Frankfurter Allgemeine Zeitung Verlagsspezial 1. Oktober 2015 KLUGES WIRTSCHAFTEN KLUGE FÖRDERMASSNAHMEN K L U G E K Ö P F E M I T W E LT R U H M Hidden Champions und Markenführer: Sie alle profitieren von den kurzen Zulieferwegen. Seite V2 Auf dem Land sind kreative und nachhaltige Lösungen zur Nachwuchsförderung gefragt. Seite V3 Weltmarktführer, Weltmeister und Weltraumfahrer – sie alle kommen aus Heilbronn-Franken. Seite V4 Region Heilbronn-Franken Erfolgreiches Heilbronn-Franken: Hier sind viele Unternehmen angesiedelt, die Marktnischen besetzen. FOTO PICTURE ALLIANCE/ZB/EUROLUFTBILD.DE Still und leise zur Weltmarktführerschaft In kaum einer Region Deutschlands gibt es mehr Unternehmen mit Marktführerschaften als in Heilbronn-Franken. Dennoch bleibt es schwierig, hochqualifizierte Mitarbeiter in die ländliche Region zu locken. Von Achim Ühlin A ls der regionale Wirtschaftsförderer erstmals mit dem Slogan „Region der Weltmarktführer“ auf den Markt ging, fremdelten einige Unternehmen in HeilbronnFranken damit. „Die Hohenloher sind sehr bodenständig“, erzählt Gerhard Sturm, Gründer des Ventilatorenherstellers EBM-Papst in Mulfingen. „Mir war der Begriff „Weltmarktführer“ daher überzogen, obwohl es ja eigentlich stimmt.“ Ihrem Naturell entsprechend, schaffen und genießen Unternehmer hier ihren Erfolg eigentlich lieber im Stillen. Heute werben Sturms und andere Spitzenunternehmen jedoch mit ihren Auszeichnungen als Arbeitgeber ebenso selbstverständlich wie mit ihrer Marktführerschaft. Ein Motiv fürs Umdenken ist der Wettbewerb um hochqualifi zierte Mitarbeiter. Zwar kann Heilbronn-Franken als größte Region Baden-Württembergs mit ihrer Landschaft, Kulturangeboten, geringer Arbeitslosenquote sowie innovativen und guten Arbeitgebern punkten. High Potentials zieht es oft trotzdem in Metropolen. Deshalb verkündete der Künzelsauer Befestigungsspezialist Berner auch im Mai, einen Teil seiner Holding nach Köln zu verlegen. Dabei muss sich die Region nicht verstecken. Unternehmen von alfi, Beyerdynamic, Knorr – heute Unilever –, Lidl bis zu Würth genießen weltweit einen guten Ruf. Audi produziert in Neckarsulm unter anderem den A6 und A8, der Sportwagen R8 wird im nahen Heilbronn gefertigt. Bernd Venohr hatte das Thema Weltmarktführer ins Rollen gebracht. Lange hatte der Wirtschaftswissenschaftler und heutige Unternehmensberater zu erfolgreichen Mittelständlern geforscht und eine Datenbank deutscher Spitzenunternehmen aufgebaut. Durch sein Buch zur Würth-Gruppe ging der Mitherausgeber des Lexikons deutscher Weltmarktführer erstmals auf Tuchfühlung mit der Region und lernte einige der Hidden Champions näher kennen. Bezogen auf 100 000 Einwohner, gab es in Heilbronn-Franken 2008 fast dreimal so viele Weltmarktführer wie im bundesweiten Durchschnitt. Die Konzentration auf kleine und kleinste Marktnischen, Familienbesitz und langfristiges Denken, der Wille zu Spitzenleistungen sowie die Bereitschaft, sich immer wieder zu verbessern, zeichnen Weltmarktführer laut Venohr aus. „Ungewöhnlich sind hier viele ganz normale Mittelständler mit Umsätzen zwischen 30 und 150 Millionen Euro, die weltweit ganz vorne mitspielen“, nennt Venohr Besonderheiten hiesiger Weltmarktführer. Das war kaum absehbar. Denn während Heilbronn bereits im 19. Jahrhundert zur führenden Industrie- und Handelsstadt im ehemaligen Königreich Württemberg aufstieg, blieben die Kreise der Region bis nach dem Zweiten Weltkrieg industriell weitgehend blank. Dass sich dies dann grundlegend änderte, liegt Venohrs Analyse zufolge auch an den Erbrechtsregelungen. Höfe wurden geteilt, nur durch Landwirtschaft allein war so keine Familie zu ernähren. So erlernten viele zusätzlich handwerkliche Berufe. Keimzelle des Aufstiegs Nicht zuletzt spielte auch der Zufall der Region in die Hände. So in Künzelsau: Die 15 000-Seelen-Stadt im Hohenlohischen ist Sitz von Würth, Berner, dem Ventilatorenhersteller Ziehl-Abegg und lange auch der Firma Stahl. Allesamt welt- oder europaweit Marktführer ihrer Sparten. Keimzelle der Industrialisierung im Hohenlohischen wird eine alte Schlossmühle in der Stadt am Kocher. Stahl, damals bereits auf Explosionsschutz spezialisiert, verlagert seinen Standort 1944 aus dem zerstörten Stuttgart in das Gebäude. 1949 holt das Unternehmen den Ventilatorenhersteller Ziehl-Abegg in die Schlossmühle. Bereits vor dem Krieg hatte Stahl von den Berlinern Aufzugsmotoren bezogen. Adolf Würth, Gründer der heutigen Würth-Gruppe, zieht bereits 1945 mit seiner Schraubengroßhandlung ebenfalls in ein Nebengebäude der Mühle. Sohn Reinhold ist gerade einmal 19 Jahren als er 1954 die Firma des verstorbenen Vaters übernehmen muss. Er macht das Unternehmen zum Weltmarktführer im Bereich Montage- und Befestigungstechnik mit über 68 000 Mitarbeitern und einem Umsatz von mehr als zehn Milliarden Euro. Albert Berner, früher Lehrling bei Adolf Würth, gründet die heutige Berner Group, die zu den führenden Direktvertrieblern in Industrie, Kfz- und Handwerk europaweit zählt. Die Firmen Reisser und Arnold, bereits vor dem Zweiten Weltkrieg im Schraubengeschäft, gehören heute zu Würth. Förch, BTI oder Reca Norm sind weitere Unternehmen im regionalen Montage- und Befestigungscluster. Cluster wie diese sind in HeilbronnFranken keine Seltenheit. Ziehl-Abegg wird dank einer bahnbrechenden Erfi ndung des Außenläufermotors zur Keimzelle zahl- reicher erfolgreicher Ventilatorenhersteller. 1963 gründen Gerhard Sturm und sein Mentor Heinz Ziehl die ebm, die heute als EBM-Papst Weltmarktführer als Hersteller von Ventilatoren und Motoren ist. Firmen wie Rosenberg oder Gebhardt Ventilatoren haben ihren Ursprung ebenfalls in ZiehlAbegg. Sturm, inzwischen 80, hatte mit Berner und Würth einst die Schulbank gedrückt. Er sieht die Massierung von Wettbewerbern im Umkreis durchaus als Vorteil: „Dadurch ruhen wir uns niemals auf unserer Position aus.“ Das gilt für die Entwicklung von Innovationen, die Optimierung von Prozessen ebenso wie bei der Positionierung als Arbeitgeber im „War for Talents“. Von direkten Wettbewerbern profitieren auch andere Cluster, etwa Verpacker im Landkreis Schwäbisch Hall wie Optima, Bausch und Ströbel oder Schubert, die alle als Weltmarktführer gelistet sind. Oder Ventil-, Mess- und Regeltechnik-Spezialisten im Kochertal wie Bürkert, Gemü und Kriwan, ebenfalls Marktführer in ihren Bereichen. Bartec, eine Ausgründung der Firma Stahl, mit Sitz in Bad Mergentheim, ist heute weltweit unter den Top Drei in ihrem Branchensegment. Keine zehn Kilometer entfernt hat die Wittenstein AG in Igersheim ihren Sitz. Der Weltmarktführer auf dem Gebiet der mechatronischen Antriebstechnik kam 1952 mit der Produktion seiner Industrienähmaschinen nach Main-Tauber. Ende der 70er Jahre übernimmt Manfred Wittenstein die Geschäftsführung vom Vater. Er setzt auf neue Märkte und stellt 1983 das weltweit erste spielarme Planetengetriebe vor. Wittenstein investiert wie andere Weltmarktführer nicht nur kräftig in Forschung und Entwicklung sowie Ausbildung. Mit Projekten