Gezwungen zur Flucht und nirgendwo erwünscht

Das linke Magazin für Oberhausen
Graue Wölfe
Türkische
Ultranationalisten
nutzen
die
König-PilsenerArena als politische Bühne
zu Wahlkampfzwecken und
organisieren sich in Vereinen in
Oberhausen.
Seite 6
Nummer: 27www.paroli-magazin.deMai
2015
Oberbürgermeister-Wahl
Norbert Müller kandidiert für
DIE LINKE.LISTE.
2
Widerstand in Oberhausen
Paroli stellt Antifaschisten aus
der Geschichte Oberhausens vor.
7
Arbeit und Beruf
Zu Einkommensunterschieden
und Unternehmenswillkür.
5
Solidarische Welt
Neuer Fairtrade Laden stellt
sich vor.
8
Linie 105
Zum Bürgerentscheid. Plädoyer
für mehr Selbstbestimmung.
Gezwungen zur Flucht und nirgendwo erwünscht
3
Sind Flüchtlinge wirklich willkommen?
Flüchtlingsunterkünfte in Obehausen. Foto links: Gabelstraße; mitte: Weierstraße; rechts: Bahnstraße
Es gibt viele Gründe, warum
Menschen ihre Heimat verlassen.
Eins sollte jedoch feststehen: Keiner
verlässt sein gewohntes Umfeld, seine
Familienangehörigen und Freunde
freiwillig. Menschen auf der Flucht
sind in einer Ausnahmesituation.
Sie haben eine lange Reise hinter
sich. Sie bangen um das Leben der
Zurückgelassenen, sind traumatisiert
und haben in der Erstaufnahmestelle
ganz andere Sorgen, als die
Bewohnerinnen und Bewohner in den
unterschiedlichsten Ankunftsländern.
Die Nachbarschaft ist für sie neu und
fremd. Ihre Gedanken kreisen um die
Fragen, ob ihre Kinder zur Schule
gehen werden, ob und wie sie Einkäufe
erledigen können, ob es medizinische
Versorgung gibt und ob endlich Ruhe
und Frieden in ihr Leben einkehrt. In
der bundesdeutschen Öffentlichkeit
werden diese Schicksale als Probleme
aufgezeigt, die sich in steigenden
Flüchtlingszahlen, der Suche nach
neuen Unterbringungsmöglichkeiten
und in Formen rechter Gewalt
konstatieren.
Anfang 2000 ging die Zahl der
Asylsuchenden zurück. Folglich
wurde in dem Glauben, dass in
Zukunft nicht mehr viele Menschen
fliehen und Asyl suchen werden die
Unterbringungskapazität reduziert.
Seit 2013 jedoch fliehen immer mehr
Menschen aus ihrer Heimat und
die Kommunen sehen sich vor der
Herausforderung, neue Unterkünfte
für die Flüchtlinge schaffen zu
müssen.
Wohnungen statt Container
In Oberhausen haben wir derzeit ca.
1000 Flüchtlinge, knapp 300 davon
sind in Wohnungen, die restlichen 700
in Flüchtlingsheimen untergebracht.
Nach aktuellen Schätzungen werden
noch in diesem Jahr rund 750
Menschen erwartet – Südosteuropa
ausgeschlossen. Neben den bereits
bestehenden Standorten an der Bahn-,
Weier-, Gabel- und Helmholtzstraße
sowie der Notunterkunft in der
Tackenbergschule werden weitere
Unterkünfte an der Ruhrorter
Straße, der Duisburger Straße, der
Kapellenstraße und der Sperberstraße
eingerichtet. Darüber hinaus soll die
Kapazität an der Gabelstraße um 50
Personen erweitert werden. Statt im
Vorfeld für den Bau fester Gebäude
zu sorgen und die Unterbringung
in
leerstehende
Wohnungen
voran zu treiben, ist also der Bau
weiterer Container geplant. Diese
Form der Unterbringung ist eine
Zumutung. Insgesamt werden damit
zusätzlich Plätze für 450 Menschen
geschaffen; erwartet werden aber 750
Flüchtlinge. Die Stadt plant nur 150
in Privatwohnungen unterzubringen.
Was aber geschieht mit dem Rest?
Deutet sich hier die Abschiebung von
dutzenden Menschen an? Sollen die
Menschen, die hier jahrelang gelebt
und sich zu Recht gefunden haben,
einer unsicheren und perspektivlosen
Zukunft überlassen werden?
Wärst du nicht reich
wäre ich nicht arm
Nicht selten werden die individuellen
Motive zur Flucht gegeneinander
aufgewogen. Oft hört man, dass
Menschen
aus
Kriegsgebieten
willkommen seien, im Gegensatz zu
Jenen, die z.B. aus wirtschaftlichen
Gründen fliehen. Aussagen, die
undifferenziert
und
vereinfacht
sind. Übersehen wird dabei, dass es
für Migrantinnen und Migranten,
die aus existenziellen Gründen
nach Europa drängen, oft nur die
Alternative Flucht oder Verelendung
gibt. Egal, ob es um Krieg, Armut
oder
Umweltkatastrophen
geht,
ihre Not ist in der Regel von den
Industrienationen, in die sie fliehen,
verursacht. Die Verstärkung der
sozialen Ungleichheit, Hungerlöhne
in Entwicklungsländern, zunehmende
Umweltbelastung und der Status von
weltweit agierenden Großkonzernen
gehören zu den Folgen einer
Globalisierung von der die reichen
weißen Gesellschaften profitieren.
Die Menschen werden getrieben
durch den weltweiten Wettbewerb,
in dem die Schwachen nur wenige
Aufstiegschancen haben, wohingegen
die Starken immer stärker werden.
Das führt dazu, dass der Wohlstand
ungerecht verteilt ist und die Schere
zwischen arm und reich immer weiter
auseinander klafft.
Wenn von Wirtschaftsflüchtlingen
die Rede ist, werden dabei Opfer
zu Tätern abgestempelt: Menschen,
die aus wirtschaftlicher Not und
Unterdrückung ihren Heimatländern
entfliehen, verwandeln sich in den
Augen vieler Deutscher und anderer
Mitteleuropäer zu einer Bedrohung
ihres eigenen Wohlstandes und der
Sozialsysteme.
Keinen Fußbreit dem Rassismus
Neben
den
ganzen
Unannehmlichkeiten seitens der
Stadt gibt es für die Flüchtlinge
noch einen weiteren Affront:
rechte und rassistische Stimmen
aus der Bevölkerung beängstigen
die Flüchtlinge. Es gründen sich
Bürgerinitiativen
und
plötzlich
ist das Interesse an Politik und
Gesellschaft groß - leider nicht aus
fortschrittlichen oder demokratischen
Beweggründen, sondern der Sabotage
der Flüchtlingsunterbringung wegen.
Kein Zufall, dass die rechtsextreme
Partei Pro NRW am 1. Mai plant im
Osterfelder Zentrum aufmarschieren
zu wollen.
Die Eröffnung der neuen Wohnheime
wird
von
vorurteilsbehafteten
Protesten der Anwohnerinnen und
Anwohner begleitet. Bürgerinnen
und Bürger beschweren sich, dass
„Fremde“ ungehemmt auf ihren
Garten gucken würden, sich über den
gewohnten Geräuschpegel aufführen
und ihr Immobilienwert sinken würde.
Die Bürgerinnen und Bürger fühlen
sich belästigt durch Menschen, die
eigentlich auf ihre Hilfe angewiesen
sind. Eine Willkommenskultur sieht
anders aus. Das Problem wird nicht
an der Wurzel gepackt.
Die NPD und andere rechtsextreme
Gruppen nutzen diese Ängste für
ihre Forderung nach Abschaffung
des Grundrechts auf Asyl. Aber nicht
alle Bürgerinnen und Bürger lehnen
die neuen Einwohnerinnen und
Einwohner ab. Im Gegenteil: Fast
überall gibt es lokale Initiativen aus
der Zivilgesellschaft, die versuchen,
die neuankommenden Flüchtlinge
zu unterstützen und zu integrieren.
Sie leisten hervorragende Arbeit,
und verdienen großen Respekt. Um
einen Einblick in die Arbeit der
Engagierten zu gewinnen, haben wir
die Oberhausenerinnen Juliane Dietze
und Evelyn Meinhard - beide jahrelang
Engagierte in der Flüchtlingsarbeit befragt.
Die Interviews findet Ihr auf Seite 4.
C. Kaya
Das linke Magazin für Oberhausen Nr. 27Mai 2015Seite 2
Liebe Leserinnen ,
Liebe Leser,
in der diesjährigen
Ausgabe werdet Ihr mit
unterschiedlichsten Themen
und Lebensbereichen
konfrontiert. Das Thema
Flüchtlinge ist ein
Schwerpunkt, da die Brisanz
der Flüchtlingssituation
weltweit zugenommen hat.
Erst vor wenigen Tagen sind
Flüchtlingsboote mit 1000
Menschen gekentert-nur
wenige der Flüchtlinge haben
überlebt. Diejenigen, die
diese Tortur glücklicherweise
überstehen, werden nach
dem Königsberger Schlüssel
aufgeteilt, sodass auch auf
Oberhausen eine Anzahl von
Flüchtlingen zugeteilt wird.
Dieses Jahr werden rund
700 Flüchtlinge erwartet. Wie
Oberhausen damit umgeht und
wie das zivilgesellschaftliche
Engagement für die
Flüchtlingsarbeit aussieht,
erfahrt Ihr auf Seite 4.
Auch das Thema Faschismus
ist weiterhin aktuell. Seite 6
thematisiert die GRAUEN
WÖLFE, die am 26. April
die König-Pilsener- Arena
als politische Bühne nutzen
werden. Passend dazu erfahrt
ihr auf der nächsten Seite mehr
über den Antifaschistischen
Widerstand in Oberhausen.
Diese und weitere spannende
Themen erwarten Euch in
dieser Ausgabe. Viel Spaß
beim Lesen!
Eure Paroli Redaktion
LINKE stellt Oberbürgermeister-Kandidaten auf
Norbert Müller kandidiert für DIE LINKE.LISTE
Auf seiner jüngsten Mitgliederversammlung hat der Kreisverband
DIE LINKE Norbert Müller zu
ihrem Kandidaten für die Wahl des
Oberbürgermeisters gewählt.
Der gebürtige Dinslakener lebt und
arbeitet seit 1972 in Oberhausen.
Damals als Referendar an der
ehemaligen Hauptschule Königshardt
nach
Oberhausen
gezogen,
unterrichtete er an der Jacobischule,
der Vennepothschule und zuletzt
an
der
Brüder-Grimm-Schule.
Norbert Müller ist verheiratet und
hat zwei erwachsene Kinder. Sein
Engagement für Chancengleichheit
und
gute
Arbeitsbedingungen
führte ihn schon als Student in
die Gewerkschaft Erziehung und
Wissenschaft (GEW). Zwanzig Jahre
war er Vorsitzender des für seine
kritische Begleitung der kommunalen
und Landesschulpolitik bekannten
Oberhausener
Stadtverbands.
