98 PROCYCLING JULI 2015 Benotti Fuoco Team TEAMSPIRIT Text Marcel Wüst Fotografie Kai Dudenhöfer Das ist es also, das aktuelle Teamrad von Marcel Wüsts „Casa Ciclista“-Equipe. Die eingangs gestellte Frage, ob man sein eigenes Rad objektiv testen kann, lässt sich, so meinen wir, mit ja beantworten – denn diese Begeisterung kann einfach nicht gespielt sein … PROCYCLING JULI 2015 99 Benotti Fuoco Team W enn man sein eigenes Rad für ein Radmagazin testet, kommt sicher bei dem einen oder anderen Leser die Frage auf, ob man denn auch wirklich objektiv sein könne. Nun, ich habe in meiner Zeit als Procycling-Radtester schon so viele Räder gefahren, dass ich auch jetzt absolut authentisch die Wahrheit (und nichts als die Wahrheit) über meine Erfahrungen zum Besten geben werde. Der kleine Vorteil, den „mein“ Rad hat, ist natürlich die Tatsache, dass ich mir Komponenten und Co. natürlich selber ausgesucht habe. Beim ersten Kontakt mit Firmengründer Bernd Nolte bei der Bremen Challenge spürte ich sofort seine Begeisterung für Radsport im Allgemeinen und Radtechnik im Speziellen. Die Rahmenbedingungen für eine Kooperation mit einem Testcenter in der Casa Ciclista sowie die Zusammenarbeit mit meinem Jedermann-Team waren schnell abgesteckt, und als dann auch noch klar wurde, dass eine Teamlackierung ohne Weiteres möglich sein würde, da waren die Würfel schnell gefallen. Die Tatsache, dass die fertig produzierten Rahmen in Deutschland lackiert werden, hat einige Vorteile. Zum einen ist ein Rohrahmen viel besser auf eventuelle Produktionsmängel zu kontrollieren, zum anderen ist eine in Deutschland nach Kun- Sram Red in Hochform: knackige Schaltvorgänge, ein weich wechselnder Umwerfer und bissige Bremsen. EINE IN DEUTSCHLAND NACH KUNDENWUNSCH GEMACHTE LACKIERUNG IST IRGENDWIE „MORE SEXY“ ALS EINE FERNÖSTLICHE … 100 PROCYCLING JULI 2015 denwunsch gemachte Lackierung irgendwie „more sexy“ als eine fernöstliche … Schon Sebastian Lang hatte vor einiger Zeit das Vorgängermodell getestet und nun sollte ich dran sein, allerdings mit der aktuellen Weiterentwicklung. Zunächst die Fakten: ein Vollblut-Racer mit kurzem Steuer- und langem Oberrohr, (RH 53, SR 145 mm, OR 550 mm) hammermäßig stabil im Cockpit und im Tretlager. Das Gewicht meines Rades: 6,6 Kilo mit Pedalen, also ist das Rad für den Toursieg zu leicht und ich bin zu schwer – eine gute Voraussetzung für eine glückliche und lang anhaltende Beziehung. Die Tatsache, dass das Oberrohr etwas länger ist, machte es dann auch möglich, einen 53er-Rahmen statt wie bisher einen 55er zu fahren – die nächstgrößere BenottiVariante wäre 56 gewesen, für mich vom Gefühl her eher ein wenig zu groß. Als ich mit dem Rad auf Mallorca ankam, konnte ich es kaum erwarten, endlich eine Runde zu drehen, aber vorher hatten wir für das englische Schwestermagazin noch ein paar Maschinen der Profiteams zu fahren und zu fotografieren – da die Mallorca Challenge fast zu Ende war und die Teams weiterziehen mussten, hatte das Vorrang. Das Wetter blieb glücklicherweise weiterhin superschön und ich sattelte am ersten Testtag gleich nach dem Frühstück auf. Das satte Geräusch beim Einklicken in die Pedale war genauso Musik in meinen Ohren wie das „Wooosh-wooosh“ der Zipp-404-Lauf- Technische Daten Rahmen Benotti Fuoco Team Gabel Benotti Vollcarbon Komponenten Sram Red 22 Laufräder Zipp 404 Firecrest Tubular Bereifung Schwalbe One Lenker Zipp Service Course SL Aluminium Vorbau Zipp Service Course SL Sattel Selle Italia SLS Stütze Zipp Carbon Gewicht ca. 6,6 Kilo (mit Pedalen) Preis 5.849 € www.benotti.de NEBEN DER PERFORMANCE DES BENOTTI IST AUCH DIE BEZAHLBARKEIT EIN WEITERES GUTES UND WICHTIGES ARGUMENT. räder, als ich zum ersten Mal aus dem Sattel ging. Das Fuoco Team geht ab wie eine Rakete. Sein