Kanton St.Gallen Baudepartement Tiefbauamt Richtlinie TBA R Kernfahrbahnen auf übergeordneten Strassen innerorts Urs Kost Kantonsingenieur Verfasser Strassen- und Kunstbauten Version Juli 2012, ersetzt November 2015 Kernfahrbahnen auf übergeordneten Strassen innerorts 2012.03 Tiefbauamt Kanton St. Gallen R Richtlinien Kernfahrbahnen auf übergeordneten Strassen innerorts Kontaktadresse: Baudepartement Tiefbauamt Lämmlisbrunnenstrasse 54 9001 St. Gallen Kernfahrbahnen auf übergeordneten Strassen innerorts.docx Version: Nov.2015 Seite 1 von 11 Tiefbauamt Kt. St.Gallen Emch+Berger AG 1 Ziel Der vorliegende Leitfaden soll den Projektleitern des Tiefbauamtes und der Polizei primär ermöglichen, die Zweckmässigkeit einer Kernfahrbahn im Innerortsbereich zu prüfen. Wichtigstes Instrument ist die Checkliste auf Seite 9. Der Einrichtung einer Kernfahrbahn geht in der Regel eine grundlegende Überlegung zur gemischten oder getrennten Führung des Radverkehrs mit dem Motorfahrzeugverkehr voraus, bevor es zum Entscheid für eine Kernfahrbahn als besondere Lösung für enge Strassenabschnitte kommt. Bei bestehenden Strassen geht es um die geeignete Zuteilung der vorhandenen Strassenfläche; bei neuen Strassen ist die erforderliche Strassenbreite zu ermitteln (vgl. nachfolgende Abbildung). Zu diesem Fragenkomplex werden lediglich einige Hinweise gegeben. Mischverkehr Bauliche Trennung Mit Radstreifenmarkierung Radweg Radstreifen + Leitlinie Kernfahrbahn Ohne Radstreifenmarkierung Nur Leitlinie Neue Strassen Bestehende Strassen Strassenbreite Keine Markierung 2 Fahrbahngestaltung 2.1 Mischverkehr (keine Radstreifenmarkierung) Auf übergeordneten Strassen sind enge Profile (< 6.0m) im allgemeinen zu schmal für die Führung des Radverkehrs im Mischverkehr (keine Radstreifenmarkierung). Zwischenprofile (6.0-7.0m) sollten aus Sicherheitsgründen wenn möglich nicht verwendet werden. Damit besteht lediglich auf Strassen mit einer Breite von 7.00 - 7.50m und einem Verkehrsaufkommen von bis zu 10'000 MFZ/Tag eine grundsätzliche Verträglichkeit von Velofahrern im Gemischtverkehr. Bei grösseren Strassenbreiten sind zusätzliche Merkmale zu beachten. 1 1 M. Reichenbach, R. Affolter: „Strassen mit Gemischtverkehr: Anforderungen aus der Sicht der Zweiradfahrer“ SVI-Forschungsbericht 1046, Januar 2003 Kernfahrbahnen auf übergeordneten Strassen innerorts.docx Version: Nov.2015 Seite 2 von 11 Tiefbauamt Kt. St.Gallen Emch+Berger AG 2.2 Fahrbahn mit Radstreifenmarkierung 2.2.1 Kernfahrbahnen Kernfahrbahnen sind durch Markierung oder mit gestalterischen Mitteln (z.B. Materialunterschiede) ausgeschiedene Teile von Fahrbahnen. Sie stehen vorrangig dem motorisierten Verkehr zur Verfügung, reichen aber nicht aus, um die Begegnungen aller Fahrzeug-Kategorien zu gewährleisten. Sie weisen keine Leitlinie auf. Beidseits der Kernfahrbahnen liegen Radstreifen. 4.50 - 5.50m Kernfahrbahn 7.00m – 8.50m ≥1.25m Radstreifen ≥1.25m Radstreifen Grundsätze für die Einrichtung von Kernfahrbahnen sind: • • • • • • • • • • • Erheblicher Radverkehrsanteil ( ≥3% zumindest zeitweise) Gesamtfahrbahnbreite: 7.00m-8.50m Anzustrebende Radstreifenbreite: 1.50m Radstreifenmindestbreite: 1.25m (+0.50m Zuschlag bei Längsparkierung) Kernfahrbahnbreite: 4.50m-5.50m Verkehrsbelastung: ≤ 10'000 Fahrzeuge DTV Anteil Schwerverkehr inkl. Busse des ÖV: < 6% Streckenlänge: 200m-1’000m Strassencharakter: o keine Kuppen mit eingeschränkter Sichtweite o Längsneigung < 4% o Ausreichende Sichtverhältnisse bei Einmündungen o Keine Kurven mit drastischer Geschwindigkeitsreduktion o Strassenquerschnitt