für Schulen, die das Unternehmen im Verbund durchführt, will er junge Menschen für Technik begeistern. Zukunftsvisionen aus Heilbronn Während der Landkreis Heilbronn heute mit einem stetig wachsenden Bosch-Entwicklungszentrum, Getrag und Audi stark im Automobilsektor verankert ist, strebt auch Heilbronn zu neuen Ufern. Mit Firmen wie Marbach, Illig oder Läpple nach wie vor stark im industriellen Bereich, kam inzwischen mit der Audi R8-Produktion auch der Automobilbau zurück in die Neckarstadt. Die Stadt investiert kräftig in ihre Infrastruktur. Mit Unterstützung vor allem der Dieter Schwarz Stiftung wird Heilbronn zur Wissensstadt ausgebaut. Gleich drei Hochschulen haben inzwischen hier ihren Standort. Im Zukunftspark Wohlgelegen siedeln sich junge Firmen aus IT oder Life Science an. Über den Zukunftsfonds Heilbronn bieten regionale Unternehmensfamilien jungen Firmen Risikokapital und ihr Know-how – sie setzen auf langfristiges Engagement. Mit Erfolg: Im September stellte die Xenios AG, die im Zukunftspark beheimatet ist, mit der städtischen Klinik eine Weltneuheit „Made in Heilbronn“ vor. Ein Kreislauf-Unterstützungssystem, das den menschlichen Puls simuliert. Die Erfolgsgeschichte der Region wird fortgeschrieben. EDITORIAL Von Christiane Zimmer Dass Baden-Württemberg zu den wirtschafts- und wettbewerbsstärksten Regionen Europas zählt, ist bekannt. Dass hier die meisten Weltmarktführer ihren Sitz haben, vielleicht nicht jedem. Besonders reich an Weltmarktführern ist die Wirtschaftsregion Heilbronn-Franken. „Schaffe, net schwätze“ lautete wohl auch das Motto derer, die die Region zu dem gemacht haben, was sie heute ist. Es war der Lohn der Tüchtigen, gepaart mit Beharrlichkeit und einem gesunden Unternehmergeist, der nach dem Zweiten Weltkrieg den Grundstein für den Erfolg gelegt hat. Seither zehrt die Region vom Erfolg der großen Namen wie Würth, Berner und Sturm, die ihrem Land Arbeitsplätze und rosige Zeiten bescherten und bis heute einen erheblichen Anteil an dessen Wirtschaftskraft haben. Das alles darf nicht den Blick in die Zukunft verschleiern. Denn Heilbronn-Franken hat als ländliche Region damit zu kämpfen, Nachwuchskräfte anzulocken. Auch hier unterstützen die regionalen Unternehmer, damit der Hochschul- und Wissenschaftsstandort Heilbronn-Franken attraktiv wird. Eine Region ist nur so gut wie ihre Köpfe. Heilbronn-Franken profitiert von vielen klugen Köpfen. Absoluter Zufall Drei junge Burschen drückten 1945 gemeinsam die Schulbank im beschaulichen Hohenlohe. Heute sind sie Unternehmer von Weltrang, die wesentlich dazu beigetragen haben, dass es in ihrer Heimat viele Hidden Champions gibt. VO N M AT T H I A S S T O L L A D ie Kleinstadt Künzelsau in der Region Heilbronn-Franken kann zweifelsfrei als Keimzelle des regionalen Unternehmertums bezeichnet werden. Hier gab es sogar eine Schulklasse der Weltmarktführer. In ihr saßen drei junge Hohenloher, die – jeder für sich – Unternehmen von Weltrang aufbauen sollten. „Ich hätte nie gedacht, dass ich dort lande, du nicht und der Reinhold auch nicht“, sagt Gerhard Sturm über sich, Albert Berner und Reinhold Würth. Alle drei haben Firmen aufgebaut, die Milliarden umsetzen, und haben Zehntausende Arbeitsplätze geschaffen. Alle drei sind 80 und haben bis 1945 zusammen die Volksschulbank gedrückt. Für derart auffällige Gemeinsamkeiten hat Albert Berner nur eine lapidare Erklärung: „Absoluter Zufall.“ In Hohenlohe werden die drei verehrt wie früher die Fürsten. Würth ist Weltmarktführer im Handel mit Montagetechnik (10,1 Milliarden Euro Jahresumsatz), Berner ist deutlich kleiner, aber sein schärfster Konkurrent (1 Milliarde Euro Jahresumsatz), und Sturm führt mit EBMPapst den Weltmarkt in der Herstellung von Ventilatoren und Elektromotoren an (1,57 Milliarden Euro Jahresumsatz). Dass sich alle drei aus der Führung zurückgezogen haben, ignoriert die Öffentlichkeit. Jeder weiß, dass Würth, Berner und Sturm immer noch mitreden, wenn es ums Geschäft geht. Um nichts anderes geht es, wenn die drei unter sich sind. „Wir machen das dreibis viermal im Jahr“, sagt Berner. Diesmal sind Sturm und Berner zusammen. Würth fehlt. Der Schraubenmilliardär ist außer Landes. Das ist beinahe symptomatisch, denn Würth spielt eine Sonderrolle. Seine Kindheit beschreibt Sturm als „entbehrungsreich“. Als er 1934 geboren wurde, war das heute zu Künzelsau gehörende Nagelsberg noch eine eigenständige Gemeinde. Sturm ist fest im katholischen Glauben verwurzelt, hält sich im Hintergrund, ein Techniktüftler, der sich für sein Umfeld engagiert. Jahrelang saß er für die CDU in Gemeinderat und Kreistag und gilt als Retter des Schulstandorts Mulfi ngen. „Wir sind beide in bettelarmen Verhältnissen aufgewachsen“, sagt Berner über sich und Sturm. „Wir waren wilde Hunde, trugen kratzige, selbstgestrickte Socken und Unterwäsche, die nur samstags gewechselt wurde.“ Die Triebfeder Armut habe bei ihm und Sturm für Schwung gesorgt, sagt Ber- ner: „Ich wollte nie mehr dort landen, wo ich herkomme.“ Bei Würth war das anders. „Der Reinhold hatte ein feines Elternhaus“, sagt Berner. Es gibt ein altes Foto, das ihn und seinen Vater Adolf bei einem Spaziergang zeigt: die selbstsichere Respektsperson einerseits und den aufschauenden, Anerkennung wünschenden Heranwachsenden andererseits. „Um meine Jugend bin ich eigentlich herumgekommen“, sagte Würth 2014, als wäre ihm dadurch Schlimmes erspart geblieben, und erzählt, wie ihn sein Vater mit 16 Jahren zum Schraubenverkaufen nach Düsseldorf schickte. Nach zwei Wochen habe er ihm die Aufträge gezeigt. Als „nichts Besonderes“ habe Adolf Würth sie abgetan. Jahre später habe er von seiner Mutter erfahren, dass sein Vater zufrie- den gewesen sei. „Das hat mir gezeigt, wie wichtig Dank und Anerkennung sind“, sagt Reinhold Würth heute. Dass Adolf Würth 1949 stirbt, beschleunigt zwei Karrieren. Reinhold Würth übernimmt die Geschäfte des Vaters, und Albert Berner, den Adolf Würth zum Handelskaufmann ausgebildet hat, kündigt, gründet 1953 sein eigenes Unternehmen und wird zum Konkurrenten seines Schulkameraden. Ein Punkt aber eint die Schulfreunde von einst bis heute: Am Unternehmensstandort Hohenlohe, für den sich alle drei engagieren, indem sie Sport, Kultur und Soziales fördern, wollen sie nicht rütteln. Verlagern ist nicht drin. Reinhold Würth: „Das wäre so schwachsinnig, würde so viel Geld kosten.“ Gerhard Sturm: „Wir krallen uns hier fest.“ Albert Berner: „Berner bleibt im Kochertal.“ V2 Frankfurter Allgemeine Zeitung Verlagsspezial / Region Heilbronn-Franken / 1. Oktober 2015 Wo die Zulieferer rund um den Kirchturm arbeiten In der Region Heilbronn-Franken profitieren die Unternehmen von kurzen Wegen und einer lokalen Zulieferkette. Nähe und Qualitätssicherung sind dabei nicht die einzigen Erfolgsfaktoren, die den Weltmarktführern einen Wettbewerbsvorteil bringen. Von Ulrich Schreyer A us der Not eine Tugend machen: „Mit dieser Strategie sind wir schneller als die Wettbewerber gewachsen.