Diabetes im Griff

Prim. Dr. Reinhold Pongratz, MBA
Diabetes im Griff
Therapie Aktiv verbessert die
Vorsorge von Diabetikern
Ausgangslage
In Österreich leiden 570.000 Patienten unter Typ-2-Diabetes. Die Zahl der Betroffenen
hat sich in den vergangenen 2 Jahrzehnten in Mitteleuropa um mehr als 40 Prozent
erhöht. Experten rechnen mit einem Anstieg um weitere 35 Prozent bis zum Jahr 2030,
eine Herausforderung auch für das österreichische Gesundheitssystem.
Um die Versorgungsstrukturen für Diabetespatienten zu verbessern wurde 2007 das
Disease Management Programm (DMP) "Therapie Aktiv" von der österreichischen
Sozialversicherung ins Leben gerufen. Mit der strukturierten Betreuung von chronisch
Kranken soll unter dem Motto „länger leben bei guter Gesundheit“ Leid gelindert und
Lebensqualität erhöht werden.
Therapie Aktiv
Im Mittelpunkt des Programms steht der Patient, der motiviert durch die zur Verfügung
stehenden Therapiemöglichkeiten aktiv und eigenverantwortlich seinen Diabetes im Griff
haben soll. Arzt und Patient legen sinnvolle und erreichbare Ziele für den Patienten fest.
Gemeinsam werden Behandlungsstrategien, die zum Erfolg führen, geplant.
Durch eine kontinuierliche und auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen
beruhende Betreuung soll ein optimaler Behandlungserfolg erreicht werden. Die im
Verlauf dieser Erkrankung typischen Folgeschäden und -komplikationen werden
vermieden oder zumindest hinausgezögert. Eine verbesserte Lebensqualität und ein
Gewinn an Lebensjahren sind dadurch zu erwarten.
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Die nachstehende Grafik zeigt den Umsetzungsstand von „Therapie Aktiv“ in den
einzelnen Bundesländern.
Mittlerweile werden im Programm „Therapie Aktiv“ 43.455 Patienten von 1.157
Medizinern betreut (Stand: 16.4.2015). Fast in allen Bundesländern – derzeit mit
Ausnahme von Kärnten und Tirol - kann an "Therapie Aktiv" teilgenommen werden.
Wissenschaftliche Evaluierung:
2014 wurde die Wirksamkeit von „Therapie Aktiv“ - die strukturierte Betreuung von
Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 - wissenschaftlich untersucht.
Inwieweit die Programmziele erfüllt werden, sollte eine von der Sozialversicherung
unabhängige Evaluierung des Programms zeigen. Um diese auf eine möglichst breite
Basis zu stellen, waren Experten eingeladen am österreichweiten Evaluierungsboard für
„Therapie Aktiv“ teilzunehmen. Dieses Fachgremium legte die Rahmenbedingungen, die
Methodik sowie das Studiendesign für die Analyse von „Therapie Aktiv – Diabetes im
Griff“ fest.
Aufgrund der Verbreitung von „Therapie Aktiv“, der Laufzeit und der Kosten einer
randomisierten kontrollierten Studie schlug das Evaluierungsboard eine retrospektive
Beobachtungsstudie im Kontrollgruppendesign mit einer minimalen Beobachtungsdauer
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von 5 Jahren vor. Dabei sollte auf Routinedaten der Sozialversicherungsträger aus dem
niedergelassenen und stationären Bereich zurückgegriffen werden.
Die DMP-Gruppe umfasste Patienten die 2008/2009 ins Programm eingeschrieben
worden sind und von denen mindestens 1 Folgedokumentation vorlag. In die
Kontrollgruppe wurden Patienten aufgenommen, die bei Ärzten in Behandlung waren,
die keine DMP-Ausbildung hatten bzw. eine Ausbildung hatten aber keine Patienten ins
Programm eingeschrieben hatten.
Die österreichweite Evaluierung des DMP betrachtete sowohl medizinische als auch
ökonomische Auswirkungen. Primärer Endpunkt für die medizinische Effektivität des
DMP war die Sterblichkeit (Mortalität). Zusätzlich erfolgte die Auswertung weiterer
diabetesspezifischer Folgeerkrankungen wie Myokardinfarkt und Schlaganfall. Bezüglich
der ökonomischen Auswirkungen standen die Gesamtkosten im Mittelpunkt. Weitere
Zielkriterien waren die einzelnen Kostenkomponenten Arzteigen-, Spitals-, Heilmittelund Transportkosten.
Um das Risiko von unbekannten Störfaktoren und damit eine Verfälschung der
Ergebnisse hintanzuhalten, erfolgte die Bildung der Kontrollgruppe im Rahmen der
Evaluierung durch eine international anerkannte Methode („Propensity Score
Matching“). Dadurch war es möglich eine Vergleichsgruppe zu finden, welche der DMPGruppe in relevanten Parametern möglichst ähnlich war (Unterschied < 10%). Zu diesen
Parametern
zählten:
Demographische
Daten,
Heilmittelverordnungen,
Krankenhausaufenthalte, Entlassungsdiagnosen und Kosten. Die Grundlage für die
vorliegende Evaluierung bildeten die Daten von 6.723 Programmteilnehmern und 21.543
Patienten in der Kontrollgruppe.
