BSD DGSM-Kongressbericht 2015

10.12.2015
23. DGSM-Jahrestagung in Mainz:
Leben wir in einer schlaflosen Gesellschaft?
„Im Wald spinnt sich wohliges Dunkel von Baum zu Baum. Schlaftrunk’nes Himmelsgefunkel trägt
dich von Traum zu Traum.“ So idyllisch wie in Michael Bauers Gedicht „Abend in der Pfalz“ geht es in
unserer heutigen Welt leider kaum noch zu: Ständige Erreichbarkeit per E-Mail und Smartphone,
Schichtarbeit und allgegenwärtiger Verkehrslärm haben uns in eine 24-Stunden-Gesellschaft verwandelt. Auch der zunehmende Arbeitsstress raubt immer mehr Menschen den Schlaf.
Ein Drittel unseres Lebens verbringen wir im Schlaf. Je nach unserer individuellen Schlafdauer und
dem Lebensalter, das wir erreichen, verschlafen wir 19 bis 26 Jahre unseres Lebens! Schon das ist
ein Beweis dafür, dass diese nächtliche Ruhephase eine wichtige Funktion erfüllen muss: „Sonst
hätte die Natur das nicht so eingerichtet“, betont der Schlafmediziner und Psychologe Dr. Hans-Günter Weeß.
Wie wichtig dieses Lebensdrittel ist, das wir schlafend verbringen, zeigt die Forschung der letzten
Jahre: Während wir schlafen und das Bewusstsein ausgeschaltet ist, verarbeitet unser Gehirn alles,
was wir am Tag erlebt und gelernt haben. Neue Lernerfahrungen werden im Schlaf noch einmal wiederholt, sortiert, geordnet und schließlich fest im Langzeitgedächtnis gespeichert. Auch unser Körper
regeneriert sich im Schlaf. Schlafmangel und Schlafstörungen schwächen das Immunsystem und
können Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, aber auch psychische Probleme wie
Depressionen und Angststörungen verursachen.
Aber: „Schlaf ist in unserer heutigen Gesellschaft leider nicht mehr `in´“, stellt Dr. Weeß fest. „Bis
heute hat das Ansehen des Schlafes vor allem in den westlichen Industrienationen sehr gelitten.
Nicht wenige sind nach wie vor davon überzeugt, dass der Schlaf ein notwendiges Übel ist, das auf
ein Minimum beschränkt werden sollte. Führungskräfte, Politiker und Manager liefern sich einen
Wettstreit, wer am wenigsten Schlaf benötigt. Während die Deutschen Anfang des 20. Jahrhunderts
im Durchschnitt noch acht bis neun Stunden schliefen, sind wir heute bei gut sieben Stunden angelangt.“
„Die schlaflose Gesellschaft“ – das war das Motto der 23. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft
für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) in Mainz. Wo liegen die Ursachen unseres wachsenden Schlafdefizits, und was kann man dagegen tun?
Lärm rund um die Uhr
Viele Störfaktoren liegen in unserer modernen Zivilisation begründet, deren Annehmlichkeiten wir
heute nicht mehr missen möchten – die unserem Schlaf aber eben leider nicht immer zuträglich ist.
Wer empfindet es nicht als angenehm, mit dem ICE oder Flugzeug innerhalb von ein paar Stunden
nach Paris, Istanbul oder Hongkong reisen zu können? Für viele Politiker, Manager und Geschäftsleute
sind unsere modernen Verkehrsmittel längst unentbehrlich geworden.
Die Kehrseite der Medaille ist die ständige Geräuschkulisse, die diese Verkehrsmittel erzeugen. Umweltlärm durch Straßen-, Bahn- und Flugverkehr kann den Schlaf nachhaltig beeinträchtigen und die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigen. Welche Art von Verkehrslärm den stärksten
Einfluss hat, ist bisher nicht eindeutig geklärt. Im Rahmen der vor kurzem veröffentlichten NORAH-Studie wurde nächtlicher Fluglärm im Vergleich zu Bahn- oder Straßenlärm als belästigender empfunden.
