Näher zu Gott – aber wie? Laute Stille Klostertage und eine Begegnung mit Gott „Wie wird meine Beziehung zu Gott persönlicher?“ ist die Frage, der wir in diesem Schwerpunktthema nachgehen. Ein Ansatz, der sich über die Jahrhunderte bewährt hat, ist, sich zurückzuziehen und Gott in der Stille zu suchen. Auch dran-Autorin Anne Albers suchte die Stille und verbrachte eine Woche im Gethsemanekloster in Goslar. THEMA 26 V ierspurige Straßen, 1,7 Millionen Menschen und jede Menge Geschäftigkeit wollte ich dort zurücklassen, wo sie hingehören: in Hamburg. Denn ich hatte mich entschlossen, eine Woche des absoluten Gegensatzes zu erleben. Die abgeschlossene Atmosphäre und abgeschiedene Stille eines Klosters waren mein Ziel. Es ging mir nicht um einen netten Urlaub in besonders „gesegneter Umgebung“, sondern um Konfrontation. Mit meinem rumorenden Innenleben und vor allem mit Gott, mit dem ich mich im sehr, sehr kalten Krieg befand. Die Startvoraussetzungen für meine „Einkehr“ waren nicht gerade die besten: Ich hatte bis in die Nacht gearbeitet, vor Sonnenaufgang in Hektik meine Sachen gepackt und in Rekordzeit die Strecke Hamburg-Goslar zurückgelegt, um gerade noch rechtzeitig vor dem Mittagsgebet anzukommen. Das ist wirklich wichtig, denn danach gibt es für einige Stunden kein Reinkommen mehr, hatte mir einer der Brüder am Telefon erklärt. Vollbremsung auf der Autobahn Als ich über den hügeligen Waldweg endlich eine alte Steinmauer erreichte, ein Tor und die Überschrift „Gethsemanekloster“ in einem kleinen Schaukasten fand, war mir etwas mulmig zu Mute. Ich dachte: „Anne – weißt du eigentlich, was das hier wird? Der Versuch, auf der Autobahn eine Vollbremsung zu machen!“ Außerdem war alles, was mich hinter der Klostermauer erwartete, eine unbekannte Größe: Was sind das für Brüder? Wird mir mein Zimmer gefallen? Wie muss ich mich in den Gebetszeiten verhalten? Wie werde ich mit dem Schweigen klarkommen? Positiv überrascht wurde ich von dem, was mir ein junger, sympathischer Bruder bei meinem ersten Rundgang zeigte: das idyllische, weitläufige Gelände, mittelalterliche Kapellenmauern und mein Wohlfühlzimmer. Von wegen harte Matratze in einer kargen, unterbeheizten Mönchszelle! Schon nach kurzer Zeit wurde ich das Gefühl nicht los, dass die sechs Brüder der evangelischen Gemeinschaft überall im „Einkehrhaus“ einen schönen Gedanken hingestellt hatten. Selbst wenn du deine Zahnbürste, dein Shampoo oder deinen Wecker zu Hause gelassen haben solltest, gibt es im „Gästeschrank“ Rettung für alle vergessenen Fälle. Gottesdienste – ehrfürchtig und „unmenschlich“ In so einer Atmosphäre fällt es leicht, sich zu Hause zu fühlen, obwohl viele Dinge gewöhnungsbedürftig sind. Zum Beispiel die Gebetszeiten. Um 7:00 Uhr, 12:00 Uhr und 18:00 Uhr locken die Glockenschläge Besucher und Brüder in die Kapelle, in die unterirdische Krypta oder ins Oratorium. Beim Abend- und Morgengebet wechseln sich gregorianischer Gesang, Rezitation, Lesung und Gebet in einem stark festgelegten Rhythmus ab. Mittags steht die Meditation eines Psalms im Mittelpunkt. Für frei-evangelisch geprägte Leute wie mich ist das ein echter liturgischer Schock. Der sich aber schnell legt. Es hat mich selbst überrascht, wie sehr sich diese strengen Formen für mich geöffnet haben. Für mich ist es eine ehrfürchtige, zärtliche und absolut unmenschliche Art, Gottesdienst zu machen. Unmenschlich deshalb, weil man sich absolut auf Gott konzentriert. Der Mensch „spielt hier keine Rolle“, weil er nicht auf der Bühne steht und predigt, Theater spielt oder Lobpreis leitet. Der Mensch ist der Empfangende und Sehnsüchtige, der sich dem immer gleichen, ewigen Herzschlag Gottes anpassen möchte. Die bedächtige, fast sinnliche Art, biblische