TEST Van Hool A330 Kein bisschen exotisch „Bus of the Year 2003“: Niederflurbus A330 von van Hool mit ansprechender Raumökonomie und guten Fahreigenschaften Der Niederflurbus A330 des belgischen Herstellers van Hool sieht nicht nur modern aus. Mit zurückhaltendem Charme präsentiert er die wesentlichen Merkmale eines zeitgemäßen Stadtomnibusses. Was nur wenige wissen: Zuletzt wurde er gar mit dem Prädikat „Bus of the Year 2003“ ausgezeichnet. ei unseren westeuropäischen Nachbarn gelten Omnibusse von van Hool längst nicht mehr als Geheimtipp. Anders als hier zu Lande bevölkern vor allem die Niederflurbusse der belgischen Marke die Straßen vieler Städte in Belgien, Holland, aber auch in Frankreich und Großbritannien. Die Fahrzeuge aus Lier haben sich im Laufe vieler Jahre den guten Ruf hoher Praxistauglichkeit und unbedingter Zuverlässigkeit erworben. „Nur keine Experimente“, hört man von den Strategen des Hauses, die zum Einsatz kommende Technik ist stets vielfach erprobt. Der Grundsatz gilt auch fürs Outfit, hier achtet man darauf, mit einem neuen Produkt das alte nicht ebenso aussehen zu lassen. Was B Klares Design bis ins Heck – nicht zu übersehen die großen Rückleuchten-Einheiten. B6 Bus-Fahrt 01/2004 - Stünings Medien GmbH, Krefeld - www.busfahrt.com selbstverständlich auch für den A330 gilt. Dennoch gelang es den Van Hool-Technikern, ihre aktuellen Niederflurbusse optisch aufzuwerten und gekonnt von vielen namhaften Wettbewerbern abzusetzen. Geblieben ist die große, nach oben gewölbte Frontscheibe mit den typischen, nach vorne eingezogenen A-Säulen. Die Proportionen von der dynamischen Frontpartie bis zum leicht gerundeten Heckabschluss wirken harmonisch, die kleinen Ellipsoidscheinwerfer und die Linienführung streuen mit New-Edge-Look eine Prise Zeitgeist ein. Also mehr Schein als Sein? Gewiss würde man damit dem Anspruch des belgischen Hauses nicht gerecht, das mit dem A330 viel Stadtbus-Kompetenz in die Waagschale legt. Viele Komponenten stammen von renommierten Lieferanten, doch die technologische Konzeption wird wie immer inhouse entwickelt. Die Fahrzeuge selbst werden im Hochlohnland Belgien gebaut, was kein Widerspruch zu den günstig kalkulierten Preisen sein muss. Van Hool bietet ein modulares Baukastensystem von Niederflurbussen – vom 10 m langen Midi bis zum 25 m langen Doppelgelenkzug mit vielen individuellen Techniklösungen. Unser Testfahrzeug, ein knapp 12 m langer und 2,55 m breiter Niederflurbus, ist ein Dreitürer mit typisch französischer Konfiguration. Vorteil des dreitürigen Formats ist die schnelle und gleichmäßige Auslastung Die Einstiege vorne und in der Mitte liegen bei konkurrenzlosen 318 mm Höhe. der Fahrzeuge. Der Wechsel der Fahrgäste geht rasch von statten, die zweiflügeligen Innenschwenktüren reichen in der Breite auch für jeweils zwei Personen gleichzeitig. „Das können andere auch“, könnte ein berechtigter Einwurf lauten. Der Vorzug des van Hool liegt in einer konsequenten Raumökonomie, die es dem A330 erlaubt, in der getesteten Fahrzeug-Variante 23 sitzende und bis zu 96 stehende Fahrgäste zu befördern. Möglich wird dieses Fahrzeugkonzept erst durch den links im Heck