Süddeutsche Zeitung Hochbegabung Zu schlau für die Karriere

Süddeutsche Zeitung
27. November 2015
Hochbegabung Zu schlau für die Karriere
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Russell Crowe spielt im Film "A beautfiul mind" das Genie John Forbes
Nash: Wie viele Hochbegabte hatte auch der berühmte Mathematiker keinen
einfachen Berufsweg.
(Foto: REUTERS)
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Hochbegabte werden im Job nur selten geschätzt und gefördert. Daher haben viele
hochintelligente Menschen krumme Lebensläufe.
Einer Studie zufolge sind Hochbegabte oft motiviert, sie wollen gestalten - an Führung
und Karriere haben sie hingegen oft wenig Interesse.
Experten raten Betroffenen, mit Chefs und Kollegen über ihre Begabung zu sprechen.
In einer Bewerbung sollte diese jedoch nicht erwähnt werden.
Von Ina Reinsch
Verena Anders ist hochbegabt. Ihren Lebenslauf bezeichnet sie selbst als "mäandernd". Die
52-Jährige studierte zunächst auf Lehramt, brach wegen der schlechten Berufsaussichten ab
und wechselte zu Innenarchitektur. Ihr erster Chef nach dem Studium war anfänglich von ihr
begeistert, doch bald wurde sie zum Putzen der Materialsammlung degradiert, während der
Praktikant das Projekt leitete. Sie kündigte, arbeitete als Galeristin,
Kommunikationsdesignerin, Rezeptionskraft. "Ich wollte immer nur meine Arbeit machen und das gut. Trotzdem hatte ich ständig das Gefühl, falsch zu sein, mich anpassen zu
müssen", sagt sie. "Kollegen und Chefs fühlten sich bedroht."
Verena Anders Vita ist keine Seltenheit. Ein hoher Intelligenzquotient ist kein Garant für eine
steile Karriere. Bisweilen ist das Gegenteil der Fall. Hochbegabte haben manchmal Probleme
im Job, ecken an, überfordern Kollegen mit ihrem schnellen Denken. "Häufig verstoßen sie
unbewusst gegen Verhaltensregeln, ignorieren Hierarchien, sind ungeduldig und stürmen los",
sagt Heinz-Detlef Scheer, Psychologe und Coach für hochbegabte Erwachsene in Bremen.
"Sie erkennen im Job sehr schnell, wo es hakt, und möchten etwas verändern, dabei werden
sie als anmaßend oder überheblich wahrgenommen. Kollegen und Vorgesetzte befürchten,
dass der Mitarbeiter eine Palastrevolution anzetteln will, sie bekämpfen ihn oder stellen
ihn kalt."
Begabung verpflichtet zu nichts, sie ist nur ein Potenzial
Doch dieses Bild ist ebenso falsch wie die Erwartungen, die ihm zugrunde liegen. Hohe
Begabung verpflichtet zu nichts. Sie ist lediglich ein Potenzial, eine Möglichkeit. Nicht jeder
möchte sie nutzen, nicht jeder kann sie zur Entfaltung bringen. Die Gründe dafür sind
vielfältig. "Häufig lernen bereits hochbegabte Kinder ungünstige Bewältigungsstrategien, die
sie mit ins Erwachsenenalter nehmen", sagt Scheer. Wer viel fragt, wird als vorlaut oder
altklug abgestempelt. "Da ist es für viele einfacher, sich dumm zu stellen, eine Strategie, die
vor allem Mädchen wählen." Andere würden ihre eigene Person ignorieren, ein aufgesetztes
Helfersyndrom entwickeln und alles und jeden verbessern wollen.
SZ-Schulratgeber Hochbegabt und hochsensibel
Wer ein hochbegabtes Kind hat, stellt häufig fest. Im Schulalltag bleibt oftmals keine Zeit,
den Schülern die nötige Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen. Anders in Oberhaching.
Hier werden Gymnasiasten mit besonderen Fähigkeiten gefördert - durch Beratung,
Workshops und Exkursionen.
In der Schule langweilen sich besonders begabte Kinder nicht selten, schalten komplett ab
oder werden gemobbt. Diese Erfahrung hat auch Michael Werner gemacht. Der 41-jährige
Jurist, der in Wirklichkeit anders heißt, hat sich auf dem Gymnasium immer unwohl gefühlt,
seine Noten waren alles andere als gut. "Alle dachten, dass ich faul sei", sagt er. Dabei war er
einfach unterfordert. Die ultimative Kränkung erfuhr er, als er wegen schlechter Leistungen
eine Klasse zurückgestuft wurde. An eine Hochbegabung dachte damals niemand.
Zahlreiche Hochbegabte weisen einen krummen
Lebenslauf auf
So wundert es nicht, dass zahlreiche Hochbegabte einen krummen Lebenslauf vorzuweisen
haben. Viele lernen auf dem zweiten Bildungsweg, haben mehrere Berufe ausprobiert oder
satteln in der Lebensmitte noch einmal komplett um. Manche erkennen ihre Hochbegabung
erst spät.