Jeder dritte Schichtarbeiter leidet unter Schlafstörungen
Ein weiteres zunehmendes Problem ist die Schichtarbeit. In Schwerin, Berlin und anderen Städten
haben erste Kitas schon rund um die Uhr geöffnet – und was bleibt ihnen auch anderes übrig, wenn Eltern Tag und Nacht im Einsatz sind? Tatsächlich erfordert unsere 24-Stunden-Gesellschaft immer mehr
Schichtdienst: 2012 arbeitete jeder elfte Arbeitnehmer in Deutschland nachts – Männer deutlich häufiger
als Frauen. 2014 leisteten schon 16% aller Deutschen Schichtarbeit.
Die Auswirkungen auf Schlaf und Gesundheit sind immens: Mehr als 30% aller Schichtarbeiter klagen
über Schlafstörungen. Darüber hinaus haben sie ein höheres Risiko für Magen-Darm- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Außerdem ist das Unfallrisiko bei Schichtarbeitern auf dem Nachhauseweg um das
bis zu Achtfache erhöht. Ein erhöhtes Krebsrisiko ist wissenschaftlich noch nicht gesichert; viele Untersuchungen deuten jedoch darauf hin.
Ein Problem der meisten wissenschaftlichen Studien zum Thema Schichtarbeit ist, dass sie den Chronotyp der Probanden nicht berücksichtigen und die Ergebnisse dementsprechend unpräzise sind. Denn
natürlich macht es einen großen Unterschied, ob jemand eine „Eule“ oder eine „Lerche“ ist: Abendtypen kommen aufgrund ihres flexibleren Schlaf-wach-Rhythmus mit der Spät- und Nachtschicht besser
zurecht als Morgentypen. Dafür haben Eulen Probleme bei der Frühschicht: Sie können wegen der nach
hinten verlagerten Taktung ihrer inneren Uhr nur schwer früher zu Bett gehen. Aufgrund dieses verkürzten Schlafs leiden sie unter Tagesschläfrigkeit und Einschränkungen im Leistungsvermögen.
„Generell sollten Schichtpläne möglichst individuell ausgerichtet und am spezifischen Chronotyp orientiert sein“, empfiehlt Prof. Dr. Thomas Erren, der als Facharzt für Arbeits- und Umweltmedizin am Universitätsklinikum Köln tätig ist. Nur leider ist das nicht in allen Betrieben möglich. Die Spätschicht
entspricht der inneren Uhr der meisten Menschen noch am ehesten; trotzdem wird sie bei Befragungen
von den Arbeitsnehmern nicht positiv bewertet, weil sie sie vom sozialen Leben abschneidet.
Unausgeschlafene Führungskräfte – schlechte Entscheidungen
Rund 20% aller Manager, Führungskräfte und Politiker schlafen weniger als fünf Stunden. Mehr als die
Hälfte der Spitzenkräfte in unserem Land fühlt sich chronisch übermüdet und trifft doch in diesem kritischen Zustand wichtige Entscheidungen für Unternehmen und Gesellschaft. „Unter Schläfrigkeit sind
rationale Entscheidungsprozesse eingeschränkt“, erklärt Tagungspräsident Dr. Weeß. „Man ist risikofreudiger; auch ethisch-moralische Grundsätze werden bei Übermüdung vernachlässigt. Vor diesem
Hintergrund ist manche wichtige Entscheidung, die im Rahmen von Nachtsitzungen gefällt wird, kritisch
zu hinterfragen.“
Das Allensbacher Institut führte im Auftrag des Wirtschaftsmagazins „Capital“ eine repräsentative Studie an 519 Spitzenpolitikern, Unternehmenschefs und Behördenleitern durch. Demnach würden die befragten Führungskräfte pro Nacht 40 Minuten mehr Schlaf benötigen. 18% der Befragten aus der
Wirtschaft und 31% der Spitzenpolitiker schlafen der Umfrage zufolge weniger als fünf Stunden. 61%
der Politiker gaben an, sich regelhaft unausgeschlafen zu fühlen; bei den Topmanagern war es jeder
zweite. Dies habe nach Aussage von 57% der Befragten schon einmal zu entscheidenden Konsequenzen wie z.B. müdigkeitsbedingten Zugeständnissen geführt.
