Maßnahme beendet und dann? Ausbildungsabbrüche vermeiden

Themenheft 1 2015
Maßnahme beendet und dann? Ausbildungsabbrüche vermeiden
und Jugendliche nachgehend unterstützen
0. Einleitung
Inhalt
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Leserinnen, liebe Leser,
0.
1.
für viele Jugendliche bleibt – trotz Bewerbermangels in manchen Regionen – die Suche nach einem Ausbildungsplatz
schwierig oder sogar erfolglos. Gelingt es einem jungen
2.
Menschen jedoch einen Ausbildungsvertrag zu unterschreiben, überwiegt ein Gefühl von Stolz, Freude, Sicherheit und
Selbstwert. Dennoch sind die Zahlen von Ausbildungsabbrü-
3.
chen alarmierend. Nach Angaben des Bundesinstituts für
Berufsbildung (BIBB) bricht in Deutschland jeder vierte Aus-
4.
zubildende seine Ausbildung vorzeitig ab – häufig schon im
ersten Jahr. Die Gründe dafür sind vielfältig. Im Vordergrund
stehen persönliche Probleme, fehlende Lernmotivation, Prüfungsangst, mangelnde Sozialkompetenz und in einigen Fäl-
5.
Einleitung
1
Hilfreiche Beratung bei
drohendem Ausbildungsabbruch. Ansatzpunkte zur Ausgestaltung des Beratungsprozesses
Prof. Dr. M. Rübner
3
Ausbildungsabbrüche in
der dualen Berufsausbildung...
Prof. Dr. Frey, Prof.
Dr. Ertelt, P. Terhart
17
Im Tandem zum Erfolg:
Projekt VerA stärkt Auszubildende
Birgit Schneider
24
„Wenn unterschiedliche
Probleme auftreten, dann
sind unsere Paten da, um
das aufzufangen.“
Interview mit C. MeuerMergenthaler, Projekt Aus29
bildungspaten
Links, Empfehlungen und
Impressum
33
len auch falsche Vorstellungen vom Ausbildungsberuf.
Dass hier Handlungsbedarf besteht ist offensichtlich. Alle Fachkräfte aus den beiden niedersächsischen Landesprogrammen Jugendwerkstätten und Pro-Aktiv-Centren arbeiten bereits
daran, junge Menschen erfolgreich in eine Ausbildung zu integrieren. Doch was geschieht,
wenn die Maßnahme in der Jugendwerkstatt beendet ist oder wenn der Prozess des Case
Managements im Pro-Aktiv-Center abgeschlossen wird? Die neue Förderphase sieht vor,
dass auch Jugendwerkstätten „Nachgehende Betreuung“ durchführen sollen und somit junge
Menschen, die eine Ausbildung oder Arbeitsstelle aufgenommen haben, unterstützen.
Wie Jugendliche mit Förderbedarf vor einem Ausbildungsabbruch „geschützt“ werden können, wie man frühzeitig handeln kann bzw. wie eine weiterführende Unterstützung erfolgen
kann, möchten wir daher in dem aktuell vorliegendem Themenheft „Maßnahme beendet
und dann? - Ausbildungsabbrüche vermeiden und Jugendliche nachgehend unterstützen“ beleuchten.
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Hierzu konnten wir zahlreiche Expert/innen gewinnen, die uns ihre Arbeitsansätze und Handlungsempfehlungen aufzeigen. Den Anfang macht Prof. Dr. Matthias Rübner, Professor für
Integrationsmanagement an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit mit seinem Beitrag „Hilfreiche Beratung bei drohendem Ausbildungsabbruch. Ansatzpunkte zur Ausgestaltung des Beratungsprozesses“. Anschließend legen Prof. Dr. Andreas Frey, Professor für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Berufs- und Wirtschaftspädagogik, Prof. Dr.
Bernd-Joachim Ertelt, Professor für Wirtschaftspädagogik und Beratungswissenschaft sowie
Philipp Terhart, Berufsberater der Agentur für Arbeit, Problembeschreibung und Möglichkeiten der Prävention dar, um Abbrüche zu vermeiden.
Ein etwas anderes Praxisbespiel gibt uns Birgit Schneider von der Initiative VerA mit ihrem
Artikel „Im Tandem zum Erfolg“. Unter dem Leitmotiv „Alt hilft jung“ wird in diesem Projekt
zur Vermeidung von Ausbildungsabbrüchen ehrenamtlich gearbeitet. Diesem Ansatz haben
wir in unserem Themenheft Raum gegeben, um darzustellen, welche Alternativen Jugendliche möglicherweise haben, wenn die Betreuung durch Fachkräfte aus Jugendwerkstätten
und Pro-Aktiv-Centren nicht mehr gewährleistet werden kann. Auf dieser Idee baut auch unser letzter Bericht im vorliegenden Heft auf. Wir konnten Constance Meuer-Mergenthaler,
Projektleiterin der „Ausbildungspaten“ vom Freiwilligenzentrum Hannover, für ein Interview
gewinnen, in welchem sie uns von dem Hintergrund und der Umsetzung der Ausbildungspaten berichtet.
Wie immer finden Sie am Ende dieser Ausgabe zahlreiche Links und Empfehlungen zu dem
Thema „Maßnahme beendet und dann? - Ausbildungsabbrüche vermeiden und Jugendliche nachgehend unterstützen“. Wir hoffen, dass Sie einige Aspekte für sich und
Ihre Arbeit aus diesem Themenheft herausziehen können und wünschen Ihnen aufschlussreiche Anregungen beim Lesen.
Das Referat Pro-Aktiv-Centren und Jugendwerkstätten der LAG JAW dankt allen Autorinnen
und Autoren herzlich für ihre Beiträge sowie Antworten im Interview.
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1. Hilfreiche Beratung bei drohendem Ausbildungsabbruch –
Ansatzpunkte zur Ausgestaltung des Beratungsprozesses
Autor: Prof. Dr. Matthias Rübner, Professor für
Integrationsmanagement an der Hochschule
der Bundesagentur für Arbeit, Dipl.-Soziologe,
Case-Management-Ausbilder (DGCC)
1
Einleitung1
Die Ausbildungsphase stellt eine wichtige Etappe auf den Weg von der Schule in das Berufsleben dar. Betrieb und Berufsschule treten an die Stelle des vertrauten allgemeinbildenden
Schulsystems. Mit dem Übergang ins berufliche Bildungs- und Beschäftigungssystem sind
neue Anforderungen, Regeln und Beziehungsmuster verbunden. Dabei kann die Ausbildungsphase auch als ein Realitätstest für die vorangegangene Berufswahl angesehen werden: Inwieweit passen die persönlichen Erwartungen und Voraussetzungen mit den gestellten Anforderungen und Möglichkeiten der Ausbildung und späteren Tätigkeit zusammen?
Sind die gegebenenfalls eingegangenen Kompromisse bei der Berufs- und Betriebswahl
ausreichend tragfähig? Wie stellt sich die Ausbildungsrealität dar?
In den letzten Jahren sind verstärkte Anstrengungen zu beobachten, durch frühzeitige Interventionen die Berufswahl von jungen Menschen besser vorzubereiten, den Berufseinstieg zu
begleiten und damit auch das spätere Abbruchrisiko zu reduzieren. Vertiefte, teils mit Kompetenzfeststellungen und berufspraktischen Phasen verbundene Berufsorientierungen sowie
niedrigschwellige, teilweise auf Jahre angelegte personelle Betreuungsangebote sollen signifikante Verbesserungen in den Zielbereichen Berufswahlkompetenz, Ausbildungsreife und
berufliche Eingliederung bewirken und Ausbildungsabbrüche reduzieren (Lippegaus-Grünau,
Mahl & Stolz, 2010). Auch die Maßnahmen des Übergangssystems, die den höchsten Kostenfaktor bei den Förderinstrumenten an der 1. Schwelle ausmachen, zielen darauf, nachhaltige Integrationen in Ausbildung zu realisieren. Vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit fin-
1
Der Beitrag stellt eine aktualisierte und überarbeitete Version eines früheren Beitrags dar (Rübner,
2012a)
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den nach wie vor Maßnahmen, die auf die Bearbeitung von Problemen während der Ausbildung gerichtet sind, zum Beispiel in Form von Stabilisierungs- oder Wiedereingliederungsmaßnahmen. Die Bedeutung von präventiven, stabilisierenden und kurativen Angeboten der
Ausbildungsförderung wird dadurch unterstrichen, dass ein Ausbildungsabbruch eine der
wichtigsten Ursachen dafür ist, ohne Berufsabschluss zu bleiben, insbesondere für Jugendliche mit maximal Hauptschulabschluss und mit Migrationshintergrund (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2014).
Im vorliegenden Beitrag soll keine spezielle Einzelmaßnahme zur Unterstützung von abbruchgefährdeten Auszubildenden vorgestellt werden. Es geht vielmehr darum, Gestaltungsmöglichkeiten von Beratung zu skizzieren, die darauf gerichtet sind, mit dem Jugendlichen die bestehenden Abbruchtendenzen und Abbruchrisiken zu klären und Bewältigungsperspektiven zu entwickeln. Beratung kann darüber hinaus eine wichtige Brückenfunktion für
die Planung, Anbahnung und Begleitung von Maßnahmen bieten, die der beruflichen Stabilisierung oder Neuorientierung dienen.
2
Fundamente einer hilfreichen Beratung
Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung ist auf die Bearbeitung von Herausforderungen spezialisiert, die sich im Kontext sozial typischer Lebenslagen und Lebensphasen des
Erwerbszyklus stellen. Sie bietet dabei keine fertigen Lösungen an, sondern erarbeitet in der
Interaktion mit dem Ratsuchenden Möglichkeiten zur Erreichung berufsbiographischer Ziele.
Drei Grundbausteine einer hilfreichen Beratung sollen dabei unterschieden werden (zum
Hintergrund Rübner & Göckler, 2014, S. 249ff.):
1. Beraterische Klärung: Wirksame Beratung zielt darauf, dem Ratsuchenden ausreichend Gelegenheit zu gehen, sich über seine aktuelle Situation, seine Ziele und bevorzugten Lösungsansätze klar zu werden. Durch geeignete Methoden wird der Ratsuchende zum Erzählen, Explorieren und Überdenken von Ereignissen, Selbsteinschätzungen und Handlungsoptionen aus unterschiedlichen Perspektiven angeregt.
