Gottesdienst am Vorletzten Sonntag im Kirchenjahr 15.November

Gottesdienst am Vorletzten Sonntag im Kirchenjahr
15.November 2015 Martinskirche Neckartailfingen
Predigt von Pfarrer Konrad Maier-Mohns
Text: Matthäus 25,31-46
31 Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner
Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf
dem Thron seiner Herrlichkeit, 32 und alle Völker werden vor
ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander
scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, 33
und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke
zur Linken. 34 Da wird dann der König sagen zu denen zu
seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters,
ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der
Welt! 35 Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu
essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu
trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt
mich aufgenommen. 36 Ich bin nackt gewesen und ihr habt
mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich
besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir
gekommen. 37 Dann werden ihm die Gerechten antworten
und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und
haben dir zu essen gegeben, oder durstig und haben dir zu
trinken gegeben? 38 Wann haben wir dich als Fremden
gesehen und haben dich aufgenommen, oder nackt und
haben dich gekleidet? 39 Wann haben wir dich krank oder im
Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? 40 Und der
König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage
euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen
geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. 41 Dann wird er
auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr
Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel
und seinen Engeln! 42 Denn ich bin hungrig gewesen und ihr
habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und
ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. 43 Ich bin ein Fremder
gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin
nackt gewesen und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin
krank und im Gefängnis gewesen und ihr habt mich nicht
besucht. 44 Dann werden sie ihm auch antworten und sagen:
Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen
oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis
und haben dir nicht gedient? 45 Dann wird er ihnen
antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht
getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir
auch nicht getan. 46 Und sie werden hingehen: diese zur
ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.
Liebe Gemeinde!
Am Mittwoch war Martinstag, schon am Montagabend
haben die Kindergartenkinder bei ihrem Laternenumzug an
den römischen Offizier erinnert, der seinen Mantel mit dem
frierenden Bettler in Amiens geteilt hat. Der nachts im
Traum Christus gesehen und seine Stimme gehört hat:
Martinus, der noch nicht getauft ist, hat mich mit seinem
Mantel bekleidet. In unserer Martinskirche ist das auf den
700 Jahre alten Wandbildern eindrucksvoll dargestellt: über
dem reitenden Martin tragen zwei Engel die Mantelhälfte in
den Himmel. Und der thronende Christus oben in der Mitte
hat bereits diesen roten Mantel übergeworfen.
Eindrucksvoll, bildlich, St. Martin und Jesus Christus.
Heute ist Volkstrauertag. Vor 101 Jahren wurde der
1.Weltkrieg angefangen, vor 70 Jahren ist der 2.Weltkrieg zu
Ende gegangen. Viele Millionen tote Soldaten, ermordete
Minderheiten, Bombenopfer, verhungerte Gefangene. Und
dann die Flüchtlinge und die Vertriebenen. Und die
Traumatisierten, auch wenn man das damals noch nicht so
genannt hat. – Ein Kollege aus Norddeutschland, den ich
diesen Sommer kennengelernt habe, hat erzählt:
„In meiner Kindheit gehörte eine alte Frau zum Straßenbild
in Preetz, der Stadt, in der ich aufgewachsen bin. Sie war
scheinbar rastlos mit einem Einkaufswagen voller
Plastiktüten und Kleidung, ihrer ganzen Habe, unterwegs.
Dreckig war sie, auch im Sommer immer in einen zerlumpten
Wintermantel gekleidet, Fingerhandschuhe an den Händen.