“ Was Rainer Hundsdörfer, Vorsitzender der Geschäftsführung beim Mulfi nger Ventilatorenhersteller EBM-Papst, inzwischen als Strategie umschreiben kann, war zunächst nichts anderes als eine Notlösung aus Geldmangel: Als Gerhard Sturm 1963 das Unternehmen gründete, fehlten ihm schlicht die nötigen Mittel, um sich einen teuren Maschinenpark leisten zu können. Sein Geld steckte der Jungunternehmer lieber in Forschung & Entwicklung – oder er gab es für den Ausbau des Vertriebs aus. Dies hatte Folgen: „Gerhard Sturm war auf Zulieferer angewiesen“, kann Hundsdörfer heute berichten. „Denn die hatten die Maschinen, auf denen einzelne Teile für die Ventilatoren produziert werden konnten.“ Natürlich hat der Ventilatorenhersteller seit jenen Tagen kräftig in eigene Fabrikhallen investiert – doch auch das Netz an Zulieferern hat EBM-Papst stetig erweitert. zend neuer Unternehmen. So etwa das eines Meisters, der sich selbständig machte und heute Messingteile an seinen ehemaligen Arbeitgeber liefert. Zugekauft werden aber auch Stanzteile, Produktionseinrichtungen, Montageplätze oder Prüfstände. Die Firmen, an denen Bürkert meist zur Hälfte beteiligt ist, beschäftigen rund 450 Mitarbeiter – aber trotz der Beteiligung sollen sie nicht abhängig von Lieferungen an das Unternehmen werden, aus dem sie entsprungen sind. „Wir streben an, dass sie etwa 40 Prozent des Umsatzes mit Bürkert machen, 60 Prozent aber mit anderen Kunden“, erklärt Rohrbeck. „Auch Wettbewerber könnten Prüfstände und Montagearbeitsplätze bei unseren Beteiligungsfi rmen kaufen“, meint Rohrbeck, „da sind wir unerschrocken.“ Dass zu den Zulieferern ein über die Jahre gewachsenes Vertrauensverhältnis aufgebaut wurde, habe auch positive Auswirkungen auf die Qualität. Weil man schon lange zusammenarbeite, entstehe auch eine emotionale Bindung. „Dem langjährigen Nachbarn und Partner will man nichts Schlechtes liefern.“ Alles nah beieinander Hohe Fertigungstiefe Bei dem Mulfi nger Unternehmen mit einem Umsatz von zuletzt knapp 1,6 Milliarden Euro und weltweit rund 12 000 Mitarbeitern sind rund ein Viertel im heimischen Hohenlohe tätig. Noch einmal so viele arbeiten bei den etwa 50 Zulieferern „rund um den Kirchturm“. Gekauft werden bei diesen „pfi ffigen Familienunternehmen“, wie Hundsdörfer sagt, etwa Lüfterräder und andere Blechteile für die Ventilatoren, aber auch Kunststoffkomponenten, Leiterplatten, Kabel oder Stecker. Die Zulieferer fertigen all dies im Auftrag von EBM-Papst, ihrem mit großem Abstand wichtigster Kunden. Die Komponenten der eingekauften Teile konstruiert der Ventilatorenhersteller selbst, doch mehr als 70 Prozent der Zulieferungen kommen aus der Umgebung. „Die Qualität ist leichter sicherzustellen, wenn die Lieferanten vor Ort sind und man auch schnell einmal hinfahren kann“, meint der heutige EBM-PapstChef. Nur gute 20 Kilometer entfernt von Mulfi ngen produziert die Wittenstein AG in „Rund um den Kirchturm“: Das steht in der Region Heilbronn-Franken für die Nähe von Hersteller- zu Zuliefererunternehmen – ein Standortvorteil. Igersheim elektromechanische Antriebssysteme, etwa für Werkzeugmaschinen, die Medizintechnik oder die Raumfahrt. Doch auch wenn Komponenten hergestellt werden, die in den Weiten des Weltalls ihren Dienst tun sollen, setzt Wittenstein vielfach auf die regionale Nähe seiner Zulieferer. „Dies nützt uns besonders in der Phase der Produktentwicklung“, sagt Oliver Palmert, der Leiter des Einkaufs bei dem Unternehmen mit weltweit 1900 Beschäftigten und einem Umsatz von 254 Millionen Euro. Wittenstein versteht sich als besonders innovativ. Weil ständig Neues ausgetüftelt und produziert werde, sei die frühe Einbeziehung der Zulieferer ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Deswegen rede das Unternehmen auch lieber von Wertschöpfungspartnern als von Lieferanten. Nach Lauda-Königshofen sind es entlang der Tauber sogar weniger als 20 Kilometer. Dort hat die Lauda Dr. Wobser GmbH & Co. ihren Sitz, ein Spezialist für Temperaturmessgeräte. Die Kunden des Unternehmens mit einem Umsatz von 60 Millionen Euro und 420 Mitarbeitern kommen aus der Halbleiterindustrie sowie aus der Medizintech- nik. Sie kühlen aber auch Druckmaschinen, Spritzgießanlagen und Laserbearbeitungsmaschinen. Wie seine Kollegen aus anderen Unternehmen lobt auch der geschäftsführende Gesellschafter Gunther Wobser die Nähe zu seinen Lieferanten: „Das hilft uns bei der Termintreue und der Qualität.“ Auch das ist keine Weltreise: Etwa 40 Kilometer südlich von Lauda-Königshofen liegt Ingelfi ngen – und das Familienunternehmen Bürkert. Dieses stellt Steuerungstechniken, Sensoren und Ventile für Flüssigkeiten und Gase her. „Wir produzieren fast ausschließ- Gut vernetztes Ökosystem M it einer Gesamtbevölkerung von knapp einer Million Einwohner gehört die Region HeilbronnFranken innerhalb BadenWürttembergs zu den eher dünnbesiedelten Bereichen. Aber dennoch: So gering die Bevölkerungsdichte, so stark ist die Wirtschaftskraft der Region. Die wirtschaftliche Stärke resultiert aus überwiegend familiengeführten Weltmarktführern und Standorten von namhaften Unternehmen wie Bosch und Audi oder der Schwarz Gruppe (mit Lidl und Kaufland) sowie Intersport Deutschland. Aber auch Wittenstein, Bechtle und Schunk seien unter den renommierten Akteuren in der Region genannt. Auffällig für Heilbronn-Franken ist die hohe Dichte an Ventilatorenherstellern, die, historisch betrachtet, Ausgründungen aus der Firma Ziehl-Abegg sind. Ziehl-Abegg ist ursprünglich ein Berliner Unternehmen, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der Region angesiedelt hat. Vor allem in den vergangenen 60 Jahren haben es viele Ausgründungen aus diesem Unternehmen zu wirtschaftlichem Erfolg auf dem europäischen Markt gebracht. So beschäftigt die Firma EBM-Papst aktuell etwa 12 000 Mitarbeiter, die Rosenberg Gruppe etwa 1500. Aus diesen Unternehmen sind wiederum zahlreiche weitere Ausgründungen entstanden. Ähnliches gilt für den Landkreis Schwäbisch Hall. Das dortige Cluster Verpackungs- und Abfüll- Klassische Faktoren vorhanden Auf der Suche nach den Gründen für den wirtschaftlichen Erfolg dieser Region werden zunächst die klassischen Faktoren wie Hochschul- und Verkehrsinfrastruktur betrachtet. Hier lässt sich festhalten, dass die Anbindung der Region an das Schienennetz als eher schlecht bezeichnet werden kann. Dagegen ist die Region mit der Autobahn A 6, die Heilbronn, Hohenlohe und Schwäbisch Hall miteinander verbindet, sehr gut ausgebaut. Über die A 81 ist die Region Main-Tauber angebunden, welche aber nicht die Bedeutung der A 6 oder der A 3 im Norden hat. Seitens der Hochschulinfrastruktur konnte sich die Hochschule Heilbronn in den vergangenen Jahren in den Hochschulrankings kontinuierlich verbessern. Den herausragenden wirtschaftlichen Erfolg der Region können diese Faktoren alleine aber noch nicht hinreichend begründen. Es gibt viele Bedingungen, die gleichzeitig gegeben sein müssen, um die Wirtschaft in einer Region nachhaltig zu stärken. So verfügt Heilbronn-Franken über einen guten Branchenmix, der