Als Vorsitzender des Grund- und
Hauptschulpersonalrats stand er
für eine aktive, für die Dienststelle
unbequeme Interessenvertretung. Von
2001 bis 2013 war er stellvertretender
Vorsitzender des Landesverbandes
seiner Gewerkschaft. Als solcher
hatte er auch Aufgaben im
Landesbezirksvorstand des DGB
und im Bundesvorstand der GEW
wahrzunehmen. Auf allen drei
Politikebenen kennt sich Norbert
Müller bestens aus. Nach seiner
Pensionierung im Jahre 2013
hat er sich keineswegs zur Ruhe
gesetzt. So ist er weiterhin Mitglied
im Stadtverbandsvorstand seiner
Gewerkschaft, arbeitet im Vorstand der
Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW mit
und engagiert sich im Bundesprojekt
der GEW “Fair childhood. Bildung
statt Kinderarbeit“.
Mit Blick auf die Sondermittel des
Bundes, die die Oberbürgermeister
bei ihrer Vorsprache in Berlin erwirkt
haben, stellt er fest: „Das wird uns
zwar vorübergehend an der einen oder
anderen Stelle Linderung verschaffen,
jedoch werden die kommunalen
Probleme in der Schuldenfalle damit
auch nicht ansatzweise gelöst. Auch
der DGB fordert deshalb dringend
eine Reform der Kommunalfinanzen,
die eine verlässliche und nachhaltige
Finanzierung
der
kommunalen
Aufgaben garantiert. Das muss
politisch nachdrücklich eingefordert
werden.”
In der Nächsten Ausgabe der Paroli
findet ihr ein ausführliches Interview.
Norbert Müller
Bäume zum Abholzen freigegeben?
Ampelkoalition möchte die Antrags- und Genehmigungspflicht
für private Grundstücke abschaffen
„Mein Freund der Baum ist tot“ heißt
es in einem bekannten Schlager der
Sängerin Alexandra. In Oberhausen
könnte dieses Lied demnächst
wieder häufiger bei Menschen in
Erinnerung gerufen werden. Denn
in der Ratssitzung im Februar ist ein
zunächst unscheinbarer Prüfauftrag
von Seiten der Ampelkoalition an
die Verwaltung gestellt worden,
der gravierende Folgen für den
Baumbestand in Oberhausen haben
könnte. Unter dem harmlos klingenden
und irreführenden Namen „Stadtgrün
stärken und Baumschutz fokussieren“
soll überprüft werden, ob die Antragsund Genehmigungspflicht für private
Grundstückseigentümer aus der
städtischen
Baumschutzsatzung
gestrichen werden könne.
Bereits 1979 ist in Oberhausen eine
erste Baumschutzsatzung beschlossen
worden, die in den Folgejahren
ständig weiterentwickelt wurde und
sich bis heute bewährt hat. Dass sich
Oberhausen eine Baumschutzsatzung
gegeben hat, hat einen guten Grund:
Bäume dienen der Erhaltung des
Stadbildes und des Stadtklimas, sie
tragen ebenso zu einer Verringerung
der Staubbelastungen bei, wie sie
zu einer Senkung des Lärmpegels
führen. Auch darf nicht unerwähnt
bleiben, welche Bedeutung der
Baumbestand für die Tierwelt in
Oberhausen hat. Alles zusammen
führt zu einer Aufwertung der Wohnund Lebensqualität.
Dass sich die Baumschutzsatzung
bewährt hat, wird bei Betrachtung der
Zahlen deutlich: Im letzten Jahr haben
gut 1000 Personen eine fachliche
Beratung von Seiten der städtischen
Verwaltung im Zusammenhang mit
einem Fällantrag erhalten. Nach
eingehender Prüfung sind letztlich
dann nur 50 Prozent der Bäume
gefällt worden. Entweder weil die
Verwaltung in Zusammenarbeit mit
der Baumkommission keine triftigen
Gründe für ein Abholzen erkennen
konnte, oder aber die Eigentümer
umgestimmt werden konnten.
Kritiker wie DIE LINKE.LISTE
fordern statt einer Aufhebung der
Baumschutzsatzung
vermehrte
Maßnahmen zum Schutz der Bäume.
Auch Umweltverbände wie der
NABU haben sich öffentlich kritisch
zu den Änderungsplänen geäußert.
Denn letztlich wünscht sich doch jede
Einwohnerin und jeder Einwohner
eine grüne Stadt und ein attraktives
und gesundes Wohnumfeld anstelle
von „Wohnwüsten“ oder Parkplätze
in den jetzt noch grünen Vor- und
Innenhöfen.
Simon Anders
Aus JeKI wird JeKits
Eine Mogelpackung aus Düsseldorf?
Bild: Peter Kamp / pixelio.de
Bäume dienen der Gesellschaft und einer gesunden Umwelt.
Alleine deswegen sind sie schützenswert. Ein überschnelles
und unbegründetes Fällen von Bäumen kann durch eine
Baumschutzsatzung entgegengewirkt werden.
IMPRESSUM
PAROLI-Verein für
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[V.i.S.d.P.] Jürgen Dittmeyer
(Adresse siehe links)
Auflage: 12.000 Stk.
Namentlich gekennzeichnete Artikel
geben nicht unbedingt die Meinung
der Redaktion wieder.
In ihrer Ratssitzung im Februar hat
die Stadt Oberhausen beschlossen,
sich beim Land NRW für das
Förderprogramm
„JeKits“
zu
bewerben. „JeKits“ steht für „Jedem
Kind Instrumente, Tanz, Singen“ und
ist die Fortführung des erfolgreichen
Programmes JeKI („Jedem Kind ein
Instrument“), das bislang lediglich
das Instrumentalspiel beinhaltete. An
diesem Programm hat Oberhausen
bereits mit einer Vielzahl von
Grundschulen
teilgenommen.
So sehr eine Ausweitung des
Förderprogrammes in Richtung Tanz
und Singen von vielen Seiten daher
begrüßt wurde, so sehr gibt es bereits
eine breite Kritik an der finanziellen
wie inhaltlichen Ausgestaltung von
JeKits.
So bezeichnete DIE LINKE.LISTE
das Landesförderprogramm in der
Ratssitzung als „Mogelpackung aus
Düsseldorf“, da die zu begrüßende
Ausweitung in Richtung Tanz und
Gesang ohne eine Erhöhung des
Landeszuschusses erfolgt, was für
die Schulen in Oberhausen einer
faktischen Mittelsenkung gleich
käme. DIE LINKE.LISTE befürchtet,
dass die Zeche dafür wieder einmal die
Oberhausener Eltern zu tragen haben,
da sie künftig für weniger Förderung
ihrer Kinder mehr zahlen müssen. Mit
der Programmerweiterung werden die
Elternbeiträge im Bereich ‚JeKitsInstrument‘ von 20 auf 23 Euro erhöht.
Eine Anpassung findet auch bei der
Gruppenstärke statt. Statt bislang
fünf Schülerinnen und Schüler pro
Unterrichtseinheit werden nach dem
Programmstart nunmehr sechs Kinder
gleichzeitig unterrichtet.
Aber nicht nur die finanziellen Aspekte
sind der Grund für die Kritik. Auch
die Verkürzung des Förderzeitraums
wird kritisch gesehen. Hier befürchtet
DIE LINKE.LISTE, dass in der
Konsequenz
jährlich
zahlreiche
Kinder aus finanzschwachen und
sozialbenachteiligten Familien ihr
Musikinstrument nach dem 2. Jahr
zurückgeben müssen und zusehen
werden, wie ihre Klassenkameraden
aus
wohlhabenderen
Familien
weiterhin im Nebenraum beim
gleichen Lehrer Musikunterricht
erhalten. Dabei war das Programm
‚Jedem Kind ein Instrument‘
ursprünglich genau für sie gedacht.
Auch
die
„Landeselternschaft
Grundschulen Nordrhein-Westfalen
e.V.“ übt ihrerseits Kritik. Mit
der
geplanten
ausschließlichen
Umsetzung des ersten und zweiten
JeKits-Jahres in den Klassen 2 und 3
würde es sich um eine starre, unnötig
einschränkende Vorgabe handeln, die
keinerlei Flexibilisierung erkennen
lasse. Auch die eingeforderte strikte
Entscheidung für Instrumentalspiel
oder Singen oder Tanzen durch
die Grundschule stößt bei der
Elternschaft auf wenig Gegenliebe,
da dadurch von vornherein das
Zusammenspiel der künstlerischen
Formen ausgeschlossen werde.
Martin Goeke
Das linke Magazin für Oberhausen Nr. 27Mai 2015Seite 3
OGM Handyskandal dauert an
Rat fordert externe Wirtschaftsprüfung
Seit November 2014 ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Mitarbeiter
der Stadttochter Oberhausener Gebäudemanagement GmbH (OGM).
Im Januar wurde der Handyskandal in der Öffentlichkeit bekannt. Von
einem Millionenbetrug mit mehr als 3000 Handys und damit verbundenen
Mobilfunkverträgen ist die Rede, die MitarbeiterInnen der OGM günstig
eingekauft und weiterverkauft haben sollen.
Gleich nachdem der Betrugsfall
öffentlich bekannt wurde, sprach
Oberbürgermeister Wehling von
einem Organisationsdefizit und stellt
damit dem Beschaffungswesen und
der Unternehmenssteuerung seiner
städtischen Tochter OGM kein gutes
Zeugnis aus. Es ist also fraglich, wie
gut das Management der OGM ihre
Aufgaben erledigt hat. Wie können
seit 2011 3000 Handys beschaffen
worden sein, wenn es nicht einmal so
viele MitarbeiterInnen gibt?
Auf die Spur selbst ist die Telekom
gekommen, weil über ihre SIM-Karten
nie telefoniert wurde. Subventionierte
Gerätepreise von 84 Cent und eine
Softwarelücke bei der Telekom sollen
es MitarbeiterInnen einfach gemacht
haben, teure Smartphones und TabletComputer einzukaufen, um sie dann
weiterzuverkaufen. Bisher ist von zwei
Beschuldigten die Rede. Doch wem
hätte das alles noch auffallen müssen?
LINKE fordern Hartmut Schmidt
auf, Verantwortung zu übernehmen
Yusuf Karacelik, Vorsitzender der
LINKE.LISTE Ratsfraktion fordert
daher den Rücktritt des OGMGeschäftsführers Hartmut Schmidt.
„Es ist skandalös, dass der Betrug
nicht durch das Controlling der OGM
aufgedeckt worden ist, sondern durch
die Telekom. Man muss sich die Frage
stellen, ob es sich nur um die Spitze
des Eisberges handelt. Wir fordern,
dass es personelle Konsequenzen gibt.
Schmidt muss als Geschäftsführer der
OGM Verantwortung tragen“, erklärte
Karacelik.
Seit Jahren schon fordert DIE LINKE.
LISTE die Rekommunalisierung der
OGM. Eine Rekommunalisierung
könne kriminelle Energie nicht
ausschalten, Genausowenig, wie
ein Haus absolut gegen Einbruch
gesichert werden kann.