Allerdings sahen die Chefs auch Positives in dem karrierebedingten Schlafmangel: „Jeder Zweite aus
Politik und Verwaltung glaubte, dass er als Normal- oder Vielschläfer keine Chance auf einen Spitzenjob
gehabt hätte.“
Morgenstund – kein Gold im Mund
Ob Arbeit oder Schule – in Deutschland geht das Leben zeitig los, nach einer Umfrage des Forsa-Instituts
im Durchschnitt schon frühmorgens um 6.48 Uhr. Aber die Mehrzahl der Deutschen ist nicht ausgeschlafen und benötigt einen Wecker, um morgens aufzuwachen. Denn die gesellschaftlich festgelegten Zeiten
für den frühen Arbeits- und Schulbeginn stimmen mit der inneren Uhr der meisten Menschen nicht überein.
Der Schlafmangel beginnt schon in der Schule: Jugendliche kommen durch den auch im europäischen
Vergleich sehr frühen Schulbeginn in ein chronisches Schlafdefizit. Während fast alle Kleinkinder Frühaufsteher sind, ändert sich das im Lauf der Entwicklung: Mit Beginn der Pubertät verschiebt sich der Chronotyp zunehmend in Richtung Spättyp. Jugendliche sind abends lange wach und würden morgens gerne
länger schlafen, wenn man sie nur ließe. Der frühe Schulbeginn führt zu Übermüdung und Lernschwierigkeiten.
„Chronobiologisch gesehen beginnt für Jugendliche der Unterricht mitten in der Nacht“, so Dr. Weeß. Tatsächlich fängt der Schulunterricht in den meisten Ländern deutlich später an – z.B. in England, Schweden und Portugal erst um neun Uhr – und ist damit besser an den natürlichen Lebensrhythmus der
Jugendlichen angepasst. Untersuchungen belegen, dass die Schulleistungen am späteren Vormittag sehr
viel besser sind als frühmorgens: „Ein ein bis zwei Stunden späterer Schulbeginn in der Oberstufe könnte
sich günstig auf Leistungsfähigkeit und Aufnahmebereitschaft auswirken“, betont Dr. Manfred Betz vom
Institut für Gesundheitsförderung und -forschung im hessischen Dillenburg. Und: „Klausuren sollten aus
Gründen der Chancengleichheit eigentlich erst ab elf Uhr vormittags stattfinden“, empfiehlt Dr. Weeß.
Aufgrund dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse setzt sich auch unsere Familienministerin für einen späteren Schulbeginn ein. Dieser wäre allerdings kaum durchführbar, wenn man nicht gleichzeitig auch die
Arbeitszeit später beginnen lassen würde: Denn heutzutage sind in den meisten Familien beide Elternteile
berufstätig und müssen, bevor sie zur Arbeit fahren, erst noch die Kinder versorgen und oft auch in die
Schule bringen. Deshalb stünden Eltern vor einem schwierigen Problem, wenn die Schule später anfinge
als ihr eigener Arbeitstag.
Ein späterer Schulbeginn müsste also zwangsläufig auch mit einem späteren Arbeitsbeginn einhergehen.
Dadurch würde sich unsere berufliche Leistungsfähigkeit erhöhen: Denn auch viele Erwachsene leiden
unter dem zu frühen Arbeitsbeginn. Nur ein Sechstel unserer Gesellschaft ist morgens um sechs oder
sieben Uhr, wenn viele Menschen zu arbeiten beginnen, bereits wach und fit: „Wünscht man sich ausgeschlafene und leistungsfähige Mitarbeiter, die wenig Fehler machen, müssten die Arbeitszeiten später beginnen, optimal wäre zwischen neun und elf Uhr. Noch besser wäre es, die Arbeitszeit flexibel zu
gestalten, angepasst an die individuelle Chronobiologie jedes Mitarbeiters“, rät Dr. Weeß.