muss über die gesamte Strecke stetig bleiben Mittlerer Abstand der Bushaltestellen pro Fahrtrichtung mindestens ca. 400m Die Randbereiche der Fahrbahnen dürfen nicht zu einer Gefahrenquelle für die Radfahrer werden (z.B. Einlaufschächte, Poller, Parkierung, lichte Seitenfreiheit, Belagszustand, Randabschluss) Handlungsspielräume bieten sich insbesondere bezüglich des Verhältnisses von DTV – Verkehrszusammensetzung und Breite der Kernfahrbahn. Belastung DTV ≤ 10’000 ≤ 10’000 Kernfahrbahnen auf übergeordneten Strassen innerorts.docx Anteil Schwerverkehr ≤ 6% ≥ 6% Breite Radstreifen ≥ 1.25m ≥ 1.40m Version: Nov.2015 Breite Kernfahrbahn 4.50-5.50m ≥ 5.00m Seite 3 von 11 Tiefbauamt Kt. St.Gallen Emch+Berger AG Erkenntnisse aus der Praxis: Im Rahmen von Untersuchungen zu Kernfahrbahnen in den Kantonen Bern 2 und St.Gallen 3 sowie einer Forschungsarbeit der SVI im Jahr 1999 4 wurden inzwischen zahlreiche Beispiele der Einrichtung von Kernfahrbahnen mit Vorher-Nachher-Untersuchungen begleitet und analysiert. Es können folgende Erkenntnisse daraus zusammengefasst werden: 1. Die untersuchten Kernfahrbahnen funktionieren gut. 2. Die Überholmanöver von Motorfahrzeugen erfolgen mit ausreichenden und genügenden Sicherheitsabständen zu den Radfahrenden. Das Abstandsverhalten ist unabhängig von der Verkehrsmenge. 3. Kernfahrbahnen sind kein Mittel zur Geschwindigkeitsreduktion! 4. Radstreifen ≤ 1.25m sowie Radstreifen neben schmalen Längsparkstreifen werden von Radfahrern nicht angenommen und sind zu vermeiden. 5. Die Markierung von Radstreifen bewirkt beim Veloverkehr das Bestreben in der Streifenmitte zu fahren, wodurch die Abstände zum Fahrbahnrand bei schmalen Radstreifen geringer werden können, als vor einer Markierung. Deshalb ist eine ausreichende Radstreifenbreite besonders wichtig. 2.2.2 Schmalfahrbahnen Schmalfahrbahnen (Fahrstreifenbreiten zwischen 2.60m und 3.00m) wären von ihrer Gesamtfahrbahnbreite inkl. Velostreifen (7.70m-8.50m) ebenfalls zu den Kernfahrbahnen zu rechnen, weisen jedoch eine Leitlinie auf. ≥1.25m Radstreifen ≥2.80m Schmalfahrbahn ≥1.25m Radstreifen Die Ergebnisse der Untersuchungen zur Wirkungsweise von Schmalfahrbahnen in Luzern haben folgende Leistungsmerkmale ergeben: • • • Verkehrsbelastung: ≤ 20'000 Fahrzeuge DTV Busfrequenz: ≤ 30 Bussen/h im Querschnitt Fahrstreifenbreite: ≥ 2.80m je Richtung 2 Verkehrsteiner: Erfolgskontrolle zu sechs Kernfahrbahnen im Kanton Bern 2002 3 J.-L. Frossard: Kernfahrbahn – Vorher-Nachher-Untersuchung an der Bischofszellerstrasse Gossau SG 2002 4 K. Zweibrücken: “Optimierte Führung des Veloverkehrs an engen Strassenabschnitten (Kernfahrbahnen)“ Kernfahrbahnen auf übergeordneten Strassen innerorts.docx Version: Nov.2015 Seite 4 von 11 Tiefbauamt Kt. St.Gallen Emch+Berger AG Die Markierung der Leitlinie erzeugt beim motorisierten Verkehr ein deutliches Spurverhalten mit dem Bestreben, in der Fahrstreifenmitte zu fahren. Leitlinien erzeugen bei schmalen Fahrbahnquerschnitten, auch ohne Radstreifen eine Orientierung zur Leitlinie, d.h. zur Fahrbahnmitte hin, insbesondere beim Überholen von rechtsfahrenden Velos. Bei Fahrstreifen ab 2.80m Breite ist ein Überfahren der Radstreifenmarkierung selten zu beobachten. Im weiteren kann auf die Bemerkungen zu Kernfahrbahnen (Kap. 2.2.1) bezüglich Strassencharakter, Streckenlänge, Einlaufschächten und Erfahrungen aus der Praxis verwiesen werden, die gleichermassen für Schmalfahrbahnen gelten. 