ROSEMARIE KALTENBACH Ihre Bürgermeisterkandidatin für Rheinberg www.rosemarie-kaltenbach.de Gerade erst ist es wieder passiert. Helen hat die Bilder im Fernsehen gesehen. Von einem sinkenden Schiff auf dem Mittelmeer, von verzweifelten Menschen, die um ihr Leben kämpfen. Den Text, den der Nachrichtensprecher verlesen hat, hat Helen nicht verstanden. Muss sie aber auch nicht, denn sie weiß, was auf diesen Seelenverkäufern passiert. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind in diesem Jahr bereits mehr als 100.000 Flüchtlinge übers Mittelmeer nach Europa gekommen, im vergangenen Jahr waren es mehr als 200.000. Helen ist eine davon. Heute lebt sie in Rheinberg. Es fällt ihr schwer, über sich zu reden, über das, was sie erlebt. 28 Jahre alt, aufgewachsen in einem kleinen Dorf in Eritrea. In einem Land, in dem die Lebenserwartung bei 63 Jahren liegt, die Frauenbeschneidung erst seit 2007 verboten ist und in dem schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind. Helens Lebensgefährte wurde gegen seinen Willen zum Militär eingezogen, meistens greift die Armee die jungen Männer gleich an der Uni ab. Wer sich weigert oder desertiert, sagt Amnesty, muss mit seiner Verhaftung oder Schlimmerem rechnen. Deshalb ist Helens Partner verschwunden. Irgendwann hatte er Urlaub, kam nach Hause zu Freundin und dem gemeinsamen Sohn und sagte, ich gehe, ich kann das alles nicht mehr. Pass gut auf Dich und das Kind auf, hat er noch hinzugefügt, dann war er weg. Kurze Zeit später stand das Militär vor Helens Haustür. Die Ansage war klar: Entweder würde sie ihren Freund wieder herbeischaffen oder sie müsste die Konsequenzen tragen. Helen wusste, es war Zeit, um ebenfalls zu verschwinden. Ihre Mutter machte alles zu Geld, was der bescheidene Haushalt hergab, um Tochter und den zehn Monate alten Enkel in Sicherheit zu bringen. Eine Woche war Helen unterwegs, zu Fuß in den Sudan. Hier fand sie Aufnahme in einer Kirchengemeinde, schuftete als Wäscherin in Privathaushalten, sparte, was sie sparen konnte und träumte gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn von einem anderen, besseren Leben in Europa. Vier Jahre dauerte es, bis das Geld für die Schlepper reichte. Zu Fuß durch die Wüste bis nach Lybien, eine Gruppe verängstigter Menschen, in Helens Arm das Kind, dazu immer die Sorge, dass der Kleine verhungern würde. In Lybien musste sich die Gruppe zunächst verstecken, bis das Boot fertig war. Allein für die Überfahrt musste Helen 4000 Dollar an die Schlepper bezahlen. 4000 Dollar für zwei Tage auf hoher See, zusammengepfercht mit viel zu vielen Menschen, ohne Nahrung und ohne Wasser. Helens Sohn weinte viel, wurde immer schwächer, brauchte Flüssigkeit. In ihrer Verzweiflung gab sie dem Kind ihren Urin zu trinken. In Italien angekommen, wurden die Menschen auf Kleinlaster verfrachtet und nach Norden gefahren. Ob das drei, vier, fünf oder noch mehr Tage dauerte, weiß Helen nicht mehr. Im Dunkeln, eingequetscht zwischen anderen Menschen, verlor sie jedes Zeitgefühl. Seite 1 von 2 Heute lebt Helen in Rheinberg. Ihr Asylverfahren ging schnell und zügig über die Bühne, sie hat ihre Aufenthaltserlaubnis in der Tasche und muss sich jetzt in ihrem neuen Leben zurechtfinden. Was nicht einfach ist, vor allem für ihren Sohn nicht. Er ist schwer traumatisiert, Schule und Therapeut fühlen sich oft überfordert. Immer wieder kommt es zu Konflikten. Helen will kämpfen. Schließlich hat sie gerade für ihr Kind so viel riskiert, es soll jetzt die Chance auf ein gutes Leben haben. Helen lernt jetzt fleißig Deutsch, ab Herbst besucht sie einen Integrationskurs. Irgendwann wird sie dann die traurigen Nachrichten verstehen können, die von Menschen berichten, die nicht so viel Glück wie sie gehabt haben. --------------------------- Seite 2 von 2
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