Betrifft: Ein Brief mit mehr als einer Seite

Fortpflanzungsstress in Zellen: DNA-Reparatur schafft Abhilfe
Bei der Zellteilung kommt es immer wieder zu DNA-Schäden, sie zu reparieren ist für
jeden
Organismus
lebensnotwendig.
WissenschaftlerInnen
am
CeMM
Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der
Wissenschaften in Wien haben nun die Mechanismen aufgeklärt, die das Erbgut
während der Zellteilung intakt halten. Ihre in „Cell Reports“ veröffentlichte Studie
könnte neue Ansatzpunkte für die Krebs- und Alzheimertherapie bieten.
(Wien, der 12.04.2016) Sich zu vermehren bedeutet Stress. Was allen Eltern bekannt sein
dürfte, gilt auch für die kleinste Einheit des Lebens - die Zelle. Sie pflanzt sich fort, indem
sie sich teilt. Dazu muss sie zunächst ihr komplettes Erbgut verdoppeln: Milliarden
genetischer Buchstaben werden kopiert, was immer wieder zu Schäden an den riesigen
DNA Molekülen führt – die Zelle steht unter „Fortpflanzungsstress“. Joanna Loizou
Forschungsgruppenleiterin am CeMM, konnte nun in internationaler Kollaboration bisher
unbekannte Mechanismen aufklären, die Zellen vor diesen Schäden schützen.
Damit die Doppelhelix der DNA kopiert werden kann, wird ihre verdrehte Strickleiterstruktur
zunächst entwunden und anschließend an den Sprossen aufgeschnitten. Beide
Einzelstränge werden schließlich durch einen neu hergestellten, gegenüberliegenden
Strang ergänzt – das Resultat sind zwei neue, vollständig identische Doppelstränge. Zellen
sind wahre Meister in diesem Prozess: Manche schaffen es, die insgesamt fast zwei Meter
langen DNA-Stränge in wenigen Stunden zu verdoppeln. Doch es ist ein hochkomplexer
Vorgang, an dem viele verschiedene Moleküle beteiligt sind - und er läuft nicht immer
reibungslos ab.
„Das Aufspalten der DNA in zwei Einzelstränge - die Bildung der sogenannten
‚Replikationsgabel‘ - gerät häufig ins Stocken“, erklärt Joanna Loizou. „In dieser Phase ist
die DNA besonders empfindlich und kann leicht brechen, für die Zelle bedeutet das Stress.
Eine ganze Reihe an Mechanismen steht deshalb parat, um eventuelle Schäden möglichst
schnell zu reparieren.“ Unzählige verschiedener Moleküle sind an solchen Reparaturen
beteiligt, doch gesteuert werden sie nur von wenigen Proteinen, den sogenannten
„Kinasen“. Sie lösen komplexe Kaskaden biochemischer Reaktion aus, von denen noch
längst nicht alle verstanden sind.
Eine dieser Kinasen hat Loizou daher in ihrer Arbeit genauer unter die Lupe genommen:
ATM, eine Kinase, die eigentlich für andere DNA-Reparaturprozesse bekannt ist, offenbarte
in vorangegangenen Experimenten, dass sie auch während der Zellteilung eine
entscheidende Rolle spielt. Das nahm die Wissenschaftlerin zum Anlass, in einer
CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin GmbH der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Lazarettgasse 14, AKH BT 25.3, 1090 Wien, Austria, Tel. +43-1/40160-70011, [email protected], www.cemm.at
2/3
großangelegten Studie die genauen Reaktionswege von ATM und seinem
Aktivierungsprotein, ATMIN, nachzuzeichnen. Mit durchschlagendem Erfolg: „Wir konnten
erstmals den vollständigen Mechanismus dieser wichtigen Kinase aufklären“, sagt Joanna
Loizou.
Für ihre Studie verglich die Wissenschaftlerin mit ihrem Projektteam sowohl den
vollständigen RNA-Satz – und damit die Genaktivität - als auch alle Proteine aus mutierten
Zellen, denen das Gen für ATM oder dessen Aktivierungsprotein ATMIN fehlt, mit RNA und
Proteinen von normalen Zellen. Solche Hochdurchsatzanalysen sind ein Spezialgebiet des
CeMM, das durch die enge Zusammenarbeit und vielfältigen Expertisen seiner
Arbeitsgruppen die Entwicklung einer personalisierten Medizin vorantreibt. „Mit diesen
großen, vollständigen Datensätzen konnten wir die Funktionsweise von ATM sehr
unverfälscht untersuchen, das war ein großer Vorteil für unsere Arbeit“, betont Loizou. „Die
so gewonnen Erkenntnisse könnten neue Ansatzpunkte im Kampf gegen Krebs oder
Alzheimer liefern“.