„Aber wir
können uns wohl vorstellen, dass
dadurch das Pokern um die Posten
rapide abnähme und vor allem
die vom Management vorgelebte
Selbstbedienungsmentalität weitestgehend abgeschafft würde. Außerdem
gäbe es mindestens eine Schnittstelle
weniger, was z.B. die Überwachung
derartiger Standardprozesse insgesamt
einfacher machen dürfte“, meint Lühr
Koch, Mitglied im Stadtrat für DIE
LINKE.LISTE.
Rat will externes Prüfunternehmen
Klar ist, dass die Missbräuche
im Beschaffungswesen zukünftig
verhindert werden müssen. Die
Opposition
hat
daher
einen
Antrag eingereicht, so dass sich
ein externer und unabhängiger
Wirtschaftsgutachter mit dem Fall
beschäftigt. Beschaffungsverfahren,
Rechnungslegung und Controlling
sollen auf den Prüfstand, in wie weit
sie eine Rolle gespielt haben, um
Missbräuche zu ermöglichen und
zu verschleiern. Der Rat hat sich
einstimmig dafür ausgesprochen.
Die Prüfung soll parallel zu den
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen
erfolgen. Diese ist noch nicht
abgeschlossen und man darf
gespannt sein, welche Erkenntnisse
noch an die Öffentlichkeit dringen.
Neben der genauen Schadenshöhe
bliebt abzuwarten, wer von den
Handybestellungen noch gewusst hat
und möglicherweise profitiert hat.
Pikant bleibt die Frage, in wessen
Hände die bestellte Ware gelandet ist.
David Driever
Billig eingekauft und dann weiterverkauft. Jahre lang blieb diese Methode für OGM und Telekom unbemerkt.
Keine verlängerte Straßenbahnlinie 105
„Nein“ zur Verlängerung beim Ratsbürgerentscheid - Wahlbeteiligung erschreckend niedrig
Die Würfel sind gefallen: Beim
ersten Ratsbürgerentscheid in
Oberhausen hat die Mehrheit
der
Oberhausenerinnen
und
Oberhausener, die am 08. März
den Weg ins Wahllokal fanden,
gegen die 3,3km lange und gut 80
Millionen teure Verlängerung der
Linie 105 von Essen kommend nach
Oberhausen gestimmt.
Bereits nachdem die ersten Ergebnisse
um 18:30 Uhr eintrudelten, war
die Tendenz klar. Die Mehrheit
der Wahlberechtigten an diesem
Sonntag stimmte gegen den Ausbau.
Am Ende stimmten 57 Prozent der
Wahlberechtigten gegen die Linie
105, 43 Prozent für sie. Lange Zeit
spannend blieb daher einzig die
Frage, ob die Nein-Stimmen das
nötige Quorum von 16.000 Stimmen
überschreiten würden, damit der
Ratsbürgerentscheid gültig werden
kann. Andernfalls hätte der Rat
der Stadt erneut über den Bau der
Straßenlinie beraten müssen. Dass
daran Zweifel lagen, lag an der sehr
schwachen Wahlbeteiligung. Nur
23,5 Prozent der Wahlberechtigten
machten von ihrem Stimmrecht
Gebrauch. Letzten Endes wurden mit
21.725 Stimmen auf der Nein-Seite
gut 5.000 Stimmen mehr abgegeben,
als es bedurft hätte.
Trotz einem auf dem Papier
großem Bündnis bestehend aus der
Ampelkoalition,
Gewerkschaften,
Kirchen, dem Fahrgastverband Pro
Bahn und einigen Unternehmen gelang
es den Befürwortern offensichtlich
nicht, ihre Argumente überzeugend
in der Öffentlichkeit dazustellen.
Zu nichtssagend war das „WerbeSex-Filmchen“, was immerhin über-
regionale Aufmerksamkeit erhaschen
konnte. Aber selbst die Wahlplakate
präsentierten
den
potentiellen
Wählerinnen und Wählern keine
inhaltliche Aussage darüber, warum
es wichtig gewesen wäre, für eine
Verlängerung zu stimmen. Die
GRÜNEN, die als einzige Partei
Wahlplakate aufhängten, propagierten
„Linie 105 mehr als nur eine
Straßenbahn“. Die vorbeigehenden
Passanten ließ man mit dieser
Aussage ratlos zurück, im besten
Fall würden sie sich abends noch den
Kopf darüber zerbrechen, was eine
Straßenbahn noch sein könnte.
Die
Gegner
des
Ausbaus
konzentrierten
sich
vorwiegend
auf die hohen Kosten. Von den 80
Millionen Euro Gesamtkosten, hätte
die Stadt 13 Millionen selber zahlen
müssen. Ein Lückenschluss von
Bild: Avanti O.
Endstation für die Linie 105
gerade einmal 3,3km wurde von vielen
daher als nicht notwendig angesehen.
Viele zeigten sich verärgert, dass
der ÖPNV in Oberhausen gerade
unter der Argumentation der leeren
Kassen in den letzten Jahren deutlich
zusammengestrichen wurde und
Randgebiete
immer
schlechter
zu erreichen sind, nunmehr auf
einen Schlag aber Gelder für einen
Streckenneubau zur Verfügung stehen
sollten.
So erfreulich es insgesamt ist, dass die
Oberhausenerinnen und Oberhausener
selbst über ein zentrales Projekt
zur Stadtentwicklung abstimmen
durften, so bleibt jedoch ein fader
Beigeschmack übrig. Von Beginn
an stand selbst die Ampelkoalition
nicht voll hinter dem Projekt und
schon gar nicht hatten sie den Mut es
im Jahr der Oberbürgermeisterwahl
durch den Rat beschließen zu lassen.
Vielmehr sollten die Bürgerinnen und
Bürger über den Bau entscheiden.
Dabei konnte von echter direkter
Demokratie keine Rede sein. Im
Gegensatz zu den 143 Wahllokalen,
die bei regulären Wahlen geöffnet
werden, wurden nur 29 Wahllokale
geöffnet. Der „Gang an die Urne“
blieb vielen Menschen verwehrt,
die nicht mobil waren. Vielleicht
hoffte die Koalition sogar darauf,
dass vorwiegend die Befürworter zur
Wahl gehen würden, während die
Gegner keine langen Anfahrten zum
Abstimmen in Kauf nehmen würden.
Allerdings wurden in der heißen
Phase der Wählermobilisierung auch
strategische Fehler gemacht. Einer
Veröffentlichung des Gutachtens
zur Bewertung der Linie 105 wurde
auf arrogante Art und Weise entsagt.
Dies ließ bei vielen Menschen
Missgunst entstehen und Zweifel
kamen auf, ob die Stadtspitze nicht
doch etwas zu vertuschen hatte. Auch
die überzogene und immer wieder
wiederholte Zahl von fast 6000
neuen Arbeitsplätzen in Oberhausen
nach dem Bau der Linie, reichte bei
vielen nur für ein müdes Lächeln.
Es entstand stattdessen zunehmend
der Eindruck, dass die Linie 105
vorrangig eine „Wirtschaftsbahn“
für das CentrO. werden sollte, um
neue Kundschaft zu erschließen.
Dass das CentrO. selbst auch noch
eine Millionen zuschießen wollte,
ging dabei fast schon als Randnotiz
unter. Dies alles mündete zudem in
einem Informationsheftchen, welches
mit den Wahlunterlagen versendet
wurde und kritische Stimmen
von der Opposition zwar auf den
hinteren Seiten enthielt, auf den
offiziellen Seiten aber – wie auch im
Internet – diese ausblendete und den
Lückenschluss schön redete.
Die Tage nach dem Ratsbürgerentscheid waren von Schuldzuweisungen
von
Seiten
der
Befürwortern der Linie 105 geprägt.
Es hätte sich eine „Kultur des
Nein-Sagens“ etabliert, die zu dem
„falschen“ und „schlechtem Ergebnis
für Oberhausen“ geführt habe. Die
Gegner der Linie 105 warfen ein
fehlendes
Demokratieverständnis
in die Richtung der vermeintlich
„schlechten Verlierer“ zurück. Wie
auch immer man persönlich zur
Verlängerung der Linie 105 steht,
so wird am Ratsbürgerentscheid
zumindest
deutlich,
dass
die
Oberhausenerinnen
und
Oberhausener auch zukünftig mit in
die politische Entscheidungsfindung
einbezogen werden wollen und
sollten. Wann war zuletzt mit der
Linie 105 ein kommunalpolitisches
Thema Stadtgespräch Nummer 1?
Allerdings muss direkte Demokratie
zukünftig ernst genommen werden
und allen Bürgerinnen und Bürgern
einen kurzen Weg ins Wahllokal
garantieren und vorab für eine
objektive Informationspolitik sorgen.
Bevormundung kommt niemals gut
an.
Martin Goeke
Das linke Magazin für Oberhausen Nr. 27
Thema: Flüchtlinge
Mai 2015Seite 4
Im Interview mit Evelyn Meinhard
Evelyn Meinhard ist zuständig für die Flüchtlingsberatungsstelle im ev. Kirchenkreis Oberhausen mit dem Schwerpunkt der
Einzelfallberatung im Asylverfahren und der Vermittlung von Kontakten zwischen Flüchtlingen und Kirchengemeinden. Darüber
hinaus ist sie Ansprechpartnerin für die Vernetzung mit kirchlichen sowie außerkirchlichen Gruppen, wie beispielsweise mit der
Internationalen Frauengruppe (IF), dem Flüchtlingsrat und der Eine-Welt-Gruppe in Oberhausen.
Paroli: Frau Meinhard, Sie sind schon
viele Jahre in der Flüchtlingsarbeit
tätig, beschreiben Sie doch bitte kurz
ihr Tätigkeitsfeld.
E.M.: Kurz gesagt arbeite ich in erster
Linie in der Einzelberatung mit dem
Hauptanliegen „Aufenthaltsklärung“.
Hinzu kommt die Arbeit in Gremien.
Besonders am Herzen liegt mir
die seit fast 25 Jahren bestehende,
mit Frauke Heiermann gegründete,
Internationale Frauengruppe, die
sich alle zwei Wochen trifft. Hier
erfährt man viel Persönliches von
den Frauen, weil die Kontakte hier
sehr tiefgreifend sind. Frauen bilden
die größte und schutzloseste Gruppe
unter den Flüchtlingen. Natürlich
liegt mir auch die Zusammenarbeit
mit dem Flüchtlingsrat Oberhausen
e.V. sehr am Herzen. Auch der
Öffentlichkeitsarbeit kommt immer
mehr Bedeutung zu, zumal das
Interesse insgesamt an den zu uns
kommenden Flüchtlingen gestiegen
ist, was ich sehr begrüße, weil das
Thema damit auch mehr in die
Mitte der Gesellschaft rückt, wo es
hingehört.
Paroli: Wie würden Sie anhand ihrer
Erfahrungen den derzeitigen Stand der
Flüchtlingshilfe und die Situation der
Flüchtlinge in Oberhausen allgemein
einschätzen?
