Darüber
hinaus bezuschusst sie die Ferienbetreuung mit 5 000 Euro pro Jahr.
2.3 Betriebliche Familienzeitpolitik
Arbeitszeiten sind zentrale Taktgeber für erwerbstätige Mütter und Väter. Daher spielen Arbeitgeber auch in kommunalen Netzwerken eine entscheidende Rolle, wenn
es darum geht, mehr Zeitsouveränität für Familien zu ermöglichen. Innerbetrieblich
tragen beispielsweise familienorientierte Arbeitszeitmodelle, betriebliche oder betrieblich unterstützte Kinderbetreuung oder Informations- und Beratungsangebote zu haushaltsnahen Dienstleistungen zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf
bei. Nicht nur die Betreuung von Kindern, sondern auch die Pflege von Angehörigen
stellt Erwerbstätige oft vor große Herausforderungen. Das Projekt „Vereinbarkeit von
Pflege und Beruf“ zeigt, wie es im betrieblichen Kontext gelingen kann, Zeitkonflikte
von Familien durch eine bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu entschärfen.86
86 Ein weiteres Praxisbeispiel zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf sind „Betriebliche Pflegelotsen“, die ihren Kolleginnen und Kollegen
im Unternehmen als Ansprechpartner/-innen zum Thema Angehörigenpflege zur Verfügung stehen. „Betriebliche Pflegelotsen“ können beispielsweise
als erste Anlaufstelle für Betroffene im Unternehmen fungieren, bündeln wichtige Informationen zum Thema Beruf und Pflege, übernehmen wertvolle
Lotsenfunktionen und stehen für Beschäftigte in der Pflegezeit als Kontaktpersonen zur Verfügung. Seit Frühjahr 2014 haben sich über 30 Beschäftige aus
Heidelberg und Umgebung vom Heidelberger Bündnis für Familie zum „Betrieblichen Pflegelotsen“ fortbilden lassen Weitere Informationen unter: http://
www.familie-heidelberg.de/wp-content/uploads/sites/6/2015/03/Flyer_Pflegelotse.Sommer.2015.pdf (abgerufen am 13.01.2016).
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in Baden-Württemberg
Praxisbeispiel
Report: Familie und Zeit
Vereinbarkeit von Pflege und Beruf bei der Volksbank Karlsruhe eG. In Koope­
ration mit Beratungsstellen pflegende Beschäftigte unterstützen
Mit Inkrafttreten des Familienpflegezeitgesetzes am 1. Januar 2012 wuchs bei
der Volksbank Karlsruhe zunehmend die Erkenntnis der Notwendigkeit, Maßnahmen und Angebote für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf im eigenen
Unternehmen bereit zu stellen. Durch das Projekt „Vereinbarkeit von Pflege
und Beruf“ möchte die Volksbank Karlsruhe ihren Beschäftigten eine schnelle,
individuelle und auf deren Bedürfnisse zugeschnittene Unterstützung bieten. Im Unternehmen wurde ein für das Thema zuständiger Ansprechpartner
bzw. eine Ansprechpartnerin benannt. Zweimal im Jahr finden zudem offene
„Sprechtage“ in den Räumen der Volksbank Karlsruhe statt. Hierbei kommen
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von den regionalen Beratungsstellen in
das Unternehmen und stehen für Fragen der Beschäftigten zur Verfügung. Die
Beschäftigten haben darüber hinaus auch die Möglichkeit, die Beratungsleistungen nach Bedarf – unabhängig von den „Sprechtagen“ – in Anspruch zu
nehmen. Hierfür stehen die Kontaktdaten der Expertinnen und Experten im
Intranet. Beschäftigte können sich anonym an die Beratungsstelle wenden. Von
Unternehmensseite gibt es keine Deckelung der Inanspruchnahme der Beratung. Ergänzt wird das Angebot mit Einzelcoachings bzw. Einzelberatungen
durch interne Coaches. Hier erfolgt eine intensive individuelle Beratung und
Unterstützung. Die Volksbank Karlsruhe organisiert zudem regelmäßig Vorträge für die Beschäftigten im Unternehmen, die rund um das Thema Pflege
informieren und sensibilisieren. Durch die Kooperation mit dem örtlichen
Caritasverband ist gewährleistet, dass das Fachwissen rund um das Thema
Pflege immer auf dem neuesten Stand ist. Außerdem kooperiert die Volksbank
Karlsruhe mit dem Seniorenbüro der Stadt Karlsruhe. Caritasverband und Seniorenbüro der Stadt Karlsruhe stellen die Dozentinnen und Dozenten und die
Expertinnen und Experten für die Beratungen und Vorträge.
