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PROCYCLING
JULI 2015
Benotti Fuoco Team
TEAMSPIRIT
Text Marcel Wüst
Fotografie Kai Dudenhöfer
Das ist es also, das aktuelle Teamrad von Marcel
Wüsts „Casa Ciclista“-Equipe. Die eingangs gestellte
Frage, ob man sein eigenes Rad objektiv testen kann,
lässt sich, so meinen wir, mit ja beantworten – denn
diese Begeisterung kann einfach nicht gespielt sein …
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Benotti Fuoco Team
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enn man sein eigenes Rad für ein
Radmagazin testet, kommt sicher
bei dem einen
oder anderen Leser die Frage auf, ob man denn auch wirklich objektiv sein könne. Nun, ich habe in
meiner Zeit als Procycling-Radtester schon
so viele Räder gefahren, dass ich auch jetzt
absolut authentisch die Wahrheit (und
nichts als die Wahrheit) über meine Erfahrungen zum Besten geben werde.
Der kleine Vorteil, den „mein“ Rad hat,
ist natürlich die Tatsache, dass ich mir
Komponenten und Co. natürlich selber
ausgesucht habe. Beim ersten Kontakt mit
Firmengründer Bernd Nolte bei der Bremen
Challenge spürte ich sofort seine Begeisterung für Radsport im Allgemeinen und
Radtechnik im Speziellen. Die Rahmenbedingungen für eine Kooperation mit einem Testcenter in der Casa Ciclista sowie
die Zusammenarbeit mit meinem Jedermann-Team waren schnell abgesteckt,
und als dann auch noch klar wurde, dass
eine Teamlackierung ohne Weiteres möglich sein würde, da waren die Würfel
schnell gefallen.
Die Tatsache, dass die fertig produzierten Rahmen in Deutschland lackiert werden, hat einige Vorteile. Zum einen ist ein
Rohrahmen viel besser auf eventuelle Produktionsmängel zu kontrollieren, zum anderen ist eine in Deutschland nach Kun-
Sram Red in
Hochform: knackige Schaltvorgänge, ein weich
wechselnder
Umwerfer und
bissige Bremsen.
EINE IN DEUTSCHLAND NACH
KUNDENWUNSCH GEMACHTE
LACKIERUNG IST IRGENDWIE „MORE
SEXY“ ALS EINE FERNÖSTLICHE …
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denwunsch gemachte Lackierung irgendwie „more sexy“ als eine fernöstliche …
Schon Sebastian Lang hatte vor einiger
Zeit das Vorgängermodell getestet und
nun sollte ich dran sein, allerdings mit der
aktuellen Weiterentwicklung.
Zunächst die Fakten: ein Vollblut-Racer
mit kurzem Steuer- und langem Oberrohr,
(RH 53, SR 145 mm, OR 550 mm) hammermäßig stabil im Cockpit und im Tretlager. Das Gewicht meines Rades: 6,6 Kilo
mit Pedalen, also ist das Rad für den
Toursieg zu leicht und ich bin zu schwer
– eine gute Voraussetzung für eine glückliche und lang anhaltende Beziehung. Die
Tatsache, dass das Oberrohr etwas länger
ist, machte es dann auch möglich, einen
53er-Rahmen statt wie bisher einen 55er
zu fahren – die nächstgrößere BenottiVariante wäre 56 gewesen, für mich vom
Gefühl her eher ein wenig zu groß.
Als ich mit dem Rad auf Mallorca ankam, konnte ich es kaum erwarten, endlich eine Runde zu drehen, aber vorher
hatten wir für das englische Schwestermagazin noch ein paar Maschinen der
Profiteams zu fahren und zu fotografieren
– da die Mallorca Challenge fast zu Ende
war und die Teams weiterziehen mussten,
hatte das Vorrang. Das Wetter blieb
glücklicherweise weiterhin superschön
und ich sattelte am ersten Testtag gleich
nach dem Frühstück auf. Das satte Geräusch beim Einklicken in die Pedale war
genauso Musik in meinen Ohren wie das
„Wooosh-wooosh“ der Zipp-404-Lauf-
Technische Daten
Rahmen Benotti Fuoco Team
Gabel Benotti Vollcarbon
Komponenten Sram Red 22
Laufräder Zipp 404 Firecrest
Tubular
Bereifung Schwalbe One
Lenker Zipp Service Course SL
Aluminium
Vorbau Zipp Service Course SL
Sattel Selle Italia SLS
Stütze Zipp Carbon
Gewicht ca. 6,6 Kilo (mit Pedalen)
Preis 5.849 €
www.benotti.de
NEBEN DER PERFORMANCE DES
BENOTTI IST AUCH DIE BEZAHLBARKEIT EIN WEITERES GUTES UND
WICHTIGES ARGUMENT.
räder, als ich zum ersten Mal aus dem
Sattel ging.
