Klostertage und eine Begegnung mit Gott

Näher zu Gott – aber wie?
Laute Stille
Klostertage und eine Begegnung mit Gott
„Wie wird meine Beziehung zu Gott persönlicher?“ ist die Frage, der wir in diesem Schwerpunktthema nachgehen.
Ein Ansatz, der sich über die Jahrhunderte bewährt hat, ist, sich zurückzuziehen und Gott in der Stille zu suchen.
Auch dran-Autorin Anne Albers suchte die Stille und verbrachte eine Woche im Gethsemanekloster in Goslar.
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V
ierspurige Straßen, 1,7 Millionen
Menschen und jede Menge Geschäftigkeit wollte ich dort zurücklassen, wo sie hingehören: in Hamburg.
Denn ich hatte mich entschlossen, eine
Woche des absoluten Gegensatzes zu erleben. Die abgeschlossene Atmosphäre und
abgeschiedene Stille eines Klosters waren
mein Ziel. Es ging mir nicht um einen netten Urlaub in besonders „gesegneter Umgebung“, sondern um Konfrontation. Mit
meinem rumorenden Innenleben und vor
allem mit Gott, mit dem ich mich im sehr,
sehr kalten Krieg befand.
Die Startvoraussetzungen für meine
„Einkehr“ waren nicht gerade die besten:
Ich hatte bis in die Nacht gearbeitet, vor
Sonnenaufgang in Hektik meine Sachen
gepackt und in Rekordzeit die Strecke
Hamburg-Goslar zurückgelegt, um gerade
noch rechtzeitig vor dem Mittagsgebet anzukommen. Das ist wirklich wichtig, denn
danach gibt es für einige Stunden kein
Reinkommen mehr, hatte mir einer der
Brüder am Telefon erklärt.
Vollbremsung
auf der Autobahn
Als ich über den hügeligen Waldweg endlich eine alte Steinmauer erreichte, ein Tor
und die Überschrift „Gethsemanekloster“
in einem kleinen Schaukasten fand, war
mir etwas mulmig zu Mute. Ich dachte:
„Anne – weißt du eigentlich, was das hier
wird? Der Versuch, auf der Autobahn eine
Vollbremsung zu machen!“ Außerdem
war alles, was mich hinter der Klostermauer erwartete, eine unbekannte Größe: Was
sind das für Brüder? Wird mir mein Zimmer gefallen? Wie muss ich mich in den
Gebetszeiten verhalten? Wie werde ich
mit dem Schweigen klarkommen?
Positiv überrascht wurde ich von dem,
was mir ein junger, sympathischer Bruder
bei meinem ersten Rundgang zeigte: das
idyllische, weitläufige Gelände, mittelalterliche Kapellenmauern und mein Wohlfühlzimmer. Von wegen harte Matratze in
einer kargen, unterbeheizten Mönchszelle! Schon nach kurzer Zeit wurde ich das
Gefühl nicht los, dass die sechs Brüder der
evangelischen Gemeinschaft überall im
„Einkehrhaus“ einen schönen Gedanken
hingestellt hatten. Selbst wenn du deine
Zahnbürste, dein Shampoo oder deinen
Wecker zu Hause gelassen haben solltest,
gibt es im „Gästeschrank“ Rettung für alle
vergessenen Fälle.
Gottesdienste – ehrfürchtig
und „unmenschlich“
In so einer Atmosphäre fällt es leicht, sich
zu Hause zu fühlen, obwohl viele Dinge gewöhnungsbedürftig sind. Zum Beispiel die
Gebetszeiten. Um 7:00 Uhr, 12:00 Uhr und
18:00 Uhr locken die Glockenschläge Besucher und Brüder in die Kapelle, in die
unterirdische Krypta oder ins Oratorium.
Beim Abend- und Morgengebet wechseln
sich gregorianischer Gesang, Rezitation,
Lesung und Gebet in einem stark festgelegten Rhythmus ab. Mittags steht die Meditation eines Psalms im Mittelpunkt. Für
frei-evangelisch geprägte Leute wie mich
ist das ein echter liturgischer Schock. Der
sich aber schnell legt.
Es hat mich selbst überrascht, wie sehr
sich diese strengen Formen für mich geöffnet haben. Für mich ist es eine ehrfürchtige, zärtliche und absolut unmenschliche
Art, Gottesdienst zu machen. Unmenschlich deshalb, weil man sich absolut auf Gott
konzentriert. Der Mensch „spielt hier keine
Rolle“, weil er nicht auf der Bühne steht
und predigt, Theater spielt oder Lobpreis
leitet. Der Mensch ist der Empfangende
und Sehnsüchtige, der sich dem immer
gleichen, ewigen Herzschlag Gottes anpassen möchte. Die bedächtige, fast sinnliche
Art, biblische Texten zu sprechen und zu
singen, ist der Versuch, mein Herz so real
von den Worten gestalten zu lassen, wie
ich sie mit meinem Mund formen kann.