Diese Vorgehensweise eröffnet die Chance, dass der Ratsuchende seine aktuellen
Situation und die damit verbundenen Probleme in einem anderen Licht betrachten
kann und zur Entwicklung eigener Ziele und Ideen angeregt wird. Von diesem reflexionsorientiertem Ansatz ist ein stärker diagnostischer Ansatz zu unterscheiden, der
die individuelle Situation des Ratsuchenden im Lichte diagnostischer Konzepte analysiert (z.B. Klärung der Ausbildungsreife oder Berufseignung). Beide Zugänge beraterischer Klärung sollen aber dazu beitragen, dass der Jugendliche ein differenziertes
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Verständnis seiner Situation gewinnt und zur weiteren Exploration von Handlungsmöglichkeiten ermutigt wird.
2. Ressourcenaktivierung und Ermutigung: Gerade in Handlungssituationen, die als belastend und komplex wahrgenommen werden, erscheint das Prinzip der Ressourcenaktivierung von besonderer Bedeutung. Eine hilfreiche Beratung zielt darauf, dass
sich der Ratsuchende in seinen Stärken und positiven Seiten erfahren kann. Eine
ressourcenorientierte Beratung von abbruchgefährdeten Jugendlichen ist in dem Sinne direktiv, dass sie ihre Fragen, Reflexionsimpulse und Erhebungsinstrumente auf
die vorhandenen Stärken, Fähigkeiten, Gewohnheiten, Einstellungen und Ambitionen
richtet, die für den Veränderungsprozess gezielt genutzt werden können, etwa im
Rahmen einer berufliche Neuorientierung oder konstruktiven Form der Konfliktbewältigung. Darüber hinaus stellt die Förderung eines Problembewusstseins, also die
wahrgenommenen Diskrepanzen zwischen eigenen Werten und aktuellem Handeln,
eine psychologisch wichtige Triebfeder für die Entwicklung von Veränderungsmotiven
und die Aktivierung von Kompetenzen dar (Miller & Rollnick, 2004). Elementar ist in
diesem Zusammenhang auch, dass der Jugendliche seinen Gesprächspartner als
unterstützend, ermutigend und ihn in seinem Selbstwertgefühl positiv bestätigend erlebt. Ressourcenaktivierung kann insoweit als ein durchgängiges Handlungsprinzip
verstanden werden, dass die gesamte Beratung durchzieht.
3. Aktive Hilfe zur Problembewältigung: Mit aktiver Hilfe ist gemeint, dass der Berater
den Ratsuchenden mit geeigneten Maßnahmen darin unterstützt, mit einem bestimmten Problem besser fertig zu werden. Im Kontext der Beratung von abbruchgefährdeten Jugendlichen ist entscheidend, dass der Jugendliche die reale Erfahrung macht,
besser mit der betreffenden Situation zurechtzukommen. Wie dies am besten erreicht
werden kann, hängt von der spezifischen Problematik und den situativen Umständen
ab. Hier muss die Fachkraft über ein reichhaltiges problemlösungsorientiertes Erfahrungswissen verfügen, um Jugendliche bei der Bewältigung ihrer Situation zu unterstützen.
3
Prozess der Beratung
Beratung ist ein methodisch angeleitetes Interventionskonzept der Problemlösung, d.h. sie
leitet einen Prozess der Problembearbeitung ein und begleitet diesen. In den meisten Beratungsansätzen werden drei grundlegende Phasen der Beratung unterschieden: Situationsanalyse – Zielfindung – Lösungsstrategien (Rübner & Göckler, 2014, S. 253ff.).
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Situationsanalyse: Übergeordnetes Thema der Situationsanalyse ist die Klärung der Ausgangssituation und Anliegen des Ratsuchenden. In fast allen Beratungskonzepten wird von der Annahme ausgegangen, dass eine erfolgreiche Bearbeitung von Handlungsproblemen und ungenutzten Möglichkeiten ein
ausreichend präzises Verständnis der Beteiligten über die Ausgangssituation
voraussetzt. Klärungsprozesse, gemeinsame Analyse und strukturiertes
Feedback sind Hauptbestandteile dieser Phase.
Zielfindung: In der Phase der Zielfindung geht es um die Entwicklung und
Absprache konkreter Veränderungsziele und angestrebter Ergebnisse. Dabei
sollten diese als möglichst spezifische Ziele mit ausreichendem Anspruchscharakter formuliert werden. Die in den Beratungsprozess eingebrachte Zielorientierung unterstützt den Ratsuchenden dabei, mögliche Problemfixierungen
aufzulösen und sich auf ein angestrebtes Zukunftsszenario zu konzentrieren.
Lösungsstrategien: Das übergeordnete Thema dieser Phase ist die konkrete
Entwicklung von Ansatzpunkten zur Erreichung dieser Ziele. Ratsuchende
wissen häufig recht genau, worin der Handlungsbedarf in ihrer aktuellen Situation besteht und haben bestimmte Ziele. Was ihnen hingegen fehlt, sind konkrete und wirksame Strategien zur Zielerreichung. Gerade in der Beratung von
Risikogruppen im Bereich der beruflichen Bildung reichen die angestrebten
Ziele deutlich über das aktuelle Gespräch hinaus. Insofern ist die Entwicklung
und Planung spezifischer Lösungsstrategien über das Gespräch hinaus Teil
der Gesprächsagenda.
In jeder Phase der Beratung sollen
a. die Ratsuchenden ermutigt werden, ihre Überlegungen und Ideen einzubringen,
b. die eingebrachten Themen und Anliegen mit Hilfe der feldspezifischen und methodischen Kompetenz der Fachkraft weiter ausgearbeitet werden und
c. konkrete Ansatzpunkte für das weitere Vorgehen in geeigneter Weise festgehalten
werden.
Der beschriebene Prozess wird nicht in jedem Gespräch vollständig und in aller Ausführlichkeit durchlaufen werden können, insbesondere dann nicht, wenn die zu bearbeitenden Probleme komplexer oder grundsätzlicher Natur sind. Mit dem Prozessmodell werden vielmehr
grundlegende Handlungsaufgaben von Beratung beschrieben und ein Orientierungsrahmen
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für die Planung, Durchführung und Auswertung von Beratungsgesprächen bereitgestellt. Die
Frage nach der methodischen Ausgestaltung der einzelnen Phasen muss die Fachkraft von
den Voraussetzungen der spezifischen Beratungssituation (Person des Ratsuchenden,
Rahmenbedingungen, eigene Expertise) abhängig machen. Insoweit verstehen sich die
nachfolgenden Ausführungen als strukturierende Anregungen zur Gestaltung von Beratungsgesprächen mit abbruchgefährdeten Auszubildenden. Da hier nicht auf einen speziellen
institutionellen Kontext (zum Beispiel öffentliche Arbeitsverwaltung, Jugendhilfe, Bildungsträger) oder ein spezielles fachliches Profil (Berufsberatung, Ausbildungsberatung, Fallmanagement) abgestellt wird, geht es primär um die Darstellung von grundlegenden Gestaltungsoptionen des Beratungsprozesses.
4
Ansatzpunkte für die Beratung bei drohendem Ausbildungsabbruch
4.1
Situationsanalyse
Dieser Phase kommt eine Schlüsselrolle zu, denn sowohl auf der inhaltlichen Ebene als
auch auf der Beziehungsebene muss eine gemeinsame Verständigungsbasis zwischen dem
Jugendlichen und dem Berater gefunden werden. Aufgabe der Fachkraft ist es, ein Klima zu
fördern, das eine konstruktive Zusammenarbeit ermöglicht. Die differenzierte Klärung der
aktuellen Situation des Jugendlichen und die gemeinsame Sondierung des Beratungs- und
Unterstützungsbedarfs fordern zudem einen sorgfältigen und vertraulichen Umgang mit den
Informationen, die der Jugendliche gibt und den Rückschlüssen, die daraus gezogen werden.
Die zentralen Funktionen der Situationsanalyse lassen sich wie folgt umreißen:
•
Herstellung einer positiven Arbeitsbeziehung, die den weiteren Beratungsprozess trägt und einen Rahmen bietet, in dem sich der Jugendliche zu seinem
Anliegen und seinen Erfahrungen frei äußern kann;
•
Erzielung eines gemeinsamen Verständnisses über das Anliegen des Jugendlichen;
•
Verständigung über den Stand im Prozess, insbesondere hinsichtlich der Frage, ob bereits definitive Vorentscheidungen getroffen worden sind (z.B. Berufs- oder Betriebswechsel);
•
Erstellung einer differenzierten Ausgangsanalyse durch Klärung der relevanten Abbruchtendenzen und Gründe für einen möglichen Ausbildungsabbruch;
•
Förderung der Selbsteinschätzung des Jugendlichen, Klärung und Bewusstmachung von Ressourcen;
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•
gemeinsame Ableitung konkreter Ansatzpunkte für die Problembearbeitung.
Für die fachliche Einordnung der Abbruchtendenzen von Jugendlichen soll ein Systematisierungsvorschlag unterbreitet werden, der fünf Problem- und Handlungsfelder unterscheidet.
Für die Beratungssituation bietet diese Differenzierung die heuristische Möglichkeit, hinter
den berichteten Schwierigkeiten einige grundlegende Problemstellungen zu erkennen. Auf
dieser Grundlage kann der Berater zudem entscheiden, ob er bereits über ausreichend Informationen verfügt, um mit dem Jugendlichen in die Zielklärungs- und Lösungsphase einzusteigen.
