Interview mit Jochen Kuhl (König Lear) und

Schauspiel
: König Lear
Gespräch mit den Darstellern
Fragen an Kammerschauspieler Jochen Kuhl (Lear)
Jochen, Du bist seit 1967 Schauspieler und schon seit 1972
am Schauspiel Nürnberg engagiert. Shakespeare stand für Dich
immer wieder auf dem Programm. Welche seiner Figuren hast
Du schon verkörpert und was haben sie Dir bedeutet?
Als Anfänger kam ich ans Schauspielhaus Bochum und
der damalige Intendant Hans Schalla besetzte mich in seiner
Inszenierung „Was ihr wollt“ als Sebastian. Das war natürlich
eine tolle Erfahrung, zumal wir mit dieser Arbeit zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen wurden und ich darauf fünf
Jahre in Bochum bleiben konnte. In Nürnberg erinnere ich
mich noch gerne an Klaus Kusenbergs Inszenierung von „Der
Sturm“ in der Spielzeit 2002/2003. Ich spielte damals in einem
Bühnenbild von Günter Hellweg den Prospero. Die Arbeit war
eine Auseinandersetzung mit der alttestamentarischen Regel
„Auge um Auge, Zahn um Zahn“ und deren Überwindung. „Ein
Thema für den Friedensnobelpreis“, wie der Theaterkritiker
Dieter Stoll damals schrieb.
Jetzt spielst Du König Lear! Ist es die Erfüllung Deines
beruflichen Lebens oder einfach nur eine weitere Rolle?
Es heißt ja, dass es für einen Schauspieler drei große
Shakespeare-Rollen im Leben gibt: Für den jungen Schauspieler Hamlet, für den Mann mittleren Alters Macbeth und für
den alten Spieler Lear. So freue ich mich, mit Lear wieder da
angekommen zu sein, wo ich Jahrzehnte lang war, nämlich im
Zentrum eines Stückes. Aber Shakespeare kann auch zu einer
großen Falle werden. Seine Stücke tragen einen großen Nimbus,
obwohl es eigentlich einfache Geschichten sind.
Hamlet, Macbeth und Lear – einfache Geschichten?
Im Grunde genommen, ja, doch hinter den Geschichten
gibt es immer etwas zu entdecken. Shakespeares Blick auf
den Menschen ist einmalig! Er betrachtet die Welt und das
Mensch-Sein von einem besonderen Standpunkt aus. Seine
Sicht ist außergewöhnlich, da er immer ganz bei den Menschen
ist und uns doch von einer höheren Warte aus betrachtet. So
bekommen wir neue Einblicke, neue Perspektiven angeboten.
Wir haben gerade erst mit den Proben angefangen und
bis zur Premiere ist es noch eine lange Reise. Kannst Du schon
etwas zu Deiner Arbeit an Lear sagen?
Mal sehen, wo uns die Proben hinführen, aber zurzeit
bin ich ganz hoffnungsfroh. Im Vorfeld habe ich mich mit der
ungekürzten Fassung von „König Lear“ und seinen Themen
beschäftigt. Wenn Menschen keine Macht mehr haben, fallen
andere über sie her.
Als absoluter Herrscher hatte Lear immer Recht, doch
für das Individuum ist dieser Egozentrismus fatal. Ohne Macht
kommt alles ins Wanken. Lear muss lernen, wieder Mensch zu
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König Lear
: schauspiel
werden. Das Leben muss bis zum Ende geschrieben werden und
so gilt es, das Ende, also den Tod, in das Leben zu integrieren.
Seine Fragen werden zu Fragen der Selbsterkenntnis.
Schauspieler sind Seelenforscher. Sie holen etwas an die
Oberfläche, was Menschen im Privatleben oft in ihren Seelenkammern verschlossen halten. Woran leidet Lear?
Lear erkennt schmerzlich, dass er den Weg, den er eingeschlagen hat, bis zum Ende gehen muss. Aus Unkenntnis
oder Selbstüberschätzung begeht er einen Fehler. So wird er
zum Auslöser seines eigenen Schicksals. Es ist ein allgemein
menschlicher Mechanismus und Lear kann sich seiner Verantwortung nicht entziehen. Sein Ego hat ihn in eine Schieflage
gebracht. Er muss sich wieder gerade rücken.
Unser Spielzeitmotto lautet: „Über Grenzen sprechen“.
Im Spiel überwinden wir die engen Grenzen unseres Alltags und
kommen im besten Fall zu neuen oder anderen Erkenntnissen.
Ist Lear ein Grenzgänger?
Ja, in dem Sinne, wie wir alle Grenzgänger auf der Grenze
zwischen Leben und Tod sind. Was Lear erfahren muss, ist im
Grunde etwas allgemein Menschliches. Die Lebensläufe der
Menschen sind davon gekennzeichnet.
Wo führt Shakespeare uns als Zuschauer hin?
Theaterstücke sind wie Resonanzkörper. Sie klingen in
uns nach. Die Spiegelneuronen im Gehirn werden angeregt.