stehenden Motor, die Nebenaggregate und die Motorkühlung liegen Platz sparend darüber. So entsteht im Fahrzeugheck an der dritten Türe eine großflächige Stehplattform. Ebenso nachdrücklich setzt man in Lier auf einen niedrigen Innenboden, die Einstiege vorne und in der Mitte liegen bei konkurrenzlosen 318 mm Höhe. Als bemerkenswerte Lösung notieren wir die serienmäßige Dachkanalheizung, deren Auslässe über den Seitenscheiben das Beschlagen in der kalten Jahreszeit verhindern. Für den anspruchsvollen Markt Deutschland bietet der Hersteller eine üppigere Beheizung mit Seitenwand-Konvektoren. Die bequemen Sitze, meist auf den Podesten montiert, stammen aus der (von oben nach unten) Drei Türen mit sehr niedriger Einstiegkante, gut für raschen Fahrgastfluss – an der Mitteltür eine elektrisch ausfahrbare Rollstuhlrampe. Breiter Durchgang von Tür 1 zur Fahrzeugmitte – Stehfläche mit Klappsitzen, komfortable Bestuhlung aus hauseigener Herstellung. Glatter reinigungsfreundlicher Innenboden – als Zugeständnis an den besonders niedrigen Einstieg befinden sich die meisten Sitze auf Podesten. van-Hool-eigenen Fertigung. Im Heck muss man schon recht hoch steigen, um darauf Platz nehmen zu können. Doch meist sitzt dort das Jungvolk, das damit wenig Probleme hat. Vorne in seiner Kanzel genießt der Fahrer erhöht auf einem Podest den souveränen Rundumblick aufs Verkehrsgeschehen. Den Blick in die Außenspiegel erleichtert die großzügige Verglasung der Front mit ihren grazilen A-Säulen. Der Chauffeur selbst ist gut untergebracht auf einem ordentlichen Isri-Fahrersitz mit reichlich Platz für die eigenen Utensilien. Griffgünstig findet er alle Bedienelemente intuitiv und ohne große Einweisung. Das Armaturenbrett unseres Testfahrzeugs entspricht nicht den Ansprüchen des deutschen Marktes, für diesen bietet van Hool den VDV-Arbeitsplatz mit pneumatisch verstellbarem Lenkrad und Armaturenträger. Hat der van Hool seinen Fahrer bislang noch nicht für sich eingenom- ➤ Bus-Fahrt 01/2004 - Stünings Medien GmbH, Krefeld - www.busfahrt.com B7 TEST Van Hool A330 TECHNISCHE DATEN Maße und Gewichte Gesamtlänge Gesamtbreite Gesamthöhe mit Klimaanlage Radstand vorderer Überhang hinterer Überhang Wendekreis Innenhöhe Einstiegshöhe vorn und Mitte Einstiegshöhe Heck Leergewicht 11.995 mm 2.550 mm 2.985 mm 5.790 mm 2.715 mm 3.490 mm 21.700 mm 2.300 mm 318 mm 328 mm 11.250 kg Testgewicht 17.140 kg zul. Gesamtgewicht 18.000 kg Motor: wassergekühlter MAN-Reihensechszylinder D 0836 LOH 02 mit Turboaufladung und Ladeluftkühlung, links stehend im Heck, zwei Ventile pro Zylinder, abgasarm nach Euro 3, Hubraum 6.871 cm3, Bohrung/Hub 108/125 mm, Nennleistung 206 kW/280 PS bei 2.400 U/min, maximales Drehmoment 1.100 Nm bei 1.400 bis 1.700 U/min Kraftübertragung: Getriebeautomat Voith 854.3 mit integriertem Retarder, elektronische Regelung. Achsübersetzung i ≠ 6,20 Fahrwerk: Vorderachse: starre Faustachse van Hool SV2PVS, zwei Luftfederbälge, zwei Stoßdämpfer, Stabilisator. Hinterachse: angetriebene Niederflur-Portalachse Typ ZF AV 132, vier Luftfederbälge, vier Stoßdämpfer. Reifen: Michelin 275/70R 22,5 XZU Bremsanlage: Zweikreis-Druckluft-Bremssystem, Scheibenbremsen