1. Ausbildungs- und betriebsspezifische Rahmenbedingungen: Die Gründe für Abbruchtendenzen können primär im Zusammenhang mit den ausbildungs- und betriebsspezifischen Rahmenbedingungen stehen, in denen sich der Jugendliche bewegt. Als mögliche Abbruchgründe kann zwischen Arbeitsbedingungen im Betrieb
bzw. der Berufsschule einerseits und zwischenmenschlichen Schwierigkeiten während der Ausbildung andererseits unterschieden werden:
a. Arbeitsbedingungen: schlechte Arbeitsbedingungen, schlechte oder zu lange Arbeitszeiten, zu viele fachfremde Tätigkeiten, mangelnde Qualität der Ausbildung.
b. Zwischenmenschliche Schwierigkeiten: Konflikte mit Ausbildern, dem Chef, Mitarbeitern, Lehrkräften, Kursleitern und anderen Lernenden.
Von diesem ersten Problemkomplex abzugrenzen sind Fragen der Berufswahlreife, der beruflichen Eignung sowie der Ausbildungsreife eines Jugendlichen (vgl. Rübner & Höft,
2012b).
2. Berufswahlreife: Bei der Beurteilung der Berufswahlreife eines Jugendlichen geht es
um die Frage, ob dieser die Bereitschaft und Fähigkeit ausgebildet hat, seine eigenen
Werte, Interessen und Leistungsfähigkeit einzuschätzen, mit Berufen realitätsnah in
Verbindung zu bringen und in eine Entscheidung zu überführen. Insoweit kann gefragt werden, ob die aktuellen Probleme des Jugendlichen im Ausbildungsprozess
darauf zurückzuführen sind, dass er sich im Vorfeld seiner Entscheidung nicht ausreichend bzw. realitätsgerecht mit wichtigen Fragen der Berufswahl beschäftigt hat
und nun auf eine Berufsrealität stößt, die nicht zu seinen individuellen Vorstellungen
und Interessen passt. In diesem Fall ist in der Beratung zu prüfen, ob die berichteten
Probleme Anlass dafür sind, den Berufswahlprozess noch einmal neu aufzurollen und
neue Zielberufe zu finden oder ob die nachholende Aufklärung über Inhalt und Entwicklung des gewählten Ausbildungsberufes ausreichend ist.
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3. Berufliche Eignung: Bei der Beurteilung der beruflichen Eignung geht es um die
Frage, ob der Jugendliche einerseits den beruflichen Anforderungen der gewählten
Ausbildung gerecht werden kann und ob er andererseits ein ausreichend hohes Befriedigungspotential daraus ziehen kann. Eine erfolgreiche Berufsausübung ist dann
gefährdet, wenn diese beiden Kriterien nicht hinreichend erfüllt sind. Die in Frage
stehende Eignung kann sich im Hinblick auf das berufsspezifische Anforderungsprofil
als Über- aber auch als Unterforderung darstellen. Zudem treffen viele Jugendliche
auf eine regionale Angebotsstruktur, die sie zu Kompromissen hinsichtlich ihres
Wunschberufs zwingen, die in der Ausbildungsrealität aber in einem anderen Licht
und als nicht mehr akzeptabel erscheinen können (vgl. Beicht & Ulrich, 2008). Vor
dem Hintergrund der beruflichen Eignung kann geprüft werden, inwieweit die kommunizierten Probleme während der Ausbildung auf eine unzureichende Passung von
persönlichen Voraussetzungen und Ausbildungsberuf zurückzuführen sind. In der Beratung ist im Rahmen dieses Handlungsfeldes insbesondere zu klären, ob die Diskrepanzen zwischen der Person des Jugendlichen und dem Beruf so hoch sind, dass
ein Abbruch bzw. eine Neuorientierung sinnvoll erscheint, oder ob durch geeignete
Unterstützungsmaßnahmen eine erfolgreiche Ausbildung möglich sein sollte.
4. Ausbildungsreife: Im Zusammenhang mit der Ausbildungsreife werden die allgemeinen Merkmale der Bildungs- und Arbeitsfähigkeit beurteilt. Neben schulischen
Grundkenntnissen und psychologischen Leistungsmerkmalen stehen hier insbesondere Sozial-, Methoden- und Personalkompetenzen im Mittelpunkt. Von spezifischen
Anforderungen einzelner Berufe wird abgesehen, stattdessen werden die allgemeinen Anforderungen von Ausbildungsberufen im dualen System als Bezugsmaßstab
herangezogen (Nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland, 2006). Eine auf die Ausbildungsreife abstellende Leitfrage für die Beratung lautet: Sind die berichteten Schwierigkeiten während der Ausbildung auf eine nicht ausreichend entwickelte Ausbildungsreife zurückzuführen, d.h. erscheint der Jugendliche
zum gegenwärtigen Zeitpunkt generell mit den allgemeinen Anforderungen einer Berufsausbildung überfordert? In diesem Handlungsfeld geht es insoweit weniger um
Probleme mit einem spezifischen Beruf, sondern um einen generellen Handlungsbedarf im Zusammenhang mit der Bewältigung der Anforderungen in dualen Ausbildungsberufen. Je nach Ausprägungsgrad des festgestellten Handlungsbedarfs kommen unterschiedliche Optionen in Frage, die in der Beratung besprochen werden
können: z.B. die Stabilisierung des Ausbildungsverhältnisses durch ausbildungsbe-
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gleitende Hilfen oder eine Neuorientierung durch eine berufsvorbereitende Maßnahme zur Entwicklung der Ausbildungsreife und neuer Berufsfelder.
5. Privates und familiäres Handlungsfeld: Schließlich sind noch das private und familiäre Handlungsfeld des Jugendlichen zu nennen, z.B. wenn in der Beratung Drogenprobleme, psychische Belastungen oder Schulden angesprochen werden. Ohnehin
können Belastungssituationen in diesem Handlungsfeld die eigentliche Ursache für
Probleme in der Ausbildung sein, ohne dass diese sogleich benannt oder erkannt
werden (vgl. Mahlberg-Wilson, Mehlis & Quante-Brandt, 2008). Hier zeigt sich, dass
sich das erforderliche Fachwissen und kommunikative Know-how nicht allein auf berufliche Fragen beschränken kann, sondern auch Problemstellungen einbezogen
werden müssen, die die sozialen Rahmenbedingungen und die persönliche Entwicklung von jungen Menschen betreffen. Typischerweise sind eine schrittweise Klärungsarbeit und längere Betreuungszeiträume erforderlich, um die aus Sicht des Jugendlichen und der Fachkraft relevanten Themen zu besprechen und zu bearbeiten.
4.2
Zielfindung
Diese Phase nimmt eine Brückenfunktion zwischen der Phase der Situationsanalyse und der
Lösungsstrategien ein. Es geht darum, auf der Grundlage der erarbeiteten Sachverhalte
Zielmarken für die weitere Problembearbeitung abzustecken, d.h. zu klären, worauf sich die
möglichen nächsten Schritte eigentlich richten. Aus interaktionistischer Sicht zentral ist, dass
sich Fachkraft und Jugendlicher auf gemeinsame Ziele der Problembearbeitung einigen, insoweit also eine Verständigungsbasis für die weitere Arbeit erreichen.
Für die Konkretisierung von Handlungszielen bei drohendem Ausbildungsabbruch können
die folgenden drei übergeordneten Zielsetzungen eine Orientierung geben:
1. Stabilisierung des bestehenden Ausbildungsverhältnisses im Hinblick auf den
Leistungsstand, das Lern- und Arbeitsverhalten, zwischenmenschliche Konflikte, private Probleme.
2. Klärung einer offenen Entscheidungssituation über den weiteren Ausbildungsverlauf im Hinblick darauf, ob die aktuelle Ausbildung abgebrochen oder weitergeführt werden soll, ein Betriebs- oder Berufswechsel sinnvoll ist.
3. Neuorientierung bei absehbarem oder definitivem Ausbildungsabbruch:
Erarbeitung einer neuen beruflichen Zielposition, Suche eines neuen Ausbildungsbetrieb im weiteren Umkreis.
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Sind in der Beratung als Abbruchgründe Konflikte mit Lehrkräften, schlechte Noten und zugleich finanzielle Probleme thematisiert worden, kann unzweifelhaft von einer komplexen
Situation mit akutem Abbruchrisiko gesprochen werden. Die intensive Auseinandersetzung
mit Zielen ist in Fällen wie diesen von besonderer Bedeutung. Es sind dann Überlegungen
erforderlich, worin die unterschiedlichen Zielfelder bestehen, was Nah- und Fernziele sind
und wie eine sinnvolle Priorisierung aussehen könnte. Ist die Ausgangssituation des Jugendlichen hingegen klar umschrieben, etwa weil ein Berufswechsel bereits fest eingeplant und
vorbereitet worden ist, kann die Brücke von der Situationsanalyse zu den Lösungsstrategien
mit weniger Aufwand geschlagen werden. Dennoch sollte auch in diesen Fällen eine kurze
Verständigung über die Handlungsziele erfolgen, um die gegenseitigen Erwartungen an die
weitere Beratung abzustimmen.
Eine maximale Konkretisierung von Haupt- und Teilzielen, wie sie etwa durch die bekannte
SMART-Formel nahegelegt wird (vgl. Bamberger, 2006), ist mit dieser Phase nicht intendiert
und erscheint in vielen Fällen auch realitätsfern. Die Entscheidung über den Detaillierungsund Konkretisierungsgrad sollte vielmehr im Einzelfall erfolgen. Entscheidend ist, dass der
weitere Problembearbeitungsprozess eine für beide Seiten ausreichend klare Zielrichtung
erhält. Ohnehin ist die Zielarbeit mit dem ersten Beratungsgespräch häufig nicht abgeschlossen.
4.3
Lösungsstrategien
Für die Phase der Lösungsstrategien sollen drei grundlegende Aspekte unterschieden werden:
•
die Sondierung von Lösungsmöglichkeiten;
•
die Auswahl und der Einsatz geeigneter Lösungsstrategien;
•
die Planung und Vereinbarung der Umsetzung.
Dadurch soll der Lösungsprozess als gemeinsame Aufgabe angestoßen und schrittweise
konkretisiert werden. Ein kompetenz- und ressourcenorientierter Beratungsansatz achtet
darauf, dass die aktive Beteiligung des Jugendlichen ein durchgängiges Handlungsprinzip
darstellt. In diesem Sinne stellt die Beratungsfachkraft dem Jugendlichen Bearbeitungsmöglichkeiten zur Verfügung, die ihn in seiner Bereitschaft und Fähigkeit zur Bewältigung der
aktuellen Situation bestärken sollen.