Ständig murmelte sie irgendetwas vor sich hin, kam nie zur
Ruhe. Für uns Kinder hieß sie nur „Mimi“, ob das ihr richtiger
Name war, weiß ich nicht. Immer wenn sie uns kommen sah,
dann wurde sie wütend, konnte auch schon einmal mit
einem Stock auf uns losgehen. Ganz „Mutige“ unter uns
machten sich einen Spaß daraus, sie von ihrem Wagen
wegzulocken und den dann umzukippen… Später, als
Jugendlicher, hörte ich dann von ihrer Geschichte. Sie hatte
die Bombennächte in Kiel miterlebt, war selber in den
Trümmern ihres Hauses verschüttet worden, hatte alles
verloren. Für uns als Kinder war sie damals einfach nur
unheimlich und zugleich ein bisschen lächerlich; warum sie
so geworden war, wussten wir nicht und hätten es wohl
auch nicht verstanden.“ Soweit die Kindheitserinnerung des
Kollegen. Ihm ist im Nachhinein klargeworden, dass sie als
Kinder dieser Frau überhaupt nicht gerecht geworden sind,
genau wie viele Erwachsene sicher auch.
Und heute? Seit vier Jahren ist Krieg in Syrien, seit letztem
Jahr verschärft durch den IS, im Irak und in Afghanistan
werden Menschen seit noch längerer Zeit durch Gewalt und
Bomben terrorisiert. Die Flüchtlinge im Land und in den
Nachbarländern haben von der UNO seit einem Jahr statt 30
nur noch 15 Euro pro Monat bekommen. In Eritrea
unterdrückt eine Militärjunta das Volk. In Gambia steckt ein
Willkür-Präsident seine Kritiker und ihre Familien in
Foltergefängnisse. In Nigeria treibt die brutale islamistische
Boko Haram die Menschen aus den Städten und Dörfern. In
vielen afrikanischen Ländern verschärft die zunehmende
Trockenheit die aussichtslose Lebenslage der Menschen.
Und jetzt kommen sie – zu uns. Schon einige Jahre. Aber seit
diesem Jahr kommen sie in einer Zahl, die uns erstaunt und
erschreckt und uns zu überfordern scheint. Sie scheuen nicht
die Lebensgefahr bei der Überfahrt, sie geben oft ihr ganzes
Geld für die Schleuser aus oder leihen sich es sogar
zusammen. Sie wollen bei uns endlich in Sicherheit sein und
wieder die Aussicht auf ein normales Leben bekommen.
Wir sind gerade ziemlich aufgewühlt in dieser ungewohnten
Lage. Dass sehr viele von ihnen nach Deutschland wollen,
hat natürlich auch politische und wirtschaftliche Gründe.
Dass sich einige unserer europäischen Nachbarländer gerade
vor dem Problem wegducken wollen, macht uns zornig. Dass
die Weltpolitiker aufwachen und den Flüchtlingsstrom
begrenzen, vor allem durch Beendigung der Kriege und der
Unterdrückungs-Regime, all das sind große und aufregende
Themen.
Aber, liebe Gemeinde, Jesus Christus stellt uns heute mit
seinen Worten vom Weltgericht ein anderes Thema. Er fragt
uns, ob wir in den Fremden, die sich zu uns durchgeschlagen
haben, unsere Mitmenschen sehen. Und ob wir uns ihnen
gegenüber als Mitmenschen verhalten.
Ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben.
Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben.
Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich
aufgenommen. 36 Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich
gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht.
Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen.
Sieben Werke der Barmherzigkeit hat die Theologie im
Mittelalter aus diesen Worten herausgelesen. In dem Text
vom Weltgericht wissen die Menschen gar nicht, dass sie
diese Taten auch für Gott, für den Sohn Gottes getan haben,
der jetzt als Richter vor ihnen sitzt. Sie haben es einfach als
Mitmenschen getan. Und er, der Sohn Gottes, der
hinabgestiegen und ein Mensch geworden ist, er identifiziert
sich mit denen ganz unten, „meine geringsten Brüder“.
Darum sagt er: das habt ihr auch mir getan.