geringes Gesamtgewicht und die trotz der Aerodynamik auch leichten Laufräder sind gemeinsam mit der Steifigkeit des BB30-Tretlagers ein Garant für perfekte Beschleunigung und krasse Fahreigenschaften. Die Tatsache, dass Bernd Nolte die Räder aus T-1000-Carbon fertigen lässt, spricht Bände, was die Performance angeht. Vielen Herstellern ist der Werkstoff in dieser Qualität einfach zu teuer oder sie sind mit etwas weniger auch zufrieden. Wenn man bedenkt, dass ein Cervélo R5, das ich genau vor einem Jahr Steifigkeit und Handling prädestinieren das Benotti auch zum Kriteriumsrenner, findet Marcel. in der Casa zum Testen hatte, auch aus T 1000 gebaut wird, aber für ein Rahmenset mal eben 4.000 Euro fällig werden, dann ist eben neben der Performance des Benotti auch die Bezahlbarkeit ein weiteres gutes und wichtiges Argument. Mir war das aber zunächst mal alles schnuppe – ich wollte heizen, also heizte ich los. Das Treffen mit Kai, dem stets gut gelaunten Fotografen, war gegen 10:30 Uhr im Anstieg nach Betlem vereinbart, und so hatte ich genügend Zeit, erst mal Beine und Rad ausgiebig auf die Probe zu stellen. Nach den drei Rädern, die ich in den vergangenen Tagen von den Trucks der Profiteams abgeholt hatte, fühlte ich mich heute selbst wie ein Profi. Endlich ein Rad, das perfekt zu meinem Restoutfit passte … (m)ein Teamrad eben! Die sportliche Sitzposition war nach dem langen Winter ohne Ausfahrten auf dem Straßenrad eher gewöhnungsbedürftig, aber jetzt, wo Sie das hier lesen, habe PROCYCLING JULI 2015 101 Benotti Fuoco Team ich schon gut und gerne 10.000 Kilometer mit dem Rad abgespult. Nicht nur die Position ist top – auch sonst nicht ein Wort der Klage! Selbst die Montage eines Mini-Zeitfahraufsatzes für meine Teilnahme am Triathlon in Porto Colom im April überstand mein Benotti unbeschadet – und aufgrund der von mir gewählten „Serienlaufräder“, den 404 Firecrest, war ich damit auch ziemlich zügig unterwegs. Für mich gilt vor allem, dass auf ein Rad besonders in Grenzsituationen, wie sie meist nur im Rennen vorkommen, absolut Verlass sein muss. Denn dann sind auch die normalen Dinge wie eine falsch angebremste Kurve ohne Probleme zu bewältigen – vorausgesetzt, der Fahrer hat die nötigen Skills. Also hieß es bei unserem Fotoshooting, häufiger mal die gleiche Kehre zu fahren, natürlich immer ein we- Vielleicht nicht jedermanns Sache, doch Marcel steht auf die Tubular-Variante der Zipp 404 – so kann er seinen Lieblingsreifen fahren … FÜR MICH ALS SCHÖNWETTERFAHRER WERDEN AUCH IN DER ZUKUNFT KEINE SCHEIBENBREMSEN INFRAGE KOMMEN. 102 PROCYCLING JULI 2015 nig näher am physikalisch Machbaren. Der Rahmen stand immer wie eine Eins und je mehr ich ihn in die Schräglage zwang, desto mehr Schwung konnte ich aus der Kurve mitnehmen. Da ja auch gerade heiß über Scheibenbremsen am Rennrad diskutiert wird, möchte ich hier loswerden, dass mit den Zipp-CarbonBremsbelägen eine ungeheuer gute Bremsleistung möglich war und dass andere Hersteller wie beispielsweise Lightweight hier auch absolut ihre Hausaufgaben gemacht haben. Mehr muss nicht sein, und somit werden für mich als Schönwetterfahrer auch in der Zukunft keine Scheibenbremsen infrage kommen. Auf späte und extreme Verzögerung vor den Kurven reagierte mein Fuoco Team sehr gelassen und das wirklich fette Steuerrohr war in allen Situationen ein Fels in der Brandung. Die Wahl meiner Reifen – nämlich der Schwalbe One als Schlauchreifen – hat zwei Gründe. Der eine ist ein wenig emotional, der andere rational: Schwalbe ist seit Langem ein wichtiger Partner meines Heimrennens Rund um Köln und auch die Menschen, mit denen ich dort zu tun habe, sind extrem sympathisch. Zum anderen bauen sie wirklich gute Reifen. Der One hat ordentlich Grip, vor allem in der Schlauchreifen-Variante