Aufgrund der Bandbreite möglicher Handlungsbedarfe, die im Zusammenhang mit Abbruchrisiken auftreten können, ist es hier nicht möglich, alle möglichen Varianten von LösungsstraGefördert durch das Niedersächsische
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tegien auszuarbeiten. Perspektivisch dürfte es aber ratsam sein, für die drei genannten Zielbereiche jeweils verschiedene Beratungsangebote auszuarbeiten und entsprechende Handlungskompetenzen zu erwerben.
I. Stabilisierung des Ausbildungsverhältnisses:
1. Unterstützung bei der Vermittlung in betrieblichen Konfliktsituationen (z.B. Vorbereitung auf entsprechende Gespräche oder Mediationsverfahren)
2. Unterstützung bei der Auswahl und Anbahnung berufsbegleitender Angebote und
Maßnahmen (z.B. ausbildungsbegleitende Hilfen, sozialpädagogische Begleitung)
3. Unterstützung bei der Bearbeitung privater Problemstellungen, die den Ausbildungserfolg tangieren (z.B. bei finanziellen oder familiären Problemen)
II. Klärung einer offenen Entscheidungssituation über den weiteren Ausbildungsverlauf:
1. Unterstützung beim Entscheidungsprozess und der Bewältigung von Ambivalenz
(z.B. ob eine Ausbildung nun abgebrochen oder fortgeführt werden sollte)
2. Unterstützung bei der Klärung der beruflichen Eignung für den gewählten Ausbildungsberuf
III. Neuorientierung bei absehbarem oder definitivem Ausbildungsabbruch:
1. Unterstützung bei der Verarbeitung von Frustration und Demotivation aufgrund des
(drohenden) Ausbildungsabbruchs
2. Unterstützung bei der beruflichen Neuorientierung
3. Unterstützung bei der Suche nach einer neuen Ausbildung bzw. einem neuen Ausbildungsbetrieb
4. Unterstützung bei der Auswahl und Einmündung in eine passende Übergangsmaßnahme (z.B. zur Herstellung von Ausbildungsreife)
Im Folgenden werden einige Ansatzpunkte für die Gestaltung der Lösungsphase skizziert.
Sondierung von Lösungsmöglichkeiten: Auch wenn der Jugendliche Unterstützung bei der
Bewältigung seiner aktuellen Situation benötigt, kann grundsätzlich davon ausgegangen
werden, dass er über eine Reihe von Ideen und Ressourcen verfügt, um seinen Zielen näher
zu kommen. Mit dieser Grundeinstellung und Fragen nach eigenen Ideen aktiviert die Fachkraft das Lösungspotenzial des Jugendlichen und stärkt dessen Selbstwirksamkeit. Für die
angeleitete Sondierung erweisen sich bestimmte Leitfragen als instruktiv:
•
Ausgangspunkte: Welche Ideen und Wege zur Zielerreichung sind bekannt?
•
Ressourcen: Welche Person- und Umweltressourcen des Jugendlichen erweisen sich
als förderlich (unter Einbeziehung der Erkenntnisse aus der Situationsanalyse)?
•
Netzwerke: Wer kann helfen (informelles und formelles Netzwerk)?
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•
Programme: Gibt es spezielle Programme oder Maßnahmen mit passender Zielrichtung?
•
Prioritäten: Was kann und muss sofort, was später getan werden?
Auswahl und Einsatz geeigneter Lösungsstrategien: Bei der Auswahl und dem Einsatz konkreter Lösungsstrategien kann zwischen unmittelbar personenbezogenen und gegenstandsbezogenen Hilfen unterschieden werden (vgl. MASQT, 2000, S. 107). Zu den unmittelbar
personenbezogenen Hilfen zählen alle in der Beratung selbst eingesetzten Strategien und
Methoden zur Problembearbeitung. Nicht alle Handlungsprobleme, die mit einem Ausbildungsabbruch verbunden sind, können aber in der Beratung selbst bearbeitet werden. Zu
denken ist etwa an Lernprobleme, schlechte Ausbildungsbedingungen, gesundheitliche
Probleme oder fehlende Ausbildungsreife. In diesen Fällen ist der Einsatz zusätzlicher Instrumente erforderlich (z.B. Trainings, Lernprogramme, Mediation, Begutachtung, Lernbegleitung). Gegenstandsbezogene Hilfen dieser Art weisen insoweit über die Beratung hinaus,
werden aber in der Beratung abgestimmt und geplant. Basis für eine person- und sachgerechte Auswahl, Planung und Anbahnung gegenstandsbezogener Hilfen sind die gemeinsam
erarbeiteten Ergebnisse der Situationsanalyse und der Zielfindung. Je nach institutioneller
Einbindung kann die Fachkraft entsprechende Hilfen darstellen, vermitteln oder auch zugänglich machen. Für Auswahl und Einsatz geeigneter Lösungsstrategien kann sich an folgenden gedanklichen Leitfragen orientiert werden:
•
Passt die Lösungsstrategie zur aktuellen Problemsituation und zu den Veränderungszielen des Jugendlichen?
•
Passt sie zu seinen kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten?
•
Ist die Lösungsstrategie in Art und Umfang realistisch dimensioniert?
•
Ist die Lösungsstrategie effektiv und zielführend?
Planung und Vereinbarung der Umsetzung: In diesem die Lösungsphase abschließenden
Schritt werden konkrete Aktivitäten geplant und vereinbart. Häufig kommt dabei ein mehr
oder weniger umfassender Planungsbogen zum Einsatz, in denen entsprechende Aktivitäten
und Etappenziele aufgelistet, zeitlich dimensioniert und in Bezug auf die Hauptziele priorisiert
werden. Bei geplanten Folgekontakten kann eine Unterschrift den Vereinbarungs- und Verbindlichkeitscharakter erhöhen. Der Formalisierungsgrad der Vereinbarung hängt vom Beratungsanlass ab. Ziel ist es, eine klare und für beide Seiten transparente Aktivitätenplanung
zu erreichen, die einen intersubjektiven Verbindlichkeitsgrad aufweist und im Falle von Folgekontakten als systematischer Anknüpfungspunkt fungiert. Mit der Ausformulierung überGefördert durch das Niedersächsische
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prüfbarer Aktivitäten bekommt der Jugendliche zugleich eine Bewertungsgrundlage an die
Hand, die er selbstständig nutzen kann.
5 Ausblick
Die aus der Forschung bekannten Problemfelder von Auszubildenden mit erhöhtem Abbruchsrisiko sind vielfältig und treten nicht selten in kombinierter Form auf. Für die kompetente Bearbeitung dieser Probleme können unterschiedliche fachliche Spezialisierungen und
Institutionen erforderlich werden. Ein klassischer Ansatz zur Bearbeitung von Problemstellungen, die sich um einen potentiellen Ausbildungsabbruch drehen, stellt die Berufsberatung
dar. In Deutschland ist sie im Recht der Arbeitsförderung (3. Buch Sozialgesetzbuch,
SGB III) geregelt. Sie umfasst u.a. die Erteilung von Auskunft und Rat zur Berufswahl, beruflichen Entwicklung und zum Berufswechsel (§ 30 SGB III) und ist von der Bundesagentur für
Arbeit als flächendeckendes, individualisiertes Angebot vorzuhalten (§ 29 Abs 1 SGB III).
Eher zum Randbereich der institutionellen Berufsberatung gehört die Stabilisierung einer
bestehenden Berufsausbildung (§ 31 Abs 2 SGB III), insbesondere wenn es um die in der
Literatur häufig genannten betrieblichen Gründe für potentielle Ausbildungsabbrüche geht
(unzureichende Ausbildungsbedingungen, zwischenmenschliche Konflikte). Insgesamt gesehen kann die Beratung von abbruchgefährdeten Jugendlichen jedoch auf etablierte Ansätze der Berufsberatung zurückgreifen (vgl. Rübner & Sprengard, 2010).
Die Befundlage zu den Abbruchtendenzen von Jugendlichen verdeutlicht aber auch, dass
eine Konzentration auf eine berufliche Kurzberatung in vielen Fällen nicht ausreicht. In einer
Studie zur Beratung und Vermittlung bei Konflikten in der dualen Berufsausbildung wird eine
durchschnittliche Anzahl von 5,2 Beratungsgesprächen pro Ratsuchendem angegeben, für
50% der Auszubildenden wurden vier bis zehn, bei 4% sogar deutlich mehr als zehn Gesprächstermine vereinbart (Mahlberg-Wilson, Mehlis & Quante-Brandt, 2008, S. 29). Für Jugendliche, die in mehreren Problemfeldern einen Handlungsbedarf aufweisen und mithin ein
erhöhtes Risiko haben, ohne Berufsabschluss zu bleiben, erscheint ein über die Berufsberatung hinausweisendes Case Management eine vielversprechende Option zu sein. Die beiden
Hauptakzente des Case Managements liegen dabei in der Entwicklung eines RessourcenNetzwerks und der Befähigung des Klienten, dieses auch erreichen und nutzen zu können.
Insoweit kann die Ausarbeitung innovativer Methoden der Beratung von abbruchgefährdeten
Jugendlichen auf Methoden des Case Managements zurückgreifen, z.B. auf die Netzwerkarbeit mit dem Klienten oder die Entwicklung einer kleinteiligen Hilfeplanung. Es ist aber auch
zu berücksichtigen, dass die wirksame Unterstützung in komplexen Fällen über die Betreuung des Einzelfalls hinausweist und institutionelle Weichen gestellt werden müssen, um die
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Weiterentwicklung des lokalen Versorgungssystems zu fördern (z.B. gemeinsam getragene
Einrichtungen aus Jugendhilfe, Berufsberatung und Grundsicherungsstellen). Auf dieser
Grundlage können sich dann Arbeitsweisen der Berufsberatung (Kompetenzfeststellung,
Bewerbungsunterstützung, Stellenvermittlung usw.) mit sozialpädagogischen Hilfen (z.B.
aufsuchende Arbeit, Einzelfallbetreuung, Case Management) gewinnbringend verbinden.