zum einen breit gestreut ist, zum anderen aber auch eine Häufung an Unternehmen in einer bestimmten Nische aufweist. Die hohe Dichte an Weltmarktführern sowie intensive innerregionale Verflechtungen der Branchen entlang der Wertschöpfungskette zeichnen die Region ebenfalls aus. Die Vernetzung der Akteure untereinander scheint ebenfalls ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Heilbronn-Franken zu sein. Analysiert man die Region im Detail, so deutet vieles darauf hin, dass die oft von der Wissenschaft geforderte formale Vernetzung in speziell dieser Region aber kein kritischer Erfolgsparameter zu sein scheint. Es gibt zwar einige Cluster und Netzwerke, jedoch können diese alleine nicht den Erfolg der Region ausmachen. Vielmehr werden die regionalen Cluster von informellen Strukturen untermauert. So setzen etwa die Unternehmer der Region viele Projekte in Eigenregie um und leisten somit einen wesentlichen Beitrag zur weiteren wirtschaftlichen Entwicklung in der Region. Die Projekte werden wiederum von Unternehmerpersönlichkeiten getragen. Dies hat den Vorteil, dass nicht erst eine rechtliche Struktur aufgebaut und am Leben gehalten werden muss, sondern Entscheidungen direkt und schnell getroffen werden. Diese Mentalität wird ergänzt von einem in der Region sehr stark verwurzelten Mäzenatentum. Hier sind die beiden Akteure Dieter Schwarz und Reinhold Würth zu nennen. Beide Unternehmen engagieren sich stark in ihrer Region – Schwarz in Heilbronn und Würth im Hohenlohekreis. So unterstützt die Schwarz-Stiftung den Hochschulausbau in Heilbronn, sichert den technologiebegeisterten Nachwuchs durch die in Heilbronn ansässige Experimenta und erstellt aktuell einen Bildungscampus. Analog hierzu engagiert sich Reinhold Würth in Künzelsau beim Ausbau der Außenstelle der Hochschule Heilbronn und bei weiteren Museen und Kunsthallen. Getragen vom Engagement der regionalen Unternehmer Eine weitere Einrichtung in der Region ist mit dem Venture Forum Neckar e. V. entstanden, dem ältesten Business-AngelsNetzwerk in Baden-Württemberg. Es wurde im Jahr 2002 auf Initiative von Unternehmerpersönlichkeiten aus der Region Heilbronn-Franken aus der Taufe gehoben. Die Business Angels des Venture Forums beteiligen sich an Unternehmen in einer sehr frühen Phase und unterstützen die Start-ups zudem mit Know-how und Kontakten. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es in der Region Heilbronn-Franken eine Ausgewogenheit gibt zwischen Unternehmergeist, Ausgründungsmentalität, Bodenständigkeit und regionaler Verbundenheit. Dies trifft auf ein Venture Forum, das mit meist deutlich mehr Kapital ausgestattet ist als der Venture Capital Fonds des Landes Baden-Württemberg. Dr. Jürgen Jähnert ist Geschäftsführer der BWcon GmbH, Ralf Lauterwasser leitet das Steinbeis-Beratungszentrum Existenzgründung und ist Mitglied im Kernteam ClusterAgentur Baden-Württemberg. K t ur En g el kunftsweisenden Technologien in der Verpackungsbranche zu präsentieren. T VON JÜRGEN JÄHNERT UND R ALF L AUTERWASSER maschinen hatte seinen Ursprung in nur drei Unternehmen. Heute sind daraus mehr als 50 Unternehmen entstanden. lich in Deutschland“, sagt der Vorsitzende der Geschäftsführung, Heribert Rohrbeck. Mit insgesamt 2500 Mitarbeitern, davon die Hälfte in der Region, wurde im vergangenen Jahr ein Umsatz von 412 Millionen Euro erzielt. Zu den Kunden gehören die Autoindustrie, die Textilindustrie, Kosmetikhersteller oder Halbleiterproduzenten. Rohrbeck legt Wert auf die Feststellung, das Unternehmen verfolge keine Strategie der Verlagerung in Billiglohnländer. „Wir arbeiten mit Lieferanten, die zum Teil Ausgründungen von Bürkert sind.“ Bisher entstand so ein halbes Dut- „Wir haben den Anspruch, immer einen Schritt weiter zu sein“ VA Heilbronn-Franken: Eine ländliche Region mit großer Wirtschaftskraft. Was steht dahinter? Ein innovatives Ökosystem aus Unternehmergeist, Bodenständigkeit und Ausgründungsmentalität. FOTO PRILL MEDIENDESIGN & FOTOGRAFIE/ISTOCK/THINKSTOCK „Wir sind auf Wachstum programmiert, weil wir diese Struktur der Wertschöpfungsketten haben“, meint Peter Schweiker, für Standortfragen zuständiger Geschäftsführer bei der Industrie- und Handelskammer Heilbronn-Franken. Doch nicht immer ist die Kooperation gerade im verarbeitenden Gewerbe so ausgeprägt wie etwa zwischen EBM-Papst oder Bürkert und ihren Lieferanten. Dies liegt nach Meinung von Peter Kirchner auch an der oft recht hohen Fertigungstiefe bei den Unternehmen in der Region. Man brauche eben wenig von Zulieferern, meint der Professor für Geographie und Geographiedidaktik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Sein Schwerpunkt dort ist Wirtschaftsgeographie, er gilt als ausgewiesener Fachmann auch für die Wirtschaft der Region Heilbronn-Franken. „Manchmal sagen die Firmen auch, wir machen die Dinge lieber selbst, als dass durch einen Zulieferer Informationen zu einem Wettbewerber geraten.“ T FO O PR I Wirtschaftscluster gibt es einige im süddeutschen Raum. Eine Erfolgsgeschichte erzählt das Packaging Valley Germany. Es vereint die Spezialisten im Verpackungsmaschinenbau. Geschäftsführer Kurt Engel erläutert die gemeinsame Strategie. Herr Engel, wie kam das Packaging Valley zustande, und was sind die Ziele? Der Ausgangspunkt waren Überlegungen von drei Initiatoren, Hans Bühler von Optima, Bernd Hansen von kocher-plastik und Gerhard Schubert von der Schubert-Gruppe, zu gemeinsamen Kooperationen im Bereich Ausbildung und Studium. Daraus haben sich dann mehrere Schwerpunkte entwickelt: eine gemeinsame Basis bei der Weiterbildung, Marketingaktivitäten und die Lösung von Problemen, die alle Mitgliedsunternehmen betreffen. Außerdem wollen wir in der Region und darüber hinaus die Stärke des Clusters zeigen. Zusätzlich fördern wir den Austausch durch regelmäßige Treffen. Wir haben den Anspruch, immer einen Schritt weiter zu sein und damit die besten und zu- Wie viele Weltmarktführer haben Sie im Verein? Unsere Mitglieder sind Unternehmen, die weltweit unterwegs sind und ein Alleinstellungsmerkmal im Verpackungsmaschinenbau haben. Sei es als Anlagenbauer oder als Dienstleister. Eine konkrete Zahl, wie viele davon Weltmarktführer sind, lässt sich nicht nennen, weil die Unternehmen und die Produkte ganz unterschiedlich international positioniert sind. Es sind aber einige Weltmarktführer dabei. Wie funktioniert das Netzwerk, was sind gemeinsame Aktivitäten? Wir präsentieren uns zum Beispiel gemeinsam auf den großen Fachmessen. Auf der „Fachpack“ haben wir einen Gemeinschaftsstand von 1200 m². Zwölf Mitglieder sind als Aussteller dabei, die anderen haben die Möglichkeit, dort Kundentermine zu machen. Die Mitglieder stellen dabei auch für die anderen Kontakte her. Die Unternehmen arbeiten in anderen Bereichen wie der Aus- und Weiterbildung oder im Marketing ebenfalls zusammen. Unsere Fachkompetenz zeigen wir auch bei den „Packaging Valley Days“, einem Fachkongress zu aktuellen Themen aus der Verpackungsindustrie, der alle drei Jahre stattfindet. Welche