spürt man förmlich, wie sich der Grenzbereich langsam ankündigt. Es ist wie ein leichtes Radieren über den Asphalt, bevor man die Bodenhaftung verliert – was mir glücklicherweise lange schon nicht mehr passiert ist. Die Sram Red 22, bei mir in der Standardvariante und mit 11/26 ausgestattet, ist für meine Touren im Rheinland oder auf Mallorca immer noch mehr als genug. Wenn es dann in die ersten Radmarathons geht, werde ich auch mal ein 28er oder eine Kompakt- oder SemikompaktKurbel montieren. Die WiFly-Version mit dem 32er-Ritzel stört meine ästhetische Wahrnehmung am Rad etwas – der lange Käfig ist leider etwas weniger schön anzuschauen –, aber ehe man am Angliru oder Zoncolan geschoben wird, würde ich den natürlich auch montieren. Wieder mit „meiner“ Red unterwegs zu sein, nachdem ich tagelang auf den Profirädern Di2 gefahren war, hatte irgendwie etwas Bodenständiges – schwer zu erklären, aber ich mag das knackige Schalten der Sram-Komponenten und im Gegensatz zu der ersten Straßengruppe der Amis ist das nun auf dem Markt befindliche Produkt echt top präzise und leichtgängig. Wer mit einem Fuoco Team Rennen fährt, der wird sich über das quicklebendige und agile Handling freuen. Durch die Stabilität des Rahmens gibt es neben dem Geradeauslauf eben auch enorme Vorteile beim Flitzen um enge Kurven. Mit diesem Rahmen kann man nicht nur Bergetappen oder Sprints gewinnen, er würde auch auf engen Kriteriumskursen eine richtig gute Figur machen – immer vorausgesetzt, der Fahrer weiß, wie man mit ihm umzugehen hat. Durch die eher flachen Sitzstreben und die Zipp-Carbon-Sattelstütze wird auch ein Ritt über nicht so tolle Straßen zum Spaziergang – dennoch könnte man sicher noch mehr Komfort rausholen, Frühjahr auf Mallorca: Man bemerke Armlinge und Halstuch. Für ein gewisses Maß an Komfort sorgt die ZippCarbon-Stütze. würde man, auf welchen Laufradsatz auch immer, einen 25er- statt eines 23er-Reifens montieren. Eine Tatsache, die eigentlich normal sein sollte, sei hier auch erwähnt: Die innen verlegten Züge liefen sehr „smooth“, und es klappert (bis heute) rein gar nichts in Ober- oder Unterrohr. Für meine zehn Räder starke Testflotte auf Mallorca gilt das übrigens auch! Gerade bei Rädern, die ich in den vergangenen Jahren direkt vom Hersteller zum Testen bekommen habe, war das häufig nicht der Fall; für den Kunden ist in so einem Fall Ärger vorprogrammiert. Was bei meiner Testfahrt auf Mallorca vorprogrammiert war, hatte ich schon vorher auf dem Radarschirm: ein langer Rückweg mit Gegenwind bis nach Cala Murada. Natürlich hatte ich nach dem Shooting noch Kraft und somit entschloss ich mich, über Petra und Felanitx den Heimweg anzutreten, denn auf der Küstenstraße rollte es noch super. Das sollte sich nach der Abbiegung nach links Richtung Ses Communes und Petra (Waschbrett) schnell relativieren. Wo ich früher meine Sprintserien trainierte, machte ich mich nun im Gegenwind so klein wie möglich und genoss am Abend meine körperliche Erschöpfung in vollen Zügen – zwar wurde mein Benotti nicht vom Teammechaniker wieder perfekt hergerichtet für die kommende Tour, aber ich hatte, im Gegensatz zu den Profis, auch keine Verpflichtung, am nächsten Tag gleich wieder loszufahren. Erst als die Radcamps in der ersten Februarwoche starteten, musste ich – aber mit einem Rad wie dem Benotti Fuoco Team will man auch jeden Tag fahren. Zumindest, wenn die Sonne scheint … Viel Spaß dabei wünscht euch euer Schönwetterfahrer Marcel! Die SchwalbeSchlauchreifen bieten viel Feedback im Grenzbereich und ermöglichen maximalen Speed in der Kurve. WER MIT EINEM FUOCO TEAM RENNEN FÄHRT, DER WIRD SICH ÜBER DAS QUICKLEBENDIGE UND AGILE HANDLING FREUEN. PROCYCLING JULI 2015 103
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