Medizinische Ergebnisse:
Die Ergebnisse nach 4 Jahren DMP zeigen hinsichtlich der Sterblichkeit (Mortalität)
statistisch signifikante Unterschiede zwischen der DMP-Gruppe (Teilnehmer an
„Therapie Aktiv“) und der Kontrollgruppe (Nicht-Teilnehmer).
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Die Sterblichkeit liegt im Programm „Therapie Aktiv“ um 35 % unter der Kontrollgruppe
und unterscheidet sich damit statistisch signifikant. D.h. der Unterschied ist auf die
verbesserte Wirkung des Programms zurückzuführen und kann nicht auf zufälligen
Schwankungen beruhen.
Auch die Analyse der schweren diabetesspezifischen Folgeerkrankungen Herzinfarkt und
Schlaganfall zeigt ähnliche Ergebnisse.
Beim Herzinfarkt sind in der DMP-Gruppe um 8 % weniger Patienten betroffen und auch
Schlaganfälle sind in der DMP-Gruppe um 10 % seltener zu finden als in der
Kontrollgruppe.
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Ökonomische Ergebnisse:
Als ökonomische Zielsetzung wurden die Gesamtkosten für die Behandlung von
Diabetikern definiert und dafür die Kategorien Arzteigen-, Spitals-, Heilmittel-, und
Transportkosten analysiert.
Auch bei den Gesamtkosten zeigt sich eine Reduktion von 11 % bei den DMPTeilnehmern.
Das bedeutet, dass „Therapie Aktiv“ nicht nur positive medizinische Effekte für die
Patienten bringt (geringere Sterblichkeit), sondern auch die Gesamtkosten der Betreuung
reduziert. Wenn man die einzelnen Kostenkategorien näher betrachtet fällt auf, dass
durch die Vermeidung von schweren Folge-erkrankungen, vor allem ein Rückgang der
stationären Kosten entsteht. Durch die intensivere Behandlung der Patienten in der DMPGruppe ergeben sich im Bereich Arztleistungen steigende Kosten.
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Disease Management Programme zur Versorgung chronisch Kranker wurden seit Anfang
der neunziger Jahre in vielen Ländern eingeführt. So wurden in Deutschland DMP im
Jahr 2002 bundesweit implementiert, darunter auch ein DMP für Diabetes mellitus Typ 2.
Die Evaluation der Effektivität der Disease Management Programme in Deutschland
wurde zwar gesetzlich verankert, jedoch wurde dafür keine Kontrollgruppe vorgesehen.
Zusätzlich wurden aber Beobachtungstudien im Kontrollgruppendesign durchgeführt, um
die Effektivität zu bewerten. Die Evaluationsstudien zeigten positive Effekte auf die
Mortalität und verbesserte Ergebnisse im Bereich der Prozessparameter.
Zu den Stärken der vorliegenden Studie zum DMP „Therapie Aktiv“ in Österreich
gehören der Vergleich mit einer Kontrollgruppe, die Beobachtungsdauer, die Fallzahlen
und eine breite Berücksichtigung von Matching-Variablen sowie der Einschluss einer
Risikogruppe. Zusammenfassend kann als Ergebnis der Studie festgehalten werden, dass
einerseits „Therapie Aktiv“ - Patienten durch die geringere Sterblichkeit profitieren und
andererseits auch die Gesamtkosten für das Gesundheitssystem durch das Programm
gesenkt werden konnten.
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Über den Autor:
Primarius Dr. Reinhold Pongratz, MBA, STGKK
1992
Promotion
1994–1999
Ausbildung zum Facharzt für Innere Medizin, Krankenhaus
der Barmherzigen Brüder Graz Eggenberg
01/2000
Notarztprüfung
10/2001
Additivfacharzt für Rheumatologie
seit 12/2002
Ärztliche Leitung des Ambulatoriums für Rheumatologie,
Fachärztezentrum der GKK-Steiermark und Etablierung einer
Spezialambulanz für entzündlich rheumatische Erkrankungen
04/2010
Master of Business Administration in Public, Nonprofit und
Health Care Management (Abteilung für Öffentliche
Betriebswirtschaftslehre der Universität Klagenfurt)
seit 05/2011
Leitender Arzt der GKK-Steiermark
Impressum
Im Letter LAUT GEDACHT stellen namhafte und erfahrene Expertinnen und Experten Überlegungen zur
Umsetzung der Patientenrechte an. Der Letter erscheint unregelmäßig seit Juli 2001 und findet sich auf
www.patientenanwalt.com zum kostenlosen Download.
Herausgeber: NÖ Patienten- und Pflegeanwaltschaft, A 3109 St. Pölten, Rennbahnstrasse 29
Tel: 02742/9005-15575, Fax: 02742/9005-15660, E-Mail: [email protected]
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