38 KULTUR BASEL | BASELLANDSCHAFTLICHE SAMSTAG, 23. MAI 2015 «Das ist mir fast ein bisschen peinlich» mindest weiss er sie pointiert zu erzählen. Nachdem er jahrelang selbst in der Cappella Coloniensis mitgespielt hatte, wollte er dieser wegen den «grossen Dirigenten, die keine Ahnung von Alter Musik hatten» eigentlich fern bleiben. Doch irgendwann rief der Redakteur des WDR wieder an und bot ihm an ein Projekt zu leiten. Nach anfänglichem Zögern willigte Linde ein und ehe er sich versah, hatte ihn das Orchester in einer geheimen Sitzung zum Chefdirigenten gewählt. In diesen Tagen ist Hans-Martin Linde auf das Erzählen aus seinem Leben vorbereitet. Das österreichische Fernsehen und der WDR waren bereits da. Verschmitzt kommentiert Linde seinen Lebensweg: «Es ging immer alles ganz glatt.» Fast scheint der 1930 in Werne im Münsterland geborene Pfarrerssohn selbst überrascht von dem, was er in seinem Leben geleistet hat. Zum Kriegsende war Linde 15 Jahre alt und schockiert von den zerstörten Städten Köln und Freiburg. Grosse Karriere-Erwartungen schwirrten ihm da nicht durch den Kopf und eine SoloKarriere mit Flöte war zu dieser Zeit sowieso undenkbar. Er gibt zu: «Ich wurde beim Studium in Freiburg eigentlich für eine Orchester-Laufbahn ausgebildet. Es ist mir fast peinlich, dass ich heute als Pionier der Blockflöte gelte.» Doch sein wacher Geist und seine Neugier trugen dazu bei, dass er die sich bietenden Möglichkeiten zum Besten Porträt Hans-Martin Linde gilt als Pionier der Blockflöte. Er hat sich zudem als Komponist und Dirigent einen Namen gemacht. Mit der Musik-Akademie ist er seit 60 Jahren eng verbunden. Morgen feiert er in Basel seinen 85. Geburtstag. VON ANJA WERNICKE Wenn Hans-Martin Linde mal wieder als Prüfungsexperte zu einem Masterabschluss an die Musik-Akademie Basel eingeladen wird, dann fragt er schon mal frisch und frei seine Kollegen: «Ja, wollt ihr mich denn überhaupt noch dabei haben?» Und als Antwort bekommt er: «Aber Du bist doch die Musik-Akademie». Im Geist Paul Sachers Seit fast 60 Jahren ist Linde mit der Ausbildungsstätte eng verbunden. Anfangs unterrichtete er historische Flöteninstrumente und Ensemble, für vier Jahre war er sogar Rektor des Konservatoriums und leitete später eine Klasse für Chordirigieren. Weil Hans-Martin Linde nie nur auf eine musikalische Epoche spezialisiert war, verkörpert er tatsächlich den Geist von Paul Sacher, der sich für Alte und Neue Musik gleichermassen einsetzte und mit der KENNETH NARS Hans-Martin Linde, Blockflötist und Komponist, wird 85 Jahre alt. Gründung der Schola Cantorum Basiliensis (SCB) Geschichte schrieb. Lindes Vielseitigkeit war sein Trumpf, als er in den 1950er Jahren mit dem Cellisten August Wenzinger konzertierte, der zu den ersten Lehrern an der SCB zählte. Wenzinger war begeistert von Linde: «So einen wie dich brauchen wir in Basel!». Er empfahl ihn bei Paul Sacher, der schon ein paar Tage später anrief, um ihn zum Vorstellen nach Basel einzuladen. In den folgenden Jahren bildete Linde eine ganze Generation von Blockflötisten aus, von denen heute viele Professoren an Musik- hochschulen im deutschsprachigen Raum sind. Selbst war er als Solist und Kammermusiker auf den internationalen Bühnen zu Gast und spielte zahlreiche Aufnahmen ein. Eine filmreife Ernennung Von 1984 bis 2000 leitete er als Chefdirigent die Cappella Coloniensis des Westdeutschen Rundfunks (WDR) und trug zur Etablierung der historischen Aufführungspraxis bei. Wie viele Geschichten aus dem Leben von HansMartin Linde ist auch seine Ernennung zum Chefdirigenten filmreif. Oder zu- Auf die Frage, wie er denn eigentlich komponiere, antwortet Linde: «Es fällt einem plötzlich so zu.» Sein meistgespieltes Stück hat er an einem Abend in einem Hotelzimmer komponiert, als er gerade einen Flötenkurs in Spanien gab. «Music for a Bird» (1968) für Flöte solo bestand zunächst aus ein paar fragmentarischen Skizzen, die er später ausarbeitete. Im November veranstaltet die Musik-Akademie ein Konzert zu seinen Ehren, bei dem auch ein neues Werk aufgeführt wird: eine Messe für Chor und Orgel, seine erste Messe überhaupt. Ein weiterer Auftrag, in dem die verschiedenen Nationen der SCB-Studierenden verdeutlicht werden sollen, ist für 2016 geplant. Auch hier betritt er Neuland: «Ich wollte eigentlich kein Potpourri schreiben, aber jetzt bin ich dran und komponiere eine Folge von fünf Miniaturen – nicht ohne politische Hintergedanken im Hinblick auf die vielen SCB-Studenten, die Basel verlassen müssen.» Linde besticht durch seine fröhliche und herzenswarme Art und lässt sich auch mit 85 immer noch gern von sich selbst überraschen. Darin bleibt er sich treu, das hält ihn frisch. «Eine Atmosphäre der Angst» Es sind heftige Vorwürfe, die rund 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Historischen Museums Basel (HMB) gegen ihre Chefin, Marie-Paule Jungblut, und gegen den Leiter von Verwaltung und Betrieb, Matthias Gnehm, richten. Die beiden würden «eine Atmosphäre der Angst» schaffen und Mitarbeiter «gezielt ignorieren»; zudem sei die Kommunikation «widersprüchlich», und das Verhalten der Direktion «unberechenbar und respektlos». Diese anklagenden Sätze zitiert die «Tageswoche» aus einem Brief, der ihr vorliegt. Verfasst habe ihn der Anwalt Gregor Schürmann, Sekretär des Baselstädtischen Angestellten-Verbands (BAV), im Namen von rund 20 Museumsmitarbeitern, die sich an ihn gewendet haben. Die bz hat auf anderem Weg zudem erfahren, dass das Arbeitsklima im HMB seit anderthalb Jahren schlecht sei. Die Chefin habe Mitarbeiter auch schon angeschrien oder zum Weinen gebracht. Derweil unter Jungbluts Vorgänger Burkard von Roda Ausstellungen fast von A bis Z im Haus gestaltet worden seien, würden heute viele Arbeiten an Externe herausgegeben – etwa Grafiken. Mein Lieblingswerk aus dem Kunstmuseum (16) CVP-Grossrat Oswald Inglin wählt Oskar Kokoschkas «Windsbraut» VON OSWALD INGLIN «Beim Betrachten der «Windsbraut» werde ich immer wieder in den Strudel von Kokoschkas Pinselorgie hineingezogen. Eigentlich stellt das Bild ein Liebespaar dar, eben den Künstler mit seiner damaligen Geliebten Alma Mahler, der Witwe des bekannten Komponisten. Oswald Inglin ist Während die Frau Präsident der Bilentspannt an der dungs- und KulturSchulter des Man- kommission im nes schläft, ist die Basler Grossen Rat. Angespanntheit des Letzteren unübersehbar: Gesicht beinahe entstellt, die Hände verkrampft. Und dann dieses kühle Blau, die stürmisch erscheinende Berglandschaft im kalten Mondlicht im Hintergrund. Wie anders ist doch das Bild mit ähnlichem Motiv seines ebenfalls österreichischen Zeitgenossen Gustav Klimt, ‹Der Kuss›, das nur vier Jahre früher entstand. Das Bild wühlt mich immer wieder auf und erinnert mich daran, dass nichts als gegeben vorausgesetzt werden kann, weder Liebe noch Frieden und Unversehrtheit.» Zwei neue Werke Historisches Museum «Spürt der Mann neben der Windsbraut, dass ein Weltkrieg im Anzug ist?» Möglich, dass der Künstler das fragile Liebesverhältnis zwischen ihm und seiner Geliebten darstellen wollte. Je länger ich mich aber mit diesem Bild befasse, desto mehr schwingt für mich auch die ebenso fragile politische Situation des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs am Vorabend des Ersten Weltkriegs mit: ‹Schlafwandler› wurden die Staatsoberhäupter der Kriegsnationen dieses grauenhaften Waffenganges auch schon genannt, da sie sich – allesamt blutsverwandt übrigens – einfach so in diesen Krieg hineinziehen liessen. Spürt der Mann neben der Windsbraut, beinahe seismografisch, was im Anzug ist? nutzte. Schon früh wurde sein Talent im musikbegeisterten Elternhaus in Iserlohn gefördert. Als Junge hörte er allabendlich klassische Musik im Radio und schrieb mit 12 Jahren sein erstes Lied mit Klavierbegleitung. Abklärungen laufen KUNSTMUSEUM BASEL In der «Windsbraut» von 1913 malte Oskar Kokoschka sich mit seiner Geliebten, Alma Mahler. 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Jede Woche stellt eine bekannte Persönlichkeit aus der Region ihr Lieblingswerk aus der Sammlung des Kunstmuseums vor. Am 2. Mai stellte Thüring Bräm, Komponist und Dirigent, Barnett Newmans «The Day Before One» von 1951 vor. Am 9. Mai wählte der Künstler Werner von Mutzenbecher Paul Gauguins «Ta matete» von 1892 und am 16. Mai schrieb Xavier Zuber, Konzert- und Operndirektor von Konzert Theater Bern, warum Paul Klees «Blaue Nacht» sein Lieblingsbild ist. Heute erklärt uns CVPGrossrat und Kulturkommissionspräsident Oswald Inglin, was ihn an Oskar Kokoschkas «Windsbraut» fasziniert. (FLU) ● «Man ist schon seit einigen Monaten daran, die Gründe für die angespannte Situation abzuklären», sagt Philippe Bischof, Leiter der Abteilung Kultur im Basler Präsidialdepartement. Sämtliche Involvierte würden nun angehört und die Situation genau analysiert, das brauche viel Zeit. «Dabei gilt es, ruhig zu bleiben und das Museum und die Betroffenen zu schützen.» Offenbar haben alle – sogar Gnehm – vom Präsidialdepartement eine Weisung bekommen, nicht selber mit den Medien zu reden. Jungblut war die letzten Tage aufgrund eines Unfalls abwesend. Der bz teilt sie in einer Email mit: «Ich werde nach meiner unfallbedingten Abwesenheit offene interne Gespräche zur Klärung der Probleme führen, die ich nicht durch öffentliche Stellungnahmen beeinflussen will.» Sie tönt aber an, dass sie vermutet, die Konflikte könnten auch mit unterschiedlichen Vorstellungen über Ausrichtung des Hauses zu tun haben: Das Sammeln sehe sie nicht als ausschliessliches Kerngeschäft des Museums, sie definiere es «breiter und offener». SUSANNA PETRIN
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