Wir können uns in die Geschichten hineinbegeben und sie so
spielerisch durchleiden und durchdenken. Das ist das große
Angebot des Theaters!
Fragen an Schauspieler Rainer Matschuck (gloster)
Mit „König Lear“ könnte man sich ein ganzes Theaterleben
lang befassen und für Dich ist es nicht die erste Auseinandersetzung mit diesem vielschichtigen Text. Wann hast Du Dich zum
ersten Mal mit diesem Werk beschäftigt? Welche Rolle hast Du
damals gespielt?
Es war im Jahr 1999, als ich in einer Inszenierung des
damaligen Schauspieldirektors Holger Berg den Narren gespielt habe. Durch diese Arbeit habe ich das Stück noch mehr
schätzen gelernt. Shakespeare ist einfach genial. Seine Werke
bieten die Möglichkeit vielfältiger Auseinandersetzungen und
Interpretationen. Man kann immer Neues entdecken und jetzt
bin ich sehr gespannt, wohin die Reise diesmal geht.
Du spielst in der Inszenierung von Klaus Kusenberg die
Rolle des Grafen von Gloster. Seine Tragödie ist eng mit der LearGeschichte verknüpft. Gloster spiegelt sich in Lear und Lear in
Gloster. Beide Figuren gehen verblendet durch ihr Leben. Gloster
wird im Verlauf des Stückes sogar geblendet. Was bedeutet es für
Dich, diese Figur zu spielen?
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Schauspiel
: König Lear
Ich mag einen Satz von Benjamin Henrichs über „König
Lear“ sehr: „Der Anfang allen Wahnsinns ist Liebe.“ Lear wie
Gloster sind bestimmt von einer Affenliebe zu ihren Kindern.
Diese maßlose Liebe macht sie blind und unberechenbar. Lear
und Gloster werden zu Narren ihres Lebens. Sie können oder
wollen die Wahrheit nicht sehen. Geblendet lernt Gloster, die
Welt noch einmal anders wahrzunehmen. Im Alter die Welt
noch einmal anders sehen zu lernen – was für eine Aufgabe!
Aber für beide Figuren ist es auch die Frage: Wie nimmt man
Abschied vom Leben? Diese Frage, die uns allen so unendlich
schwer fällt.
Du bist ein großer Beckett-Liebhaber. Jan Kott vergleicht
„König Lear“ mit Becketts „Endspiel“. Kann Beckett eine Hilfe
sein, Shakespeare zu spielen? Wo ziehst Du Parallelen?
Es ist Becketts Lebensphilosophie: „Immer versucht.
Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“ Diese tiefe Tragikomik findet man auch
bei Shakespeare. Gloster will sterben, wird von Edgar daran
gehindert und hadert mit seinem Schicksal. Das führt mich
zu der aktuellen Diskussion um Sterbehilfe.
Wir können uns auf der Probe noch so lange mit dem Text,
den Figuren, ihren Motivationen und ihren Emotionen auseinandersetzen, Theater wird erst durch das Publikum zum Erlebnis.
Was wünschst Du Dir von den Vorstellungen?
Vielleicht, dass die Zuschauer sich fragen: Warum ist
das so und was kann ich tun, damit es nicht so weit kommt?
Katharsis!? Der Beginn einer Auseinandersetzung? Theater kann
vielleicht nicht die Welt, aber unseren Blick auf sie verändern.
Die Fragen stellte Horst Busch
Premiere
Jochen Kuhl und Rainer Matschuck in „Der Sturm“
(Spielzeit 2002/2003)
Buchtipp
George Steiner, Der Tod der Tragödie,
Suhrkamp, 17,00 €
Neil MacGregor, Shakespeares ruhelose Welt,
Beck C. H., 29,95 €
Erhältlich im Theaterbuchladen
: 10. Oktober 2015, 19.30 Uhr, Schauspielhaus
König Lear William Shakespeare
Deutsche Fassung von Peter Stein nach Graf von Baudissin
Inszenierung: Klaus Kusenberg Bühne: Günter Hellweg Austattung Mitarbeit: Franziska Isensee
Musik: Bettina Ostermeier Dramaturgie: Horst Busch
Mit: Julia Bartolome (Regan), Josephine Köhler (Cordelia/Narr), Elke Wollmann (Goneril); Heimo
Essl (Herzog von Albany), Ksch. Michael Hochstrasser (Herzog von Cornwall), Julian Keck (König von
Frankreich/Edgar), Thomas Klenk (Herzog von Burgund/Oswald), Ksch. Jochen Kuhl (Lear), Rainer
Matschuck (Graf von Gloster), Ksch. Thomas Nunner (Graf von Kent), Christian Taubenheim (Edmund)
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Schauspiel Aktuell König Lear
Einführungsmatinée mit: Prof. Dr. Susanne Bach (Professorin für Anglistik, Universität Kassel), dem Leitungsteam und Ensemblemitgliedern, am Sonntag, 04. Oktober 2015, 11.00 Uhr, Foyer Schauspielhaus
Weitere Vorstellungen: 11., 17., 18.10.; 05., 08., 20., 27.11.; 05., 29.12.2015
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