Das Fuoco Team geht ab wie eine Rakete. Sein geringes Gesamtgewicht und die
trotz der Aerodynamik auch leichten Laufräder sind gemeinsam mit der Steifigkeit
des BB30-Tretlagers ein Garant für perfekte Beschleunigung und krasse Fahreigenschaften. Die Tatsache, dass Bernd
Nolte die Räder aus T-1000-Carbon fertigen lässt, spricht Bände, was die Performance angeht. Vielen Herstellern ist der
Werkstoff in dieser Qualität einfach zu
teuer oder sie sind mit etwas weniger auch
zufrieden. Wenn man bedenkt, dass ein
Cervélo R5, das ich genau vor einem Jahr
Steifigkeit und
Handling prädestinieren das Benotti auch zum
Kriteriumsrenner,
findet Marcel.
in der Casa zum Testen hatte, auch aus
T 1000 gebaut wird, aber für ein Rahmenset mal eben 4.000 Euro fällig werden,
dann ist eben neben der Performance des
Benotti auch die Bezahlbarkeit ein weiteres gutes und wichtiges Argument.
Mir war das aber zunächst mal alles
schnuppe – ich wollte heizen, also heizte
ich los. Das Treffen mit Kai, dem stets
gut gelaunten Fotografen, war gegen
10:30 Uhr im Anstieg nach Betlem vereinbart, und so hatte ich genügend Zeit,
erst mal Beine und Rad ausgiebig auf die
Probe zu stellen. Nach den drei Rädern,
die ich in den vergangenen Tagen von den
Trucks der Profiteams abgeholt hatte,
fühlte ich mich heute selbst wie ein Profi.
Endlich ein Rad, das perfekt zu meinem
Restoutfit passte … (m)ein Teamrad eben!
Die sportliche Sitzposition war nach dem
langen Winter ohne Ausfahrten auf dem
Straßenrad eher gewöhnungsbedürftig,
aber jetzt, wo Sie das hier lesen, habe
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ich schon gut und gerne 10.000 Kilometer mit dem Rad abgespult. Nicht nur die
Position ist top – auch sonst nicht ein
Wort der Klage! Selbst die Montage eines
Mini-Zeitfahraufsatzes für meine Teilnahme am Triathlon in Porto Colom im
April überstand mein Benotti unbeschadet
– und aufgrund der von mir gewählten
„Serienlaufräder“, den 404 Firecrest, war
ich damit auch ziemlich zügig unterwegs.
Für mich gilt vor allem, dass auf ein Rad
besonders in Grenzsituationen, wie sie
meist nur im Rennen vorkommen, absolut
Verlass sein muss. Denn dann sind auch
die normalen Dinge wie eine falsch angebremste Kurve ohne Probleme zu bewältigen – vorausgesetzt, der Fahrer hat die
nötigen Skills. Also hieß es bei unserem
Fotoshooting, häufiger mal die gleiche
Kehre zu fahren, natürlich immer ein we-
Vielleicht nicht
jedermanns Sache, doch Marcel
steht auf die Tubular-Variante
der Zipp 404 –
so kann er seinen
Lieblingsreifen
fahren …
FÜR MICH ALS SCHÖNWETTERFAHRER WERDEN AUCH IN DER
ZUKUNFT KEINE SCHEIBENBREMSEN
INFRAGE KOMMEN.
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nig näher am physikalisch Machbaren.
Der Rahmen stand immer wie eine Eins
und je mehr ich ihn in die Schräglage
zwang, desto mehr Schwung konnte ich
aus der Kurve mitnehmen. Da ja auch
gerade heiß über Scheibenbremsen am
Rennrad diskutiert wird, möchte ich hier
loswerden, dass mit den Zipp-CarbonBremsbelägen eine ungeheuer gute
Bremsleistung möglich war und dass andere Hersteller wie beispielsweise Lightweight hier auch absolut ihre Hausaufgaben gemacht haben. Mehr muss nicht
sein, und somit werden für mich als
Schönwetterfahrer auch in der Zukunft
keine Scheibenbremsen infrage kommen.
Auf späte und extreme Verzögerung vor
den Kurven reagierte mein Fuoco Team
sehr gelassen und das wirklich fette Steuerrohr war in allen Situationen ein Fels in
der Brandung. Die Wahl meiner Reifen
– nämlich der Schwalbe One als Schlauchreifen – hat zwei Gründe. Der eine ist ein
wenig emotional, der andere rational:
Schwalbe ist seit Langem ein wichtiger
Partner meines Heimrennens Rund um
Köln und auch die Menschen, mit denen
ich dort zu tun habe, sind extrem sympathisch. Zum anderen bauen sie wirklich
gute Reifen. Der One hat ordentlich Grip,
vor allem in der Schlauchreifen-Variante
spürt man förmlich, wie sich der Grenzbereich langsam ankündigt. Es ist wie ein
leichtes Radieren über den Asphalt, bevor
man die Bodenhaftung verliert – was mir
glücklicherweise lange schon nicht mehr
passiert ist.
