SPECIAL le geschafft hat, bleibt das sonderbare Geheimnis dieser Jury. Im Vergleich zu Emalie Savoy sang sie Gounods Arie „O Dieu! Que de bijoux“ weitaus facettenreicher und wohlintonierter, auch inniger und berührender. Zuletzt hat Siobhan Stagg im Juni an der Oper in Genf in Beethovens Fidelio geglänzt, im Februar gastiert sie dort erneut und ist in Alcina zu hören. Dem deutschen Publikum ist sie vor allem durch Aufführungen an der Deutschen Oper Berlin (in der Saison 2013/2014 als Stipendiatin des Förderkreises, aber auch in Vorstellungen der aktuellen Spielzeit 2015/16 zu hören) und nicht zuletzt durch die Brahms-Aufführungen unter der Leitung von Christian Thielemann bekannt. Indessen ist in München nicht nur Siobhan Stagg völlig unverständlich nach dem Semifinale aus dem Wettbewerb geflogen, sondern auch die einzigen zwei verbliebenen Männer – der Bassist Sebastian Pilgrim aus Mannheim und der Countertenor Siman Chung aus Südkorea. Man muss nicht das etwas röhrende Timbre von Sebastian Pilgrim mögen, und sicherlich schwächelte er beim Semifinale in der Arie „A te l’estremo addio – Il lacerato spirito“ aus Verdis Simone Boccanegra in der Tiefe – im Vergleich zu den Durchgängen zuvor. Umso origineller, charmanter, auch witziger gestaltete er in der Arie „O, wie will ich triumphieren“ aus Mozarts Entführung aus dem Serail die gewürzte Schadenfreude. Hinreißend war das, fraglos ein Höhepunkt des ARD-Musikwettbewerbs im Fach Gesang. Glückliche Gewinnerinnen MÜNCHEN: ARD-MUSIKWETTBEWERB IM FACH GESANG 94 Die Jury: Stephen Varcoe, Konrad Jarnot, Gabriele Schnaut, Anja Silja, Helen Donath, Thomas Moser, Robert Holl (Vorsitz) Fotos: Daniel Delang A uch starke Jahrgänge sind offenbar keine Garantie für nachvollziehbare JuryEntscheidungen. Der 64. Internationale Musikwettbewerb der ARD, der zwischen dem 31. August und 18. September in München ausgetragen wurde, war im Fach Gesang ein starker Jahrgang. Stärker jedenfalls als vor drei Jahren, als zuletzt Sänger aus aller Welt angetreten waren. Trotzdem darf kontrovers darüber diskutiert werden, ob die Jury die richtigen Entscheidungen getroffen hat. In ihr saßen Helen Donath, Thomas Moser, Gabriele Schnaut, Anja Silja und Stephen Varcoe. Weil Ilena Cotrubaş krankheitsbedingt absagen musste, übernahm Robert Holl den Vorsitz. Für die Juroren war Emalie Savoy aus den USA die Siegerin. Den zweiten Platz und den Publikumspreis heimste hingegen Sooyeon Lee aus Südkorea ein. Marion Lebegue aus Frankreich kam auf den dritten Platz und wurde zudem mit dem Preis für die beste Darbietung des Auftragswerks ausgezeichnet. Das alles ist recht befremdlich. Mag sein, dass Emalie Savoy im Finale insgesamt eine glücklichere Figur machte; im Semifinale fiel sie aber vor allem mit einer Intonation auf, die ausbaufähig war. Überdies vermochte sie es nicht, sich vokalstilistisch an unterschiedliche Epochen anzupassen – was sich nicht zuletzt Das gilt auch für das warme, weiche Timbre des Countertenors Siman Chung. In dem stimmlichen Farbenreichtum des Südkoreaners stecken Potenziale, die sich wunderbar nutzen ließen – gerade auch für die Bühne, wenngleich Siman Chungs Bühnenpräsenz beim Semifinale ausbaufähig war. Etwas unsicher wirkte er, vor allem aber scheiterte er leider an der Auftragskomposition von Chaya Czernowin. Für den Gesangswettbewerb hat die gebürtige Israelin, bekannt geworden durch das kühne Musiktheater Pnima, das Solowerk Adiantum Capillus-Veneris geschrieben. Der Titel ist die Fachbezeichnung für Frauenhaarfarn. Eine „Studie der Fragilität“ wollte Czernowin kreieren, bei der Atem und Geräuschhaftes einen organischen Klangkörper bilden – keine leichte Aufgabe, aber nicht unmöglich. Die Interpretation der Sopranistin Jae Eun Park aus Südkorea bestach mit einnehmender, dramatischer Präsenz, wobei die einzelnen Stimmeffekte sehr präzise durchdrungen wurden. Mit diesem Profil konnte Park mehr überzeugen als Marion Lebegue, die mit dem Preis für die Interpretation dieses Auftragswerks ausgezeichnet wurde. Dass Teile des Publikums gegen das Werk der anwesenden Czernowin protestierten, war in jeder Hinsicht ignorant und respektlos – höchst beschämend. Gravierender bleiben jedoch die Jury-Entscheidungen. Solange die Argumentationen nicht offen und transparent dokumentiert werden, ist auch der ARD-Musikwettbewerb im Grunde nicht wirklich öffentlich – selbst wenn er im Internet durch Live-Streams weltweit zu verfolgen ist und das Publikum in allen Runden dabei sein darf. Was für die Musikkritik gilt, sollte umso mehr für Juroren gelten: dass sie nämlich ihre Bewertungen nachvollziehbar und offen begründen müssen. Immerhin mussten sie im Fach Gesang über insgesamt 22.500 Euro an Preisgeldern entscheiden. Marco Frei in ihrem Einsatz des Vibratos bemerkbar machte. Statt dieses Mittel je nach Ausdruck und Werk zu differenzieren, blieben Savoys Phrasierung und Timbre stets eintönig und vorhersehbar. Zwar passte ihr hochdramatischer, vibratoreicher Zuschnitt durchaus zur Arie „O Dieu! Que de bijoux – Ah, je ris de me voir“ aus Gounods Faust, ganz und gar nicht aber zu Mozarts „Vado, ma dove? Oh Dei!“. Hier agierte Sooyeon Lee im Semifinale mit Mozarts „Ruhe sanft, mein holdes Leben“ ungleich stilsicherer, was durchaus überraschte. Auch im Finale war es die große, schöne Rusalka-Arie von Dvořák, mit der Emalie Savoy stimmlich punkten konnte, nicht aber der Figaro-Reigen Mozarts. Und was sie stimmlich nicht umzusetzen vermochte, versuchte sie mit darstellerischer, dramatischer Präsentation wettzumachen – was allerdings ziemlich aufgesetzt wirkte. Warum es die Australierin Siobhan Stagg nicht über das Semifina95
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