Texten zu sprechen und zu singen, ist der Versuch, mein Herz so real von den Worten gestalten zu lassen, wie ich sie mit meinem Mund formen kann. Auch die geheimnisvolle Mischung aus Enge und Freiheit des Klosterlebens hat mich sehr berührt.Mein Tagesablauf unterlag der klaren Struktur der Gebetszeiten, aber dazwischen wartete viel freie Zeit. Ich lebte in dem abgeschlossenen Raum der Klosteranlage, konnte aber jederzeit draußen in der Weite spazieren gehen. Regeln gab es, an die ich mich zu halten hatte (wie zum Beispiel das strikte Schweigen im Einkehrhaus, Handy-, Walkman und Laptopverbot), aber ansonsten konnte ich machen, was ich wollte: mit eigenem Schlüssel in die Sakralräume gehen, die Bibliothek benutzen, Essen holen oder, oder. Ich konnte mit den Brüdern reden, musste es aber nicht. Es hat mich sehr erstaunt, wie problemlos sich Anpassung und individuelle Freiheit miteinander vertragen können! Gott auf leisen Sohlen Am spannendsten war für mich, was in den sieben Tagen „in mir drin“ passiert ist. Es war für mich mit viel Unsicherheit verbunden, mich ganz auf mich selbst zurückzuwerfen. Mit niemandem zu reden, die freien Stunden nur mit Spaziergängen, Gebet, Essen, Lesen und Schreiben füllen zu können. Und dann noch dieser Gott, mit dem ich am Ringen war und auf dessen Reaktion ich wartete. „Jetzt nehm ich mir schon eine Woche Zeit für dich, nun zeig dich auch!“, war mein häufigster Gedanke in den ersten Tagen; neben so vielen anderen. Die Stille hat mich gnadenlos mit meinem inneren Lärm und meinen chaotischen Gefühlen konfrontiert. Aber irgendwann ist dann Ruhe eingekehrt. Mehr und mehr wuchs in mir das Gefühl, dass alle wild umherschwirrenden „Anne-Teilchen“ sich sammelten, wieder ein rundes Ganzes wurden. Irgendwie konnte ich loslassen und hörte auf, eine Gottesbegegnung krampfhaft „erzwingen“ THEMA 27 Das Gethsemanekloster in Goslar zu wollen. Trotzdem bekam ich keine Wunder zu sehen,denn Gott kam auf ganz leisen Sohlen zu mir. Auf einem meiner Spaziergänge hat mich seine Liebe sanft, aber mit voller Wucht erfasst. Ich hatte so eine Freude und Energie in mir, dass ich einfach durch den Wald rennen musste. Der Satz, den ich am Morgen in der Bibel gelesen hatte, war für mich Realität geworden: „Ich werde all meine Güte an deinem Angesicht vorbeiziehen lassen“ (Exodus 3,19). Die hohe Kunst des Loslassens Die letzten Einkehrtage waren von purer Lebensfreude und geistlicher Fülle geprägt. Ich konnte bei den Gebetszeiten alles erstaunlich intensiv und konzentriert aufnehmen. Ich habe es selten erlebt, dass Stille in so positivem Sinne laut geworden ist. Weil mich kein Geräusch mehr ablenkte, die eigenen Gedanken längst verraucht waren und Gottes Geist mich ausfüllen und einhüllen konnte. Die Psalmen, die wir in dieser Zeit meditiert haben, sind immer noch präsent, sind für mich richtige Begleiter geworden. Das Kloster hat mir eine große Lehre erteilt: Die Suche nach Gott entzieht sich jeder Kontrolle und jeder Machbarkeit, sie ist die hohe Kunst des Loslassens. Und selbst die kann man nicht lernen! Oder wie die Brüder es sagen würden: „Von der Sehnsucht Getriebene machen sich auf die Reise zu Gott. Es ist zutiefst eine Reise des Glaubens und nicht des Wissens, des Loslassens und nicht des Festhaltens. Man verlässt das Bekannte und riskiert das Unbekannte. Es ist eine Reise mit Höhen und Tiefen,mit Regentagen,aber auch mit wolkenfreien Tagen und freiem Blick in den Himmel.“ . Infos: Gethsemanekloster, Gut Riechenberg 1, D-38644 Goslar, Tel: 0 53 21/2 17 12, Fax: 16 83, www.gethsemanekloster.de, Bürozeiten: Di-Fr 8:30–11:30 Uhr Anne Albers studiert Germanistik, Journalistik und Geschichte in Hamburg.
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