E.M.: Mit den zu uns kommenden
Flüchtlingen wächst das Interesse
für und mit ihnen da zu sein. Ich
freue mich besonders darüber,
dass sich vor knapp einem Jahr ein
neues Bündnis für eine menschliche
Flüchtlingspolitik aus mehr als 10
Gruppierungen gegründet hat. Hinzu
kommen natürlich viele einzelne
Menschen, sowie lange bestehende
Institutionen, wie der Flüchtlingsrat
Oberhausen e.V., die Caritas, Diakonie
und AWO, die die Flüchtlinge
tatkräftig unterstützten. Hier sind
also auf jeden Fall Fortschritte zu
verzeichnen. Auf der anderen Seite
verzeichne ich die Koordinierung
in
der
Unterbringungsfrage
durch die Stadt fortwährend als
Bemühungen in der Not, z.B. wenn
Flüchtlinge mit der Beseitigung
von Schimmel und Feuchtigkeit in
Wohncontainern, also grundlegenden
Selbstverständlichkeiten,
kämpfen
müssen. Zur Erinnerung: In den 90er
Jahren haben wir in unserer Stadt bis zu
2.500 Asylbewerber in 15 Wohnheime
untergebracht, was zeigt, dass die
jetzige Situation nicht so dramatisch
ist, dass sie nicht zu bewältigen
wäre. Auch wenn man versucht ist,
die Situation zu dramatisieren um
Hilfsbereitschaft und Verständnis
zu gewinnen, so schafft dies doch
auch Unruhe und Unsicherheit,
sowie ein Image der Hilflosigkeit
für die Politik. Dramatisiert man
das Flüchtlingsproblem, so darf
man sich nicht wundern, wenn die
Flüchtlinge selber schon bald zum
Problem gemacht werden, oder gar zu
Ursachen für andere Probleme.
Paroli: In einigen Städten sind die
Ausländerangelegenheiten
dem
Bereich Ordnungsamt entzogen und
dem Bereich Soziales zugewiesen
worden. Hätte diese Änderung auch
in Oberhausen einen Mehrwert für die
Situation der Flüchtlinge?
E.M.: Wie die spätestens seit
Anfang dieses Jahres hochgehängte
Willkommenskultur
auch
verwaltungstechnisch
gestaltet
werden kann, kann und will ich nicht
Evelyn Meinhard
als Außenstehende der städtischen
Verwaltungshoheit beurteilen. Was
ich mir wünsche, aber auch erwarte,
ist, dass die Stadt als Ganzes und alle
Mitarbeitenden den Handlungs- und
Ermessensspielraum, den es ohne
Zweifel gibt, bis an die Grenze des
Möglichen zum Wohle der Flüchtlinge
ausnutzen. Auch soll das jeweilige
Einzelschicksal
wahrgenommen
und so flexibel und angemessen wie
nur irgend möglich darauf reagiert
werden. Alles andere wäre dem
Leitbild einer „sozialen Stadt“ nicht
angemessen. Und es geht viel mehr,
wenn man wirklich will, als man
vorher denkt. Hin und wieder werden
diese meine Erwartungen an die Stadt
erfüllt, aber immer wieder werden sie
auch enttäuscht.
Im Interview mit Juliane Dietze
Juliane Dietze ist pensionierte Lehrerin und betreut Internationale Vorbereitungsklassen. Sie engagiert sich im Flüchtlingsrat, wo sie seit den 1990ern den
Flüchtlingen mit Rat und Tat zur Seite steht. Vorzeitig in den Ruhestand getreten, möchte sich Juliane Dietze intensiver um die Flüchtlingsarbeit kümmern.
Portugiesisch, etc.. Als Lehrer muss
man da einfach offen sein, über seinen
Schatten springen und mit Mimik und
Gestik oder Zeichen sprechen. Man
spielt also auch Theater.
Paroli: Auch
für
gestandene
Pädagogen ist das Unterrichten dieser
Klassen sicher eine Herausforderung.
Übernehmen die Lehrer der jeweiligen
Schule das und bekommen diese eine
Schulung? Was für Voraussetzungen
muss man dafür mitbringen?
Juliane Dietze
Paroli: Frau Dietze, Sie haben
in den letzten Jahrzehnten einen
beachtlichen Teil Ihres Lebens darauf
verwandt, Flüchtlingskindern und –
jugendlichen einen Bildungsweg und
letztendlich beruflichen Anschluss zu
ermöglichen. Wie kamen Sie zu dieser
Aufgabe?
J.D.: Hauptsächlich durch die
Schule. Zu Anfang habe ich, weil
eine Freundin mich darum gebeten
hat, Migrantenkinder in Deutsch
und Mathematik gefördert. Damals,
Ende der 80er Jahre, entstanden die
ersten internationalen Klassen am
Bertha-von-Suttner Gymnasium, in
denen ganz viele Migrantenkinder,
darunter
auch
einige
wenige
Flüchtlingskinder,
waren.
Als
die Anzahl von unvorbereiteten
Flüchtlingskindern zunahm, wurde
ich gefragt, ob man denn nicht
Vorbereitungsklassen an Gymnasien
für ältere Kinder einrichten könnte.
Die kamen bis dahin eigentlich immer
an die Hauptschulen und hatten
wenige Chancen. Daraufhin gab es
Termine mit den Schulleitern der
Gymnasien. Dort haben wir uns dafür
stark gemacht, dass ältere Kinder an
Gymnasien und später auch anderen
Schulformen eine Chance bekommen.
Paroli: Es ist als Laie schwierig
nachzuvollziehen, wie diese internationalen
Vorbereitungsklassen
ablaufen, vor allem wenn ganz viele
verschiedene Sprachen von Schülern
gesprochen werden. Wie funktioniert
das, wenn niemand Deutsch spricht,
aber alle Deutsch lernen wollen? Gibt
es Dolmetscher?
J.D.: Dolmetscher gibt es in den
Schulkassen gar nicht, nein. Deutsch
ist da die gesprochene Sprache, obwohl
man natürlich schon mal auf Englisch
ausweicht. Ich sage mal wie es beim
Bertha von Suttner Gymnasium ist,
wo ich bis Januar diesen Jahres war.
Es sind dort in der Internationalen
Vorbereitungsklassen 15 Schüler aus
13 Ländern und den dazugehörigen
Sprachräumen, darunter Russisch,
Arabisch, Chinesisch, Albanisch,
J.D.: Oh, ganz viele wichtige Fragen!
Natürlich ist das eine Herausforderung,
nicht nur für die jeweilige Schule,
sondern auch für die Lehrer. Die
Klassen werden auch im Moment
immer größer, weil die Klassenstärke
heraufgesetzt wird. Es kommen
immer mehr Kriegsflüchtlinge, die
Furchtbares erlebt haben und z.T.
traumatisiert oder schwer krank sind.
Es fehlen einfach Schulsozialarbeiter
und auch die Ausbildung, wie man
mit solchen Fällen umgeht. Es war
ein großer Fehler, an dieser Stelle zu
kürzen. Den Kindern geht dadurch
Potenzial verloren, was letztlich auch
unser Verlust ist.
Da ist natürlich auch die Politik
gefordert, die nötigen Gelder zur
Verfügung zu stellen.
Paroli: Denken Sie, Verwaltung und
Politik könnten an der einen oder
anderen Stelle Maßnahmen treffen,
um den Flüchtlingen das Leben besser
zu gestalten?
J.D.: Ein erster Schritt wäre zum
Beispiel, den Flüchtlingen in den
Wohnheimen bessere und größere
Aufenthaltsräume zur Verfügung zu
stellen, sowohl für die Erwachsenen, als
auch für die Kinder und Jugendlichen
wo vormittags und mittags gespielt
werden kann oder eben nachmittags
für die schulpflichtigen Kinder
Hausaufgabenhilfen
stattfinden
könnten. Eben nicht nur ein kleiner
Kabuff, sondern größere, vernünftige
Räume. Ein zweiter Schritt wäre, den
Leuten mehrmals die Woche städtisch
organisierte intensive Deutschkurse
anzubieten. Man merkt gerade bei
den Migranten und Flüchtlingen aus
dem höheren Bildungsbereich, dass
die Menschen sich dafür schämen, die
Sprache nicht
zu sprechen. Damit wäre auch die
Langeweile
ausgeräumt.
Diese
Menschen dürfen ja auch nicht
arbeiten.
Paroli: Sind Sie denn mit der
Koordinierung zwischen Verwaltung
und
Politik
einerseits
und
Ehrenamtlichen und Organisationen
ansonsten zufrieden?
J.D.: Also ich denke schon, dass die
Verwaltung derzeit sehr bemüht ist,
das Ganze zu koordinieren, man kann
nur noch nicht zufrieden sein. Der
Wille ist ja da und es wird auch an
einem Konzept gearbeitet, nur eben
leider doch zu spät und das ärgert
mich. Es war ja doch lange abzusehen,
was geschieht. Wie lange läuft der
Krieg in Afghanistan, die Zustände in
Syrien, im Iran? Man hat viel zu spät
reagiert und von daher will ich die
Entschuldigungen auch nicht immer
akzeptieren. Man hätte einfach viel
früher anfangen müssen zu planen
und sich vorzubereiten.
Beide Interviews von
Tobias Pütz und Cigdem Kaya
Die Schutzbefohlenen - Ein Text von Elfriede Jelinek
Das Theaterstück „Die Schutzbefohlenen“ von Elfriede Jelinek wurde am 27. März im Theater Oberhausen zum
ersten Mal aufgeführt. Es ist ein Plädoyer für die Asylsuchenden.
Die Intention von Elfriede Jelineks Stück ist die Erinnerung an die Besetzung der Wiener Votiv Kirche durch
60 Asylbewerber Ende 2012. Die Kirchenbesetzer wollten mit dieser Aktion auf ihre hoffnungslose Situation in
Österreich aufmerksam machen. Auch drei Jahre nach dem Vorfall, hat sich an der Aktualität nichts verändert.
Asylsuchende, die auf der Suche nach Schutz und einem besseren Leben sind, werden wie Fremde behandelt.
Ihre letzte Hoffnung sehen sie in der Überquerung der Festungsmauern Europas, doch durch Frontex und der
Dublin II Gesetzgebung wird die Trutzburg Europas unpassierbar. Die europäische Abwehrpolitik gegenüber
Flüchtlinge verhindert die Aufnahme von Schutzbedürftigen. Sie werden ihrem Schicksal überlassen, während
wir, die im Wohlstand leben, unsere Augen vor dem unendlichen Leid der Geflüchteten verschließen.