Mitarbeitende aus dem Personalbereich informieren Führungskräfte über die
Unterstützungsmöglichkeiten des Unternehmens. Führungskräfte sind angehalten, das Thema Pflege in Einzelgesprächen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einzubeziehen. Zudem wurde das Thema Pflege in Führungskräftefortbildungen aufgenommen.
Die Resonanz bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf die beschriebenen
Angebote war von Anfang an ausgesprochen positiv. Zum Teil war man von
der großen Resonanz sogar überrascht und hatte vorher nicht mit so einem
großen Zuspruch gerechnet. Insgesamt wird durch die Maßnahmen verstärkt
auf das Thema der Pflege aufmerksam gemacht und damit gleichzeitig in die
öffentliche Wahrnehmung gerückt. Die Volksbank Karlsruhe stellte fest, dass
mit den Angeboten zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf vor allem die Beschäftigten erreicht werden konnten, die bisher keine anderen familienbewussten Maßnahmen im Unternehmen in Anspruch nahmen.
23
Report: Familie und Zeit
in Baden-Württemberg
2.4 Haushaltsnahe Dienstleistungen
Haushaltsnahe Dienstleistungen können helfen, Müttern und Vätern mehr Zeit für die
Familie zu verschaffen und sind vor allem für Alleinerziehende eine wichtige Unterstützung. Häufig fehlt es jedoch an qualitativ hochwertigen, leicht verfügbaren und
verlässlichen Angeboten. Der Ausbau und die Förderung von familienexternen Dienstleistungen tragen dazu bei, dass durch Möglichkeiten zur Auslagerung von Haus- und
Familienarbeit mehr Raum für Qualitätszeit in Familien zur Verfügung steht.87 Ein wichtiger Schritt dabei ist, einen Überblick über den Markt haushaltsnaher Dienstleistungen
zu ermöglichen und den Zugang zu bestehenden legalen Angeboten zu erleichtern.
Praxisbeispiel
Haushaltsnahe Dienste Baden-Württemberg. Entlastung im Alltag
Um Familien im Haushalt oder bei der Kinderbetreuung zu entlasten, ältere
oder pflegebedürftige Menschen zu Hause zu unterstützen und Berufstätigen
mehr Zeit für ihr Privatleben zu ermöglichen, hat die FamilienForschung BadenWürttemberg im Statistischen Landesamt im Auftrag des Ministeriums für
Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg
das Online-Portal „Haushaltsnahe Dienste Baden-Württemberg“ erstellt. Im
Februar 2016 geht das Portal unter www.haushaltsnahedienste-bw.de online.
Es bietet vielfältige Informationen für alle, die haushaltsnahe Dienstleistungen
anbieten oder in Anspruch nehmen möchten, wie Hinweise zu Kontaktstellen
und Ansprechpartner/innen im Land, zur Qualitätsentwicklung oder zu Veröffentlichungen rund um das Thema haushaltsnahe Dienstleistungen.
Zudem beinhaltet das Online-Portal eine Datenbank mit ausgewählten Anbieterinnen und Anbietern von Dienstleistungen für Haushalt und Garten sowie
Kinder- und Seniorenbetreuung in Baden-Württemberg. Zur Aufnahme in die
Datenbank müssen sich die Anbieterinnen und Anbieter auf Qualitätskriterien
verpflichten, die auf dem bundesweit aktuellen Stand der Diskussion zur Qualitätssicherung beruhen. Kundinnen und Kunden können über eine einfache
Suche mittels Postleitzahl oder Karte schnell und transparent das passende
Angebot finden.88
87 BMFSFJ (Hrsg.), 2012, S. 136.
88 Auch auf Bundesebene ist eine Dienstleistungsplattform geplant, die Nutzerinnen und Nutzern Informationen, Service und Beratung zu haushaltsnahen
Dienstleistungen bieten und die Etablierung von Qualitätsstandards in der Branche unterstützen soll, vgl. Deutscher Bundestag, 2014, S. 5 f.