Mit dem Smarthphone ins Bett…intergruznd ist manche wichtige
Bei Kindern und Jugendlichen gibt es außer dem frühen Schulbeginn noch etliche weitere Schlafräuber:
nämlich Internet, Smartphone und PC. Vor allem die abendliche und nächtliche Smartphone-Nutzung ist
problematisch, warnt Dr. Betz: „Die Mehrzahl der Jugendlichen hat ihr Smartphone am Bett. Über die Erfassung der letzten Onlinezeit bei WhatsApp konnte gezeigt werden, dass viele bis weit nach Mitternacht
noch mit ihrem Smartphone aktiv waren. Jugendliche, die ihr Smartphone am Bett nutzen, schlafen weniger und schlechter.“
Solche Aktivitäten wirken gleich aus zwei Gründen schlafstörend: Der Blaulichtanteil von LED-Computerbildschirmen und Smartphone-Displays unterdrückt die Produktion unseres körpereigenen Schlafhormons Melatonin, das normalerweise abends und nachts ausgeschüttet wird. Aber auch die Art der
Tätigkeit (Computerspiele, Surfen im Internet, Chatten) macht es den Jugendlichen schwer, abzuschalten
und in einen entspannten, erholsamen Schlaf zu finden. Kritisch sind hier vor allem die aggressiven Inhalte vieler Computerspiele zu sehen: Um „weiterzukommen“, muss man oft aggressives Verhalten an
den Tag legen. Auch das ist nicht gerade die beste Einstimmung in einen friedlichen Schlummer.
Das Schlimme daran: Im Kindes- und Jugendalter wird das Schlafverhalten gebahnt, zu dem man dann
auch im Erwachsenenalter neigt. Um den gesundheitsschädlichen Medienkonsum bei Jugendlichen zu
reduzieren, sollte die Nutzung von Smartphone & Co möglichst klar geregelt werden. Ein wichtiger Ansatzpunkt für mehr Leistung und Wohlbefinden wäre der Verzicht auf digitale Medien in den letzten zwei
bis drei Stunden vor dem Schlafen.
Können Smartphone-Apps und Internetprogramme bei Schlafstörungen helfen?
Andererseits nutzen immer mehr Menschen Apps und Internetprogramme als Hilfen zur Verbesserung ihres
Schlafs: Fitness-Tracker und Schlaf-Armbänder sind im Trend. Smartphone-Apps und internetbasierte Therapieprogramme werden nun auch als Hilfsmittel bei Schlafstörungen angeboten. Wie zuverlässig sind die
Messungen von Schlaf-Apps? Verraten sie wirklich, ob man zu wenig oder schlecht schläft? Kann man mit
Armbändern seinen Schlaf verbessern?
„Es ist nicht immer einfach, klinisch sinnvolle und wissenschaftlich fundierte Apps und Internetprogramme
von Angeboten zu unterscheiden, die viel versprechen, aber nichts davon einlösen“, gibt Prof. Dr. Dipl.Psych. Dieter Riemann zu bedenken. „Was Smartphone-Apps betrifft, so ist es durchaus sinnvoll, z.B.
Schlaftagebücher, die bisher ja handausgefüllt wurden, auch als Smartphone-Application umzusetzen. Dies
ermöglicht eine zeitnahe Erhebung und auch eine Rückmeldung, etwa in Form von Grafiken“, so Prof. Riemann.
Was aber ist von Schlaf-Apps, Fitness-Trackern und Armbändern zu halten, die eine individuelle „Schlafanalyse“ versprechen? „Eine ganze Reihe von Apps suggerieren, die Qualität des eigenen Schlafs zu erfassen
und Rückmeldungen zu geben, ob der Schlaf erholsam ist oder nicht und dass er sich verbessern lässt“,
warnt Dr. Weeß. „Von der technischen Seite her sind das keine validen Diagnoseinstrumente.“ Während im
professionellen Schlaflabor mit sensiblen Messgeräten Hirnströme, Muskel-, Augenbewegungen und Herzfrequenz aufgezeichnet und wissenschaftlich ausgewertet werden, registrieren die Fitness-Tracker oft sehr
ungenau die Bewegungen des Schläfers und lassen ihn mit den Ergebnissen allein. Die große Gefahr liege
darin, dass Anwender bei vermeintlich schlechten Daten entweder unnötig verunsichert werden oder sich bei
angeblich guten Ergebnissen in Sicherheit wiegen, obgleich sie tatsächlich unter einer behandlungsbedürftigen Schlafstörung leiden. Deshalb seien solche „Handgelenks-Ärzte“ sehr kritisch zu bewerten.