So heißt es in dem Text von Elfriede Jelinek „Die Schutzbefohlenen“:
„Wir leben. Wir leben. Hauptsache, wir leben, und viel mehr ist es auch nicht als leben nach Verlassen der
heiligen Heimat. Keiner schaut gnädig herab auf unseren Zug, aber auf uns herabschauen tun sie schon. Wir
flohen, von keinem Gericht des Volkes verurteilt, von allen verurteilt dort und hier.“
Das Theater Oberhausen hat mit der Inszenierung des zeitkritischen, aktuellen Textes das Publikum bewegen
und begeistern können. Modernes Theater wurde hier erfolgreich mit gesellschaftspolitisch relevanten Themen
vermischt. Der vollständige Text ist abrufbar unter: http://www.elfriedejelinek.com/
Das linke Magazin für Oberhausen Nr. 27Mai 2015Seite 5
Arbeit und Beruf
Entlohnung
Eine tiefe Kluft zwischen den Geschlechtern
Der Entgeltabstand kommt zum
Teil dadurch zustande, dass Frauen
für die gleiche Tätigkeit weniger
Geld bekommen als Männer.
Frauen
werden
entsprechend
dem traditionellen Rollenbild als
„Dazuverdienerinnen“
eingestellt
und entlohnt. Durch die abnehmende
Tarifbindung wird solch eine Praxis
begünstigt. Im Schnitt beträgt der
Lohnunterschied schon beim Eintritt
in den Beruf unter vergleichbaren
Ausgangsvoraussetzungen acht Prozent.
Die Schlechterstellung von Frauen
im Arbeitsleben, die ihre Ursache in
ihrer Benachteiligung aufgrund ihres
Geschlechts hat, geschieht jedoch
im Wesentlichen indirekt. Auch hier
spielen die traditionellen Rollenbilder
eine Rolle: Sie spiegeln sich unter
anderem in der Berufswahl von
Mädchen, in einer entsprechenden
gesellschaftlichen
Arbeitsteilung
und im Steuer- und Sozialrecht
wider. Nach wie vor tendieren
Mädchen zu den schlecht bezahlten
„frauentypischen“ Berufen. Bei der
Studienwahl sieht es nicht anders aus.
Dass die schlechtere Entlohnung
von „Frauenberufen“ nicht durch
objektive Kriterien gerechtfertigt
ist, demonstrieren gerade die zu 80
Prozent weiblichen Beschäftigten
im Sozial- und Erziehungsdienst mit
ihrer Kampagne zur diesjährigen
Tarifrunde
(siehe
www.sozialeberufe-aufwerten.de).
Hausarbeit ist weiterhin eher
Frauensache. Im Schnitt verbringen
Frauen täglich zwei Stunden mehr mit
dieser unbezahlten Arbeit als Männer,
denen dadurch mehr Zeit für bezahlte
Tätigkeiten bleibt.
68 Prozent der Frauen in der BRD
sind erwerbstätig. Jedoch sind junge
Frauen weniger auf dem Arbeitsmarkt
präsent als Männer, obwohl sie
heute die bessere Ausbildung
haben. Die hohe Teilzeitquote von
Frauen ist ein wesentlicher Grund
für den Lohnunterschied zwischen
den Geschlechtern. Die hohe
Teilzeitquote wiederum hängt mit
der im internationalen Vergleich
geringen Betreuungsquote der unter
Dreijährigen zusammen.
Teilzeitarbeit wird nicht nur von
vorne herein meist schlechter
bezahlt, sondern stellt häufig auch
eine berufliche Sackgasse dar. Das
gilt ganz besonders für Minijobs. So
wird der Lohnunterschied zwischen
Männern und Frauen mit steigendem
Alter immer größer.
Dass es meist die Frauen sind, die sich
um Erziehung und Pflege kümmern,
liegt sicherlich an den traditionellen
Rollenbildern
und
der
ihnen
hierüber zugeschriebenen besonderen
Kompetenz für diese Arbeiten –
aber nicht nur. In Deutschland
werden Einverdienerhaushalte mit
schulpflichtigen
Kindern
durch
das Steuer- und Sozialsystem klar
bevorzugt. Es liegt nahe, auf das
niedrigere Einkommen der Frau
zu verzichten. Und mit jedem Jahr
der Erwerbsunterbrechung wird die
Einkommensperspektive schlechter.
Der Frauenanteil in Führungspositionen
in der Privatwirtschaft liegt derzeit
zwischen 27 und 30 Prozent und
hat sich damit in den vergangenen
Jahren nur leicht erhöht. Frauen sind
hauptsächlich als Vorgesetzte auf
den niedrigen Managementebenen
tätig. Nach Vollendung des 35.
Lebensjahres nehmen sie deutlich
seltener Führungsaufgaben wahr.
Die Gründe hierfür liegen in
fehlender Unterstützung durch das
Unternehmen, geringer Akzeptanz
durch Vorgesetzte und mangelnde
Akzeptanz
durch
Kollegen,
vor allem aber in der fehlenden
Vereinbarkeit von Berufs- und
Familiensituation, den klassischen
Rollenbildern und den fehlenden
Kinderbetreuungsmöglichkeiten.
Die Lohnlücke, die sich bereits zu
Beginn des Erwerbslebens auftut und
im Laufe des Lebens im Regelfall
größer wird, schlägt sich auch in
niedrigeren Lohnersatzleistungen und
niedrigerer Rente für Frauen nieder.
Bislang gibt es kaum Möglichkeiten,
die Gleichstellung der Geschlechter
bei der Entlohnung durchzusetzen.
Es fehlen verbindliche Frauenquoten
mit der Möglichkeit, sie mithilfe
von Sanktionen durchzusetzen. Es
Bild: Avanti O.
In Deutschland liegt der Unterschied zwischen den durchschnittlichen Bruttostundenlöhnen von Männern und Frauen seit Jahren bei etwa 22 Prozent. In fast allen anderen
EU-Ländern ist diese Entgeltlücke geringer. Durchschnittlich liegt sie in der EU bei „nur“
15 Prozent.
fehlt ein flächendeckendes qualitativ
hochwertiges und erschwingliches
Betreuungsangebot, um Beruf und
Familie miteinander zu vereinbaren.
Es fehlen Steuer- und Sozialgesetze,
die die Gleichstellung von Mann
und Frau fördern. Und nicht zuletzt
ist eine Neubewertung – und damit
Aufwertung – von Frauenarbeit
erforderlich. Dies ist nicht nur
eine Frage der längst fälligen
Wertschätzung dieser Arbeit, sondern
auch eine zweckmäßige Maßnahme
gegen die drohende Altersarmut von
Frauen.
Petra Stanius, RSB Oberhausen
Meine Erfahrungen mit
„10 Jahre Hartz IV“
1. Januar 2005
ALLE erwerbsfähigen Menschen sind nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit
gleich! ALLE! Auch meine schwerbehinderte Nachbarin!
Seit der Operation helfe ich ihr bei den Tücken des Alltags und
bekomme aus ihrer Pflegeversicherung eine Aufwandsentschädigung.
So muss ich also mit dieser Frau im Rollstuhl zum nächsten Büro der
Arbeitsagentur, denn Unterlagen der Ärzte des Versorgungsamtes und
der Rentenkasse werden als alleinige Grundlage zur Antragstellung
nicht anerkannt. Man hat persönlich zu erscheinen!
Bei der Gelegenheit kann ich meinen Antrag auch direkt aktualisieren.
So weit, so gut. Das Bürgerbüro ist zu der Zeit noch in unserem
Stadtteil und zu Fuß gut zu erreichen. Ich muss in Folge immer nur
drauf achten, alle unsere Unterlagen vor Ablauf des Berechnungszeitraums einzureichen.
Im Wartebereich des Bürgerbüros lerne ich dann aber auch die
Geschichten anderer Menschen kennen und höre mit Erschrecken,
dass man nach zwei Jahren Arbeitslosengeld I (mit Berechnung aus
dem letzten Einkommen) ganz plötzlich zum armen Menschen werden
kann.
Ich lerne, dass es ARMUT PER GESETZ gibt.
Aktionskreis gegen
Unternehmerwillkür
Nachdem ich zwei Jahre lang aus der Pflegekasse meiner Nachbarin
eine nicht anrechenbare Summe erhielt, ist damit Ende 2007 Schluss.
Somit merke auch ich, dass man mit dem Geld aus Hartz IV kaum über
den Monat kommt. Mein Auto kann ich nicht mehr halten und weil eines
meiner Kinder in eine eigene Wohnung umzieht, muss ich auch die
Wohnung wechseln. Die 9m² Differenz kann ich aus dem bewilligten
Geld auch nicht selber zusätzlich zahlen.
Bild: Avanti O.
Unternehmen lassen sich immer unverschämtere Machenschaften einfallen, um Mindestlöhne zu umgehen,
Mitarbeiter abzumahnen, oder so
einzuschüchtern, dass sie jede Arbeit
annehmen. Betriebsräte müssen unter
unzumutbaren Bedingungen arbeiten. Gewerkschaftsmitgliedschaften
sind nicht erwünscht. Wir gehen nicht
„Vorwärts, sondern Rückwärts“! Darum haben wir AKUWILL (Aktionskreis gegen Unternehmerwillkür) ge-
Schreibt uns, mailt uns oder ruft uns an,
•
•
•
•
wenn Ihr weitere Informationen zu AKUWILL haben möchtet,
wenn Ihr bei AKUWILL mitmachen oder uns unterstützen wollt,
wenn Ihr von Unternehmerwillkür betroffen seid
und Unterstützung benötigt,
wenn Ihr auch gegen Unternehmerwillkür aktiv seid und Euch
mit uns vernetzen wollt.
Kontakt:
Aktionskreis gegen Unternehmerwillkür
Postfach 10 01 25; 46001 Oberhausen
Mail: [email protected] Tel.: 0208/30 75 47 95
gründet.
Die meisten Mitwirkenden des Aktionskreises gegen Unternehmerwillkür
kommen aus unterschiedlichen Gewerkschaften und Städten, wie Oberhausen, Essen und Mülheim.
Die Firma Interclean dürfte inzwischen vielen Menschen bekannt sein
(Reinigung der Toiletten im CentrO/
Einsammeln der Trinkgelder). Bei
dieser Firma arbeiten Menschen nicht
nur für Hungerlöhne, sondern werden auch noch gemobbt und verbal
bedroht. Interclean ist kein Einzelfall, wie uns bekannt ist. Darum ist
es wichtig Öffentlichkeit zu schaffen,
Unterstützung zu geben und gezielte
Aktionen durchzuführen.
Das Bürgerbüro in unserem Stadtteil ist inzwischen auch dem Sparzwang zum Opfer gefallen und so müssen alle anspruchsberechtigten
Menschen zu einer zentralen Anlaufstelle um ihre Ansprüche geltend
zu machen. Jeden Monat muss ich nun dort Einkommensbelege
abgeben, um meinen Anspruch nachzuweisen, natürlich persönlich,
ansonsten kommen Unterlagen weg und ich werde angemahnt.
Was habe ich da für Stunden in den Fluren zugebracht und wie oft
stand ich da in der Hitze kurz vor dem Kollaps! Hatte aber auch
was Gutes! In Unterhaltungen mit anderen wird mir klar, dass viele
Menschen bei Gesprächen ohne Zeugen von den Angestellten der
Arbeitsagentur übervorteilt werden.
Die Berechnungen, der nun unter dem Namen Jobcenter laufenden
Antragstelle, sind teilweise so unübersichtlich und fehlerhaft, dass ich
mich in eigenem Interesse mit der Materie eingehend beschäftige.