Synergien ergeben sich? Sind Cluster und Netzwerke hilfreich für die Entwicklung von Weltmarktführern? Das Netzwerk kann hilfreich sein für die Entwicklung der einzelnen Unternehmen. Durch die Kooperation untereinander profitieren auch die Kunden, da durch die Kontakte im Netzwerk Lösungen entstehen können, die bei einer größeren räumlichen Distanz vielleicht nicht so leicht zustande kämen. Man kennt sich persönlich, und ich stelle immer wieder fest, dass die großen Unternehmen die kleineren fördern. Wie sehen Sie die Zukunft des Clusters? Haben Sie eine gemeinsame Strategie, oder müssen Sie vielleicht sogar Auflösungstendenzen befürchten? Für die Zukunft von „Packaging Valley Germany“ sehe ich gute Perspektiven. Wir achten darauf, dass die Vorteile des Netzwerkes für die Mitglieder überwiegen. Unser Ziel ist es, dass die Unternehmen immer einen Mehrwert von den gemeinsamen Aktivitäten haben. Im Netzwerk entstehen Synergien, die alle voranbringen. Ende dieses Jahres eröffnen wir zum Beispiel ein eigenes „Virtual Reality Center“, in dem die Unternehmen in der Entwicklung ihre Maschinen visualisieren und mit Modellen Simulationen durchführen können. Das ist ein Meilenstein für uns. Die Gesamtkosten belaufen sich auf 700 000 Euro. Davon werden 200 000 Euro durch die EU gefördert, der Hauptteil wird aber von den Mitgliedern fi nanziert. Wenn wir nicht eine gemeinsame Zukunftsvision hätten, wäre ein derartiges Projekt nicht möglich. Das Interview führte Annette Wenk. PA C K A G I N G VA L L E Y G E R M A N Y Der Verpackungsmaschinenbau hat im süddeutschen Raum eine lange Tradition. Die Entwicklung der Unternehmen lässt sich direkt in Stammbäumen darstellen. Immer wieder wagten Mitarbeiter von Gründerunternehmen den Schritt in die Selbständigkeit und entwickelten eigene Schwerpunkte im Anlagenbau, fertigten spezielle Komponenten oder boten eine dazugehörige Dienstleistung an. Im Bereich Schwäbisch Hall entstand so das Cluster, das sich seit 2007 „Packaging Valley Germany“ nennt. Die heute 42 Mitglieder sind Anlagenhersteller, Maschinen- und Komponentenhersteller sowie Dienstleister. Im Alltag finden sich zahlreiche Produkte, die mit den Maschinen genau dieser Unternehmen verpackt werden. Wie lebendig die Entwicklung des Clusters ist, zeigen die Eckdaten der beteiligten Unternehmen. Das älteste wurde im Jahr 1900 gegründet, das jüngste im Jahr 2007. Die Mitarbeiterzahl reicht von drei bis 1800. V3 Frankfurter Allgemeine Zeitung Verlagsspezial / Region Heilbronn-Franken / 1. Oktober 2015 Im Verbund attraktiv sein In der Region Heilbronn-Franken ziehen Wirtschaft und Bildungseinrichtungen an einem Strang. Es geht darum, die klugen Köpfe von morgen zu fördern und zu halten. Das ist nicht immer einfach. Von Stefanie Pfäffle E s geht immer um die Köpfe. „Wir haben eine super Wirtschaft, aber lauter Hidden Champions, also Namen, die keiner kennt“, verdeutlicht Peter Schweiker, als Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Heilbronn-Franken (IHK) für die Standortpolitik zuständig. „Gerade auf dem Land gibt es echte Perlen, und es bedeutet einen Riesenaufwand, die Leute davon zu überzeugen, was dieses Umfeld bieten kann.“ Dieser Herausforderung stellen sich in der Region Heilbronn-Franken sowohl die Unternehmen als auch die Bildungseinrichtungen. Sie ziehen an einem Strang, damit die Region auch in Zeiten des demographischen Wandels erfolgreich bleibt. Hochschulen und Unternehmen – eine Partnerschaft Heilbronn-Franken ist die einzige Region des Landes ohne Universitätsstandort. Dafür ist die dezentrale Hochschulstruktur einmalig. Mit der Hochschule Heilbronn (HHN), mit 8300 Studenten die größte Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Baden-Württemberg, der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) und der German Graduate School of Management and Law (GGS) sind drei Anbieter mit insgesamt fünf Standorten vertreten. Trotz des großen Wachstums aller drei Einrichtungen lässt sich die Anzahl der Studierenden in der Region nur schwer erhöhen. „Manchmal ist das ein bisschen frustrierend“, gibt Schweiker zu. Umso wichtiger ist die enge Verzahnung mit der Wirtschaft. „Wir werben damit, dass wir gute Kontakte zu den Unternehmen in der Region haben“, erklärt Professor Jürgen Schröder, Rektor der HHN. Das ist nicht nur Marketing. Im Praxissemester gehen Studenten in die Unternehmen, sie arbeiten gemeinsam institut finanzieren, um dies direkt vor Ort zu haben. Der Campus Schwäbisch Hall ist laut Schröder überhaupt nur über die Finanzierung der Raumschaft mit Kommune und Unternehmen entstanden. mit ihren Professoren an aktuellen Fragestellungen, die aus den Betrieben kommen. In Transferprojekten werden Methoden neu entwickelt, an der HHN getestet und dann in die Unternehmen übertragen. Die Studenten arbeiten so nicht nur an aktuellen Themen, sie kommen in direkten Kontakt mit den Weltmarktführern. In großen Netzwerken im Bereich Controlling und Vertrieb sind die Studenten direkt eingebunden, etwa bei Kongressen. Davon haben beide Seiten etwas. „Für mich als Rektor ist es auch wichtig, dass wir junge Leute in die Region holen, und das geht nicht allein. Da könnten wir die tollste Hochschule sein, wir müssen im Verbund attraktiv sein.“ Noch enger ist die Kooperation bei der DHBW. Studenten absolvieren hier gleichzeitig ein Studium und sammeln im Wechsel in ihren Betrieben Berufserfahrung. „Als Mitglieder der Hochschule können die dualen Partner in den Gremien direkt an der strategischen Weiterentwicklung der DHBW mitwirken“, erläutert Professor Nicole Graf, Leiterin des Standorts Heilbronn. Sie können außerdem erfahrene Experten entsenden, wodurch die Verbindung zur Berufspraxis noch enger geknüpft wird. Perspektiven früh ermöglichen Auf Unterstützung angewiesen Alle drei Hochschulen profitieren vom Engagement der Dieter-Schwarz-Stiftung. In der Innenstadt von Heilbronn wächst ein immer größerer Bildungscampus heran, der alle drei beherbergt. „Ohne die Unterstützung wäre das Wachstum und die frühe Eigenständigkeit der DHBW Heilbronn nicht möglich gewesen“, hebt Graf hervor. Doch auch an den anderen HHN-Standorten tut sich viel aufgrund der Unterstützung aus der Wirtschaft und der Region. Reinhold Würth gründete eine Stiftung zur Förderung des Campus Künzelsau, der nach ihm benannt ist. EBM-Papst will dort ein elektrotechnisches Forschungs- Kampf um die besten Köpfe: Neben der HHN sind auch die Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) und die German Graduate School of Management (GGS) mit Standorten in der Region Heilbronn-Franken vertreten. a M rr y erg el LB RO NN H „Auch das Silicon Valley ist klein gestartet“ FOTO D S TA TH EI Die einst stolze Industriehochburg Heilbronn will zur Wissensstadt werden. Wieso sich die Stadt für diesen Weg entschieden hat und wie weit sie bereits vorangeschritten ist, erklärt Oberbürgermeister Harry Mergel. Herr Mergel, die Region Heilbronn-Franken ist wirtschaftlich stark. Tatsächlich befindet sich Heilbronn selbst im Umbruch. Einstige