an allen Achsen, Dauerbremse hydraulischer Primärretarder, gestängelose Federspeicher-Feststellbremse auf Antriebsachse. Lenkung: hydraulische Kugelumlauflenkung Typ ZF Servocom 8098. Heizung/Lüfung/Klima: Frontheizgerät mit 17 kW, Standheizung Webasto Thermo 300 (25.000 kcal/h), Standardbeheizung mit thermostatisch gesteuerten Dachheizgeräten (2 x 22 kW), Seitenwandkonvektoren optional; Klimaanlage Carrier Sütrak AC 136; Belüftung über drei elektrische Dachluken und Klappfenster. men, so gewinnt er seine Sympathien durch die ausgewogenen Fahreigenschaften. Den Lenkbefehlen folgt der 12-m-Bus spontan und leichtfüßig. Engstellen werden ohne Kraftaufwand und zielsicher bewältigt. Hohe Bremsleistung bietet die pneumatische Betriebsbremse mit Scheibenbremsen an beiden Achsen, sie fordert zwar nur geringe Pedalkräfte, dafür aber viel Gefühl im rechten Fuß. Auf geB8 Links stehend im Heck der kleinvolumige MAN-Reihensechszylinder mit 280 PS Nennleistung und 1.100 Nm Drehmomentmaximum – darüber angeordnet die Motorkühluung. ringen Pedaldruck passiert nur wenig, auch der integrierte Retarder verlangsamt nur sehr zögerlich, um dann aber mit aller Macht zu bremsen. Der sonst so gelungene Belgier hätte ein elektronisches EBS-Bremssystem mit linearem Bremskraftaufbau verdient, doch der Hersteller möchte hier noch warten. Die Voraussetzungen für EBS sind bereits vorhanden, das Fahrzeug und seine Komponenten kommunizieren mit MultiplexTechnik. Technisch bietet der Belgier nur wenige Überraschungen, doch das Gebotene verrät fachkundige Feinabstimmung. Einbaulage und Bauart des MAN-Motors sind neu – trotz Turmlösung mit innen liegenden Revisionsklappen dringt der Antriebsschall nur dezent ins Innere. In Sachen Innenraumgeräusche dominieren ohnehin die Abrollgeräusche der Reifen, die über nicht ganz dichte Innenschwenktüren nach innen schallen. Selbst bei Tempo 80, wenn der Motor mit 2.000 Umdrehungen zur Sache kommt, werden es im Heck nicht mehr als 73 Dezibel. Der verwendete MAN-Triebling, nicht gerade als Leisetreter bekannt, beschleunigt den mit 17.140 kg beinahe voll ausgelasteten Zweiachser mit Nachdruck, gerade recht für enge Fahrpläne. Bus-Fahrt 01/2004 - Stünings Medien GmbH, Krefeld - www.busfahrt.com Der 6,8-l-Diesel harmoniert prächtig mit dem Viergang-Getriebeautomat von Voith. Aus dem Stand bemüht der Getrieberechner den kleinvolumigen Hochleistungsmotor nur kurz mit höheren Drehzahlen im Wandlerbetrieb, um schon rasch mit Tempo 50 und 1.200 Umdre- Viele Komponenten stammen von renommierten Lieferanten, doch die technologische Konzeption wird wie immer inhouse entwickelt. hungen in der vierten Fahrstufe zu rollen. Die Abstimmung mit extrem langsamer Achse (i = 6,2) und Overdrive im höchsten Gang macht sich auch im Verbrauch positiv bemerkbar. Im Stop and Go des Stadteinsatzes bleibt der 18-Tonner voll besetzt unter der magischen Zahl von 50 l/100 km, moderat über Land bewegt konsumiert der MAN-Sechszylinder durchschnittlich 23 Liter auf 100 Kilometer. Der belgische Niederflurbus rollt gediegen wie ein Reisebus von Haltestelle zu Haltestelle. Die Verarbeitung der Inneneinrichtung passt in dieses Bild, hier