Krebszellen teilen sich extrem schnell und sind daher besonders auf die
Reparaturmechanismen angewiesen – das macht die Reaktionspartner von ATM und
ATMIN zu attraktiven Angriffspunkten für einen Wirkstoff. Auch bei Alzheimer könnten sie
eine Rolle spielen: „Wir haben herausgefunden, dass durch ATMIN ein Protein (CRMP2)
chemisch auf die gleiche Art verändert wird, wie wir es auch in den Nervenzellen von
Alzheimerpatienten beobachten“, erklärt Loizou. „Und es ist bekannt, dass
neurodegenerative Erkrankungen oft mit einer Anhäufung von DNA-Schäden im Gehirn
einhergehen. Das stellt eine interessante Verbindung zwischen ATMIN und Alzheimer her,
die man in Zukunft vielleicht therapeutisch nutzen kann“. Sie erhofft sich in Zukunft mit ihrer
experimentellen Methode noch weitere Schlüsselmoleküle zu finden, die bei
Fortpflanzungsstress in Zellen aktiv werden.
Die Studie „A Comprehensive Analysis of the Dynamic Response to Aphidicolin-Mediated
Replication Stress Uncovers Targets for ATM and ATMIN“ erscheint am 14.02.2016 in der
Zeitschrift Cell Reports 15, 1–16. DOI: http://dx.doi.org/10.1016/j.celrep.2016.03.077
Autoren: Abdelghani Mazouzi, Alexey Stukalov, André C. Müller, Doris Chen, Marc
Wiedner, Jana Prochazkova, Shih-Chieh Chiang, Michael Schuster, Florian P. Breitwieser,
Andreas Pichlmair, Sherif F. El-Khamisy, Christoph Bock, Robert Kralovics, Jacques
Colinge, Keiryn L. Bennett and Joanna I. Loizou.
Förderung: Die Studie wurde vom Wissenschaftsfonds (FWF),sowie einem DOC
Fellowship der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gefördert. Die Loizou
Gruppe wird von einem Marie-Curie Career Integration Grant unterstützt.
CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin GmbH der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Lazarettgasse 14, AKH BT 25.3, 1090 Wien, Austria, Tel. +43-1/40160-70011, [email protected], www.cemm.at
3/3
Joanna Loizou ist seit 2011 Gruppenleiterin am CeMM. Geboren und aufgewachsen in
Zypern, erhielt sie ihren Ph.D an der Universität in Manchester und Sussex bei Keith
Caldecott. Darauf folgten postdoctorale Forschungsaufenthalte an der Internationalen
Agentur für Krebsforschung in Lyon bei Zhao-Qi Wang und Zdenko Herceg, sowie dem
Londoner Forschungsinstitut Cancer Research UK bei Axel Behrens. Ihre Forschung am
CeMM konzentriert sich auf DNA-Reparaturmechanismen, mit denen Zellen auf DNA
Schäden reagieren um die Stabilität ihres Genoms zu gewährleisten und Krebsbildung und
vererbbare Krankheiten zu verhindern.
Das CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie
der Wissenschaften ist eine internationale, unabhängige und interdisziplinäre
Forschungseinrichtung für molekulare Medizin unter wissenschaftlicher Leitung von Giulio
Superti-Furga. „Aus der Klinik für die Klinik“ – das CeMM orientiert sich an den
medizinischen Erfordernissen und integriert Grundlagenforschung sowie klinische
Expertise um innovative diagnostische und therapeutische Ansätze für eine
Präzisionsmedizin zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte sind Krebs, Entzündungen,
Stoffwechsel- und Immunstörungen sowie seltene Erkrankungen. Das Forschungsgebäude
des Institutes befindet sich am Campus der Medizinischen Universität und des Allgemeinen
Krankenhauses in Wien. www.cemm.oeaw.ac.at
Für Rückfragen wenden Sie sich bitte an:
Wolfgang Däuble
Media Relations Manager
Phone +43-1/40160-70057
[email protected]
CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin GmbH der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Lazarettgasse 14, AKH BT 25.3, 1090 Wien, Austria, Tel. +43-1/40160-70011, [email protected], www.cemm.at