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in Baden-Württemberg
Report: Familie und Zeit
3. Haushaltsnahe Dienstleistungen in Europa:
der belgische Dienstleistungsscheck
Die staatliche Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen soll einerseits zu quantitativen und qualitativen Verbesserungen in diesem Bereich führen und andererseits
den Bereich der Schattenwirtschaft in Privathaushalten eindämmen. Haushaltsnahe
Dienstleistungen werden in Europa entweder durch Steuervergünstigungen (zum Beispiel in Deutschland oder Großbritannien) oder/und durch Gutscheinsysteme (zum
Beispiel in Belgien, Frankreich oder Österreich) gefördert. Insgesamt zeichnen sich
Länder, in denen die Inanspruchnahme legaler haushaltsnaher Dienstleistungen hoch
ist, auch durch ein hohes Fördervolumen aus.89
In Deutschland ist die Professionalisierung und Qualitätssicherung im Bereich haushaltsnaher Dienstleistungen seit vielen Jahren in der Diskussion.90 In einigen europäischen Nachbarländern werden haushaltsnahe Dienstleistungen sehr viel stärker genutzt als in Deutschland. Manchen Ländern ist es in den vergangenen Jahren zudem
gelungen, eine deutlich umfangreichere reguläre Beschäftigung in diesem Bereich zu
erreichen. Im Folgenden geht der Blick nach Belgien, wo es seit über 10 Jahren ein
Gutschein-Modell gibt, durch das haushaltsnahe Dienstleistungen in erheblichem Umfang staatlich subventioniert werden.91
Das belgische Dienstleistungsscheckmodell hat eine explizit arbeitsmarktpolitische
Ausrichtung und verfolgt neben der Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und
Beruf sowie von Pflege und Beruf folgende Ziele: 92
„„ Förderung der Beschäftigung von geringqualifizierten, insbesondere langzeitarbeitslosen Personen
„„ Verringerung der Schattenwirtschaft und Überführung illegaler in legale
Beschäftigung
„„ Steigerung und Verbesserung des Angebots an Dienstleistungen im Haushalt.
Durch den Dienstleistungsscheck, der für 9,00 Euro erhältlich ist und einen Wert von
22,04 Euro hat, werden Angebot und Nachfrage haushaltsnaher Dienstleistungen subventioniert, das heißt, die Differenz von 13,04 Euro übernimmt der belgische Staat.
Zusätzlich können Haushalte ihren Anteil von der Steuer absetzen. In der Regel können
pro Person höchstens 400 bis 500 Dienstleistungsschecks pro Jahr bestellt werden,
pro Haushalt 1 000. Haushalte von Alleinerziehenden oder Menschen mit Behinderungen können mehr Schecks beanspruchen. Der Dienstleistungsscheck kann bei einer zertifizierten Dienstleistungsagentur eingelöst werden, die ausschließlich festangestellte und sozialversicherte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vermittelt.93 Seit der
Einführung 2004 hat sich sowohl die Zahl der Nutzenden als auch der professionellen
89
90
91
92
93
Prognos AG, 2012, S. 43.
BMFSFJ, 2007 Prognos AG, 2012.
Für Informationen zu Frankreich, Österreich und dem Vereinigten Königreich vgl. Prognos AG, 2012, S. 41 ff.
Prognos AG, 2012, S.48 f.
Schleiden-Hecking, 2015.
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in Baden-Württemberg
Report: Familie und Zeit
Dienstleistungsunternehmen in Belgien deutlich erhöht.94 Bis 2012 sind zusätzlich
170 000 reguläre Arbeitsplätze entstanden, die Zahl der zugelassenen Dienstleistungsunternehmen lag 2012 bei 4 000 (2009: 2 300). Die Anzahl der Nutzenden stieg von
660 000 im Jahr 2009 auf 850 000 im Jahr 2012.95
94 Siehe hierzu auch Prognos AG, 2012, S. 49, BMFSFJ, 2007, S. 28.
95 Prognos AG, 2012, S. 49, BMFSFJ, 2007, S. 28.
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in Baden-Württemberg
Report: Familie und Zeit
Impressum
Der Report „Familien in Baden-Württemberg“ erscheint im Rahmen der Familienberichterstattung halbjährlich als Online-Publikation. Er enthält aktuelle Daten und
wissenschaftliche Erkenntnisse zu verschiedenen Familienthemen und kann unter
www.fafo-bw.de/Familien_in_BW kostenlos abonniert werden.
Herausgeber
Ministerium für Arbeit und Sozialordnung,
Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg
Schellingstr. 15
70174 Stuttgart
Tel.: 0711 - 123 - 0
Fax: 0711 - 123 - 39 99
Internet: www.sozialministerium-bw.de
Redaktion
FaFo FamilienForschung Baden-Württemberg
Erich Stutzer, Dr. Stephanie Saleth
Böblinger Straße 68
70199 Stuttgart
Tel.: 0711 - 641 - 20 33
Fax: 0711 - 641 - 24 44
Internet: www.fafo-bw.de
Layout und Umsetzung
Brigitte Fölker, Jeannette Hartmann, Jasmin Isaku, Wolfgang Krentz
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