Auch die geheimnisvolle Mischung aus
Enge und Freiheit des Klosterlebens hat
mich sehr berührt.Mein Tagesablauf unterlag der klaren Struktur der Gebetszeiten,
aber dazwischen wartete viel freie Zeit. Ich
lebte in dem abgeschlossenen Raum der
Klosteranlage, konnte aber jederzeit draußen in der Weite spazieren gehen. Regeln
gab es, an die ich mich zu halten hatte (wie
zum Beispiel das strikte Schweigen im Einkehrhaus, Handy-, Walkman und Laptopverbot), aber ansonsten konnte ich machen, was ich wollte: mit eigenem Schlüssel
in die Sakralräume gehen, die Bibliothek
benutzen, Essen holen oder, oder. Ich konnte mit den Brüdern reden, musste es aber
nicht. Es hat mich sehr erstaunt, wie problemlos sich Anpassung und individuelle
Freiheit miteinander vertragen können!
Gott auf leisen Sohlen
Am spannendsten war für mich, was in
den sieben Tagen „in mir drin“ passiert ist.
Es war für mich mit viel Unsicherheit verbunden, mich ganz auf mich selbst zurückzuwerfen. Mit niemandem zu reden, die
freien Stunden nur mit Spaziergängen, Gebet, Essen, Lesen und Schreiben füllen zu
können. Und dann noch dieser Gott, mit
dem ich am Ringen war und auf dessen Reaktion ich wartete. „Jetzt nehm ich mir
schon eine Woche Zeit für dich, nun zeig
dich auch!“, war mein häufigster Gedanke
in den ersten Tagen; neben so vielen anderen. Die Stille hat mich gnadenlos mit meinem inneren Lärm und meinen chaotischen Gefühlen konfrontiert.
Aber irgendwann ist dann Ruhe eingekehrt. Mehr und mehr wuchs in mir das Gefühl, dass alle wild umherschwirrenden
„Anne-Teilchen“ sich sammelten, wieder
ein rundes Ganzes wurden. Irgendwie
konnte ich loslassen und hörte auf, eine
Gottesbegegnung krampfhaft „erzwingen“
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Das Gethsemanekloster in Goslar
zu wollen. Trotzdem bekam ich keine Wunder zu sehen,denn Gott kam auf ganz leisen
Sohlen zu mir. Auf einem meiner Spaziergänge hat mich seine Liebe sanft, aber mit
voller Wucht erfasst. Ich hatte so eine Freude und Energie in mir, dass ich einfach
durch den Wald rennen musste. Der Satz,
den ich am Morgen in der Bibel gelesen hatte, war für mich Realität geworden: „Ich
werde all meine Güte an deinem Angesicht
vorbeiziehen lassen“ (Exodus 3,19).
Die hohe Kunst des Loslassens
Die letzten Einkehrtage waren von purer
Lebensfreude und geistlicher Fülle geprägt. Ich konnte bei den Gebetszeiten alles erstaunlich intensiv und konzentriert
aufnehmen. Ich habe es selten erlebt, dass
Stille in so positivem Sinne laut geworden
ist. Weil mich kein Geräusch mehr ablenkte, die eigenen Gedanken längst verraucht
waren und Gottes Geist mich ausfüllen
und einhüllen konnte. Die Psalmen, die
wir in dieser Zeit meditiert haben, sind immer noch präsent, sind für mich richtige
Begleiter geworden.
Das Kloster hat mir eine große Lehre erteilt: Die Suche nach Gott entzieht sich jeder Kontrolle und jeder Machbarkeit, sie ist
die hohe Kunst des Loslassens. Und selbst
die kann man nicht lernen! Oder wie die
Brüder es sagen würden: „Von der Sehnsucht Getriebene machen sich auf die Reise
zu Gott. Es ist zutiefst eine Reise des Glaubens und nicht des Wissens, des Loslassens
und nicht des Festhaltens. Man verlässt das Bekannte und riskiert das
Unbekannte. Es ist eine Reise mit Höhen und Tiefen,mit Regentagen,aber
auch mit wolkenfreien Tagen und
freiem Blick in den Himmel.“
.
Infos: Gethsemanekloster, Gut Riechenberg 1,
D-38644 Goslar, Tel: 0 53 21/2 17 12, Fax: 16 83,
www.gethsemanekloster.de,
Bürozeiten: Di-Fr 8:30–11:30 Uhr
Anne Albers studiert Germanistik, Journalistik
und Geschichte
in Hamburg.