Branchengrößen der Stadt haben an Bedeutung verloren oder sind komplett vom Markt verschwunden. Woran liegt das? In der Wirtschaft ist wie im übrigen Leben nichts in Stein gemeißelt. Der Strukturwandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft ist kein Heilbronn-spezifi sches Phänomen. Mit dem Zerfall des Ostblocks haben sich für unsere Unternehmen neue Märkte eröffnet, aber auch die Spielregeln geändert. Dann die Globalisierung, die sich durch die IT-Technik und das Internet rasant beschleunigt hat. Dass in diesem Umfeld nicht jedes Unternehmen seine Chancen nutzen konnte, ist nur normal – in Heilbronn und anderswo. Wieso setzt Ihre Stadt beim Thema Strukturwandel so sehr auf das Thema Wissen? Wir verfügen über keine nennenswerten Bodenschätze. Unsere Stärke sind die Menschen, die hier leben: In ihrer Ausbildung, ihrem Ideenreichtum, ihrer Innovationskraft und ihrem Fleiß liegt unsere Zukunft. Tatsache ist auch, dass wir unsere Potentiale noch zu wenig nutzen. Wir müssen allen Menschen die Chance auf Bildung und Wissen ermöglichen – und das von klein auf. Daran arbeiten wir in Heilbronn. Kostenfreie Kindergartenplätze und Sprachförderung helfen beim guten Start in die Schule. Unsere Schulen passen wir mit einem Schulentwicklungsplan an die demographischen Herausforderungen und das veränderte Schulwahlverhalten an. Auch unsere Hochschulangebote haben wir, mit massiver Unterstützung der Wirtschaft, weiter ausgebaut. Vor wenigen Jahren wäre ich noch zum Träumer erklärt worden, wenn ich gesagt hätte, dass Heilbronn bald 10 000 Studenten haben würde. Inzwischen ist der Traum fast zum Greifen nah. Ein weiterer starker Pluspunkt für Heilbronn ist die Experimenta, ein Science Center der Dieter Schwarz Stiftung, das junge Menschen für naturwissenschaftliche Phänomene begeistert. Denn MINT-Berufe sind Innovationstreiber und sichern den Standort. Viele der Heilbronner Initiativen werden von der Wirtschaft nicht nur unterstützt, sondern federführend vorangetrieben. Wie beurteilen Sie die Verquickung von Wirtschaft und Wissenschaft? Wenn Wirtschaft und Wissenschaft Hand in Hand arbeiten, kann das nur von Vorteil sein. Die Ressourcen in der Wissenschaft erhöhen sich, auch fi nanziell. Studierende wiederum haben die Chance, sehr praxis- und anwendungsorientiert für die Bedürfnisse der Wirtschaft und des Marktes zu forschen. Das ist sicherlich der Schwerpunkt unserer Hochschullandschaft. Dass andere Wissenschaftssparten, die weniger ökonomisch ausgerichtet sind, nicht unter den Tisch fallen dürfen, ist aber selbstverständlich. Ein Beispiel: Forschungen zu „Deutsch als Fremdsprache“ sind vielleicht früher belächelt worden. Heute wissen wir, wie notwendig griffige Konzepte sind, um Menschen aus anderen Ländern auch über die Sprache gut zu integrieren. Allen Anstrengungen zum Trotz wird das Stadtbild aber nicht wirklich von innovativen Branchen geprägt. Immer noch sind viele der großen Arbeitgeber klassische Industriebetriebe. Gegen große klassische Industriebetriebe ist nichts einzuwenden. Viele sind auf dem Weg Richtung Industrie 4.0. Und: Ist es nicht so, dass auch klassische Unternehmen, die nicht innovativ sind, irgendwann von der Konkurrenz verdrängt werden? Dass wir hier ordentliche Industrieunternehmen haben, spricht doch für deren Innovationskraft. Aber wie erfolgreich sind Ihre Projekte zur Ansiedelung innovativer Branchen tatsächlich? In unserem Zukunftspark bieten wir gezielt jungen Unternehmen aus Zukunftsbranchen wie Life Science, Medizin und IT eine hervorragende Infrastruktur. Hier können mittelfristig neue Branchen-Cluster entstehen. Dankbar bin ich zudem dem Heilbronner Zukunftsfonds, der mit dem Risikokapital regionaler Unternehmerfamilien vielversprechende Jungunternehmen zu uns holt und sie nachhaltig unterstützt – nicht nur fi nanziell, sondern auch mit unternehmerischem Know-how. Ob sich dadurch künftige Weltmarktführer angesiedelt haben, wird zwar erst die Zukunft zeigen. Aber Potential haben die jungen Firmen allemal. Und vergessen wir nicht: Auch das Silicon-Valley ist klein gestartet. Welche Schritte sind denn noch zu machen, um den Strukturwandel zur Wissensstadt zu schaffen? Gemeinsam mit anderen Akteuren, von den Bildungseinrichtungen und Hochschulen bis hin zur Wirtschaft, wollen wir als Stadt ein tragfähiges Fundament dafür schaffen, dass die Menschen bei uns beste Bildungsmöglichkeiten, Berufs- und Lebensperspektiven erhalten. Dafür wird zum Beispiel der Hochschulcampus in unserer Innenstadt auch mit Unterstützung der Dieter Schwarz Stiftung weiter ausgebaut. Wir entwickeln im Zuge der Bundesgartenschau 2019 zudem ein komplett neues Stadtquartier in unmittelbarer Nachbarschaft zum Zukunftspark. Ich kenne kaum eine vergleichbare Stadt, die wie wir in die Zukunft investiert. Zur Bewältigung des Strukturwandels müssen wir zudem Antworten auf die Folgen der demographischen Entwicklung fi nden. Neben der Bildung spielen da etwa altersgerechte Wohnkonzepte und eine Willkommens- und Integrationskultur, die Neuankömmlinge mitnimmt, eine große Rolle. Das Interview führte Werner Tewes. IMPRESSUM Region Heilbronn-Franken Verlagsspezial der Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH Verantwortlich für den redaktionellen Inhalt: Frankfurt Business Media GmbH Bismarckstraße 24, 61169 Friedberg Geschäftsführung: Dr. André Hülsbömer, Torsten Bardohn Redaktion: Christiane Zimmer, Christina Lynn Dier (verantwortlich) Layout: F.A.Z. Creative Solutions, Marcel Salland Autoren: Jürgen Jahnert, Ralf Lauterwasser, Stefanie Pfäffle, Ulrich Schreyer, Matthias Stolla, Werner Tewes, Achim Ühlin, Annette Wenk Verantwortlich für Anzeigen: Ingo Müller, für Anzeigenproduktion: Andreas Gierth Weitere Angaben siehe Impressum auf Seite 4. FOTO HOCHSCHULE HEILBRONN Bildung fängt aber nicht erst in der Hochschule an. Bereits 2000 haben sich rund 20 Betriebe unter dem Titel Innovationsregion Hohenlohe der Aufgabe verschrieben, Kindern und Jugendlichen Spaß an Technik zu vermitteln. Es gibt unter anderem Erfi nderwochen in den Ferien, durchgängige Kooperationen mit Schulen, die technische Oberschule in Künzelsau und MINTecWerkstätten vom Kindergarten bis ins Gymnasium. „Uns ist es wichtig, nachhaltig zu agieren, um das schwindende Technikinteresse wieder zu wecken“, erklärt Geschäftsstellenleiterin Mirjam Rammhofer. Im ländlichen Raum müsse man einfach mehr machen, weil es den Nachwuchs sonst wegziehe. Dazu trägt auch die gemeinnützige Akademie für innovative Bildung und Management (AIM) bei. Diese bietet Bildungsangebote von der Geburt über die Kindheit bis ins gesamte Berufsleben. „Solche Angebote sind für unsere Region ein echter Glücksfall“, betont Schweiker. Denn so werden bereits Kinder ermutigt, ihre Talente zu entdecken und auszuleben, was sich später in der Berufswahl niederschlagen kann. Schüler und Studenten bekommen dank des Engagements der Firmen in der klein differenzierten Wirtschaftsregion Zugang zu Dingen wie großen Maschinen, der sonst verbaut bliebe. „Die Region ist in ihren Bildungsstrukturen sehr bodenständig, und unsere Aufgabe ist es, den jungen Leuten die Vorteile und die Perspektiven, die daraus entstehen, zu vermitteln.