Gemeinsames Schlafzimmer – oder lieber doch nicht?
Selbst der gemeinsame Schlafraum kann zum Störfaktor für einen erholsamen Schlaf werden – wobei
Frauen den Paarschlaf weniger positiv empfinden als Männer. Welche Rolle spielt das gemeinsame Schlafen
für die Qualität der Beziehung? Und welchen Einfluss kann dabei der angeborene Chronotypus haben – ob
der Partner zu den frühaufstehenden „Lerchen“ oder eher zu den „Nachteulen“ gehört? Auch hierzu gibt es
neue Erkenntnisse.
Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, wie sehr der Chronotypus die Qualität einer Beziehung beeinflussen kann. „Chronotypus-ähnliche Paare zeigen mehr Flexibilität und Anpassungsfähigkeit in ihrer ehelichen
Problemlösung. Ähnlich kurze Einschlafzeiten beider Partner wirken sich positiv auf die Partnerinteraktion
tagsüber aus“, erklärt Prof. Dr. med. Kneginja Richter von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Nürnberg. „Paare mit unterschiedlichem Chronotypus – zum Beispiel ein Abendtyp und ein Morgentyp – gaben an, mehr Konflikte, weniger Zeit für ernsthafte Konversationen und gemeinsame Aktivitäten und
auch weniger sexuelle Kontakte zu haben als Paare mit dem gleichen Chronotyp.“
Nach einer neueren Studie wird bei Frauen der Schlaf durch den Partner eher gestört, während Männer generell besser schlafen, wenn ihre Partnerin nebenan liegt. „Evolutionsbiologische Theorien erklären dies mit
der Sozialisation von Mann und Frau“, erklärt Dr. Weeß. Die Frau fühle sich beim Schlaf in der Gruppe in ihrer
Mutter- und Beschützerrolle. Nach der sozialen Rollenaufteilung falle der Frau eher die Verantwortung für die
Versorgung und Pflege von Familienmitgliedern zu. Die Nacht wird zur zweiten Arbeitsschicht – und wer
schläft an seinem Arbeitsplatz schon gut? Der Mann hingegen fühle sich in der Gruppe sicher und geborgen
und schlafe daher besser, wenn die Partnerin neben ihm liegt.
Hinzu kommt, dass der Schlaf von Frauen ohnehin leichter und störbarer ist als der von Männern. Außerdem
bewegen Männer sich im Schlaf öfter als Frauen und schnarchen auch häufiger und lauter, was viele Bettgenossinnen als schlafstörend empfinden.
Schlafapnoe ist nicht gleich Schlafapnoe
Auch zum Thema der schlafbezogenen Atemstörungen gab es neue Erkenntnisse. Der Schlafmediziner Holger Woehrle plädierte für eine P4-Medizin, wobei die 4 P’s für „Predict“ (Vorhersehen), „Prevent“ (Vorbeu-
gen), „Personalize“ (personalisierte Medizin) und „Participate“ (Teilhabe des Patienten an seiner Therapie) stehen. Nach der Devise „Wir behandeln nicht den Befund, sondern den individuellen Patienten“
spricht Woehrle sich für eine Phänotypisierung von Patienten mit schlafbezogenen Atemstörungen aus,
um diese individueller behandeln zu können und unnütze Therapien zu vermeiden. Denn Schlafapnoe
ist nicht gleich Schlafapnoe: Es gibt unterschiedliche Phänotypen (Erscheinungsbilder) dieser Erkrankung.
