südostasien 4 > 2015 Zeitschrift für Politik • Kultur • Dialog Kissingers Erbe Großmachtpolitik und ihre Langzeitwirkungen in Südostasien Südostasien > Henry Kissinger und Südostasien Indonesien > Unrühmliche Connections Philippinen > Intervenieren – kontrollieren – pazifizieren Jg. 31 • 8 € • ISSN 1434-7067 www.asienhaus.de/suedostasien/ INHALT Editorial 3 Editorial > Oliver Pye Südostasien 5 Henry Kissinger und Südostasien > Karl-Heinz Golzio und Günther Distelrath Vietnam 7 Die Langzeitfolgen von Agent Orange > Laura Faludi 9 Kurz notiert > Kerstin Schiele und Eva Fuhrmann Laos 10 Politische Erinnerungen und Entwicklungs landschaften in Laos > Ian G. Baird 12 Die Hmong Secret Army > Manuel Navarrete Torres 14 Kurz notiert > Anke Timmann Kambodscha 15 Bomben und Folgen in Kambodscha > Karl-Heinz Golzio 17 Kambodschanische Zwillinge > Rainer Werning 18 Kurz notiert > Nadine Willner Myanmar 19 Kurz notiert > Luise Malchert Thailand 20Das Scheitern der Oktobergeneration > Martin Lassak 22Von Rest & Recreation im Vietnamkrieg zu der (Sex-)Tourismusindustrie > Tippawan Duscha 24Kurz notiert > Martin Lassak 4 > Inhalt > Kissingers Erben Malaysia 25Bersih 4.0: Demokratischer Wandel in der Krise? > Michael Stratil 27Kurz notiert > Saskia Dworschak Singapur 28Kurz notiert > Suzan Kuhfuß Indonesien 29Wie ich 1965 den Putsch in Indonesien erlebte > Horst Geerken 33Unrühmliche Connections > Rainer Werning 36Freeport, Suharto und Konsorten > Christian Suchta 38Akademische Kriegsmandarine > Rainer Werning 41 Feuerjahr 2015 Feuer löschen, Brandstifter bestrafen, Ursachen bekämpfen > Marianne Klute 55Brand as usual > Niklas Reese 59Kurz notiert > Nina Johnen Neues aus dem Asienhaus 60Workshop: Indonesien 1965 ff. > Anett Keller 61 Die SOAI auf der Frankfurter Buchmesse > Franziska Blum, Genia Findeisen, Anett Keller, Sonja Mohr 62Ressourcenkonflikte in Asien – Europa in der Verantwortung > Julia Bühler Akteure aus Südostasien 63KISSinger MY ASS. Die »Initiative Zivile Uni Bonn« > Sedef Buacan Lesen – Lesen – Lesen 64Rezensionen 66Impressum 43Kurz notiert > Ariane Grubauer Osttimor 44Kurz notiert > Sara Czinczoll Philippinen 45»No more yellow!« – Cocoy Tulawie und die Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidiger Innen in den Philippinen > Dominik Hammann 48Intervenieren – kontrollieren – pazifizieren > Rainer Werning 50»Buhay ka pa naman, di ba?« (»Schließlich bist Du noch am Leben, oder?«) Zwei Jahre nach dem Supertaifun Yolanda > Niklas Reese Thema der nächsten Ausgabe: LGBTIQ in Südostasien (1/2016) südostasien ‹ 4/2015 Intervenieren – kontrollieren – pazifizieren von Rainer Werning Die Philippinen als klassisches Lehrbeispiel US-amerikanischer Counterinsurgency Der Autor ist gemeinsam mit Niklas Reese Herausgeber des mittlerweile in 5. Auflage im Horlemann Verlag (Angermünde) erschienenen Handbuch Philippinen. Counterinsurgency (Aufstandsbekämpfung) ist eine der auffälligsten Konstanten in den Politiken der USA, die phasenweise offen und ungeniert oder verhalten und subtil exekutiert wurde. Die kruden Ursprünge dessen, was heute den National Security Agency(NSA)-Komplex mitsamt seinen Überwachungs- und Kontrollmechanismen auszeichnet, verortet der seit Jahrzehnten eloquente Kritiker der US-amerikanischen Außenund Sicherheitspolitik, Noam Chomsky, zu Recht in den »militärischen Befriedungskampagnen« während des Amerikanisch-Philippinischen Krieges (1899–1902). Was seinerzeit in Washingtons einziger Kolonie in Südostasien an Überwachungsmethoden erprobt wurde, so Chomsky 2013 in einem Interview in der Kulturzeit auf 3sat, sei dann später unter der Regierung des liberalen Präsidenten Woodrow Wilson auch auf US-amerikanischem Boden eingesetzt worden. Den Filipin@s widerfuhr das historische »Pech«, auch in den ersten Jahren nach ihrer Unabhängigkeit von Uncle Sams Gnaden (4. Juli 1946) sowie während der bleiernen Marcos-Ära (1966–1986) ins Visier von counterinsurgency zu geraten. Beschönigt wurde die perfide Politik der Kontrolle und Befriedung stets mit dem Verweis, die »Herzen und Hirne der Bevölkerung« zu gewinnen. Nach dem Kriegsende bis Mitte der 1950er Jahre bildete die aus dem antijapanischen Widerstand hervorgegangene philippinische Volksbefreiungsarmee