Literatur
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indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zur Bildung von Menschen mit Behinderungen. Bielefeld: Bertelsmann.
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Lippegaus-Grünau, P., Mahl, F. & Stolz, I. (2010). Berufsorientierung – Programme
und Projekte von Bund und Ländern, Kommunen und Stiftungen im Überblick (Wissenschaftliche Texte). München: DJI & INBAS.
•
Mahlberg-Wilson, E., Mehlis, P. & Quante-Brandt, E. (2008). Dran bleiben… Sicherung des Ausbildungserfolgs durch Beratung und Vermittlung bei Konflikten in der
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Breisgau: Lambertus.
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und Jugendliche nachgehend unterstützen
•
Rübner, M. (2012a). Beratung von Auszubildenden mit erhöhtem Abbruchsrisiko.
Konzeptionelle Überlegungen zur Ausgestaltung des Beratungsprozesses. In Baumeler, C., Ertelt, B.J. & Frey, A. (Hrsg.), Diagnostik und Prävention von Ausbildungsabbrüchen in der Berufsbildung (S. 314-343). Landau: Verlag Empirische Pädagogik.
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Kompetenzen. Methoden – Tools – Projekte (S. 25-51). Gütersloh: wbv.
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und Grundsicherung (SGB II) (S. 247-301). Regensburg: Walhalla.
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2. Ausbildungsabbrüche in der dualen Berufsausbildung –
Problembeschreibung und Möglichkeiten einer Prävention
Autoren: Prof. Dr. phil. habil. Andreas Frey, Prof. für Berufs- und Wirtschaftspädagogik an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit, Prof. Dr. Bernd-Joachim Ertelt,
Lehrbeauftragter an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit sowie Philipp
Terhart, Berufsberater der Agentur für Arbeit
In Deutschland ist seit Jahren die Abbrecherquote in der Berufsausbildung konstant auf hohem Niveau. Dies betrifft nicht nur Berufe im dualem Ausbildungssystem, sondern auch diejenigen im vornehmlich schulischen Ausbildungssystem. Ein Ausbildungsabbruch hinterlässt
meist bei allen beteiligten Personen ein Gefühl des Scheiterns und birgt sowohl erwerbsbiografische als auch sozial- und arbeitsmarktpolitische Risiken. Bei den beteiligten Betrieben,
vor allem den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), hinterlässt ein Abbruch oft nicht
nur wirtschaftlichen Schaden, sondern auch abnehmende Ausbildungsbereitschaft.
Viele innovative Maßnahmen und Strategien auf Bundes- und Länderebene belegen, dass
der Ausbildungsabbruch ein aktuelles Thema ist. Es fällt aber auf, dass der Fokus mehrheitlich auf Maßnahmen und Strategien nach Ausbildungsabbruch gerichtet ist. Case Management, Betreuungsdienste und weitere Angebote, die Ausbildungsabbrecher auffangen helfen, sowie Werkzeuge und Prozesse, die Jugendliche zur Wiederaufnahme einer Ausbildung
bewegen wollen, sind in fast in jedem Bundesland zu finden. Präventivmaßnahmen, die Jugendliche bereits noch während der Schulpflicht auf die weiterführenden Ausbildungen vorbereiten oder im ersten Ausbildungsjahr potenzielle Ausbildungsabbrecher gezielt erfassen,
sind noch selten bzw. kommen jetzt langsam in die praktische Umsetzung.
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In Europa haben nur Irland und Dänemark ein flächendeckendes System, in dem alle gefährdeten Jugendlichen vor Ausbildungsabbruch erfasst werden sollen und Norwegen zielt
mit dem Schulfach „Educational Choices“ auf eine breite Sensibilisierung der Jugendlichen
für unterschiedliche Ausbildungen und deren Anforderungen. Eine Dropout-Quote von unter
10% belegt für Dänemark und Finnland, wie effektiv Präventivmaßnahmen sein können2.
Problembeschreibung
In Deutschland lag 2012 die Abbrecherquote bei etwa 24%. Dies entspricht bundesweit ca.
150.000 Ausbildungsverträge, die vorzeitig gelöst wurden. Statistisch erfasst wird dabei jeweils die Lösung des Ausbildungsvertrages; nicht erfasst wird bisher, ob eine Ausbildung
ohne Unterbrechung oder auch zu einem späteren Zeitpunkt, in einem anderen Betrieb, aber
im gleichen Beruf fortgesetzt oder in einem anderen Beruf begonnen wird. Die Beendigung
des Ausbildungsverhältnisses kann durch den Auszubildenden oder durch den Betrieb veranlasst werden. Des Weiteren ist eine Lösung im gegenseitigen Einvernehmen möglich. Bei
mehr als der Hälfte der Fälle trifft der Jugendliche die Entscheidung zu einem Ausbildungsabbruch. Ein Drittel der Vertragslösungen geschieht auf Wunsch des Betriebs. Jeder fünfte
Vertrag wird im gegenseitigen Einvernehmen gelöst. Die Abbrecherquote liefert ebenso keine Informationen darüber, in welche qualitative Richtung eine Ausbildung vom Jugendlichen
abgebrochen worden ist.
Je nach Verbleib des Jugendlichen nach einer Vertragsauflösung, unterteilt man sie in drei
Gruppen (siehe Abb. 1). Ein „Abbruch nach oben“ bedeutet, dass der Jugendliche im Bildungssystem verbleibt und eine höhere Qualifikation anstrebt, z.B. ein Studium. Ein „horizontaler Abbruch“ meint, dass der Jugendliche im Bildungssystem verbleibt, allerdings eine berufliche Umorientierung vornimmt, z.B. durch die Wahl eines anderen Ausbildungsberufs
bzw. durch die Rückkehr in die Berufsvorbereitung. Ein „Abbruch nach unten“ intendiert
demgegenüber ein ersatzloser Ausstieg aus der beruflichen oder allgemeinbildenden Qualifizierung.
2
Jäger, D.A. (2009). Dropouts – Maßnahmen im internationalen Kontext. Panorama, 9/2009, S. 1-6.
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Abbildung 1: Arten von Ausbildungsabbrüchen3
Um „echte Abbrecher“ handelt es sich somit dann, wenn begonnene formale berufliche Ausbildungen ersatzlos vor der Abschlussprüfung beendet werden, wenn auf eine weitere berufliche Ausbildung verzichtet wird oder wenn der Jugendliche – auch nur zeitweise – den Status des An- oder Ungelernten oder Arbeitslosen inne hat.
Betrachtet man die Zeiträume, in denen Vertragslösungen vorgenommen werden, so finden
im ersten Ausbildungsjahr ca. 60% und im 2. Ausbildungsjahr ca. 25% der Ausbildungsabbrüche statt (siehe Abb. 2). Obwohl die Zahl der Abbrecher mit 5% vor Beginn der Ausbildung eher als gering bezeichnet werden kann, ist sie aus der Sicht der Betriebe mit ihren
Folgen doch sehr groß, da zu diesem Personenkreis oftmals Jugendliche mit höherwertigen
Bildungsabschlüssen, wie Abitur oder Fachhochschulreife zählen und diese Lehrstellen
meist nicht mehr adäquat besetzt werden können. Die Abbrüche im ersten Ausbildungsjahr
lassen oftmals auf eine verfehlte Berufswahl mit nicht erfüllten Vorstellungen bei den Jugendlichen schließen. Hierzu kann auch eine fachliche Unter- bzw. Überforderung innerhalb
der Ausbildung führen. Im weiteren Verlauf der Ausbildung sinkt zwar das Abbruchverhalten
deutlich ab, der entstandene wirtschaftliche, zeitliche und persönliche Schaden auf Seiten
der Betriebe und der Jugendlichen ist aber nicht mehr zu kompensieren.
3
Faßmann, H. (1998). Das Abbrecherproblem – die Probleme der Abbrecher. Zum Abbruch der Erstausbildung
in Berufsbildungswerken. Nürnberg: Institut für empirische Soziologie.
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Abbildung 2: Zeiträume der Vertragslösungen
Der Prozess, der zu einem Abbruch führt, hängt von den beteiligten Personen ab. Als sicher
gilt nur, dass es sich in den meisten Fällen nicht um eine ad-hoc Entscheidung handelt. So
vergeht im Vorfeld eines Ausbildungsabbruchs meist ein Zeitraum von zwei Wochen bis zu
acht Monaten, bis die Vertragslösung endgültig vorgenommen wird. Hieraus kann man
schließen, dass nicht leichtfertig abgebrochen wird und eine Vorlaufzeit vorhanden ist, in der
Warnsignale wahrgenommen werden müssen und somit präventive Maßnahmen eingeleitet
werden können.
Verschiedene Studien4 belegen, dass Ausbildungsabbrüche nur zu einem geringeren Teil
durch fachliche Defizite der Lernenden verursacht werden. Eine Hauptursache liegt vielmehr
in mangelnden ‚überfachlichen Kompetenzen’ der Jugendlichen, die viel mit Berufsreife zu
tun haben. Im Einzelnen sind damit soziale und personale Kompetenzen sowie Methodenkompetenzen gemeint. Diese überfachlichen Kompetenzen bilden nicht nur die Basis für
präventive Maßnahmen während der Ausbildung, sondern auch für eine wirksame Berufsorientierung vor der Einmündung (1. Transition) sowie für den Übergang ins Erwerbsleben nach
der Berufsausbildung (2. Transition).
Neben einer Vielzahl an präventiven Maßnahmen, die im Vorfeld und im Verlauf einer Berufsausbildung, z.B. durch vertiefte Berufsorientierung in der Schule, Einzelberatungsgespräche für Jugendliche durch Berufsberater und Schulsozialarbeiter, Jobscouts, Ausbildungslotsen, Berufs- und Studienwahlpass, Praktika, Elternabende und Elternberatung, Berufseinstiegsbegleiter, Ausbildungsbegleiter der Verbände oder durch Case Management
organisiert und durchgeführt werden können, kommt der Diagnose und Rückmeldung von
überfachlichen Kompetenzen, der Messung eines potenziellen Abbruchrisikos bei Jugendlichen in der dualen Ausbildung eine zentrale Bedeutung zu.