Die Schlafapnoe-Patienten lassen sich – so Woehrle – grob in drei verschiedene Kategorien unterteilen:
Bei manchen Patienten äußert sich die Schlafapnoe hauptsächlich in gestörtem Schlaf, der oft auch mit
morgendlichen Kopfschmerzen und depressiver Verstimmung einhergeht. Dieser Phänotyp herrscht vor
allem bei weiblichen Patienten vor: „Die landen eher beim Neurologen als im Schlaflabor.“
Ferner gibt es den Schlafapnoe-Patienten, der gar nicht unter seiner schlafbezogenen Atemstörung leidet oder höchstens minimale Symptome verspürt. In der dritten Gruppe ist der Leidensdruck aufgrund
der ausgeprägten Tagesschläfrigkeit höher.
Ebenso unterschiedlich reagieren Schlafapnoe-Patienten auf eine CPAP-Therapie: Bei manchen lässt
sich ein bestehender Bluthochdruck durch die Behandlung positiv beeinflussen, bei anderen nicht. Und
man weiß bisher auch nicht, wie viele Stunden pro Nacht ein Patient sein CPAP-Gerät denn eigentlich
nutzen muss, um von seiner Therapie zu profitieren, denn auch das ist individuell verschieden: „Manche
nutzen ihr Gerät nur wenige Stunden, und ihr Blutdruck sinkt trotzdem. Andere wenden die Therapie
länger an, ohne dass sich dies auf ihren Blutdruck auswirkt.“
Auch andere Symptome oder Folgeerscheinungen einer Schlafapnoe sprechen individuell sehr unterschiedlich auf die CPAP-Therapie an. Hier könnte nach Ansicht von Dr. Woehrle eine personalisierte
Therapie ansetzen – indem man z.B. Patienten, bei denen durch CPAP der Blutdruck sinkt und die Beschwerden sich bessern, zu einer konsequenten weiteren Anwendung ihrer Therapie ermutigt, während
Schlafapnoiker, deren Bluthochdruck nicht auf CPAP anspricht, vielleicht lieber eine andere, eventuell
medikamentöse Therapie erhalten sollten.
Bessere Compliance durch Telemonitoring
Es kommt also darauf an, die richtige Behandlung für den richtigen Patienten zu wählen – und ihn
gleichzeitig auch stärker in seine Therapie einzubinden. Der Trend zu einer intensiven Einbeziehung der
Patienten in ihre medizinische Versorgung ist allgegenwärtig, und offenbar wird diese aktive Mitwirkung
von den Patienten auch gewünscht – das kann man bei der Therapie chronischer Erkrankungen wie
Diabetes, Asthma oder Herzinsuffizienz schon seit längerem beobachten.
Eine gute Methode, Schlafapnoe-Patienten bei der Stange zu halten, ist die Therapieüberwachung per
Telemonitoring, die es ermöglicht, bei schlechter Compliance oder sonstigen Problemen auf den Patienten zuzugehen und ihm bei der Bewältigung seiner Schwierigkeiten zu helfen.
„Oft sind die Gründe für einen Therapieabbruch ganz banal: Unbequemlichkeit, Unbehagen, oder die
Partnerin zieht nicht mit“, erklärte der Schlafmediziner Professor Dr. Joachim Ficker, dessen Vortrag
zeigte, dass sich die Anzahl der Therapieabbrüche durch Telemonitoring halbieren lässt.
Und wer soll das alles bezahlen? „Wenn man den Krankenkassen sagt: Es gibt eine Therapie, die die
Compliance verdoppelt, dann müssen die Kostenträger auch in die Tasche greifen“, meint Professor
Ficker. „Das ist jedenfalls meine persönliche Hoffnung.“
Voll im Trend: Alternativen zu CPAP –gerne auch im Kombipack
Es mehren sich die Beweise dafür, dass Protrusionsschienen zur Vorverlagerung des Unterkiefers bei
Schlafapnoe in vielen Fällen genauso wirksam sind wie eine CPAP-Therapie. So gibt es beispielsweise
Daten, die zeigen, dass die Schienentherapie eine ebenso gute blutdrucksenkende Wirkung hat wie
CPAP.
