Nachwuchsförderung: Schüler kommen auf den MINT-Geschmack Sie reparieren Fahrräder, basteln Lautsprecher oder programmieren Roboter: Landauf, landab begeistern sich Schülerinnen und Schüler an MINT-freundlichen Schulen für naturwissenschaftlich-technische Lernbereiche. In Baden-Württemberg tragen inzwischen 108 Schulen das Gütesiegel für hervorragenden Unterricht in den MINT-Fächern. Mit leuchtend grünen Augen fixiert Robbi sein Gegenüber. „Who are you?“ fragt er den Jugendlichen im grauen Kapuzenpulli, der ihn fest anblickt und seinen Namen nennt. „Welcome, Jan“, grüßt Robbi mit monotoner Automatenstimme und Jan Ritschel lächelt den zwei Mitschülern am Laptop zu: Daumen nach oben, das Programmieren hat geklappt. Robbi ist ein humanoider Nao-Roboter und seit einem Jahr der neue Star am Eschbach-Gymnasium in Stuttgart-Freiberg. Die Informatik-AG, in der Zehntklässler Jan gelernt hat, wie ein Nao programmiert wird, ist nur einer von vielen Bausteinen, denen das Gymnasium im Norden der Landeshauptstadt die Auszeichnung als „MINT-freundliche Schule“ verdankt. MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – die Bereiche, in denen laut MINT-Herbstreport 2013 schon heute bundesweit 120.000 Arbeitskräfte fehlen. Vor allem bei den Fachkräften wird sich der Engpass in den kommenden Jahren voraussichtlich noch verstärken. „MINT Zukunft schaffen“, unterstützt von Südwestmetall, als „MINT-freundliche Schule“ aus. Das Gütesiegel für hervorragenden Unterricht in den MINT-Fächern wird seit drei Jahren verliehen. Allein in BadenWürttemberg tragen inzwischen 108 Schulen das Prädikat „MINT-freundlich“, von der Grundschule bis zum Gymnasium. Das Eschbach-Gymnasium ist seit vergangenem Herbst dabei, schon seit dem Schuljahr 2011/12 ist es zudem Vollmitglied im MINT-EC – einem erlesenen Kreis von rund 150 deutschen Gymnasien, die sich MINT-Excellence-Center nennen dürfen. ** Netzwerk aus Schule, Hochschule und Firmen „Unsere Philosophie ist es, in jeder Klassenstufe parallel zum Pflichtbereich ein möglichst breitfächriges und interes- ** Nachwuchswerbung muss früh beginnen „Erfolgreiche Nachwuchswerbung beginnt frühzeitig“, sagt Stefan Küpper, Geschäftsführer Politik, Bildung und Arbeitsmarkt bei Südwestmetall: „Wir wollen junge Menschen für Naturwissenschaften und Technik begeistern und sie von den Chancen der MINT-Berufe überzeugen.“ Wichtig seien dafür Schulen, die in den MINT-Fächern Schwerpunkte bilden. Damit Eltern und Schüler sowie Unternehmen und Öffentlichkeit diese Schulen auch erkennen, zeichne sie die Initiative 104 Techniklehrer Hans Bayha mit der TECademy aus Klassenstufe 7 und 8 8 I Bildungspolitik Lesegeschichte Humanoider Nao noch auf wackeligen Beinen. santes Zusatzangebot aufzubauen“, sagt Schulleiter Christoph Zauner. Ein Kernbaustein ist der MatheTreff 3456: Begabte Kinder der Klassen drei bis sechs aus Schulen im Stuttgarter Norden knobeln am Eschbach-Gymnasium gemeinsam in kleinen, kreativen Teams. Zweiter Kernbaustein ist die Schüler-Ingenieur-Akademie (SIA), für die sich Schüler der Klasse 10 bewerben können. Sie besuchen Firmen wie das Telekommunikationsunternehmen Alcatel-Lucent, mit dem eine Bildungspartnerschaft besteht, und bekommen einen praxisorientierten Einblick in die Arbeit von Ingenieuren. Schulangebote wie das Roboter-Programmieren ergänzen die Projekte mit Firmen, zudem besteht eine Zusammenarbeit