4
z.B. Deuer, E. & Ertelt, B. (2001). Früherkennung und Prävention von Ausbildungsabbrüchen. In Informationen
für Beratungs- und Vermittlungsdienste (Hrsg.), Ausbildungsabbruch- Situation und Handlungsstrategien (S.
1417-1432). Nürnberg: Bundesagentur für Arbeit.
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Um dies bewerkstelligen zu können, müssen Angebote von Berufsberatung, Kammern, Gewerkschaften und anderen Institutionen optimiert sowie strukturelle Probleme des Ausbildungssystems berücksichtigt werden. Insbesondere handelt es sich um folgende drei
Schwerpunktbereiche:
1) Verbesserung systematischer Kooperation zwischen den an der Berufsausbildung beteiligten Ausbildern, Lehrpersonen, Berufsberatern und Case Managern,
2) Bereitstellung erprobter und valider Instrumente zur Identifikation von Jugendlichen mit
Abbruchsrisiko und problematischen überfachlichen Kompetenzen sowie
3) Implementierung von innovativen Methoden zur holistischen Beratung und Förderung
dieser Jugendlichen insbesondere zur aktiven Verbesserung defizitärer Kompetenzbereiche.
Das Projekt „Messen und Bewerten von überfachlichen Kompetenzen“
Seit zwei Jahren wird am Eidgenössischen Hochschulinstitut für Berufsbildung EHB (Zollikofen, Schweiz) und an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit HdBA (Mannheim) ein
Forschungs- und Entwicklungsprojekt zur Thematik «Überfachliche Kompetenzen und Abbruchrisiko erfassen und bewerten» durchgeführt.
Das entwickelte Diagnose-Verfahren zur Messung und Rückmeldung von überfachlichen
Kompetenzen und des Abbruchrisikos trägt das Kürzel «smK+p», wobei das «s» für soziale,
das «m» für methodische, das «p» für personale und das «K» für Kompetenzen steht. Der
«smK+p» ist ein Screening-Verfahren, welches auf eine Beurteilungs- und Auswertungsökonomie setzt und einen breiten Überblick über die wichtigsten Facetten der Handlungskompetenzen liefert. Bei Screening-Verfahren sind Ergebnisbewertung und Testökonomie besonders wichtig, was aber keinesfalls bedeutet, dass die teststatistischen Gütekriterien nicht
beachtet werden. Das Diagnose-Verfahren misst überfachliche Kompetenzen in der Breite
und meldet die Ergebnisse den Berufslernenden und Lehrpersonen in Echtzeit zurück. Das
Abbruchrisiko wird durch eine Skala mit neun Indikatoren erfasst. Derzeit werden die in Tabelle 1 aufgeführten überfachlichen Kompetenzen untersucht.
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Tabelle 1: Dimensionen des Diagnose-Verfahren zu überfachlichen Kompetenzeni
Methodenkompetenzen
Sozialkompetenzen
Personalkompetenzen
- Selbstständigkeit
- Kommunikationsfähigkeit
- Motivation
- Analysefähigkeit
- Kooperationsfähigkeit
- Neugierde
- Reflexivität
- Führungsfähigkeit
- Pflichtbewusstsein
- Flexibilität
- Konfliktfähigkeit
- Gelassenheit
- zielorientiertes Handeln
- situationsgerechtes Auftreten
- Hilfsbereitschaft
- Arbeitstechniken
- soziale Verantwortung
Jede der in Tabelle 1 aufgeführten Dimension (z.B. Kommunikationsfähigkeit) sind mindestens sechs Aussagen zugeordnet, die die entsprechenden Fähigkeiten, Kenntnissen oder
Haltungen abbilden. Werden von einem Jugendlichen alle sechs Aussagen, z.B. zur Kommunikationsfähigkeit, beantwortet, bildet der Mittelwert dieser sechs Aussagen den Wert für
die Kommunikationsfähigkeit. Alle Aussagen werden auf einer sechsstufigen Skala beurteilt.
Der Fokus der Beurteilungen liegt in der Anwendung der jeweiligen Fähigkeit, Kenntnis oder
Haltung in beruflichen Handlungssituationen.
Das Diagnose-Verfahren besteht in seiner Papier-und-Bleistift-Fassung aus einem Buch mit
Selbstbeurteilungsbögen für Jugendliche und Auswertungsbögen für den Diagnostiker. In der
Internet-Fassung stehen dem Diagnostiker ein Online-Selbstbeurteilungsbogen für Jugendliche zum Ausfüllen am PC sowie ein Online-Auswertungstool zur Verfügung. Insgesamt dauert das Ausfüllen des Selbstbeurteilungsbogens auf dem Papier oder online zwischen 30 und
45 Minuten. Bei der Papierfassung werden für jede Selbstbeurteilung weitere 90 Minuten
zum Auswerten und Bewerten der verschiedenen überfachlichen Kompetenzen sowie für
das Erstellen der Grafiken und Tabellen benötigt. Bei der Onlinefassung werden Auswertung
und Bewertung der überfachlichen Kompetenzen von jedem einzelnen Jugendlichen von der
Software automatisiert vorgenommen und binnen weniger Sekunden dem Jugendlichen und
der Lehrperson in Form von Grafiken und Tabellen rückgemeldet.
Für das Einrichten der Onlineverbindung im PC-Raum für eine Klassentestung von ca. 20
Jugendlichen benötigt der Diagnostiker vorab etwa 60 Minuten. Vergleicht man beide Fassungen miteinander, so besitzt die Onlinefassung eine sehr große Testökonomie, insbesondere bei der Auswertung der einzelnen Datensätze und bei der Erstellung der Grafiken und
Tabellen.
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Zielsetzungen des Selbstbeurteilungsbogens «smK+p»
Das Diagnose-Verfahren «smK+p» verfolgt verschiedene Zielsetzungen. Zum einen sollen
Diagnostiker ein einfach handhabbares Diagnoseinstrument zur Messung und Bewertung
von überfachlichen Kompetenzen sowie des Abbruchrisikos zur Verfügung haben, mit dessen Hilfe Ist-, Soll- und Entwicklungsprofile von Jugendlichen erstellt sowie als Grundlage für
die Bestimmung eines Kompetenzentwicklungsbedarfs und zur gezielten Ableitung von Entwicklungszielen und Fördermaßnahmen herangezogen werden können. Zum anderen sollen
über die Dauer einer beruflichen Ausbildung der Entwicklungsverlauf einzelner oder aller
Kompetenzdimensionen bei wenigen Jugendlichen oder der ganzen Klasse aufgezeigt sowie
das Abbruchrisiko bei allen Jugendlichen permanent diagnostiziert werden.
Der «smK+p» sollte jeweils zu Beginn eines jeden Lehrjahres eingesetzt, ausgewertet und
Ziele mit den Jugendlichen vereinbart sowie entsprechende Beratungsangebote durch einen
Berufsberater angeboten und durchgeführt werden. Kurz vor oder während der Abschlussprüfung sollte das Instrument nicht eingesetzt werden, da die gewonnenen Ergebnisse für
Entwicklungsgespräche nicht mehr analysiert und aufbereitet werden können.
Die Anwendung des Diagnose-Verfahrens «smK+p» mit den entsprechenden Analysen, Interpretationen, Gesprächsvorbereitungen, Zielvereinbarungen und Fördermaßnahmen setzen den Besuch einer Weiterbildung voraus.
Fazit
Bei der Prävention von Ausbildungsabbrüchen sollten zwei Hauptansätze verfolgt werden:
Einerseits müssen vorhandene Maßnahmen weiterentwickelt werden, die besonders auf Berufsgruppen mit hohen Lösungsquoten ausgerichtet sind. Neben der Intensivierung der Berufsorientierung, der Sensibilisierung der Ausbildungspersonen in Berufsschule, Betrieb und
überbetrieblichen Kursen, den gezielten Ausbau von Fördermaßnahmen oder der Einrichtung niederschwelliger Beratung in der Schule oder in der Arbeitsagentur durch Berufsberater, müssen Diagnoseverfahren zur Messung von überfachlichen Kompetenzen und zum
Abbruchsrisiko für die entsprechenden Personengruppen angeboten und zum Einsatz gelangen. Andererseits müssen die Bemühungen verstärkt werden, Kooperationen von Berufsberatern, Case Managern, Lehrpersonen und Ausbildern zu lancieren. Erste Anzeichen für
Ausbildungsabbrüche zeigen sich oft nur an einem Lernort. Ohne eine Kooperation der Ausbildungsorte, des Case Managements und der Berufsberatung setzen sich Gedanken an
einen Abbruch nur an einem Ort fest, ohne dass es der Andere erfährt. Vielen Jugendlichen
ist es nicht möglich, sich bei Problemen aktiv um Hilfe zu bemühen. Um sie erfassen und
beraten zu können, bedarf es deshalb umfassender Diagnose- und Beratungsinstrumente,
die allen Prozessbeteiligten zur Verfügung stehen und zum Einsatz kommen müssen.
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3. Im Tandem zum Erfolg: Projekt VerA stärkt Auszubildende
Autorin: Birgit Schneider,
Regionalkoordinatorin
Hannover
der
Initiative VerA
Das Projekt VerA zur Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen und Stärkung von Jugendlichen in der Ausbildung ist eine Initiative des
Senior Experten Service (SES). Ehrenamtliche
Expertinnen und Experten des SES – allesamt
im Ruhestand – helfen jungen Menschen, denen die Ausbildung Schwierigkeiten bereitet.
Das Projekt läuft seit über sechs Jahren, es wird bundesweit angeboten und es verzeichnet
große Erfolge.
Nach Angaben des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) bricht in Deutschland jeder vierte Auszubildende seine Ausbildung vorzeitig ab – häufig schon im ersten Jahr. Die Gründe
dafür sind vielfältig. Im Vordergrund stehen fehlende Lernmotivation, mangelnde Sozialkompetenz, persönliche Probleme, Prüfungsangst und in einigen Fällen auch falsche Vorstellungen vom Ausbildungsberuf. Dass hier Handlungsbedarf besteht, fand auch der SES und hob
im Dezember 2008 die Initiative VerA aus der Taufe.
