Pastoralreferentin Patricia Nell, Frankfurt Zuspruch am Morgen in hr2-kultur am Donnerstag, 16. Juli 2015 Immer wieder aufstehen Die Violine ist ihr Leben. Das war schon immer so. Und sie hat es geschafft: Miriam spielt in einem bekannten Orchester. Ein Traum. Eigentlich. Wenn da nur diese verflixte Angst nicht wäre. Vor jedem Auftritt das Gleiche: Schweißausbrüche und ansteigender Blutdruck. Der Gedanke, auch nur den kleinsten Fehler zu machen, der bringt sie fast um. Mit normalem Lampenfieber hat das nichts mehr zu tun. Das weiß sie selbst. Und deshalb hat sie angefangen, der Sache auf den Grund zu gehen: sich zu fragen, warum das so ist. Noch nie ist bei ihren Auftritten etwas schief gegangen. Und trotzdem ist sie da: diese Angst, den Erwartungen nicht zu entsprechen und zu versagen. Und wer kennt diese Angst nicht? Egal ob Künstler, Geschäftsmann, Student oder Schulkind: Jedem macht irgendwann einmal dieser Gedanke zu schaffen, dass etwas schief gehen könnte. Ich könnte ja scheitern, obwohl ich mein Bestes versucht habe. Miriam ist von dieser Angst geradezu beherrscht. Von klein auf wurde sie so erzogen: Ohne Fleiß kein Preis. Gut leben heißt immer Bestleistungen erbringen. Und nur wenn du erfolgreich bist, kommst du weiter. Dafür wirst du dann belohnt. Und nicht nur das: Auch geliebt wirst du dafür. Dieser Zusammenhang ist normal. Und er ist das Problem. Jeder Mensch braucht nämlich gerade auch dann die Zuneigung, wenn es nicht so läuft, wie geplant: Wenn wir auf die Nase fallen und eine Niederlage erleiden. Vor allem als Kleinkind erleben wir das: Beim Laufen lernen zum Beispiel. Hunderte Male plumpsen wir auf den Boden, ohne darüber groß nachzudenken. Warum? Weil irgendjemand uns gleich wieder auf die Beine stellt und uns so lange Halt gibt, bis wir wieder von selbst stehen können. Im besten Fall werden wir dabei geherzt und liebevoll angestrahlt. Und in diesem Moment wissen wir es dann: Hinfallen ist nichts Schlimmes. Wir können aufstehen und es von neuem versuchen. Und noch etwas lernen wir dabei: Es ist jemand da, wenn ich auf die Nase falle. Jemand, der mich auffängt und hält. Und den spielt es überhaupt keine Rolle, wie oft ich stolpere. Hauptsache ich komme wieder auf die Beine. Anscheinend geht diese so wichtige Erfahrung aber im Laufe des Lebens irgendwie verloren. Warum auch immer. Das muss aber nicht so bleiben. Wir können unsere Angst überwinden. Das weiß auch Miriam, die Violinistin inzwischen. Dank einer Auszeit mit professioneller Hilfe, dank verständnisvoller Orchesterkollegen. Vor allem aber dank ihres liebevollen Partners. Er hat sie auf diesem Weg immer wieder aufgerichtet. Und sie hat es neu gelernt: Fehltritte und Niederlagen können passieren. Sie bringen uns nicht um. Vielmehr gehören sie zum Leben dazu. Sie erinnern uns nämlich daran: Wir können wieder aufstehen. Mit Hilfe vertrauter Menschen. Nicht nur als Kleinkind zu Hause, sondern in jedem Moment. Nicht nur auf den großen Bühnen, sondern auch in unserem Leben. Zum Nachhören als Podcast http://www.hr-online.de/website/radio/hr2/index.jsp?rubrik=22644
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