mit der Hochschule für Technik in Stuttgart. „Was uns bei all diesen Projekten wichtig ist, das ist dieses Netzwerk Schule, Hochschule, Firmen“, betont Doris Neunzig. Als Projektleiterin betreut sie beim Bildungsträger BBQ, einer Gesellschaft des Bildungswerks der Baden-Württembergischen Wirtschaft e. V., die TECademy: Neben TECHNOlino für Vorschulkinder, der Girls’ Day Akademie speziell für Mädchen sowie der Schüler-Ingenieur-Akademie für Schüler der Oberstufe an Gymnasien ist dieses Angebot für Realschüler ein wesentlicher Baustein von START 2000 Plus, der Ausbildungsund Qualifizierungsinitiative von Südwestmetall. ** Schlaumeier sind mit Spaß bei der Sache Doris Neunzig besucht an diesem Nachmittag die „Schlaumeier aus Bonlanden“ – so nennt sich die TECademy an der Realschule Bonlanden. Während die Projektleiterin mit den Schlaumeiern aus der sechsten Klasse und ihrer Lehrerin Siglinde Plapp die Präsentation im „Gläsernen Klassenzimmer“ auf der Bildungsmesse Didacta in Stuttgart vorbereitet, wird im Raum nebenan eifrig gelötet: Die TECademy der Klassenstufe sieben und acht baut unter Anleitung von Techniklehrer Hans Bayha Verstärker für MP3-Player. Voll konzentriert hantieren die Jugendlichen mit dem Lötkolben und befestigen die winzigen Bauteile auf der Platine – eine Millimeterarbeit. Luca Putscher ist schon fast fertig, nur 105 der Schalter und das Anschlusskabel für den MP3-Player fehlen noch. „Ich hab’ mich schon früh dafür interessiert, wie Technik funktioniert“, sagt der 14-Jährige und beugt sich wieder über die Arbeit. „Es macht auch Spaß. Man ist am Ende selber erstaunt, was man gebaut hat“, meint sein Mitschüler Lars Bächle. Beide liebäugeln mit einem technischen Beruf. ** Begeisterung für Technik wecken „Vor der Pubertät können Sie ein Kind für ein Feld öffnen“, sagt Thomas Dreher. Der Leiter der Realschule Bonlanden freut sich sehr darüber, dass schon die Sechstklässler bei der TECademy mitmachen. Es gehe darum, Begeisterung für Naturwissenschaften und Technik zu wecken und junge Menschen zu fördern, diesen Weg gehen zu können. Dies gelingt der bereits 2011 als „MINT-freundlich“ ausgezeichneten Schule auf den Fildern mit einem abwechslungsreichen Programm. Mädchen und Technik: Eine Super-Kombination. 106 Ein Outdoor-Teamtraining gehört bei den Schlaumeiern aus der Sechsten genauso dazu wie ein Besuch der Kinderakademie der Dualen Hochschule Stuttgart, wo mit einem professionellen CAD-System ein Lenkrad entworfen wird. Kleine Ingenieure ganz groß: Sie lernen LEGO-Roboter zu programmieren, bauen eine elektrische Klingel oder besuchen einen Workshop bei „Genius“, der jungen Wissens-Community von Daimler. Selbstbewusstes Auftreten vermittelt der Kurs bei einer Theaterpädagogin. Eine Schülerin legt den Lötkolben zur Seite und öffnet einen dicken Projektordner. Blatt für Blatt und mit vielen Bildern dokumentiert er, was sie in der TECademy schon alles unternommen hat. Jasmin Rötzler zieht ein kleines Kugelspiel aus einer Prospekthülle, das sie bei Modine Europe in Filderstadt, einem Bildungspartner der Realschule Bonlanden, an der Fräsmaschine angefertigt hat. Während die technikbegeisterte 14-Jährige sich auch fürs Wahlpflichtfach Technik 8 I Bildungspolitik Lesegeschichte entschieden hat, wählen die meisten Mitschülerinnen dann doch Französisch. „Es zeigt sich, dass eher die Jungs bei der Technik