Liebe Gemeinde, die Menschen, die unsere Hilfe brauchen,
werden uns nicht in jedem Fall sympathisch sein, sie sind
vielleicht wie die alte Mimi von Bombennächten in Kiel
verstört und es ist anstrengend, mit ihnen überhaupt
vernünftig zu reden. Es ist in unserer Welt vielleicht eher die
alte Tante mit ihrer Demenz, bei der ein Besuch einfach
immer Kraft und Nerven kostet. Oder es sind halt ein Haufen
junge Männer, Muslime oder Schwarzafrikaner, sie sprechen
oft noch kaum deutsch und wenn man sie alle
zusammenpfercht wie in Aich und in anderen
Massenunterkünften, gibt’s auch mal eine Schlägerei, von
der dann in der Zeitung berichtet wird. Wir hätten, wenn
schon Flüchtlinge, dann lieber christliche Familien aus Syrien.
Ich gebs zu, ich finde das auch eine schöne Vorstellung,
wenn die vielleicht sogar in unsere Gottesdienste kommen
würden. Aber die sind halt nur eine Minderheit unter den
Flüchtlingen. Und wir müssen den echten und nicht den
erträumten Menschen begegnen. Erst, wenn wir Kontakt
aufnehmen, erst, wenn viele von uns herausgehen und auf
die Fremden zugehen, werden unsere ängstlichen
Phantasien oder unsere Wunsch-Vorstellungen abgelöst von
einer echten Begegnung.
Auch, wenn das Politisieren von der Kanzel sonst nicht so
mein Ding ist: wir sind etwas unglücklich über die
Entscheidung des Gemeinderats, dass das nur noch wenig
genutzte ältere Schulgebäude nicht als Unterkunft für
Flüchtlinge freigegeben werden soll. Vor 70 Jahren, 1945, als
nach dem Krieg alles zusammengebrochen war und viele
Einheimische selber ärmlich gelebt haben, hat es die
Gemeinde Neckartailfingen geschafft, die Flüchtlinge aus
dem Osten wenigstens in der Turnhalle unterzubringen,
unser langjähriger Vorsitzender Edmund Kuske hat sich
daran noch gut erinnert. Das war nicht nur angenehm für die
Betroffenen, aber sie hatten ein Dach über dem Kopf. Und
heute in unseren Wohlstandsjahren soll die einzige Lösung
für diese Menschen ein Zelt sein – womöglich außerhalb
vom Ort in einer Ghetto-Lage? Bitte - tun wir um der
Menschlichkeit und um Gottes Willen das unsere dazu, dass
diese Geschlagenen in unserer Mitte untergebracht werden.
Und bitten wir unseren Schöpfer und Erlöser um den Mut,
auch in ihnen unsere Mitmenschen zu finden und ihnen ein
Mitmensch zu werden.
In der Begegnung mit den vom Leben Benachteiligten geht
es für uns um den Sinn, um den Wert und die Würde auch
unseres eigenen Lebens – nichts weniger! Das wird in der
Gerichtsszene deutlich. Der Richter trennt die Menschen wie
ein orientalischer Hirte am Abend Schafe und Ziegen trennt.
Und zu den einen sagt er: Kommt her, ihr Gesegneten
meines Vaters, erbt das Reich Gottes. Und zu den anderen:
Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer.
Liebe Gemeinde, im Lauf meines Glaubenslebens habe ich
die Angst vor dem Gott abgelegt, der uns in die Hölle
schicken will. Ich glaube, dass seine Liebe am Ende siegt,
dafür gibt es deutliche Hinweise in der Bibel. Und trotzdem:
es ist gar nicht egal, wie wir uns zu ihm stellen und wie wir
unseren Mitmenschen begegnen. Es macht unser Leben zu
einem Zeichen der Liebe Gottes, wenn wir unseren
Mitmenschen aufmerksam begegnen. Wenn wir für die
Bedürftigen, Kranken, für die Fremden und Gedemütigten,
für die Niedergeschlagenen Zeit aufbringen und ein Ohr
haben, ihnen irgendwie weiterhelfen, dann spiegelt sich
darin die Liebe Gottes. So sehr hat Gott die Welt geliebt,
dass er seinen einziggeborenen Sohn gab, damit alle, die an
ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben
haben.
Und dieser Einziggeborene, der sich voller Liebe auf unseren
Menschenweg begeben hat, er wird unser Richter sein.
Er führe uns schon heute auf rechter Straße.
Amen