goetter-haben-kurze-aermel PDF

Landesverbände I 11
Nr. 3/4. März 2016
IIIHamburg
Götter haben kurze Ärmel –
und was sollen wir anziehen?
Kritischer Artikel einer Ärztin in der Weiterbildung zur Idee, Arztkittel abzuschaffen
Von Dr. Friederike
Schlingloff
Derzeit kann man auf der
Homepage der ÄrzteZeitung an
einer Umfrage zur Abschaffung des Arztkittels teilnehmen (www.aerztezeitung.de/
extras/umfragen/). Auf die Frage: „Was halten Sie davon –
brauchen Ärzte ihren Kittel?“
gibt es folgende Antwortmöglichkeiten:
a. „Ja, denn der Kittel gehört
zum Arzt wie das Stethoskop.“
b. „Nein, denn der Kittel hat in
der heutigen Zeit ausgedient.“
oder
c. Wenn der Kittel tatsächlich
so unhygienisch ist, wie Studien es nahelegen, sollten Ärzte
auf ihn verzichten.“
Ich habe vor dem Bildschirm
gesessen und mich gefragt, wer
diese Umfrage erstellt hat. Jedenfalls kein seriöser Wissenschaftler, denn für eine Umfrage oder eine Studie mit derart
suggestiv gestellten Antwortmöglichkeiten würde man in
unserer Ethik-Kommission niemals die Zustimmung erhalten.
Natürlich gehört mein Arztkittel nicht zu mir „wie mein Stethoskop“ – auch mein Stetho­
skop „gehört“ übrigens nicht
„zu mir“, sondern es ist ein einfaches Arbeitsinstrument, welches ich, nebenbei gesagt, auch
nicht demonstrativ um den
Hals zu tragen pflege – aus Hygienegründen und außerdem
wäre das total unpraktisch. Der
Kittel hat aber auch nicht ausgedient „in der heutigen Zeit“ –
ich weiß auch gar nicht genau,
was das eigentlich heißen soll.
Denn gerade im aktuellen, heutigen Arbeitsalltag brauche ich
ein Kleidungsstück, das mich
sofort als Arzt erkennbar
macht, mehr denn je. Denn in
ZUR AUTORIN
Dr. Friederike Schlingloff
befindet sich im 5. Jahr ihrer Weiterbildung zur Fachärztin für Herzchirurgie.
Zuvor hatte sie nach dem
Abitur in Wolfenbüttel Medizin in Hamburg studiert
und dabei Teile im südafrikanischen Durban und in
Arizona in den USA absolviert. Ihre Doktorarbeit
zum Thema Gewaltopfer
hat sie in Südafrika geschrieben. Seit Februar des
vergangenen Jahres ist Dr.
Schlingloff Mitglied des
Beirats im Jungen Forum
der Deutschen Gesellschaft
für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie (DGTHG).
meinem Klinikalltag bewege
ich mich auf so vielen verschiedenen Stationen, durch mehrere verschiedene Gebäude (übrigens auch mit längeren Fußwegen unter freiem Himmel, zum
Beispiel im Winter oder bei Regen) und unter so vielen verschiedenen
Berufsgruppen
(Krankenpfleger, Physiotherapeuten, Transporteure, Reinigungskräfte, Wundschwestern,
Dialyse-Assistenten, DiabetesBeraterinnen und -Berater,
Case-Managerinnen und Manager und Entlassungs-Managerinnen und -Manager), dass
eine eindeutige, optisch sofort
erkennbare Abgrenzung der
Berufsgruppen unterei­nan­der
unverzichtbar ist.
Kennzeichnendes
Kleidungsstück
Natürlich wäre ein solch kennzeichnendes Kleidungsstück
dadurch hilfreich, dass es dem
Träger etwas Respekt verleiht
– denn gerade als junger Mediziner ist es oft nicht einfach,
von deutlich älteren und gestandeneren Patienten ernst
genommen zu werden. Wie oft
habe ich schon eine mehrstündige, aufwendige Visite mit
Verbandswechsel absolviert,
nur um hinterher von den Patienten gefragt zu werden:
„Wann kommt denn heute eigentlich der Arzt?“ Diese Frage
taucht natürlich auch deswegen auf, weil wir unsere Visite
durchweg im Kasack durchführen, wie es eigentlich in allen Krankenhäusern üblich ist,
nicht nur in den von den Medien zitierten Universitätskliniken: Unter unserem Arztkittel
tragen wir alle kurzärmelige
Funktionskleidung. Ein Nachteil dieser weißen Kasacks oder
der Arzthemden, die wir da­
runter tragen, liegt allerdings
auf der Hand – diese Kleidung
ist oft sehr durchsichtig und
körperbetont, sodass man sich
als Frau in einem professionellen Umfeld nicht unbedingt
angemessen bekleidet fühlt –
da ist frau dankbar, wenn sie
sich für bestimmte Situationen
einen Kittel überziehen kann!