bleiben“, sagt Mathematiklehrerin Siglinde Plapp, die das Schlaumeier-Projekt zusammen mit Hans Bayha leitet. Trotzdem machen die Mädchen nicht nur mit, weil es im Zeugnis gut aussieht, sondern „weil’s Spaß macht und interessant ist“, wie eine Schülerin über ihrer Lötarbeit erklärt. ** Naturwissenschaften in ihrer Vielfalt erleben „Die Mädchen sind mit dem gleichen Eifer dabei“, bestätigt Joachim Hanninger, der Rektor der Lindenschule in Ostfildern. An der Grundschule wird schon seit Jahren am naturwissenschaftlich-technischen Profil gefeilt. Das habe man einfach für selbstverständlich erachtet, sagt Hanninger: Es sei wichtig, dass Kinder Naturwissenschaften in ihrer Vielfalt erleben können. Mit jahrgangsübergreifenden Angeboten wie einer Computeroder einer Elektronik-AG fing es an, inzwischen ist die Lindenschule offiziell als „MINT-freundlich“ anerkannt. Die teilgebundene Ganztagsschule hat eine ganze Reihe an MINTProjekten vorzuweisen, wie die Elektro- und die Elektronikwerkstatt oder den Besuch des Fehling-Labs für Chemie an der Universität Stuttgart. Die Jungen und Mädchen kümmern sich aber auch um den Schulgarten oder nehmen einen Fernseher auseinander und lernen, ein Fahrrad zu reparieren. Als „absolutes Highlight“ bezeichnet Hanninger jedoch die Kooperation mit der Firma Gehring. Es gebe einen richtigen Wettlauf, welche Klasse mitmachen darf. Die Grundschüler machen beim Projekt „Kinder entdecken Wissenschaft“ (KieWis) der Unternehmensinitiative Wissensfabrik einen kompletten Fertigungsprozess mit. Sie fertigen Entwürfe an, wählen die besten aus, optimieren, bauen gemeinsam mit den Auszubildenden des Maschinenbau-Unternehmens aus Ostfildern Modelle und machen sich schließlich in der Lehrwerkstatt an die Arbeit. Fräsen, bohren, zusammenbauen, bis der Schreibtischordner in Fahrzeugform fertig ist. ** Roboter Robbi erobert den Unterricht Und läuft: Robbi ist richtig programmiert. Kinder entgegen. Überhaupt sind Mütter und Väter wichtige Partner in Sachen MINT – ob sie nun selbst Computerkurse geben oder die Tür in Unternehmen öffnen. „Wir brauchen die Kontakte“, sagt Siglinde Plapp von den „Schlaumeiern aus Bonlanden“. Und noch etwas sei wichtig, ergänzt Rektor Dreher: „Sie brauchen engagierte und kompetente Lehrer, die das machen. Als Schulleiter müssen Sie dann nur noch den Rahmen zur Verfügung stellen.“ Der MINT-Erfolgsmix stimmt auch am Eschbach-Gymnasium, wo Roboter Robbi nach und nach den Unterricht erobert, von der achten Klasse bis in die Oberstufe. Im Fach Naturwissenschaft und Technik lässt er sich ebenso einsetzen wie im Ethikunterricht oder in der Schüler-Ingenieur-Akademie. Und beim „Tag der offenen Tür“ soll er mit all seinem Robotercharme für die Schule werben. Finanziert wurde der Nao über Spenden, und auch für die neueste MINT-Errungenschaft ist Fundraising angesagt. Christoph Zauner nimmt ein Stückchen Kunststoffkette in die Hand – gefertigt am neuen 3D-Drucker. „Unsere Aufgabe ist es, den MINT-Bereich greifbar zu machen, die Berufsbilder aufzuzeigen und Interesse zu wecken“, sagt der Schulleiter. Bettina Gonser, Freie Mitarbeiterin im Stuttgarter Büro der Wirtschaftszeitung AKTIV Dokumentieren und präsentieren gehört auch an der Lindenschule zum MINT-Pflichtprogramm, und der Schlusspräsentation, zu der auch die Eltern kommen, fiebern alle 107
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