“ Sonst sind die Köpfe, um die es letztlich geht, am Ende weg. V4 Frankfurter Allgemeine Zeitung Verlagsspezial / Region Heilbronn-Franken / 1. Oktober 2015 Mit Talent, Mut und Beharrlichkeit zum Erfolg Eine kleine Region mit großer Wirtschaftskraft und klugen Köpfen. Aus Heilbronn-Franken kommen auch Weltmeister, Weltraumfahrer und Weltmänner mit Weitsicht. Von Christiane Zimmer EU HA US IC TU RE - IA N FO TO LI C H TB I L D AT E L I E R T H E O S CH G AF AN SS F O T O PI C T U R E AL L C IA N E/ OP OT OT SV F O T O PI T U R E A LLI A C NC GE E/ IS LE IR S, -F C RE N MO SI EN E/ BO M NN AX ;S PP TIF P TUN G BUN D E S PR Ä S I D -T H ENT D EO OR - H SS - FOTO P L AL R F OT S OE S P. A– Robert von Mayer Theodor Heuss Eberhard Gienger Anja Fichtel Alexander Gerst Dem Tüchtigen wird späte Ehre zuteil Er gab Deutschland ein neues Gesicht Ein Tausendsassa mit Stehvermögen Deutschlands beste Fechterin aller Zeiten Der Tüftler im Weltall D as Schicksal des Heilbronner Arztes Robert von Mayer steht für Beharrlichkeit und das Fazit: Dem Tüchtigen wird irgendwann die verdiente Ehre zuteil. Robert Mayer gilt als Erfi nder des Energieerhaltungsgesetzes. Er war der Erste, der erkannte, dass „Bewegung und Wärme nur verschiedene Erscheinungsformen ein und derselben Kraft seien“, wie er selbst als 60-Jähriger rückblickend schrieb. Doch die Fachwelt nahm von seiner bahnbrechenden Erfi ndung lange Zeit keine Notiz. Sie verstand ihn nicht, da er als Mediziner die Fachterminologie der Physiker nicht beherrschte. Mayer verzweifelte gar, als berühmte Physiker einige Jahre nach ihm in die gleiche Richtung forschten und den Energiebegriff als Schlüssel für das Weltverständnis proklamierten, ohne von seinen Schriften über das Thema annähernd Kenntnis zu nehmen. Alle Versuche Mayers, einer Anerkennung seines Erstrechtes, wurden verschmäht. Als 1850 ein höhnischer Kommentar über ihn in der Zeitung erschien, zweifelte Mayer vollends an seinem Verstand. Er erlebte einen körperlichen wie seelischen Zusammenbruch. Doch 1854 kam die Wende: Der renommierte Physiker Hermann Helmholtz erkannte Mayers Verdienst um den Energieerhaltungssatz an und sprach ihm öffentlich das Prioritätsrecht zu. Mayer wurde fortan mit Ehrungen überschüttet. 1867 bekam er das Ritterkreuz des Verdienstordens der württembergischen Krone verliehen und wurde in den persönlichen Adelsstand erhoben. Fortan durfte er sich „von Mayer“ nennen. N ach ihm sind Straßen, Plätze, Schulen und andere öffentliche Einrichtungen benannt: Theodor Heuss. Spätestens in der Grundschule weiß jedes Kind, wer der erste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland war. Was nicht jeder weiß: Heuss ist auch ein Kind der Region Heilbronn-Franken. Geboren und aufgewachsen in Brackenheim im Landkreis Heilbronn, studierte er Nationalökonomie, Literatur, Geschichte, Philosophie, Kunstgeschichte und Staatswissenschaften an der Münchner und an der Berliner Universität. 1905 promovierte Theodor Heuss über Weinbau und Weingärtnerstand in Heilbronn. Nach seinem Studium war er politischer Redakteur und leitete von 1912 bis 1918 die Redaktion der „Neckar-Zeitung“ in Heilbronn. Neben seiner journalistischen Passion war Theodor Heuss ein leidenschaftlicher liberaler Politiker. Mit der Gründung der FDP 1948 war er ihr erster Vorsitzender. Nur ein Jahr später wurde Heuss ins höchste Amt der noch jungen Bundesrepublik berufen. Als Bundespräsident trug er maßgeblich dazu bei, das Bild des Nachkriegsdeutschlands als „Land der Dichter, Philosophen und Musiker wiederherzustellen“, wie die Londoner „Times“ 1972 schrieb. Mit 79 Jahren starb Theodor Heuss 1963 in seinem Haus in Stuttgart. Dort, am Rande der Feuerbacher Heide, ist seit dem 7. März 2002 das Theodor-Heuss-Haus als Museum für die Öffentlichkeit zugänglich. In seinem Geburtsort Brackenheim gibt es ebenfalls ein Theodor-Heuss-Museum. F ans des Turnsports kennen ihn – den berühmten Gienger-Salto, der lange Zeit eine der Höchstschwierigkeiten im Reckturnen war. Sein „Erfinder“ Eberhard Gienger ist heute 64 und neben der sportlichen vor allem auf der politischen Bühne aktiv: Seit 2002 ist Gienger Bundestagsabgeordneter und Sprecher der Arbeitsgruppe Sport und Ehrenamt der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion. Als einer der berühmtesten Turner Deutschlands ist Gienger auch sportlich nach wie vor eine Institution. Mehrfacher Deutscher Meister und 1974 Weltmeister im Reckturnen sowie 1976 Bronzemedaillengewinner bei den Olympischen Spielen in Montreal. 1974 und 1978 wurde Gienger in Deutschland Sportler des Jahres und 2007 – mehr als 30 Jahre nach seinen größten Erfolgen – wurde er in die International Gymnastics Hall of Fame aufgenommen. Der gebürtige Künzelsauer ist ein Tausendsassa und nicht unterzukriegen: Politiker, erfolgreicher Geschäftsmann und bis Ende 2010 unter anderem Leistungssportchef im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). 1975 war Gienger sogar Fluchthelfer für den früheren Vize-Weltmeister im Kunstturnen und DDR-Bürger Wolfgang Thüne, den er bei der Europameisterschaft in Bern in seinem Auto mit in die Bundesrepublik schleuste. Seine Bodenständigkeit und Willensstärke stellt Gienger immer wieder unter Beweis. 2000 überlebte er nur knapp einen Fallschirmabsturz und auch elf Jahre später konnte ihn eine schwere Krankheit nicht davon abhalten, kurze Zeit nach der Genesung wieder die Reckstange zu erklimmen. I n den 80er Jahren war sie das Aushängeschild der deutschen Fechter und ist bis heute eine der erfolgreichsten Florettfechterinnen der Welt: Mit 17 Jahren wurde Anja Fichtel jüngste Fechtweltmeisterin aller Zeiten, mit 20 Jahren gewann sie bei den Olympischen Sommerspielen 1988 in Seoul zwei Goldmedaillen. Vier Jahre später in Barcelona gelang ihr das Kunststück, als frischgebackene Mutter die Silbermedaille im Team zu gewinnen. Damals war ihr Sohn Laurin gerade ein paar Wochen alt. Für ihre herausragenden Erfolge wurde die gebürtige Tauberbischofsheimerin 2001 mit dem Silbernen Lorbeerblatt ausgezeichnet – der höchsten sportlichen Auszeichnung in Deutschland. Erst kürzlich wurde ihr eine weitere Ehre zuteil: Gemeinsam mit Boris Becker, Michael Groß und anderen Sportgrößen wurde Anja Fichtel in die „Hall of Fame des deutschen Sports“ aufgenommen. Ihre Heimatstadt Tauberbischofsheim ist ebenfalls nicht ohne Grund Deutschlands „Fechtstadt“. In den 70er Jahren prägten Emil Beck, Anja Fichtels weltbekannter Fechttrainer und späterer Chefbundestrainer, und der FC Tauberbischofsheim den Ruf der Stadt als „Tauberbischofsheimer Goldschmiede“. Seit 1986 ist der Verein Olympiastützpunkt. Hier betreut Anja Fichtel heute den Nachwuchs. Vom einstigen Ruhm ist die Fechtstadt Tauberbischofsheim heute aber weit entfernt. Eine Rückkehr zum Erfolg vergangener Zeiten scheint in weiter Ferne. Was bleibt, sind