Seit ein paar Jahren gibt es noch eine weitere vielversprechende Alternative zu Gerät und Maske: die
Implantation eines Schrittmachers, der den Unterzungennerv sanft stimuliert, was zu einem Vorschub
der Zunge führt und nächtliche Atemstillstände verhindert. Auch zu dieser noch relativ jungen Schlafapnoe-Therapie präsentierten HNO-Experten auf dem DGSM-Kongress positive neue Erkenntnisse.
Studien zeigen, dass die Wirksamkeit auch nach mehrjähriger Anwendung unverändert gut und die
Compliance hervorragend ist: „Die meisten Patienten spüren gar nichts von der elektrischen Stimulation des Unterzungennervs und schalten ihre Therapie daher erst morgens beim Aufstehen aus“, erklärte HNO-Arzt Dr. Clemens Heiser, „während CPAP-Patienten ihre Maske nach dem
frühmorgendlichen Toilettengang oft nicht mehr aufsetzen.“
Die Therapie hat sich bisher auch als äußerst sicher und nebenwirkungsarm erwiesen: Vorübergehende, durch ein Mikrotrauma des Nervs entstehende Zungenbewegungsstörungen können auftreten,
verschwinden nach einiger Zeit aber von selbst wieder. Das Gleiche gilt für Abschürfungen an der
Zunge, die sich ebenfalls durch Gewöhnung an die Therapie oder eine Umprogrammierung des
Schrittmachers legen.
Zugelassen ist der Zungenschrittmacher zur Behandlung von Patienten mit obstruktiver Schlafapnoe
mit einem Apnoe-Hypopnoe-Index (AHI) von 15 bis 65 pro Stunde. Ein besonders gutes Therapieansprechen zeigen nach bisherigen Erfahrungen Patienten mit einem AHI unter 50 pro Stunde und einem
Body-Mass-Index (BMI) unter 32 kg/m2, also ohne starkes Übergewicht. „Aber“, meint Dr. Heiser, „ich
glaube nicht, dass ein BMI unter 32 kg/m2 eine unabdingbare Voraussetzung für den Therapieerfolg
ist; einige meiner Patienten haben nämlich in der Zwischenzeit zugenommen, und ihre Therapie wirkt
trotzdem weiterhin gut!“
Nicht zuletzt wegen der hohen Kosten sollte der Zungenschrittmacher freilich Patienten mit CPAP-Incompliance vorbehalten bleiben: „Ich stelle alle meine Patienten zuerst auf Gerät und Maske ein.“ Nur
wenn sie die CPAP-Therapie nicht vertragen oder diese sich als ineffektiv erweist, wird die Implantation eines Zungenschrittmachers erwogen. Außerdem müssen die Patienten hierfür auch noch ein
paar andere Voraussetzungen erfüllen: So darf beispielsweise keine bekannte Silikonunverträglichkeit
und auch keine Notwendigkeit von MRT-Untersuchungen vorliegen, da Zungenschrittmacher-Patienten nicht in die „Röhre“ geschoben werden dürfen. Außerdem muss vor der Entscheidung für eine solche Therapie erst mal eine Schlafvideoendoskopie durchgeführt werden: Nur Patienten, bei denen
keine konzentrische Obstruktion hinter dem Gaumensegel vorliegt, sind für einen Zungenschrittmacher geeignet.
In der STAR-Studie, die zur Zulassung des Schrittmachers der Firma Inspire geführt hat, hatten etliche
Patienten sich zuvor bereits einer Uvulopalatopharyngoplastik (UPPP) unterzogen. Bei dieser Operation, die zur Beseitigung von Schnarchen und obstruktiver Schlafapnoe dient, werden durch eine
Straffung von Weichteilgewebe im Nasen-Rachen-Raum Engpässe in den oberen Atemwegen beseitigt. Die Gaumenmandeln werden ebenfalls entfernt. Bei den Teilnehmern der STAR-Studie hatte sich
eine vorherige UPPP positiv auf den Therapieerfolg ausgewirkt.
Immer schön auf der Seite liegen bleiben...