Und nicht nur auf fremden
Stationen sollte man erkennbar sein, auch auf der eigenen
Station ist es „in der heutigen
Zeit“ wichtig: In meinem
24-Stunden-Dienst bin ich heute zur Visite auf der Bettenstation meiner Abteilung erschienen (in der ich seit fünf Jahren
arbeite) und war umringt von
fremden Gesichtern! Von den
vier Pflegekräften, die dort im
Dienst waren, kannte ich nur
eine einzige, der Rest waren
Pflegekräfte aus dem Zeitarbeits-Pool, die noch nie vorher
auf unserer Station gearbeitet
hatten. Von unseren eigenen
Pflegekräften
sind
durch
Krankheitsfälle und chronische Unterbesetzung einfach
zu viele ausgefallen, und das ist
keine Seltenheit. Diese vielen
fremden Gesichter sind für unsere zumeist älteren Patienten
und auch die Angehörigen eine
große Belastung, die oft auf
den betriebsamen Stationen
gar nicht wissen, wen sie ansprechen können oder wen sie
eigentlich vor sich haben. Die
Namensschilder, die wir natürlich alle tragen, kann man nur
lesen, wenn man dem Gegenüber
demonstrativ
nahe
kommt und auf die Brust
starrt, was sich die wenigsten
trauen.
Und im Gegensatz zur Darstellung Anfang Februar in vielen
größeren Print-Medien, von der
Süddeutschen Zeitung bis zum
Hamburger Abendblatt, sind es
nicht vor allem die älteren Kollegen, die den Arztkittel gern behalten wollen, denn die Kollegen mit den grauen Schläfen
und einem gesetzten Auftreten
haben deutlich weniger Probleme, sich durchzusetzen und respektiert zu werden. Es sind vor
allem die jüngeren Kolleginnen
und Kollegen, die sich Sorgen
machen, ob sie ohne eine angemessene Arbeitskleidung genug
Präsenz zeigen können. Besonders in Notfallsituationen, zum
Beispiel bei einer Reanimation
auf einer fremden Station, wo
alles schnell und ohne große Erklärungen ablaufen muss, ist es
wichtig, alle anwesenden Personen auf den ersten Blick nach
ihrer Zuständigkeit einschätzen
zu können und Kompetenzen
nicht noch abstecken zu müssen. Auch Polizisten, Feuerwehrmänner, Sanitäter und Soldaten tragen aus diesem Grund
eindeutig erkennbare Uniformen.
Eine Reihe von
­Fehlinformationen
Aber diese falsche Darstellung
ist nicht die einzige Fehlinformation, die von den Medien offensichtlich ohne Nachforschung einfach übernommen
wurde (http://nachrichtenmag.
de/artikel/218727/aerzte-goetter-haben-kurze-aermel). Denn
diese „Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts und der
WHO“ zur Abschaffung des
Arztkittels existieren gar nicht.
Die einzigen Richtlinien, die es
gibt, besagen, dass Tätigkeiten
direkt am Krankenbett oder invasive Tätigkeiten in kurzärmeliger Kleidung oder in
Schutzkleidung durchgeführt
werden sollen – und es gibt sicherlich keinen einzigen ärztlichen Kollegen, der die Logik
und Notwendigkeit dieser
Empfehlung nicht einsieht.
Schließlich wollen wir unseren
Patienten nicht schaden – uns
liegt die Sicherheit der Patienten doch von allen am meisten
am Herzen! Wir machen doch
die
ganzen
Überstunden,
Nacht- und Wochenenddienste
nicht, weil wir es so schön finden, in unseren weißen Kitteln
„umherzuwehen“, wie es so oft
mit Wonne geschrieben wurde
in den vergangenen Tagen, sondern weil wir uns um unsere
Patienten kümmern möchten,
so gut es geht!
Professionelle
Arbeitskleidung
Im Übrigen ist gar nicht erwiesen, dass sich auf einem Kasack
weniger Bakterien sammeln als
auf einem Kittel. Die viel zitierte Studie aus Jerusalem, die zur
Argumentation für eine Abschaffung des Kittels so gern
he­rangezogen wird, sagt nämlich etwas ganz anderes aus. In
dieser 2011 in Jerusalem
durchgeführten Studie wurden nämlich von langärmeligen Arztkitteln und den Uniformen
der
Pflegekräfte
„Abklatsch“-Proben entnommen. Die Ergebnisse waren,
dass auf 60 Prozent der Kleidungsstücke Bakterien nachgewiesen werden konnten –
und auf 6 Prozent der Arztkittel und 14 Prozent der Pflegeuniformen sogar multiresistente Keime! Am häufigsten
waren übrigens die Taschen
kontaminiert, und nicht die
langen Ärmel der Arztkittel [1].
Die amerikanische „Society for
Healthcare Epidemiology“ hat
einen Review der Literatur zu
diesem
Thema
[2]
he­
rausgegeben mit dem Ergebnis:
Es konnte in keiner Studie gezeigt werden, dass Arztkittel
stärker verunreinigt sind als
kurzärmelige Arbeitskleidung
[3–8]. Es konnte auch in keiner
Studie gezeigt werden, dass
durch den „Bare Below the Elbows (BBE) Approach“ Infektionsraten
gesenkt
werden
konnten [8-11]. Außerdem fühlen Patienten sich sicherer und
vertrauen Ärzten, die einen
Arztkittel tragen, mehr als Ärzten ohne Kittel [8; 12-16].