Erinnerungen an die Helden von damals. EB S eine Fotos und Berichte von seinem Aufenthalt auf der ISS haben ihn berühmt gemacht. Derzeit ist Alexander Gerst der sicherlich bekannteste Kopf aus der Region Heilbronn-Franken. Astro-Alex wurde in der Wiege der Weltmarktführer geboren. Genauer in Künzelsau. Dort wo einst eine Handvoll Tüftler und Denker den Boden für den wirtschaftlichen Erfolg der Region gegründet haben, wuchs er auf und besuchte die Schule bis zum Abitur. Ein Tüftler ist auch Alexander Gerst, was ihm wohl ebenso in die Wiege gelegt wurde. Schließlich war es sein Großvater, der laut Gerst die Leidenschaft seines Enkels für die Raumfahrt entfacht hat. Doch so bodenständig wie der neue Ehrenbürger von Künzelsau auch ist, wenn es darum geht, seinen Wissensdurst zu stillen, zieht es ihn in die Ferne. Dafür reist er nicht nur ins Weltall, sondern erkundet ebenso die Welt von unten. Vulkane sind seine Leidenschaft. „Wenn das mit der Bewerbung als Astronaut nicht geklappt hätte, wäre ich wohl nach Alaska gezogen, um Vulkane zu erkunden”, sagt er 2014. Für seine Doktorarbeit über den antarktischen Vulkan Mount Erebus harrte der Geophysiker und Vulkanologe sechs Wochen lang bei minus 45 Grad Celsius aus. „Dort habe ich erstmals erlebt, was Einsamkeit wirklich bedeutet.” Einsam ist der vielgefragte Astronaut seit seiner Blue-Dot-Mission sicher nicht mehr, auch wenn er sich die Stille vielleicht das ein oder andere Mal zurückwünscht. Wer weiß, vielleicht fliegt der Ehrenbürger aus Künzelsau demnächst wieder ins Weltall und betrachtet in aller Stille die Erde vom Mond aus. Irgendwo im Nirgendwo – und doch mittendrin Eine Region voller Weltmarktführer, aber ohne Metropole: Wie lebt es sich in Heilbronn-Franken? Gar nicht mal so schlecht. Hier ein paar Tipps, wieso die Region auch abseits der Wirtschaft punkten kann. VON WERNER TEWES W as ist das Beste an HeilbronnFranken? Viele Einheimische erwidern die Frage mit: „Die 81 nach Stuttgart.“ Gemeint ist die Autobahn in Richtung Landeshauptstadt. Tatsache ist, dass die Antwort erstens zumeist mit einem Augenzwinkern versehen ist, zweitens aber auch zeigt, dass sich nicht wenige Menschen schwertun, die Vorzüge ihrer Region – abseits wirtschaftlicher Stärken – auf den Nenner zu bringen. Unterschiedlichste Identitäten sind hier vereint Problem eins: Heilbronn-Franken existiert als Region eigentlich nur auf dem Papier, nicht im Bewusstsein der Einwohner, die sich wahlweise eher als Kraichgauer, Badener, Hohenloher, Unterländer, Schwaben oder Franken fühlen. Problem zwei: Heilbronn ist zwar das Zentrum der Region und mit knapp 120 000 Einwohnern formell auch eine Großstadt; der Charakter einer echten Metropole fehlt ihr allerdings. Viel zu entdecken gibt es in der Region dennoch – und zwar nicht nur, aber auch in ihrem Zentrum. Heilbronn sagt man nach, dass es vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg ein imposantes Stadtbild hatte – vielleicht nicht so prächtig, aber doch ähnlich dem der rund 60 Kilometer nordwestlich gelegenen Stadt Heidelberg. Alte Fotografien belegen das. Heute erschließt sich dem Besucher der Heilbronn sagt man nach, dass es vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg ein imposantes Stadtbild hatte – vielleicht nicht so prächtig, aber doch ähnlich dem der rund 60 Kilometer nordwestlich gelegenen Stadt Heidelberg. Charme erst auf den zweiten Blick. Doch der lohnt sich. Mit 514 Hektar hat Heilbronn beispielsweise die größte Rebfläche einer Großstadt in Deutschland. Die Weinberge an den Rändern der Stadt sind malerisch. Wer auf dem Wartberg entlang des Wein-PanoramaWegs spaziert, dem eröffnet sich ein herrliches Panorama, besonders im Herbst. Weiterer Tipp: Unbedingt einen Stopp in einer der zahlreichen Besenwirtschaften einlegen. Besenwirtschaften – so nennt man die von den Winzern, die in Württemberg übrigens Wengerter heißen, saisonal geöffneten Gastbetriebe. Wann welches Weingut zum Verweilen einlädt, ist unter anderem dem „Besenkalender“ der lokalen Zeitung zu entnehmen, die sogar einen Weinredakteur in ihren Reihen hat. Genießen und Golfen Überhaupt kann die Region mit einem starken gastronomischen Angebot punkten. Hohenlohe zum Beispiel nennt sich „Genießerregion“ – nicht zu Unrecht. Wer eine Gourmetküche der Besenwirtschaft vorzieht, fi ndet sie etwa im Wald- & Schlosshotel Friedrichsruhe in Zweifl ingen, östlich von Heilbronn gelegen, keine halbe Stunde Autofahrt entfernt, wo mit Boris Benecke ein Sternekoch die Fäden in der Hand hält. Verbinden lässt sich der dortige Restaurantbesuch mit einem Gang zum Spa oder einer Partie Golf. Noch etwas weiter östlich liegt Schwäbisch Hall. Ein Ort, der vielen Menschen außerhalb Heilbronn-Frankens vor allem durch die Bausparkasse ein Begriff sein mag, der aber auch kulturell viel zu bieten hat. Genannt sei die Kunsthalle Würth, in der unter anderem schon Werke von Georg Baselitz, Max Liebermann und Edvard Munch zu sehen waren. Die historische Altstadt wiederum wartet mit einzigartigem mittelalterlichen Flair auf. Allein der Marktplatz ist umsäumt von Bauwerken verschiedenster Stile: die romanisch-gotische St. Michael-Kirche mit ihrer 70 Meter breiten und 53 Stufen hohen Freitreppe, dann das Café am Markt im Rokoko- sowie das Rathaus im spätbarocken Stil. Wer von Juni bis August in Schwäbisch Hall vorbeischaut, kann seinen Ausflug zusätzlich mit einem Besuch zu Lohnenswert, vor allem im Herbst: Der Wein-Panorama-Weg auf dem Wartberg. den Freilichtspielen verknüpfen, den zweitältesten Deutschlands. Die Aufführungen fi nden unter anderem auf der Freitreppe vor St. Michael statt. Stichwort einzigartiges Flair: Ganz Deutschland fährt nach Nürnberg, um mit dem Christkindlesmarkt einen besonderen Weihnachtsmarkt zu erleben. Ganz Deutschland? Die Menschen aus Heilbronn-Franken, für die Nürnberg gar nicht so weit weg ist, haben mit dem Altdeutschen Weihnachtsmarkt in Bad Wimpfen eine zumindest ebenbürtige Veranstaltung in ihrer Region. In den engen Gassen der Kleinstadt lässt sich an den ersten drei Adventswochenenden mindestens genauso gut Spekulatius und Glühwein genießen. Das Motto: weniger Plastik, mehr Authentizität. „Schaffe, net schwätze“ Natürlich ist die Liste an Sehenswürdigkeiten subjektiv zusammengestellt und je nach Geschmack vielfältig erweiterbar. Niemand weiß das so gut wie die Bewohner der Region selbst. Deshalb lautet der eigentliche FOTO HANSULRICH-ANSEBACH/ISTOCK/THINKSTOCK Tipp: hinter die Fassade, gerade auch der Menschen zu schauen. Ihre Mentalität ist zwar „Schaffe, net schwätze“, doch wer sie erst mal zum „Schwätzen“ gebracht und damit das Eis gebrochen hat, fi ndet Charaktere mit einer Mischung aus Bodenständigkeit, Herzlichkeit, Schlitzohrigkeit und Lebensfreude vor, garniert mit feinem Humor – was schnell offenbart, wieso die Menschen „die 81“ vielleicht mal nutzen, um der Landeshauptstadt Stuttgart einen kurzen Besuch abzustatten, nicht aber, um ihrer Region den Rücken zu kehren.
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