"Sie blicken dann mit einer Mischung aus Wehmut, Hoffnung und Aufbruch auf ihr Leben",
sagt Dorothea Schlegel-Hentrich, Leiterin des Instituts für Hochbegabtencoaching in Bad
Homburg. Oft mische sich auch Wut hinein. Auch Werner hat erst mit 39 Jahren von seiner
besonderen Begabung erfahren, da war er schon lange an einer Depression erkrankt. "Ich
empfinde Bedauern und Zorn, dass meine Hochbegabung nicht früher erkannt worden ist."
130
oder mehr beträgt der Intelligenzquotient von Hochbegabten nach gängiger Definition. Etwa
zwei Prozent der Bevölkerung sind hochbegabt, bei 81 Millionen Einwohnern in Deutschland
sind das rund 1,6 Millionen. Die meisten von ihnen kommen gut durchs Leben. "Viele wissen
gar nicht, dass sie hochbegabt sind. Andere kennen ihr Potenzial, haben aber im Beruf
keinerlei Probleme", sagt der Psychologe Heinz-Detlef Scheer. Tatsächlich sind nach dem
Marburger Hochbegabtenprojekt, einer 1987 an der Uni Marburg begonnenen Studie, nur
etwa ein Sechstel der Hochbegabten sogenannte Minderleister. Sie widersprechen damit dem
Bild, das die Gesellschaft gemeinhin von Hochbegabten hat: hochmotivierte Spezialisten, die
jede berufliche Hürde mühelos nehmen, sich in den Führungsetagen großer Unternehmen
tummeln oder in der Wissenschaft Herausragendes zuwege bringen.
"Anderssein wird oft als störend wahrgenommen, nicht als bereichernd"
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Mäandernde Lebensläufe waren vielen Personalern noch vor Jahren ein Graus. "Inzwischen
hat sich aber einiges getan", sagt Schlegel-Hentrich. Glatte Biografien seien nicht mehr so
wichtig. Dennoch seien hochbegabte Mitarbeiter eine Herausforderung für Unternehmen.
"Anderssein wird leider oft als störend wahrgenommen, nicht als bereichernd, unangepasstes
Verhalten sorgt häufig für Irritation.
Das zeigt auch eine Studie der Universität Bochum von 2013. Sie geht der Frage nach, ob sich
Hochbegabte im Berufsleben von anderen Mitarbeitern unterscheiden. Die Forscher kamen zu
erstaunlichen Ergebnissen: "Die Gestaltungsmotivation hochbegabter Erwachsener ist höher
ausgeprägt als die anderer Mitarbeiter, ihre Führungsmotivation aber gleichzeitig gering", sagt
Scheer. Er ist einer der Mitverfasser der Studie. "So wie sich hochbegabte Mitarbeiter
verhalten, denken alle, die wollen Karriere machen. Sie wollen aber nur arbeiten." Das sei
eines der großen Missverständnisse von Kollegen und Vorgesetzten im Umgang
mit Hochbegabten.
Abweisende Reaktionen resultieren aus Unsicherheit
Kann es da helfen, die Hochbegabung im Job öffentlich zu machen? "Ja", sagt Scheer. "Es
kann ein guter Schritt zum Abbau von Vorurteilen sein, den Kollegen zu erklären: Ich bin in
vielem schneller und denke komplexer, bin aber nicht besser als ihr, nur anders." Bei der
Bewerbung hält er aber eher Zurückhaltung für angebracht. "Personaler reagieren im besten
Fall freundlich bis zurückhaltend, manchmal aber auch abweisend bis aggressiv."
Förderung von Hochbegabten Wer suchet, der findet
Die Kultusminister sollen herausragende Schüler besser fördern. Doch die Schwierigkeiten
bei der Hochbegabtenförderung fangen schon früh an: Viele Kinder werden gar nicht als
Talente erkannt. Analyse
Viele solcher Reaktionen resultieren aus Unsicherheit und Unwissenheit. Da erstaunt es nicht,
dass sich deutsche Unternehmen kaum mit ihren hochbegabten Mitarbeitern beschäftigen.
"Warum sollte man die fördern, die können doch alles?", lautet die Überzeugung vieler
Personaler. Hochbegabtenförderung im Unternehmen würde vielfach als Luxusproblem
betrachtet. "Dabei geht es gar nicht um Förderung", sagt Schlegel-Hentrich, "Hochbegabte
müssten nur einfach so respektiert werden, wie sie sind. Sie haben ein enormes Potenzial, das
Unternehmen nicht verschenken sollten." Nur leider schielten Unternehmen viel zu oft
auf Angepasstheit.
Viele Hochbegabte gehen fast verschämt mit ihrer Begabung um
So muss man den Umgang vieler Hochbegabter mit ihrer eigenen Begabung fast schon als
verschämt bezeichnen. "Hochbegabung ist ein Makel, der oft negative Reaktionen auslöst",
sagt Schlegel-Hentrich. "Nun heb mal nicht ab!" oder "Bilde dir bloß nichts ein!", sind oft
gehörte Antworten. Da schweigen vieler lieber.
Verena Anders hat dagegen die Flucht nach vorn angetreten. Als sie sich mit 51 Jahren testen
ließ, veröffentlichte sie das Ergebnis kurzerhand auf ihrer Website. Anders arbeitet
inzwischen in Fulda freiberuflich als Coach und unterstützt Menschen erfolgreich bei der
Entwicklung ihrer Persönlichkeit, darunter auch Hochbegabte.