Die Sram Red 22, bei mir in der Standardvariante und mit 11/26 ausgestattet,
ist für meine Touren im Rheinland oder
auf Mallorca immer noch mehr als genug.
Wenn es dann in die ersten Radmarathons geht, werde ich auch mal ein 28er
oder eine Kompakt- oder SemikompaktKurbel montieren. Die WiFly-Version mit
dem 32er-Ritzel stört meine ästhetische
Wahrnehmung am Rad etwas – der lange
Käfig ist leider etwas weniger schön anzuschauen –, aber ehe man am Angliru oder
Zoncolan geschoben wird, würde ich den
natürlich auch montieren.
Wieder mit „meiner“ Red unterwegs
zu sein, nachdem ich tagelang auf den
Profirädern Di2 gefahren war, hatte irgendwie etwas Bodenständiges – schwer
zu erklären, aber ich mag das knackige
Schalten der Sram-Komponenten und im
Gegensatz zu der ersten Straßengruppe
der Amis ist das nun auf dem Markt befindliche Produkt echt top präzise und
leichtgängig.
Wer mit einem Fuoco Team Rennen
fährt, der wird sich über das quicklebendige und agile Handling freuen. Durch die
Stabilität des Rahmens gibt es neben dem
Geradeauslauf eben auch enorme Vorteile
beim Flitzen um enge Kurven. Mit diesem
Rahmen kann man nicht nur Bergetappen
oder Sprints gewinnen, er würde auch auf
engen Kriteriumskursen eine richtig gute
Figur machen – immer vorausgesetzt, der
Fahrer weiß, wie man mit ihm umzugehen
hat. Durch die eher flachen Sitzstreben
und die Zipp-Carbon-Sattelstütze wird
auch ein Ritt über nicht so tolle Straßen
zum Spaziergang – dennoch könnte man
sicher noch mehr Komfort rausholen,
Frühjahr auf
Mallorca: Man bemerke Armlinge
und Halstuch.
Für ein gewisses
Maß an Komfort
sorgt die ZippCarbon-Stütze.
würde man, auf welchen Laufradsatz auch
immer, einen 25er- statt eines 23er-Reifens montieren.
Eine Tatsache, die eigentlich normal
sein sollte, sei hier auch erwähnt: Die innen verlegten Züge liefen sehr „smooth“,
und es klappert (bis heute) rein gar nichts
in Ober- oder Unterrohr. Für meine zehn
Räder starke Testflotte auf Mallorca gilt
das übrigens auch! Gerade bei Rädern,
die ich in den vergangenen Jahren direkt
vom Hersteller zum Testen bekommen
habe, war das häufig nicht der Fall; für den
Kunden ist in so einem Fall Ärger vorprogrammiert.
Was bei meiner Testfahrt auf Mallorca
vorprogrammiert war, hatte ich schon vorher auf dem Radarschirm: ein langer
Rückweg mit Gegenwind bis nach Cala
Murada. Natürlich hatte ich nach dem
Shooting noch Kraft und somit entschloss
ich mich, über Petra und Felanitx den
Heimweg anzutreten, denn auf der Küstenstraße rollte es noch super.
Das sollte sich nach der Abbiegung nach
links Richtung Ses Communes und Petra
(Waschbrett) schnell relativieren. Wo ich
früher meine Sprintserien trainierte, machte ich mich nun im Gegenwind so klein wie
möglich und genoss am Abend meine körperliche Erschöpfung in vollen Zügen –
zwar wurde mein Benotti nicht vom Teammechaniker wieder perfekt hergerichtet
für die kommende Tour, aber ich hatte, im
Gegensatz zu den Profis, auch keine Verpflichtung, am nächsten Tag gleich wieder
loszufahren. Erst als die Radcamps in der
ersten Februarwoche starteten, musste
ich – aber mit einem Rad wie dem Benotti
Fuoco Team will man auch jeden Tag fahren. Zumindest, wenn die Sonne scheint …
Viel Spaß dabei wünscht euch euer Schönwetterfahrer Marcel!
Die SchwalbeSchlauchreifen
bieten viel Feedback im Grenzbereich und ermöglichen maximalen Speed
in der Kurve.
WER MIT EINEM FUOCO TEAM
RENNEN FÄHRT, DER WIRD SICH
ÜBER DAS QUICKLEBENDIGE UND
AGILE HANDLING FREUEN.
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