2.2.3 Mischformen Generell ist auf Strecken mit Längsneigung aufgrund der unterschiedlichen Geschwindigkeiten des Veloverkehrs in Auf- und Abwärtsrichtung aus der Sicht der Velofahrer verglichen mit ebenen Strecken ein grösseres Bedürfnis für einen markierten Radstreifen gegeben. Besteht die Möglichkeit nicht, so scheinen Lösungen mit asymmetrischer Fahrstreifenaufteilung grundsätzlich geeignet, sofern der Fahrstreifen der Steigung das Vorbeifahren mit ausreichendem Abstand zum Velofahrenden zulässt und in der Gegenrichtung deutlich zum Überholen zwingt. Mindestfahrstreifenbreite ohne Radstreifen ≥2.80m* ≥3.95m* ≥4% (Steigung) *Normalprofilerarbeitung auf der Basis der Verkehrszusammensetzung Kernfahrbahn bzw. Schmalfahrbahn mit einseitigem Radstreifen ≥4% Steigung ≥4% Steigung 4.50-5.50m ≥2.80m ≥2.80m Radstreifen ≥ 1.25m Radstreifen ≥ 1.25m oder Kernfahrbahn Kernfahrbahnen auf übergeordneten Strassen innerorts.docx Schmalfahrbahn Version: Nov.2015 Seite 5 von 11 Tiefbauamt Kt. St.Gallen Emch+Berger AG 3 Aspekte der Verkehrssicherheit 3.1 Beginn und Ende einer Kernfahrbahn Beginn und Ende von Kernfahrbahnen werden, wenn sie nicht direkt an Knotenpunkten oder anderen markanten Querschnittsveränderungen anschliessen bzw. enden als kritisch eingestuft. Zu dieser Problematik gibt es auch noch zu wenige Erfahrungswerte. Es gelten grundsätzlich die gleichen Prinzipien wie für die Einrichtung von Radstreifen. Vom Kanton St. Gallen (Tiefbauamt, Kantonspolizei) wurden dazu zusätzlich drei Standardlösungen entwickelt, die in den nachfolgenden Skizzen dargestellt sind. Kernfahrbahn Übergangsbereich "Normalfahrbahn" z.B. Fahrbahn ausserorts ≥1.25m Kernfahrbahn ≥1.25m 2.0m Trottoir 1.25m 1.00m Insellänge 2.00-4.00m 1.00m 1.25m 2.0m Trottoir Inseln markiert, Pflästerung, andere Farbe etc. Kernfahrbahn Übergangsbereich "Normalfahrbahn" ≥1.25m Kernfahrbahn ≥1.25m 4.0m 3.0m >4.2m z.B. Fahrbahn ausserorts 2.0m Trottoir 2.0m Trottoir Kernfahrbahn Übergangsbereich "Normalfahrbahn" z.B. Fahrbahn ausserorts 2.0m Trottoir ≥1.25m Kernfahrbahn 5.0-6.0m ≥1.25m 2.0m Trottoir aus Kostengründen kein Doppelbund, ggf. Randsteine oder Belagswechsel Kernfahrbahnen auf übergeordneten Strassen innerorts.docx Version: Nov.2015 Seite 6 von 11 Tiefbauamt Kt. St.Gallen Emch+Berger AG Auf den Beginn einer Kernfahrbahn sollte, ergänzend zu baulichen Massnahmen, durch ein entsprechendes Signal aufmerksam gemacht werden: Kernfahrbahn Kernfahrbahnen auf übergeordneten Strassen innerorts.docx Version: Nov.2015 Seite 7 von 11 Tiefbauamt Kt. St.Gallen Emch+Berger AG 3.2 Linksabbiegende Velofahrer auf Kernfahrbahnen Ein kritischer Punkt bei der Einrichtung von Kernfahrbahnen ist die Situation der linksabbiegenden Velofahrer. Zur Orientierung im unmittelbaren Knotenpunkts- bzw. Einmündungsbereich können „Aufstellhilfen“ wie eine kurzzeitige Radstreifen- oder Mittellinienmarkierung das Abbiegen erleichtern. 2.0m Trottoir ≥1.25m Kernfahrbahn ≥1.25m 2.0m Trottoir 2.0m Trottoir ≥1.25m Kernfahrbahn ≥1.25m 2.0m Trottoir 3.3 Fahrbahnangrenzende Parkierungen Fahrbahnangrenzende Parkierungen schaffen für den Veloverkehr offensichtliche Konfliktpotenziale. Der in der Norm SN 640 060 empfohlene Sicherheitsstreifen von ≥ 0.50m mindert das Kollisionsrisiko mit offenen Autotüren und ermöglicht dem Veloverkehr, die Normalfahrlinie einzunehmen. Parkstreifen Sicherheitsstreifen ≥ 0.50m Sicherheitsstreifen ≥ 0.50m Parkstreifen Kernfahrbahnen auf übergeordneten Strassen innerorts.docx Version: Nov.2015 Seite 8 von 11 Tiefbauamt Kt. St.Gallen Emch+Berger AG 4 Checkliste Kernfahrbahn innerorts Verkehrsmerkmale (erforderlich) JA NEIN VORHANDEN • Verkehrsbelastung: DTV ≤ 10'000 Fz ............................ Fz/Tag • Schwerverkehrsanteil: < 6% ............................ % • Anteil Velo ( ≥3% zumindest zeitweise) ............................ % • Gesamtfahrbahnbreite 7.00-8.50m ............................ m • Signalisierte Höchstgeschwindigkeit ............................ km/h • V85 (sofern vorhanden) ............................ km/h Streckenmerkmale JA NEIN • befindet sich innerorts • Abschnittslänge 200m-1000m • Längsneigung <4% (Gefälle/Steigung) • keine Kuppen mit eingeschränkter Sichtweite • keine Kurven, die eine starke Geschwindigkeitsreduktion verlangen • Strassenquerschnitt ist weitgehend stetig • max. 1 Haltestelle pro 400m und Richtung • an Einmündungen genügend Sichtweiten • Längsparkierung • Abgrenzung Anfang und Ende vorhanden bzw. lösbar • keine zu einer Gefahrenstelle führenden Elemente im Radstreifenbereich Strecke ist für die Einrichtung einer Kernfahrbahn geeignet Kernfahrbahnen auf übergeordneten Strassen innerorts.docx Version: Nov.2015 JA NEIN Seite 9 von 11 Tiefbauamt Kt. St.Gallen Emch+Berger AG 5 Positivbeispiel für Checkliste Kernfahrbahn innerorts Verkehrsmerkmale (erforderlich) JA NEIN VORHANDEN • Verkehrsbelastung: DTV ≤ 10'000 Fz X 8000 ............................ Fz/Tag • Schwerverkehrsanteil: < 6% X 4 ............................ % • Anteil Velo ( ≥3% zumindest zeitweise) X 7 ............................ % • Gesamtfahrbahnbreite 7.00-8.50m X 8,00 ............................ m • Signalisierte Höchstgeschwindigkeit X 50 ............................ km/h • V85 (sofern vorhanden) X 48 ............................ km/h Streckenmerkmale JA NEIN • befindet sich innerorts X • Abschnittslänge 200m-1000m X • Längsneigung <4% (Gefälle/Steigung) X • keine Kuppen mit eingeschränkter Sichtweite X • keine Kurven, die eine starke Geschwindigkeitsreduktion verlangen X • Strassenquerschnitt ist weitgehend stetig X • Max. 1 Haltestelle pro 400m und Richtung X • An Einmündungen genügend Sichtweiten X • Längsparkierung X • Abgrenzung Anfang und Ende vorhanden bzw. lösbar X • keine zu einer Gefahrenstelle führenden Elemente im Radstreifenbereich X Strecke ist für die Einrichtung einer Kernfahrbahn geeignet Kernfahrbahnen auf übergeordneten Strassen innerorts.docx Version: Nov.2015 JA X NEIN Seite 10 von 11 Tiefbauamt Kt. St.Gallen Emch+Berger AG 6 Negativbeispiel für Checkliste Kernfahrbahn innerorts Verkehrsmerkmale (erforderlich) JA NEIN VORHANDEN • Verkehrsbelastung: DTV ≤ 10'000 Fz X 8000 ............................ Fz/Tag • Schwerverkehrsanteil: < 6% X 4 ............................ % • Anteil Velo ( ≥3% zumindest zeitweise) X 6 ............................ % • Gesamtfahrbahnbreite 7.00-8.50m X 8,00 ............................ m • Signalisierte Höchstgeschwindigkeit X 50 ............................ km/h • V85 (sofern vorhanden) ............................ km/h Streckenmerkmale JA NEIN • befindet sich innerorts X • Abschnittslänge 200m-1000m X • Längsneigung <4% (Gefälle/Steigung) X • keine Kuppen mit eingeschränkter Sichtweite X • keine Kurven, die eine starke Geschwindigkeitsreduktion verlangen X • Strassenquerschnitt ist weitgehend stetig X • Max. 1 Haltestelle pro 400m und Richtung X • An Einmündungen genügend Sichtweiten X • Längsparkierung X • Abgrenzung Anfang und Ende vorhanden bzw. lösbar X • keine zu einer Gefahrenstelle führenden Elemente im Radstreifenbereich X Strecke ist für die Einrichtung einer Kernfahrbahn geeignet Kernfahrbahnen auf übergeordneten Strassen innerorts.docx Version: Nov.2015 JA NEIN X Seite 11 von 11
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