Hukbalahap die Speerspitze im Kampf gegen die Feudalherren auf der Hauptinsel Luzon. Große Landstriche wurden besetzt und eine funktionstüchtige, vom Großteil der Bevölkerung getragene Verwaltung aufgebaut. Unter dem Schutz so genannter vereinter Barrio-Verteidigungseinheiten hatten die Hukbalahap Großgrundbesitz unter Pächtern und Kleinbauern aufgeteilt und/oder exorbitante Ernteabgaben und Wucher drastisch gesenkt. Diesem »kommunistischen Aufruhr« sollte mit allen Mitteln ein Riegel vorgeschoben werden. Eine »weiche« Variante der Unterdrückung endemischer Bauernunruhen beschrieben der philippinische Oberst Valeriano und der US-amerikanischer Oberstleutnant Bohannan, die beide an den Operationen beteiligt waren, später so: »Ein Bataillon Armeepioniere rückte auf ein Stück staatseigenes Land unweit eines Barrios in Pampanga (Provinz im Zentrum Luzons – RW) vor und rodete das wuchernde Kogongras, das eine Wurzeldecke bildet, in die der Pflug kaum eindringen kann. Sie zogen dann Gräben 48 > Philippinen > Intervenieren – kontrollieren – pazifizieren und entwässerten es; sie bauten Reisfelddeiche und erhöhte Wege. Sie schlossen die Arbeit ab, indem sie die Häuser der Barriobewohner schulterten und sie unbeschädigt zu einem neuen Standort in der Nähe der Felder brachten, die den Menschen nach kurzer Arbeitsdauer als Eigentum überschrieben wurden. Dieses Projekt war teuer. Es war ein Projekt, dessen Nützlichkeit für die Nation nicht zu rechtfertigen war (…) Als psychologische Operation aber war es ein riesiger Erfolg« (zit. in Horlemann 1968). Die Verabschiedung des Militärischen Beistandspakts (1946), des Militärbasenabkommens (1947) und des 1951 geschlossenen Gemeinsamen USamerikanisch-philippinischen Sicherheitsvertrages gestattete es Washington, in seinen damals in größten außerhalb des nordamerikanischen Kontinents gelegenen Militärstützpunkten, die in den Philippinen lagen, extraterritoriale Rechte auszuüben und federführend die Bekämpfung des inneren »Aufruhrs« zu organisieren. Gemeint war zuvörderst die Hukbalahap. JUSMAGs lenkende Hand Seit Ende der 1940er Jahre übernahm die Vereinte US-Militärberatungsgruppe (JUSMAG) schrittweise die Reorganisierung, Ausbildung und Ausrüstung der philippinischen Streitkräfte (AFP) und straffte das Oberkommando der drei Waffengattungen Armee, Luftwaffe, Marine sowie der Polizei (Constabulary). Zur Ausbildung von Piloten, zum Kauf von Flugzeugen, Munition und Minenräumgeräten stand der JUSMAG ein Sonderbudget von umgerechnet knapp 170 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Weitere zirka 20 Millionen Dollar wurden von Washington als Waffenhilfe bereitgestellt und »die Philippinen stimmten zu, die Masse ihrer militärischen Ausrüstung aus den USA zu kaufen und die Erlaubnis der USA für Käufe einzuholen, die anderswo getätigt wurden. Diese Bestimmung gab den USA einen beachtlichen Einfluß auf die Größe und den Charakter der philippinischen Streitkräfte«, wie George Taylor (1966) erklärt. Ab 1950 wurden die »unruhigen Gebiete« in Militärbezirke unterteilt, in denen man lokalen Amtsträgern quasi Polizeibefugnisse übertrug. Unter Verteidigungsminister Ramon Magsaysay, dem späteren Präsidenten und ausgesprochenen Darling des counterinsurgency-Strategen Edward Lansdale, erfolgte die Aufteilung der Regierungstruppen in 26 mobile südostasien ‹ 4/2015 Battalion Combat Teams. Neben den militärischen Vernichtungsaktionen (…) leistete die Armee auch Pionierarbeit, die den guten Willen der Regierung unterstreichen sollte; Schulen und Krankenhäuser wurden errichtet, neue Landwirtschaftsgebiete erschlossen, Brücken und Wasserleitungen gebaut. Desertierte Guerilleros wurden freundlich empfangen und erhielten Land und materielle Unterstützung, denn die Zahl der erwarteten und tatsächlich erfolgten Desertionen war so gering, daß für die Überläufer ohne weiteres Vorsorge getroffen werden konnte«, so Valeriano und Bohannan. PHILCAG oder Unrühmliche Partnerschaftshilfe »Civic action«, also auf Bürgernähe bedachte Projekte des Militärs, und erhöhte Feuerkraft durch aufgestockte US-Militärhilfe bildeten fortan den Januskopf der US-Kriegführung in den Philippinen im Besonderen sowie in Südostasien im Allgemeinen. Was in den Philippinen