Im Rahmen dieses mittlerweile deutschlandweit durchgeführten Projekts stehen Expertinnen
und Experten des SES jungen Menschen zur Seite, die sich in der Ausbildung schwertun.
Sie machen ihnen Mut und suchen mit ihnen gemeinsam nach Wegen, um einen eventuell
bevorstehenden Ausbildungsabbruch zu verhindern und Schwierigkeiten in der Ausbildung
zu überwinden.
Gefördert wird VerA vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen
der Initiative Bildungsketten. Auch die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft haben das
Projekt von Anfang an unterstützt: Partner des SES bei VerA sind der Deutsche Handwerkskammertag (DHKT), der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sowie der Bundesverband der Freien Berufe (BFB). Unterstützung erhält VerA inzwischen auch von den
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Agenturen für Arbeit und – speziell in Niedersachsen – von der Landwirtschaftskammer und
der Steuerberaterkammer.
Statt sich dem wohlverdienten Ruhestand hinzugeben, engagieren sich Expertinnen und Experten des
SES für Auszubildende. Die Seniorinnen und Senioren werden in einem zweitägigen Seminar gezielt
auf diese Aufgabe vorbereitet und haben mehrmals
im Jahr die Möglichkeit, sich bei regionalen Treffen
mit ihren ‚Kolleginnen‘ und ‚Kollegen‘ auszutauschen und mit neuen Entwicklungen auf dem Berufsbildungsmarkt vertraut zu machen. Sowohl die
Erstschulung als auch die Erfahrungsaustausche
finden in enger Zusammenarbeit mit den jeweils
zuständigen Industrie- und Handelskammern (IHKs)
und den Handwerkskammern statt.
In Abstimmung mit den zuständigen Kammern hat
der SES deutschlandweit fast 80 ehrenamtliche
Regionalkoordinatorinnen und -koordinatoren eingesetzt. Deren Aufgabe ist es, VerA bei Berufsschulen, Medien, Verbänden und berufsbildenden
Institutionen bekannt zu machen. In Niedersachsen sind derzeit sechs Regionalkoordinatorinnen und -koordinatoren für VerA tätig: In den Regionen Braunschweig, Hannover, Lüneburg, Oldenburg, Osnabrück und Stade.
Gute sechs Jahre nachdem VerA an den Start ging, kann der SES auf eine echte Erfolgsgeschichte zurückblicken: Denn von Ende 2008 bis heute haben 4.619 Auszubildende das Angebot einer Begleitung in Anspruch genommen – Tendenz steigend. Allein in Niedersachsen
gab es seit Beginn der Initiative 711 Anfragen, im Endeffekt haben sich 494 Jugendliche zu
einer Ausbildungsbegleitung entschlossen.
Im Großraum Hannover stehen derzeit rund 45 geschulte Expertinnen und Experten bereit,
um Ausbildungsbegleitungen zu übernehmen. In den ersten Monaten von 2015 haben sich in
Hannover und Umgebung zehn Auszubildende an den SES gewandt und nach einer Begleitung gefragt. In acht Fällen ist die Begleitung bereits angelaufen.
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Eine VerA-Ausbildungsbegleitung ist für Auszubildende, Berufsschulen und Ausbildungsbetriebe kostenlos und dauert bei Bedarf bis zum Abschluss der Ausbildung. Jede Anfrage wird
individuell und unbürokratisch bearbeitet, so dass den Auszubildenden in der Regel nur wenige Tage nach Anfrageeingang eine persönliche Ausbildungsbegleiterin oder ein Ausbildungsbegleiter vermittelt werden kann. Deren Auswahl erfolgt nach zwei Kriterien: Begleiterin oder Begleiter sollten nicht zu weit vom Wohn- oder Schulort des Auszubildenden leben
und nach Möglichkeit in einem Beruf gearbeitet haben, der zum Ausbildungsberuf des jungen Menschen passt. In den meisten Fällen sind es die Jugendlichen selbst, die eine Begleitung anfordern. In seltenen Fällen wenden sich Eltern, Berufsschulen, Ausbildungsbetriebe
oder andere Bildungsträger an den SES.
Beim ersten Treffen eines jeden VerATandems werden die Schwierigkeiten erörtert, für deren Bewältigung eine Unterstützung benötigt wird. Auszubildender und
Expertin oder Experte schließen eine schriftliche Vereinbarung, die festhält, welches
Ziel in welchem Zeitraum erreicht werden
soll. Diese Vereinbarung wird in regelmäßigen Abständen überprüft, die Fortschritte werden
dokumentiert.
Das Wesentliche an der Zusammenarbeit von Alt und Jung bei VerA ist Hilfe zur Selbsthilfe.
Die Jugendlichen kommen mit älteren Menschen zusammen, die ausschließlich für sie da
sind, ihnen zuhören und mit Rat und Tat eingreifen, wo es gewünscht und nötig ist. Entscheidend für die Arbeit im VerA-Tandem ist Vertrauen. Alle Schritte, die zur Bewältigung der
individuellen Probleme und Schwierigkeiten erforderlich sind, werden in enger Abstimmung
mit dem Jugendlichen und mit dessen Einverständnis eingeleitet. Das gilt z.B. auch für eine
eventuelle Kontaktaufnahme zum Ausbildungsbetrieb oder der Berufsschule. Diese sehr
persönliche Begleitung zahlt sich aus: Bisher wurden etwa zwei Drittel aller Ausbildungsbegleitungen mit Erfolg abgeschlossen.
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Hier nur einige von vielen VerA-Beispielen aus der Region Hannover:
-
Ein angehender Tischler hat enorme Schwierigkeiten beim räumlichen Zeichnen.
Nach nur einigen Stunden der Zusammenarbeit mit einem SES-Experten platzt der
Knoten. Der Auszubildende benötigt fortan keine Unterstützung mehr.
-
Ein Auszubildender im Bäckerhandwerk mit ausländischen Wurzeln zeigt beste Leistungen im Ausbildungsbetrieb, hat aber große Schwierigkeiten, sich schriftlich auszudrücken. Ein Jahr lang übt er mit seiner VerA-Begleiterin, Deutsch zu schreiben, dann
schafft er seine Abschlussprüfung mit Bravour.
-
Ein junger Mann will nach einer bereits abgeschlossenen Ausbildung zum Verkäufer
eine Ausbildung zum Bankkaufmann beginnen. Mit Hilfe eines SES-Experten bereitet
er sich auf Bewerbungsverfahren und Eignungstest vor. Nachdem diese Hürde überwunden ist, steht ihm der Begleiter in den ersten Monaten weiterhin zur Verfügung,
doch dem jungen Mann gelingt es nach nur kurzer Zeit, seine Ausbildung selbstständig fortzuführen.
-
Ein ‚werdender‘ Feinwerkmechaniker hat Lernschwierigkeiten in der Berufsschule und
leidet unter Prüfungsangst. Sein VerA-Begleiter vermittelt ihm die nötige Sicherheit
und verhilft ihm zu einem erfolgreichen Ausbildungsabschluss.
-
Durch einen Schicksalsschlag – beide Elternteile kamen bei einem Autounfall ums
Leben – wurde ein junger Mann völlig aus der Bahn geworfen. Sein Ausbildungsbegleiter stabilisiert ihn mit viel Engagement und persönlichem Einsatz, so dass der
Auszubildende seine Prüfung zum IT-Kaufmann schließlich besteht und aufgrund
seiner guten Noten ein weiterführendes Studium aufnehmen kann.
-
Eine junge Frau musste wegen einer bösartigen Erkrankung ihre Ausbildung zur Bürokauffrau aufgeben. Nach über zwei Jahren gewann sie den Kampf gegen die
Krankheit und beschloss, ihre Ausbildung abzuschließen. Mit Unterstützung ihrer
Ausbildungsbegleiterin und enormer persönlicher Energie holte sie den versäumten
Lernstoff nach und konnte ihre Abschlussprüfung erfolgreich ablegen.
Dies sind nur einige wenige Beispiele für die erfolgreiche Zusammenarbeit von jüngeren und
älteren Menschen bei VerA. Natürlich gibt es auch Rückschläge. Hin und wieder brechen
junge Menschen eine Ausbildungsbegleitung kommentarlos ab oder haben nach einer gewissen Zeit keine Lust mehr, über die Ausbildungs- und Berufsschulzeit hinaus zu lernen.
Aber die vielen Einzelerfolge und die damit verbundenen positiven Erlebnisse mit den Jugendlichen sind für die Expertinnen und Experten des SES Motivation genug: Sie werden
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auch künftig dazu beizutragen, dass die Zahl der Ausbildungsabbrüche nicht noch weiter
steigt und Jugendlichen der Start in die berufliche Zukunft erleichtert wird.
Kontakt:
VerA-Regionalkoordinatorin in Hannover
Birgit Schneider: 0171 6411682 oder [email protected]
VerA-Koordinatorin in Bonn
Astrid Kloos: 0228 26090-40 oder [email protected]
Senior Experten Service (SES)
Der SES – die Stiftung der Deutschen Wirtschaft für internationale Zusammenarbeit – gibt
seit über 30 Jahren mit ehrenamtlichen Fach- und Führungskräften Hilfe zur Selbsthilfe.
SES-Einsätze finden im In- und Ausland statt. In Deutschland engagiert sich der SES insbesondere für junge Menschen in der Phase der beruflichen Orientierung und Ausbildung.
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4. „Wenn unterschiedliche Probleme auftreten, dann sind unsere
Paten da, um das aufzufangen.“ Ein Interview von Kathrin Scheidemann (LAG JAW) mit Constance Meuer-Mergenthaler vom Projekt Ausbildungspaten des Freiwilligenzentrums Hannover
LAG JAW: Frau Meuer-Mergenthaler, vielen
Dank dafür, dass Sie sich für ein Interview mit
der LAG JAW bereit erklärt haben. Ich würde
gerne das Projekt „Ausbildungspaten“ besser
kennen lernen. Bitte erzählen Sie mir, was es
beinhaltet und seit wann es dieses Projekt gibt?