I D r. Fri e d e ri ke S c hl i ng l off / Foto: p ri vat
Dabei glaube ich nicht unbedingt, dass ein weißer Kittel
Vertrauen oder Respekt erzeugen kann – aber professionelle
Arbeitskleidung kann das. Und
deswegen bin ich auch nicht
für Antwort a, b oder c, sondern für Antwort d:
„Ich möchte, aus all den oben
genannten Gründen, eine angemessene, professionelle Arbeitsbekleidung tragen, die
mich als Ärztin im Krankenhaus-Alltag erkennbar macht.“
Quellenangaben
[1] Y. Wiener-Well, M. Galuty, and B. Rudensky, “Nursing
and physician attire as possible source of nosocomial infections”, Am J Infect Control, vol.
39, pp. 555-9, Sep. 2011;
[2] G. Bearman, K. Bryant and S.
Leekha, “Healthcare Personnel
Attire in Non-Operating-Room
Settings”, Infect Control Hosp
Epidemiol, vol. 35, no. 2, pp.
107-21, Feb. 2014;
[3] W. Loh, V. V Ng, and J. Holton,
“Bacterial flora on the white
coats of medical students”, J.
Hosp. Infect., vol. 45, no. 1, pp.
65-8, May 2000.;
[4] C. Perry, R. Marshall, and E.
Jones, “Bacterial contamination of uniforms”, J. Hosp. Infect., vol. 48, no. 3, pp. 238-41,
Jul. 2001;
[5] A. M. Treakle, K. A. Thom, J. P.
Furuno, S. M. Strauss, A. D. Harris, and E. N. Perencevich, “Bacterial contamination of health
care workers’ white coats”, Am.
J. Infect. Control, vol. 37, no. 2,
pp. 101-5, Mar. 2009;
[6] D. Wong, K. Nye, and P. Hollis, “Microbial flora on doctors’
white coats”, BMJ, vol. 303, no.
6817, pp. 1602-4, Jan.;
[7] Y. Wiener-Well, M. Galuty,
B. Rudensky, Y. Schlesinger, D.
Attias, and A. M. Yinnon, “Nursing and physician attire as
possible source of nosocomial
infections”, Am. J. Infect. Control, vol. 39, no. 7, pp. 555-9,
Sep. 2011;
[8] G. Bearman, K. Bryant, S.
Leekha, J. Mayer, L. S. MunozPrice, R. Murthy, T. Palmore, M.
E. Rupp, and J. White, “Healthcare personnel attire in nonoperating-room settings”, Infect. Control Hosp. Epidemiol.,
vol. 35, no. 2, pp. 107-21, Feb.
2014;
[9] M. Burden, L. Cervantes, D.
Weed, A. Keniston, C. S. Price,
and R. K. Albert, “Newly cleaned physician uniforms and
infrequently washed white
coats have similar rates of bacterial contamination after an
8-hour workday: a randomized
controlled trial”, J. Hosp. Med.,
vol. 6, no. 4, pp. 177-82, Apr.
2011;
[10] A. Burger, C. Wijewardena,
S. Clayson, and R. A. Greatorex,
“Bare below elbows: does this
policy affect handwashing efficacy and reduce bacterial colonisation?”, Ann. R. Coll. Surg.
Engl., vol. 93, no. 1, pp. 13-6, Jan.
2011;
[11] C. A. Willis-Owen, P. Subramanian, P. Kumari, and D.
Houlihan-Burne, “Effects of
‘bare below the elbows’ policy
on hand contamination of 92
hospital doctors in a district
general hospital”, J. Hosp. Infect., vol. 75, no. 2, pp. 116-9,
Jun. 2010;
[12] A. Ardolino, L. A. P. Williams, T. B. Crook, and H. P.
Taylor, “Bare below the elbows:
what do patients think?”, J.
Hosp. Infect., vol. 71, no. 3, pp.
291-3, Mar. 2009;
[13] L. Bond, P. J. Clamp, K. Gray,
and V. Van Dam, “Patients’ perceptions of doctors’ clothing:
should we really be ‘bare below
the elbow’?”, J. Laryngol. Otol.,
vol. 124, no. 9, pp. 963-6, Sep.
2010;
[14] B. McKinstry and J. X.
Wang, “Putting on the style:
what patients think of the way
their doctor dresses”, Br. J. Gen.
Pract., vol. 41, no. 348, pp. 270,
275-8, Jul. 1991;
[15]
B. R. Nair, J. R. Attia,
S. R. Mears, and K. I. Hitchcock,
“Evidence-based
physicians’
dressing: a crossover trial”,
Med. J. Aust., vol. 177, no. 1112, pp. 681-2, Jan.;
[16] S. U. Rehman, P. J. Nietert,
D. W. Cope, and A. O. Kilpatrick,
“What to wear today? Effect of
doctor’s attire on the trust and
confidence of patients”, Am. J.
Med., vol. 118, no. 11, pp. 127986, Nov. 2005.
[email protected]
Die MB-EchtZeit App
www.marburger-bund.de/mb-echtzeit