experimentiert worden war, diente Militärstrategen wie Edward Lansdale und Maxwell Taylor auch im Vietnamkrieg als Vorbild. Nachdem in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre die sogenannten Nachrichtenkoordinierungsund Auswertungsprogramme (ICEX) des US-amerikanischen Oberkommandos in Südvietnam in die »Operation Phönix« mündeten, gelang es, im Rahmen des gemeinsamen Nachrichten-Militär-PolizeiProgramms Saigons (heute Ho-Chi-Minh-Stadt) und Washingtons, die Infrastrukturen der Befreiungs armee FNL zu »neutralisieren«, wobei nach offiziellen Angaben mindestens 21.000 Menschen getötet wurden. Das Saigoner Regime behauptete seinerzeit, durch die Operation Phönix annähernd 41.000 »verdächtige feindliche« Zivilisten vom Zeitpunkt seiner Einführung im August 1968 bis Mitte 1971 »ausgeschaltet« zu haben. Systematischer Staatsterror mit einem abgestuft prämierten »body count« war durch die Operation Phönix bittere Realität geworden. Diese Erfahrungen ließ man dem seit 1966 in den Philippinen herrschenden Marcos-Regime zugute kommen. Hilfe« finanzierte die USAID das Büro für Öffentliche Sicherheit (OPS), welches u. a. maßgeblich an der Reorganisation, Finanzierung und Ausbildung des philippinischen Polizeiapparates – beispielsweise des Metropolitan Command (METROCOM) in Manila – beteiligt war. Während des Kriegsrechts (September 1972 bis Januar 1981) wuchsen diese Gruppierungen allein in den Philippinen immerhin von 62.000 auf 415.000 Mann – inklusive paramilitärischer Einheiten und bewaffneter Sekten. Die Militärgerichtsbarkeit hielt Einzug und selbst wirtschaftliche Planungs- und Infrastrukturmaßnahmen wurden zunehmend Militärs überantwortet. Zu Beginn der 1980er Jahre stellten diese über die Hälfte aller mit der Regionalentwicklung betrauten Präsidialbeamten. Zur Wahrung »nationaler Sicherheit und Entwicklung« sollten mittels Oplan Katatagan (des neuen counterinsurgencyOperationsplans Stabilität) »Hirne und Herzen der Bevölkerung« durch öffentlichkeitswirksame Aktionen im Samariterstil gewonnen werden. Priorität hatte dabei die Vernichtung der Infrastruktur und Logistik der damals weltweit am schnellsten wachsenden Guerilla: der Neuen Volksarmee (NPA). Cui bono? Bis heute konnte der NPA nicht das Rückgrat gebrochen werden, wenngleich Oplan Katatagan mehrere ähnliche Operationspläne folgten, dessen jüngste Variante der unter Präsident Benigno Aquino III um die Jahreswende 2010/11 in Kraft getretene Oplan Bayanihan (Operationsplan Nachbarschaftshilfe) darstellt. Cui bono, wem nützt das? Innerphilippinisch dienten die counterinsurgency-Maßnahmen der Elastizität einer Elitendemokratie, die so einer längst überfälligen Land- und Agrarreform trotzen konnte. Aus US-amerikanischer Sicht ist counterinsurgency längst in ein permanentes, sich stetig selbst reproduzierendes Anti-Terrorismus-Projekt umgeschlagen, das vorrangig – überdies mit völlig offenem Ende – dem militärisch-industriellen-Geheimdienst-Komplex dient. Literatur Kongeniale Allianz – Marcos & Militärs Noch bevor Marcos im September 1972 mit Wissen und Duldung seitens Washingtons das Kriegsrecht über die Inseln verhängte, war bekannt geworden, dass die US-amerikanische Behörde für internationale Entwicklung (USAID) und die CIA philippinische Polizisten ausgebildet hatten – für eventuelle paramilitärische Einsätze und zur counterinsurgency als Teil eines weltweiten Programms, die Polizei abhängiger Staaten zu militarisieren und zu Söldnern auszubilden. Unter der Rubrik »technische > Lansdale, Edward Geary (1972): In the Midst of Wars: An American’s Mission to Southeast Asia. New York. > Taylor, George (1966): The Philippines and the United States: Problems of Partnership. New York/London. > Horlemann, Jürgen (1968): Modelle der kolonialen Konterrevolution – Beschreibung und Dokumente. Frankfurt/Main. > McClintock, Michael (1992): Instruments of Statecraft: U. S. Guerilla Warfare, Counterinsurgency, and Counterterrorism, 1940–1990. New York. > Valeriano, Napoleon und Bohannan, Charles (1962): Counter-Guerilla Operations – The Philippine Experience. London. südostasien › 4/2015 Intervenieren – kontrollieren – pazifizieren < Philippinen < 49
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