C. Meuer-Mergenthaler: Wir haben 2006 mit
dem Projekt gestartet. Finanzierungsträger ist die Landeshauptstadt Hannover sowie die
Sparkasse Hannover. Anfangs mussten wir erst einmal „Klinken putzen“. Wir sind ja in diesem Gebiet nicht alleine. Es gibt Jugendsozialarbeiter, Berufseinstiegsbegleiter oder auch
Ausbildungslotsen. Schulen machen schon unheimlich viel. Auch das Arbeitsamt kommt regelmäßig. Inzwischen kooperieren wir mit fünf festen Schulen - der BBS III, der KGS Ronnenberg, IGS Kronsberg, IGS List und der IGS Stöcken. Da nehmen wir praktisch unsere
Jugendlichen heraus. Wir funktionieren nur, wenn auch das Direktorium, die Lehrer und die
AWT-Lehrer (Arbeit/Wirtschaft/Technik-Lehrer) uns auch akzeptieren. Wir brauchen dieses
Netz Lehrer-Schüler-Ausbildungspate. Nur so funktioniert es, falls man Nachfragen hat oder
der Kontakt brüchig wird, dass man verfolgen kann, was mit dem Schüler ist. Dafür braucht
man eine gute Basis.
LAG JAW: Was für junge Menschen finden zu Ihnen und wie erreichen diese Ihr Projekt?
C. Meuer-Mergenthaler: Die jungen Menschen sind alle noch in der Schule und werden von
uns in die Ausbildung begleitet. Das ist das Hauptziel des Projektes: Eine betriebliche Ausbildung aufzunehmen. In den Schulen stellen wir jedes Jahr das Projekt entweder in der 8.
oder Anfang der 9. Klasse vor. Anschließend dürfen sich die Jugendlichen, die dazu Lust
haben, freiwillig melden. An einem Samstag treffen hier im Freiwilligenzentrum die Paten
dann auf die Schüler. Manchmal werden die Jugendlichen von ihren Eltern begleitet und
meistens ist auch ein Lehrer der jeweiligen Schule dabei. Nach einem Auflockerungsspiel
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verteilen sich die Paten nach beruflichen Erfahrungen im Raum. Nach einiger Zeit des Kennenlernens, suchen die Schüler sich dann einen Wunschpaten aus. Danach entlassen wir
das Tandem und sie beginnen mit ihrer Arbeit. Das ist der ganz klassische Weg. Manchmal
meldet sich auch noch ein Jugendlicher danach, der z.B. von seinem Kumpel von dem Projekt gehört hat. Den nehmen wir natürlich auch mit auf. Gleichzeitig kommen auch junge
Menschen über unsere Sprechstunde zu uns. Also wir nehmen nicht nur Schüler von „unseren“ Schulen. Aber wir müssen auch schauen, ob wir entsprechend viele Freiwillige haben,
die dem gegenüber stehen. Jugendliche gehen uns nie aus. Aber die Paten, das ist natürlich
immer ein Werben und Gucken, ob es neue Paten gibt. Das heißt wir können nicht unendlich
viele Schulen bedienen. Wir hätten noch drei Schulen, die mit uns arbeiten wollen, aber wir
können nicht sagen wie viele Paten wir wirklich stellen können.
LAG JAW: Was für Personen sind bei Ihnen als Ausbildungspaten tätig und in welchem Umfang?
C. Meuer-Mergenthaler: Freiwillige sind in der Vorstellung nicht mehr das, was es mal war,
als ich hier vor 10 Jahren angefangen habe. Ich habe hier angefangen mit der Idee, jeder
Freiwillige ist a) weiblich b) alt, grauhaarig und verkauft Marmelade auf dem Weihnachtsbasar. So ist es natürlich nicht. Unsere Ausbildungspaten sind aus allen möglichen Bereichen.
70 % oder sogar 80 % sind berufstätig. Leider haben wir kaum Paten aus dem Gewerbe.
Das wäre so schön praktisch, wenn man einen Handwerker hätte, der eben auch sagen
kann, so läuft es im Handwerklichen. Ansonsten ist es ein Querschnitt aus allen Bereichen.
Besonders achte ich bei der Auswahl der Paten auf deren Softskills. Früher waren es eher
die „Fakten“ die wichtig waren. Heute sind es – und das ist auch ein Schwerpunkt unserer
angebotenen Workshops für die Paten – die Softskills. Wir schulen die Paten in regelmäßigen Abständen. Um auch Enttäuschungen und Selbstzweifel vorzubeugen, wenn es nicht so
gut läuft. Dass die Paten nicht ständig an sich selber zweifeln. „Wieso hat der Jugendliche
jetzt nicht abgesagt? Wieso kommt er nicht, ich sitze hier und wieso will er mich nicht und ich
will doch nur Gutes? Wieso sieht das der Jugendliche nicht so?“ Diese Fragen beschäftigen
u. U. die Paten. Daher drehen sich unsere Workshops viel um die eigenen Wertevorstellungen und Zielsetzungen und viel, viel Kommunikation. Immer in dem Bewusstsein wie handele ich, wie kommuniziere ich, wie ist mein Werteverständnis und wie das der Jugendlichen.
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LAG JAW: Wie lange dauert eine Patenschaft an?
C. Meuer-Mergenthaler: Das ist unterschiedlich. In der Regel ca. zwei Jahre. Aber ich habe
keinen Paten der schon mal gesagt hätte, jetzt ist gut. Sondern man bleibt irgendwie immer
im Kontakt. Wir begleiten ja auch in die Ausbildung hinein. Wenn unterschiedliche Probleme
auftreten, dann sind unsere Paten da, um das aufzufangen.
LAG JAW: Wie viele junge Menschen schließen mit Hilfe Ihres Projektes eine Ausbildung
ab?
C. Meuer-Mergenthaler: Seit Beginn des Projektes haben wir 266 Schüler in eine Ausbildung begleitet.
LAG JAW: Arbeiten Sie mit Einrichtungen aus der Jugendberufshilfe/ Jugendsozialarbeit
zusammen?
C. Meuer-Mergenthaler: Wir kennen uns. Arbeiten auch z.B. an runden Tischen der Stadt
Hannover zusammen. Wir schauen schon, dass wir uns gegenseitig „befruchten“ und sehen
uns auch nicht als Konkurrenz. Aber eine direkte Kooperation besteht nicht.
LAG JAW: Arbeiten Sie mit Betrieben zusammen und wenn ja, wie sieht diese Zusammenarbeit aus?
C. Meuer-Mergenthaler: Wir wollten uns bewusst vom Arbeitsamt unterscheiden. Wir haben
daher keine festen Kooperationen. Aber wir haben natürlich ein großes Netzwerk was uns
trägt, durch diese 200 Ausbildungspaten. Dann kann man eben immer gerne den einen Paten fragen „Mensch, du hast doch da einen Schützling im Autohaus xy untergebracht…“. So
trägt sich das Netzwerk und das ist auch gut so. Was wir auch machen ist z.B. in den Bewerbungsunterlagen der Jugendlichen anzugeben, dass dieser von einem Ausbildungspaten
begleitet wird. Das kommt immer gut an bei den Betrieben.
LAG JAW: Vielen Dank für dieses aufschlussreiche Gespräch!
Das Projekt Ausbildungspaten ist eine Initiative des Freiwilligenzentrum Hannover. Mit dem
Projekt wurde ein beispielhaftes Programm der Zusammenarbeit von freiwilligen und beruflichen Mitarbeitern verschiedener Institutionen entwickelt. Die Projektmitarbeiter freuen sich
immer über neue Paten und Interessierte. Vor Beginn einer Patenschaft erhält man eine
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gründliche Vorbereitung auf die Arbeit mit Jugendlichen. Eine Sprechstunde für Schüler,
Lehrer, Ausbilder und neue Paten findet jeden Donnerstag von 15:00 – 18:00 Uhr statt.
Ansprechpartner sind Constance Meuer-Mergenthaler und Dr. Kurt Kühnpast.
Freiwilligenzentrum Hannover
Karmarschstraße 30-32
Platz der Weltausstellung
Im Üstra Kundenzentrum, 2.Etage
Tel.: 0511/ 300344-6
E-Mail: [email protected]
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5. Links
Blätter der Wohlfahrtspflege. Deutsche Zeitschrift für Soziale Arbeit. (2010): Beschäftigungsförderung. Das Arbeitsleben mit Lebensarbeit verbinden und Verwirklichungschancen mehren,
www.bdw.nomos.de/fileadmin/bdw/doc/2010/BdW_10_03.pdf
Junge, Annette; Dorsch-Beard, Karin; Freckmann, Brigitta (2012): Jugendliche im
Übergang begleiten. Handlungsfelder und Anforderungen,
http://www.pedocs.de/volltexte/2012/6572/pdf/Junge_Dorsch_Freckmann_2012_Jug
endliche_im_Uebergang_begleiten_D_A.pdf
Weidemeier, Christin (2014): Handlungsansätze zur Prävention und Intervention von
Ausbildungsabbrüchen
unter
dem
Aspekt
wachsender
Heterogenität,
www.ibbp.ovgu.de/inibbp_media/.../Arbeitsbericht_83+final.pdf
Paten- und Mentorenprogramme:
http://www.kobo-online.de/datenbank.php?id=6&region=241
Woll, Christian; Prüstel, Sabine; Linten, Markus (2013): Auswahlbibliografie. Vorzeitige Lösung von Ausbildungsverträgen, http://www.kibb.de/84.htm
Filmclip und weitere Informationen von Qualiboxx zum Thema „Ausbildungsabbrüche
vermeiden“,
http://www.qualiboxx.de/wws/dossier-ausbildungsabbrueche.php
Empfehlungen
Artikel 4 „Assistierte Ausbildung“ (ab S. 24) im Themenheft 3 2014 („Jugendberufshilfe und Betriebe – Wie Kooperation gelingen kann“) der LAG JAW, abrufbar unter
http://nord.jugendsozialarbeit.de/index.php?id=61
Impressum
Landesarbeitsgemeinschaft der Jugendsozialarbeit in Niedersachsen (LAG JAW)
Referat Pro Aktiv Centren und Jugendwerkstätten
Kopernikusstraße 3, 30167 Hannover
Mail: [email protected]
Homepage: www.nord.jugendsozialarbeit.de
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