Bei manchen Menschen treten Schnarchen und Atemaussetzer vorwiegend in Rückenlage auf. Auch
für diese Rückenschnarcher gibt es eine Vielfalt an Therapieoptionen – von Rückenlageverhinderungswesten (sogenannten „Schnarchrucksäcken“) bis hin zu den moderneren Schlafpositionstrainern, die
dem Benutzer dazu verhelfen sollen, sich die Rückenlage ab- und die Seitenlage anzugewöhnen.
Während die „Rucksäcke“ von vielen Patienten als unbequem empfunden werden oder beim Umdrehen von einer Seite auf die andere den Schlaf stören, waren bzw. sind die bisherigen Schlafpositionstrainer nicht ganz billig, was so manchen Schnarcher oder Schlafapnoiker abgeschreckt haben mag.
Mittlerweile gibt es zwei preisgünstige und offenbar auch gut wirksame Smartphone-Apps, die zu vibrieren beginnen, sobald der Patient auf dem Rücken liegt. Die Smartphones mit den Apps „SomnoPose“ (https://itunes.apple.com/de/app/somnopose-sleep-position-monitor/id408231385?mt=8) oder
„Apnea sleep position trainer“ (http://www.androidliste.de/item/android-apps/438579/apnea-sleepposition-trainer/) werden mit einem Gurt auf der Brust befestigt und weder vom Patienten noch vom
Bettpartner als störend empfunden. Auch solche Schlafpositionstrainer können je nach Bedarf mit anderen Methoden zur Behandlung der Schlafapnoe (beispielsweise mit einer HNO-ärztlichen Operation
oder einer CPAP-Therapie) kombiniert werden.
Und wie geht es weiter mit der Schlafmedizin in Deutschland?
Rund 4,8 Millionen aller Deutschen leiden unter Ein- und Durchschlafstörungen, zwei bis drei Millionen
unter einer schlafbezogenen Atemstörung und ein bis zwei Millionen unter einem Restless Legs-Syndrom (RLS), der Krankheit der unruhigen Beine. Schätzungsweise 300.000 bis 1,9 Millionen Bundesbürger sind schlafmittelabhängig.
Leider ist unser Gesundheitssystem für die Behandlung dieser so häufigen Krankheitsbilder nur
schlecht gerüstet. Die schlafmedizinische Versorgung in Deutschland wird dem breiten Spektrum
schlafmedizinischer Erkrankungen bei weitem nicht gerecht. Ein Grund dafür ist, dass in die Problematik der Schlafstörungen nahezu alle medizinischen Fachdisziplinen einbezogen werden müssen, unser
Gesundheitssystem jedoch viel zu wenig auf Interdisziplinarität ausgerichtet ist. Hinzu kommt, dass
schlafmedizinische Leistungen in den Gebührenordnungen nicht hinreichend abgebildet sind und die
Vergütungsspirale abwärts gerichtet ist, sodass qualitätsorientierte schlafmedizinische Leistungen nicht
mehr kostendeckend erbracht werden können.
„Es besteht ein Zwiespalt zwischen dem, was wir wissenschaftlich als geboten ansehen, und dem, was
von den Kostenträgern finanziert wird“, klagt der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin, Dr. Alfred Wiater. „Es gibt ständige Auseinandersetzungen mit den medizinischen Diensten der Krankenkassen darüber, ob eine Untersuchung notwendig war oder nicht. Oft
werden die Kosten dann auch nicht erstattet.“ Das führt dazu, dass die Versorgung von Patienten mit
Schlafstörungen immer schlechter wird.
Um die Patientenversorgung zu verbessern und die negativen Folgen von Schlafstörungen für unsere
Gesellschaft zu reduzieren, beabsichtigt die DGSM, Hausärzte durch Schulungsmaßnahmen intensiver
als bisher in die schlafmedizinische Thematik einzubeziehen; denn der Hausarzt spielt als erster Ansprechpartner und „Lotse“ seiner Patienten für die Diagnostik und Therapie von Schlafstörungen und
schlafbezogenen Erkrankungen eine wichtige Rolle.
Werner Waldmann