Da viele der armen, arbeitsuchenden Antragsteller in den letzten
Jahren immer wieder massiv unter Druck gesetzt werden, teilweise
falsche Berechnungen gemacht oder unberechtigt Sanktionen
angedroht werden, bin ich auch jetzt noch regelmäßiger vor Ort
anzutreffen, obwohl ich nun zusätzlich den Kampf mit dem Amt für
Grundsicherung aufgenommen habe.
Januar 2015
Gruß
Eure Lotte
Das linke Magazin für Oberhausen Nr. 27Mai 2015Seite 6
Türkischer Nationalismus
Graue Wölfe in Oberhausen
Standort Ruhrgebiet der Idealistenvereine
Das
Auftreten
der
Grauen
Wölfe in Oberhausen ist für
unbeteiligte wenig auffällig. Doch
bei genauer Betrachtung finden
sich ihre Erkennungszeichen an
vielen Stellen im Stadtgebiet, an
Kultur- und Moscheevereinen,
in Lebensmittelgeschäften und
Gastronomien oder an Wände
gesprüht.
Erkennungszeichen
sind unter anderen das Logo
der Almanya Türk Federasyon
und die drei Halbmonde als
Symbol der türkischen „Partei
der nationalistischen Bewegung“
(MHP).
Als
Sammelvereinigung
dient
ihnen in Oberhausen der Türkische
Kulturverein
Oberhausen
e.V.
(OTKO) Seine Eigenbezeichnung
lautet „Oberhausen Türk Kültür
Ocağı (aTf)“. „aTf“ steht hierbei für
die Mitgliedschaft in der Almanya
Türk Federasyon – der Föderation der
türkisch-demokratischen Idealistenvereine. Ihr Vereinssitz ist auf der
Vestischen Straße in OberhausenOsterfeld.
Der Verein organisiert vornehmlich
Kulturund
Brauchtumsveranstaltungen, die auch von Mitgliedern
aus
den
Nachbarstädten
wie
Dinslaken, Duisburg Bottrop und
Mülheim regelmäßig besucht werden.
Neben relativ harmlos wirkenden
Veranstaltungen wie gemeinsamen
Abendessen gibt es allerdings auch
ganz offensichtliche, wie die jährlich
am vierten April stattfindende
Gedenkveranstaltung
zu
ehren
des
verstorbenen
bekennenden
Faschisten und Gründers der Grauen
Wölfe Alparslan Türkeş. Sein
Potrait schmückt die Wände des
Vereinsheims in Osterfeld.
Welche Rolle spielt der Standort
Oberhausen?
Im
Organisationsnetzwerk
der
Türkischen Föderation ist NRW
in verschiedene Bezirke unterteilt.
Oberhausen stellt einen regionalen
Stützpunkt dar, der vor allem für
ihre Kinder- und Jugendarbeit von
Bedeutung ist.
Auch bundesweit scheint Oberhausen
zumindest so wichtig zu sein, dass seit
Jahren die alle zwei Jahre stattfindende
Jahreshauptversammlung im Ruhrgebiet stattfindet. Die letzte wurde
am 16. November 2013 in der
König-Pilsener Arena in Oberhausen
durchgeführt. An dieser vom ArenaChef Johannes Partow in der WAZ
als „kulturelles Event “ verharmloste
Versammlung nahmen ca. 7000
Menschen teil, viele davon Familien
mit Kindern, die dem anwesenden
Vorsitzenden der türkischen MHP,
Ultranationalist*innen im
Integrationsrat
Ein Hauch von hitziger Diskussion lag bei der konstituierenden
Sitzung des Integrationsrates am 16. September vergangenen
Jahres in der Luft. Einhellig waren sich alle Mitglieder des Gremiums einig, mit Faschist*innen nicht zusammenarbeiten zu wollen. Einhellig? Nicht ganz. Die sozialdemokratisch ausgerichtete
Internationale Liste / Türkisch-Muslimische Liste (IL/TML) glänzte
durch Schweigen.
Was war geschehen? Im Nachgang der
Integrationsratswahl hatte die Antifa
Oberhausen mit einem offenen Brief
auf den politischen Hintergrund von
Hüseyin O., Mitglied der Fraktion IL/
TML und ehemaligen Vorsitzendern
des rechtsextremen Oberhausen Türk
Kültür Ocağı (OTKO) hingewiesen.
Hüseyin
O.
glänzte
durch
Abwesenheit und die Vertreter*innen
der SPD waren sich sicher, entweder
könne dieser kein Faschist sein oder
es habe halt niemand gewusst, was
sich hinter diesem Verein verbirgt.
Die Diskussion selbst konnte nur
aufkommen, weil ein Mitglied des
Integrationsrates in der Sitzung
beantragte, darüber zu sprechen.
Im offiziellen Protokoll der Sitzung
findet die Diskussion keinerlei
Erwähnung. Auch die Zeitungen
berichteten lediglich darüber, dass
Vereinszentrum auf der Vestische Straße: Logo des OTKO e.V. (links) und das Logo der türkischen Idealistenvereine (rechts)
Devlet Bahçeli einen bejubelten
Empfang
bereiteten.
Diese
Versammlung kann getrost als die
größte rechtsextreme Veranstaltung
bezeichnet werden, die in Oberhausen
in den letzten Jahren stattgefunden
hat.
Wie weiter?
Unmittelbar nach Redaktionsschluss
der Paroli haben die Grauen Wölfe
angekündigt, am 26. April eine
Wahlkampfveranstaltung der MHP
mit bis zu 10000 Menschen in der
König Pilsener-Arena durchführen
zu wollen. 2011 hat der Rat der
Stadt Essen beschlossen, dass die
Gruga-Halle nicht mehr für solche
Veranstaltungen
zur
Verfügung
gestellt wird. Als Konsequenz fand
die letzte Jahreshauptversammlung
in Oberhausen statt. Auf Rückfrage
haben die Betreiber der KönigPilsener-Arena bereits zwei mal
betont, dass sie keinen Grund
sehen, die Halle nicht für eine
solche Veranstaltung zu vermieten.
Eine solche Raumpolitik ist nicht
nachzuvollziehen und zeigt, dass es
den Betreibern einzig und allein um
finanzielle Aspekte geht. Der Inhalt
von Veranstaltungen scheint egal,
Hetze und Rassismus stellen keinen
Kein weiterer Graue-WölfeKongress in Oberhausen!
Antifa OB
Wer sind die Graue Wölfe?
Als Graue Wölfe bezeichnen sich die Mitglieder der 1961 gegründeten türkischen Partei der
Nationalistischen Bewegung, kurz MHP. Ziel ihrer völkisch-nationalistischen Ideologie ist ein
Großtürkisches Reich, welches vom Balkan bis Zentralasien alle „Turkvölker“ vereinen soll. Zu ihren
Hauptfeindbildern zählen Menschen jüdischen Glaubens, Kurd*innen, Armenier*innen, Homosexuelle,
Christ*innen sowie Linke und Kommunist*innen. Die Grauen Wölfe sind für verschiedene Massaker
und Morde verantwortlich. Traurige Bekanntheit erlangte dabei u.a. das Pogrom von Maraş, bei dem
zwischen dem 19. und dem 26. Dezember 1978 mehr als 100 Alevit*innen ermordet wurden.
In Deutschland wurde 1978 die Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine
in Deutschland (Almanya Türk Federasyon) als Auslandsabteilung der MHP gegründet. Ihre
Erkennungszeichen sind u.a. der sogenannte Wölflingsgruß, die Parteifahne der MHP mit drei weißen
Halbmonden auf rotem Grund sowie ein von einem Halbmond umschlossener heulender Wolf.
der Integrationsrat sich konstituiert
hat. Von problematischen Personalien
kein Wort.
Dabei waren die von der Antifa
Oberhausen veröffentlichten Fotos
eindeutig. Sie zeigten Hüseyin O. vor
rechtsradikaler Symbolik. Zu sehen
war die Fahne der Grauen Wölfe,
bei Feierlichkeiten zum Todestags
des Faschisten und Gründers der
Grauen Wölfe Alparslan Türkeş und
Menschen, die den faschistischen
„Wölflingsgruß“ zeigen. Auch der
direkte Bezug des OTKO zur Almanya
Türk Federasyon (aTf) war auf diesen
Fotos deutlich zu erkennen. Deutlich
worum es geht machte schließlich
Ercan Telli, Geschäftsführer des
Integrationsrates, Mitglied der IL/
TML und ehemals Mitglied der SPDFraktion im Rat der Stadt Oberhausen.
OTKO sei mittlerweile schon in der 4.
Legislaturperiode mit einem Vertreter
Mitglied
des
Integrationsrates.
Hüseyin O. wurde also nicht trotz,
sondern wegen seines Amtes in einem
faschistoiden Verein auf der Liste
nominiert.
Das lässt vermuten, dass die IL/
TML bei ihren Wahlen durch die
Einbindung antisemitischer und
faschistoider
Gruppen
versucht
Stimmen zu gewinnen.
Keine Distanzierung vom
türkischem Ultra-Nationalismus
Der „Wolfsgruß“ der Grauen Wölfe
Ausschlussgrund dar. Es darf in
Oberhausen keine öffentlichen Räume
für rassistische Veranstaltungen bzw.
für Veranstaltungen rassistischer
Gruppierungen geben. Am 13.11.2013
hat der Rat der Stadt Oberhausen gegen
die Stimmen der FDP eine Resolution
beschlossen, die die Durchführung
der letzten Jahreshauptversammlung
kritisierte, was defakto jedoch
keine Auswirkungen hatte. Dieser
Resolution müssen nun Taten folgen.
Unmittelbar
vor
der
zweiten
Sitzung des Integrationsrates am 21.
Oktober 2014 und unmittelbar nach
der Veröffentlichung eines dritten
offenen Briefes trat Hüseyin O.
von seinem Amt im Integrationsrat
zurück. Der Erfolg, der auf den ersten
Blick erkennbar ist, ist bei genauer
Betrachtung jedoch eine Farce.
Denn eine Mandatsniederlegung
ist kein Ausschluss. Ein klares
Bekenntnis
seiner
ehemaligen
Liste zu demokratischen und
antifaschistischen Positionen hat
es zu keinem Zeitpunkt gegeben,
obwohl sich die anderen Fraktionen
des Integrationsrats bereits gegen
eine Zusammenarbeit mit Hüseyn O.
ausgesprochen haben.
Mit der Mandatsniederlegung ist
vorerst Ruhe im Integrationsrat.
Doch
Aktuell
befinden
sich
mit den Vertretern der ATIBMoscheegemeinde im Uhlandviertel
(Avrupa Türk-İslam Birliği „Union der Türkisch-Islamischen
Kulturvereine in Europa e.V.“) und
der von der Islamischen Gemeinschaft
Millî Görüş
(IGMG) (übersetzt:
„nationale
Sicht“)
betriebenen
Aksemsettin Moschee in Holten noch
mindestens zwei Vertreter*innen
antisemitischer Vereinigungen in der
Fraktion der IL/TML. Die ATIBGemeinde ist eine Abspaltung der
Grauen Wölfe, die sich zwar gemäßigt
gibt, aber ebenfalls einen starken Hass
auf Juden, Kurden, Homosexuelle
etc. hegt. Die IGMG steht für einen
politischen Islam und ist von einem
starken Antisemitismus geprägt.