kann sich der Van Hool-Bus mit je- ➤ TEST Van Hool A330 MESSWERTE Unser Kurs orientiert sich an regulären Einsätzen, wie sie in Großstädten anfallen: mit verkehrsreichen Straßen, einer Vielzahl von Haltestellen, stetigem Beschleunigen und Abbremsen – auf 2 x 26,2 km kommen 72 Stopps. Verbrauch Stadtlinienkurs 2x26,2 km Stadtlinienkurs (2 x 26,2 km) bei Ø 22,7 km/h 49,3 l/100 km Handlingskurs 22,4 l/100 km Strecke bei 80 km/h 30,3 l/100 km (oben) An der Tankstelle die Quittung: Der Antriebsstrang sorgt für hohe Fahrleistungen und günstige Verbräuche. (unten) Klare Bedienoberfläche am Fahrer-Arbeitsplatz des französischen Testfahrzeugs – für den deutschen Markt ist die VDV-Lösung vorgesehen. Testverbrauch gesamt gefahrene km Verbrauch Ø 171,2 km 39,5 l/100 km Fahrdynamik Beschleunigung 0 – 50 km/h 0 – 60 km/h 11,1 s 14,9 s 0 – 80 km/h 38,1 s Innengeräusche dem europäischen Wettbewerber messen. Die Struktur der Karosserie ist steif, nichts windet sich oder klappert vor sich hin. Anerkennung findet auch das Fahrwerk, das bei Langsamfahrt einen beträchtlichen Abrollkomfort und ausreichend Federweg bietet – bei schneller Gangart auf unebenen Fahrbahnen kommt keine Unsicherheit auf, doch deftige Querfugen quittiert der van Hool jetzt Für Wartungs- und Reparaturarbeiten stehen Kunden die MAN-Niederlassungen zur Verfügung. mit entschiedenem Poltern. An der Vorderachse findet sich keine Einzelradaufhängung, sondern die hauseigene Starrachs-Lösung Verwendung, die an zwei Längsblattfedern geführt wird. Der StabiB 10 lisator an der Vorderachse hat die Rollneigung um die Hochachse sicher im Griff. Als Antriebsachse moniert van Hool die Niederflur-Portalachse von ZF, wie sie in den meisten Produkten des Marktes zu finden ist. Hier montieren die Belgier bis auf Weiteres die bewährten Zwillingsräder, das Experiment mit der Single-Bereifung überlassen sie anderen Häusern. Doch was nützt das beste Produkt, wenn es niemand kennt? Die van-HoolStrategen schütteln selbstbewusst den Kopf. „Qualität und ein gutes Preis-/Leistungsverhältnis setzen sich langfristig durch“, sagt Yves Goffin, der Public-Relations-Manager des Herstellers. Wer zufrieden ist, gibt seine Erfahrungen weiter. Zwar gibt es in Deutschland mittlerweile eine Reihe von überzeugeten van-HoolKunden, die nicht nur an dier belgischen Grenze sitzen. Doch es könnten durchaus mehr sein. Deshalb hat der belgische Bus hersteller sein Engagemant auf dem deut- Bus-Fahrt 01/2004 - Stünings Medien GmbH, Krefeld - www.busfahrt.com bei 50 km/h Front Mitte Heck bei 80 km/h Front Mitte Heck 65,3 dB(A) 68,1 dB(A) 70,9 dB(A) 69,6 dB(A) 69,3 dB(A) 73,5 dB(A) Wetter 6° C, Regen, leichter Wind Ø = Durchschnitt schen Markt jüngst mit einem Gebietsverkaufsleiter verstärkt. Auch die Servicefrage gilt als gelöst – für Wartungs- und Reparaturarbeiten wenden sich VanHool-Kunden vertrauensvoll an die MANNiederlassungen. Damit setzt van Hool seinen Fuß in die Tür zum deutschen Markt. Ob der Aufwand reicht, wird die Zukunft zeigen. An den Produkten liegt es nicht, der A330 und seine Brüder haben das Zeug zum Erfolg. WOLFGANG TSCHAKERT
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