Oberhausener
Antifaschist*innen
fordern deshalb weiterhin einen
Ausschluss dieser Mitglieder durch
die IL/TML und eine konsequente
Ablehnung von Antisemitismus,
Homophobie und Rassismus.
Antifa OB
Das linke Magazin für Oberhausen Nr. 27Mai 2015Seite 7
Antifaschistischer Widerstand in Oberhausen
Bruno Blank und die Chronik der Verfolgung
„Was hat der Faschismus nur angerichtet in den Köpfen
der Menschen – bis heute?“
Mit dieser Frage endet die Verfolgten-Chronik von
Bruno Blank in dem antifaschistischen Lesebuch: Wir
1
„Hoch- und Landesverräter“ aus dem Jahr 1983.
Wie ein Protokoll legt Bruno seinen
Buchbeitrag an. Er beginnt im Jahr
1932. Mit der Losung „Wer Hitler
wählt, wählt den Krieg“ war seine
Partei, die KPD, in den Kampf
gegen die NSDAP gezogen. Bruno
Blank war nach dem Machtantritt der
Nazis Kassierer für die KPD in der
Zechensiedlung Jacobi. Er berichtet
über weitere aktive Zellen in den
Siedlungen Dellwig und Rothebusch.
Drei Jahre später wurde er vom
Oberlandesgericht
Hamm
in
Essen gemeinsam mit 12 anderen
Antifaschisten zu Zuchthaus verurteilt,
danach
ins
Konzentrationslager
verschleppt.
In knappen Worten
schildert er die Folterungen der
Gestapo, aber auch die Solidarität im
Moorlager Brual-Rhede im Emsland:
„Heinrich Jochem war mein Tischund Bettnachbar, wir haben uns gut
verstanden
mit den Genossen von der
2
SPD“.
Nach
der
Entlassung
folgten
Arbeitslosigkeit
und
weitere
Verfolgung, im Juli 1942 wurde er
zur Wehrmacht eingezogen, 1946
kehrte er zurück nach Oberhausen
und stellte sich sofort für einen
demokratischen Neubeginn mit der
KPD zur Verfügung.
Leider kam vieles ganz anders, als
Bruno Blank und andere sich das
nach der militärischen Niederlage
des deutschen Faschismus vorgestellt
hatten. Alte Nazis wurden wieder
in Regierungen und Verwaltungen
geschleust,
die
Sozialisierung
der
Grundstoffindustrien
und
Banken wurde verhindert,
linke
Gewerkschafter und Kommunisten
wurden wieder inhaftiert. Die
Adenauer-Regierung erließ bereits
im September 1950 eine Verordnung,
„…wonach Mitglieder der KPD
und alle anderen kommunistischen
oder als kommunistisch angesehene
Organisationen, darunter auch die
„Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes“ (VVN), aus dem
öffentlichen Dienst sofort zu entfernen
waren.“
So wurden durch dieses Berufsverbot
bis 1955 insgesamt 35.189 Ermittlungsverfahren wegen Staatsgefährdung allein gegen Jugendliche
eingeleitet. 6.429 von ihnen kamen in
Untersuchungshaft und wurden in 425
Strafprozessen zu mehr als3 tausend
Jahren Gefängnis verurteilt.
Am 30. Januar 1953, es war der 20.
Jahrestag der Machtübertragung an
die NSDAP, wollte Bruno Blank vor
der Zeche Sterkrade Flugblätter für
Frieden und nationale Unabhängigkeit
verteilen. Die Wiederaufrüstung
und
die
Westintegration
der
Bundesrepublik war ein erklärtes Ziel
der Regierung von Konrad Adenauer
(CDU). Neben den Kommunisten
gab es viele Organisationen und
demokratische
Persönlichkeiten,
die sich vehement gegen die
Remilitarisierung und den Aufbau
einer neuen Armee stemmten.
Der spätere Bundespräsident Gustav
Heinemann trat aus der CDU aus, sein
Rechtsanwaltskollege Diether Posser
verteidigte viele Verfolgte in den
1950er Jahren, etwa Heinz Renner
4
und Karl Schabrod von der KPD.
Posser war später lange Jahre
Landesminister in NRW.
Bruno Blank wurden 2.600 Gramm
schweres Infomaterial abgenommen
und sichergestellt. Das 7. PolizeiRevier in Oberhausen leistete – wie
die von Altnazis durchsetzte Polizei
überall in der jungen Bundesrepublikganze Arbeit.
Die Wiederaufrüstung der BRD
unter politischer Führung von
Konrad Adenauer und FranzJosef Strauß für die Profite der
Rüstungskonzerne konnte vollzogen
werden. Bruno Blank aber wurde in
seiner Heimatstadt Oberhausen für
sein Leben im Widerstand und sein
vorbildliches Verhalten geehrt.
Ehrennadel erhalten
Im Jahr 1989 wurde er von
Oberbürgermeister Friedhelm van
den Mond mit der Ehrennadel der
Stadt für vorbildliches Eintreten
für die Demokratie und Freiheit
ausgezeichnet. In seiner Laudatio
wies der OB darauf hin, dass immer
wieder die junge Generation an dieses
dunkle Kapitel deutscher Geschichte
zu erinnern sei, damit allen Gefahren
für Demokratie, Freiheit und
Menschenwürde begegnet werden
kann.
„Wer Feindbilder hat, fördert und
propagiert, beschwört immer5 auch
Aggressivität und Intoleranz.“
Heute denke ich oft an Bruno und
sehe ihn vor mir: mit 80 Jahren ein
temperamentvoller, immer gegen
Unrecht und für soziale Gerechtigkeit
eintretender Mensch, ein Mann
mit Ecken und Kanten aus echtem
Schrot und Korn, immer klar und
Am 02. März 2015 hat der Künstler Gunter Demnig zum zehnten Mal in
Oberhausen Stolpersteine für Verfolgte des Nationalsozialismus verlegt. Einer
davon ist für Bruno Blank auf der Elpenbachstraße 16 eingelassen worden.
Bruno Blank (dritter von links) mit Sportfreunden des Radfahrklubs Sterkrade
entschieden, sehr unangenehm für
seine politischen Gegner, für mich
aber einer der besten Freunde in
meinem Leben.
2014 im November – ich sehe Bilder
von randalierenden Nazis auf den
Straßen, und lese von Anfragen eines
Rechten im Stadtrat von Dortmund
nach der Anzahl der Juden in der
Stadt. Für eine Partei rechts von der
CDU wie die AfD ist wieder Platz in
einigen Landesparlamenten –
„Was hat der Faschismus nur
angerichtet in den Köpfen der
Menschen – bis heute?“ Leider ist die
Frage von Bruno Blank nach wie vor
von bedrückender Aktualität.
Klaus Oberschewen
Anmerkungen:
1.
Wir „Hoch- und Landesverräter“. Antifaschistischer Widerstand in Oberhausen. Ein Lesebuch. ASSO-Verlag Oberhausen
1983. Seite 115 – 120.
2.
a.a.O., S. 119
3.
Bernt Engelmann: Wir sind wieder wer. Auf dem Weg ins Wirtschaftswunderland. München 1981, S.60f.
4.
Diether Posser: Anwalt im kalten Krieg - Ein Stück deutscher Geschichte in politischen Prozessen 1951-1968. München
1991
5.
WAZ-Oberhausen vom 02.09.1989
Lisbeth Jansen und die
Flugblätter aus Holland
Lisbeth Jansen lernte ich in den 1980er
Jahren in der VVN/BdA (Vereinigung
der Verfolgten des Naziregimes/Bund
der Antifaschisten) in Oberhausen
kennen. Da wir fast Nachbarn waren,
fuhren wir gemeinsam im Auto zu den
Sitzungen. In Erinnerung geblieben ist
mir eine aufrechte Antifaschistin, mit
einem offenen Gesicht und lebhaften
Augen. Ihrer demokratischen und
linken Überzeugung ist sie ihr Leben
lang treu geblieben, in jungen Jahren
ist sie gemeinsam mit ihrem Mann
Peter im Widerstand gegen die Nazis
aktiv.
Über die Zeit, als Peter Jansen 1933
verhaftet und die Wohnung verwüstet
wurde, als er durch Denunziation
in die Moorlager nach Börgermoor
und Papenburg verschleppt wurde,
als er danach ins KZ Sachsenhausen
gesperrt wurde, darüber gab Lisbeth
in vielen Gesprächen nur sehr
sparsam Auskunft. Als Funktionär
der KPD in Oberhausen gehörte
Peter Jansen, Jahrgang 1906, zum
Widerstand der ersten Stunde in
unserer Stadt, unmittelbar nach der
Machtübertragung an die NSDAP
verteilte er Flugblätter und Aufrufe
zum Generalstreik gegen die
Diktatur, als viele Menschen noch
abwarteten und sich von der braunen
Macht einschüchtern ließen. Als
Hauer im Bergbau und Mitglied der
Bergarbeitergewerkschaft
kämpfte
er besonders für die Einheit der
Arbeiterparteien KPD und SPD, die
leider nicht zustande kam. Allerdings
fand die Gestapo keine Beweise
für den Vorwurf „Vorbereitung
zum
Hochverrat“,
die
NaziUmschreibung für antifaschistische
Widerstandstätigkeit.
Keine Beweise, das heißt noch lange
nicht, dass nichts stattgefunden hat.
Lisbeth bat mich eines Tages um
einen Gefallen: sie wolle nach Elten
an die holländische Grenze fahren,
um alte Bekannte von früher zu
treffen. So lernte ich dort ein etwa
80 Jahre altes Ehepaar kennen; der
1.
Mann war früher bei der Reichsbahn
beschäftigt. Ich war erstaunt über das
vertrauliche und lebhafte Gespräch
dieser Menschen; da war die Rede
von Info-Material und illegalen
Zeitungen, die mit dem Zug von Elten
ins Ruhrgebiet zu Lisbeth und Peter
Jansen geschmuggelt wurden.
Aus Holland kamen die meist
illegalen
Schriften,
etwa
aus
Venlo oder Kaldenkirchen oder
mit der Reichsbahn aus Arnheim.
Umgekehrt gelangten auf diesen
Wegen realistische Mitteilungen
aus der Ruhrarbeiterschaft zu
den illegalen Auslandsleitungen
der
Arbeiterparteien
und
Gewerkschaften. Franz Vogt (SPD)
und Wilhelm Knöchel (KPD)
warteten in Amsterdam auf Infos
aus dem Ruhrgebiet, um dann den
„Friedenskämpfer“ zu schreiben, eine
realistische Schrift für die Einheit
aller Hitlergegner in der Zeit des
Krieges. Beide kannten sich aus der
Zeit vor der Machtübertragung an die
NSDAP aus der Einheitsgewerkschaft
der Bergarbeiter.
In einer Studie würdigt die
Historikerin Beatrix Herlemann die
Tätigkeit Oberhausener Arbeiter
wie Thomas Tabaschowski, August
Zilian, Georg Zinn, Vincent Ratay,
Franz Dieveling und Fritz Kamleiter
für den „Friedenskämpfer“. Konkret
für die Ausgabe Februar 1943 kamen
Informationen
aus
Oberhausen
über
Solidaritätsaktionen
mit
Zwangsarbeitern
nach
Holland,
wurden von der Knöchel-Gruppe
redigiert und wieder ins Ruhrgebiet
geschmuggelt, um die Arbeiterschaft
1
zur Solidarität aufzufordern.
Lisbeth Jansen und ihre Freunde
aus Elten waren stolz darauf, dass
ihnen nichts bewiesen wurde, sie
haben umsichtig und sehr konspirativ
gearbeitet in dem Kampf für ein
besseres Deutschland nach dem
Beginn der Barbarei 1933.
Dieser Kampf ging für Lisbeth nach
1945 weiter, viele alte Nazis hatten
sich und ihre braune Gesinnung auch
in Oberhausen in die Lokalpolitik
eingebracht. Ein bekanntes Beispiel
ist die Kandidatur des NaziBürgermeisters Dr. Legge für die FDP.
Durch einen engagierten Antrag der
damaligen SPD-Fraktion unter Willi
Meinicke wurde dieses Vorhaben
bekannt gemacht und vereitelt.
Für Lisbeth und die VVN-BdA
Oberhausen gab es leider viel zu
tun. Im August 1969 mobilisierte
sie gemeinsam mit vielen anderen
Oberhausener Antifaschisten eine
Demonstration gegen den dreisten
Auftritt des damaligen NPDVorsitzenden Adolf von Thadden im
„Kaiserhof“ in Sterkrade. Die NPD
war seinerzeit in fünf Landtagen der
Bundesrepublik vertreten und war
auf dem Sprung in den Bundestag.
Unter dem Motto „Ein Adolf war
schon zuviel“ protestierten zahlreiche
Oberhausener Bürger wie Fasia
Jansen, Hilmar Hoffmann, Otto
Marx, Manfred Dammeyer, Anneliese
Althoff, Heinz und Ingrid Brieden,
Werner Finkemeier und viele andere
gegen diese Beleidigung unserer Stadt
durch die Neonazis. Ergebnis: die
NPD kam nicht in den Bundestag, der
Kampf in einem breiten Bündnis war
erfolgreich.
Daneben war Lisbeth bei vielen
Ostermärschen
an
der
Ruhr
organisatorisch tätig.
Entspannung fand sie in ihrem Garten
an der Preußenstraße in Sterkrade,
sie hatte den sprichwörtlichen
grünen Daumen, ihr Garten war eine
gelungene Mischung aus Nutz- und
Zierpflanzen. Zahlreiche Stauden und
Pflanzen in meinem Garten erinnern
mich an Lisbeth Jansen.
Diese stille und beharrliche Kämpferin
für Freiheit und gegen Unterdrückung
war für mich vorbildlich, sie war
im besten Sinne parteiisch für die
Demokratie und half mit, sie gegen
ihre Feinde zu verteidigen.
Lisbeth Hansen ist in dieser Stadt
unvergessen.
Beatrix Herlemann: Auf verlorenem Posten. Kommunistischer Widerstand im Zweiten Weltkrieg. Die Knöchel-Organisation. Bonn 1986, S. 97, 98
Klaus Oberschewen
„Der Faire Laden“ stellt sich vor
Produkte für eine solidarische Welt
Liebe Leserinnen und Leser der Paroli,
wir wollen hier die Gelegenheit nutzen uns Ihnen vorzustellen. Wir sind
ein kleiner Verein von im Moment 15 Mitgliedern und haben uns zum
Ziel gesetzt, in Oberhausen fair gehandelte Produkte anzubieten und
zu verkaufen. Dazu haben wir im Oktober letzten Jahres ein kleines
Ladenlokal auf der Elsässer Straße gegenüber des Lichtburg-Kinos
angemietet und betreiben dies ehrenamtlich. Alle Verkäuferinnen und
Verkäufer machen dies aus Überzeugung und verdienen damit kein
Geld.
Eine Mitarbeiterin im Fairen Laden formuliert es so: „Ich möchte
einen persönlichen Beitrag leisten und über menschenwürdige
Produktionsbedingungen informieren. Es kann doch nicht sein, dass
wir hier im reichen Europa nicht dazu in der Lage sind faire Preise für
unsere Produkte zu zahlen. Ich möchte ja auch, dass ich von meinem
Geld, was ich verdiene, leben kann. Warum soll das nicht für alle
Menschen gelten?“
In diesem Laden möchten wir Ihnen zum einen die Produkte anbieten,
die aus dem fairen Handel kommen (unsere Partner hierbei sind die
Gesellschaften GEPA, El Puente und Café Libertad) und Sie zum
anderenüber die Handelspartner informieren. Wir achten darauf, dass
unsere Produkte fair gehandelt und möglichst biologisch produziert sind.
Ein Beispiel:
Sri Lanka Produkt - Bio Tee
Kleinbauern im zentralen Hochland von Sri Lanka haben sich zur Small Organic Farmers Organisation
(SOFA) zusammengeschlossen. Über den Fairen Handel finanziert SOFA Fortbildungen für seine Mitglieder
zum Thema Bio-Anbau ebenso wie z. B. zu Gesundheitsthemen. Auch eine Vorschule für die Kinder der
Teebauern gibt es bereits bei SOFA.
Dank dem Fairhandels-Mehrpreis von GEPA kann SOFA außerdem gezielt ärmere Mitglieder der
Organisation unterstützen und ihre Lebensqualität stark verbessern.
Bisher fehlte beispielsweise das Geld, um ihre verfallenen Häuser
instand zu setzen.
Dieses Beispiel zeigt, dass durch die Unterstützung des fairen
Handels und einer gerechteren Entlohnung der ArbeiterInnen in
den genossenschaftlichen Betrieben Menschen der Aufbau einer
gesicherten sozialen Existenz ermöglicht werden kann.
Durch unseren Laden möchten wir den fairen Handel mehr in den
Vordergrund rücken und bei den Menschen in Oberhausen auch ein
Bewusstsein schaffen für die ungerechten Welthandelsstrukturen unter
denen die ProduzentInnen von z.B. Tee, Kaffee, Kakao und Zucker
schon seit den Kolonialzeiten leiden.
Fair-Trade ist eine Strategie zur Armutsbekämpfung.
Mit einem Einkauf in unserem Laden haben Sie die Gewissheit, dass
die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Bäuerinnen und Bauern
durch Fair-Trade-Preise und Prämien verbessert werden. In den
zertifizierten Betrieben ist Kinder- und Zwangsarbeit verboten.
Lassen Sie sich überzeugen von der hohen Qualität unserer Produkte
und helfen Sie mit beim Aufbau einer solidarischeren Welt!
„Der Faire Laden“ handelt nichtgewinnorientiert und wird von
ehrenamtlichen MitarbeiterInnen geführt. Wir engagieren uns
nicht nur im Verkauf, sondern veranstalten auch Lesungen,
Konzerte, Ausstellungen und geben Ihnen gerne ausführliche
Produktinformationen.
Der Faire Laden
Elsässer Str. 19
46045 Oberhausen
0208/88422016
Öffnungszeiten:
Mo – Fr 10.00 – 13.00 Uhr und 15.00 – 18.00 Uhr
Sa
10.00 – 12.30 Uhr
Mittwochs Nachmittag geschlossen
Kommen Sie
vorbei oder
besuchen
Sie uns auf
www.facebook.com/DerFaireLaden
Der 8. Mai – Ein Tag der Befreiung und des Erinnerns
Der Tag der Befreiung, an dem mit
der bedingungslosen Kapitulation
der Wehrmacht in Deutschland
und auch Europa eine Zeit des
Krieges, des Faschismus und
der politischen Verfolgung aus
rassistischen
oder
religiösen
Gründen ihr Ende nahm, feiert
dieses Jahr seinen 70. Jahrestag.
Nicht nur deswegen gilt es, ihn mit
Bedacht zu begehen. Obschon
der 8. Mai im Verständnis der
politisch Linken und derjenigen,
die durch den NS-Staat verfolgt
wurden, traditionell von Anfang an
ein Tag der Freude war, kann man
seinen großen Bedeutungswandel
im historischen Verständnis der
Deutschen nicht ignorieren. Er
wurde erst durch den zeitlichen
Abstand
zum
Elend,
der
Unsicherheit und Furcht von 1945
und der verstärkten Aufarbeitung
der deutschen Vergangenheit von
einem Tag der Niederlage und der
Ungewissheit zu einem Tag der
Befreiung. Die vergangene Zeit
ermöglicht es uns die Bedeutung
des 8. Mai klarer im historischen
Kontext zu verorten. Er steht für
die historisch größte Niederlage
der NS-faschistischen Ideologie,
das Aufbrechen eines totalitären
Systems. Ein System, das in
jedem denkbaren Sinne des
Wortes
menschenverachtend
war, und nicht zuletzt das Ende
des Grauens des 2. Weltkrieges.
Gerade
aufgrund
der
so
zwiespältigen Entwicklung des 8.
Mai im Geschichtsverständnis, ist
es wichtig zu ergründen, warum wir
für ihn dankbar sein und ihn als Tag
des Erinnerns und der kritischen
Auseinandersetzung
mit
der
Geschichte nutzen sollten. Denn
auch wenn Zeitzeugen auf diesen
Tag nicht nur mit bedingungsloser
Freude zurückblicken können:
Fest steht, dass die militärische
Intervention der Alliierten die
Welt vor noch größeren Gräueln
bewahrt hat, als die, die sie bereits
erlitten hatte. Letztlich erinnert uns
der 8. Mai auch daran, dass wir
beständig dafür eintreten müssen,
Rassismus, Faschismus sowie die
Unterdrückung und Verfolgung von
Menschen dorthin zu befördern
wo sie hingehören:
In die Geschichte.
Tobias Pütz
Aktionswochen in Oberhausen vom 01.-14. Mai
70 Jahre Tag der Befreiung
Anlässlich des diesjährigen 70. Jahrestages hat sich in
Oberhausen ein breites Bündnis gegründet, um diesen Tag
entsprechend zu würdigen. So ist ein buntes Kultur- und
Politikprogramm entstanden, welches zwei Wochen lang
Gelegenheit bietet, sich zu informieren, den Opfern des
nationalsozialistischen Massenmordes zu gedenken und den
Tag der Befreiung zu feiern.
Mehr als 20 Akteure bestehend aus Gewerkschaften,
Antifa, ev. Kirche, sozialen Initiativen und viele mehr bieten
zwei Wochen lang Konzerte, Filme, Ausstellungen und
Diskussionsveranstaltungen an.
Das komplette Programm findet ihr hier:
www.facebook.com/8MaiOB