wo die wilden kerle gärtnern

PORTRAIT
WO DIE WILDEN
KERLE GÄRTNERN
Weltenbummler, Familienvater, Segelweltmeister und Unternehmer: Dass
sein Leben langweilig wäre, lässt sich über Ernst Bieri nicht sagen. Im thurgau­
ischen Münchwilen führt er einen Produktions­ und Gartenbaubetrieb, der
ähnlich facettenreich wie seine Persönlichkeit ist. Text und Bilder: Judith Supper
Die Grossackerstrasse in Münchwilen ist eine typische Strasse in einem Schweizer Dorf. Einfamilienhäuser, immergrüne Hecken, in den Einfahrten solide
Familien-Pkws. In der Ferne rauscht die A1. Wer
durch das Quartier fährt, ahnt nicht, dass sich hier
ein Mikrokosmos mit Pflanzenspezialitäten aus der
ganzen Welt verbirgt. Seit 22 Jahren ist Ernst Bieri,
ehemaliger Hochseeskipper und Segelweltmeister,
hier als Gartenbauer selbstständig, vor sieben Jahren kam die Gärtnerei dazu. Individualität mit einer
Prise Unangepasstheit, das alles mit einem hohen
Anspruch an gute Benimmregeln, das zeichnet sein
Unternehmen aus.
Von der Pinne an den Spaten
Der «Maître général» empfängt in kurzen Hosen
und Flip-Flops. So unangepasst, wie sich Ernst Bieri
gibt, sind auch seine Äusserungen. «Das Geldsystem
Ernst Bieri hat den Kurs für sein Unternehmen gesteckt: «In den
nächsten Jahren soll meine Gärtnerei zum Kompetenzzentrum für
Pflanzen in der Ostschweiz werden.»
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macht uns krank», zum Beispiel. Oder: «Ich treffe
immer wieder auf Autokraten, die nur aus Prinzip
funktionieren.» Oder: «Überstunden versuchen wir
zu vermeiden. Der Gärtnerjob ist hart genug, meine
Leute brauchen ihren Feierabend.» Und nein, gelernter Gärtner ist er auch nicht, sondern Forstwart.
Dennoch hat er seine Mitarbeiterzahl in den letzten
sieben Jahren verdreifacht und arbeitet mit international renommierten Gartendesignern wie Gabriella
Pape von der Königlichen Gartenakademie in Berlin
zusammen.
«Ich kann mit den Leuten reden»
Die Garten Bieri AG in ihrer aktuellen Form existiert
seit 2009. 1994 hatte der damals 29-Jährige zusammen mit einem Kollegen ein eigenes Gartenbauunternehmen gegründet. Schon zu diesem Zeitpunkt
– da war er bereits mehrfach um die Welt gesegelt,
hatte geheiratet, war Vater eines Sohns geworden –
hätte Ernst Bieri einen Lebenslauf schreiben können,
der seinesgleichen sucht. Mit 25 Jahren hatte er bei
Grolimund Gartenbau angeheuert, wo er die Weiterbildung zum technischen Kaufmann machte. Die
Gartenpraxis hatte er «by doing» erlernt: Indem er
dem besten Polier unterstellt gewesen war. «Ich kann
mit den Leuten reden und bin wissbegierig.» 2008
kam die Gärtnerei auf dem ehemaligen Installationsplatz für die A1 dazu, ehemals Betrieb der Ernst
Sumser Gärtnerei und Gartenbau. «Münchwilen als
Standort ist ideal», so Ernst Bieri. Aufgrund der Autobahnanbindung ist die Bautätigkeit in der hinterthurgauerischen Agglomeration gesichert, die Aufträge
führen den Unternehmer bis nach Norddeutschland
oder ins Burgenland.
Der Knigge ist unverzichtbar
Die Saat für den Kundenstamm, über deren Namen
er sich ausschweigt, legte er bereits zu seiner Zeit als
Hochseeskipper. Die erreichte ihren Höhepunkt in
den drei Weltmeistertiteln, die der heute 50-Jährige
zwischen 2000 bis 2010 in der 8-Meter-Segelklasse
gewann. Aber das möchte er eigentlich gar nicht erwähnt haben. Er war bei einem König zu Gast und
zählt einige namhafte Personen, deren Vertrauen er
sich über die Jahre erarbeitet hat, zu seinen Kunden.
Egal ob in Damenstiefel, Teekännchen oder Kochtöpfe gepflanzt, jeder Quadratmeter der Gärtnerei lässt die Faszination für Pflanzen erahnen. Auf einer Produktionsfläche von 10 000 Quadratmetern wird ein spezielles Sortiment
aus Stauden, Rosen, Wasserpflanzen und Gehölzen kultiviert.
Doch das alles kam nicht von irgendwoher, sondern
ist Ergebnis der Bieri-eigenen Unternehmensphilosophie, die dem guten Benehmen einen hohen Stellenwert einräumt. Ein Gärtner müsse sich wie ein guter
Butler verhalten: Präsent sein, ohne aufzufallen. «Er
muss einfach wissen, wie er sich zu benehmen hat.
Ich würde den Knigge in die Ausbildung nehmen, sie
ist viel zu technisch.»
15 Mann und eine Frau im Bieri-Boot
Wenn Ernst Bieri sagt, dass er den Erfolg des Unternehmens seinem Team verdanke, dann spricht aus
ihm der Segler. Segeln ist der Teamsport schlechthin.
Was macht eine Mannschaft erfolgreich? Wohin geht
die Reise, kann man sich aufeinander verlassen, wie
ist die Kommunikation? Wichtigstes Auswahlkriterium für die Mitarbeitenden ist daher, dass sie ins Team
passen. Fachliche Wissenslücken können über Weiterbildungen geschlossen werden; nur die Weiterbildung zum technischen Kaufmann, die ist zwingend.
«Meine Leute müssen wissen, wie man mit schmaler
Gewinnmarge wirtschaftet.» Als Grünpflegespezialist
steht Obergärtner Markus Grill am Ruder, offizieller
Wasserpflanzenpapst ist René Gubler, in der Planung navigiert Nicolas Nef und der gelernte Gärtner
Jérôme Jöhl ist auch schon seit 20 Jahren an Bord.
Ihnen allen sind weitere Gärtner und Auszubildende
beigestellt. Als einzige Frau in der rein männlichen
15-köpfigen Crew hält Nicole Scheidegger administrativ die Fäden zusammen.
Geranium im Damenstiefel
Leiter der Gärtnerei ist Pflanzenexperte Andreas
Wildner. Sein Reich besteht aus 2300 Pflanzenarten
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auf einer Produktionsfläche von 10 000 Quadratmeter, darunter Raritäten wie die Kletternde Herzblume (Dicentra scandens), Ramie (Boehmeria tricuspis
und nivea), gelblaubige Karamelbeere (Leycesteria
formosa ’Gold Leaf’), Ksenija-Phlox (Phlox paniculata
Herbstfeuer
6. Pflanzen-Spezialitätenmarkt bei Garten Bieri in Münchwilen
Samstag, 29. August, 9 bis 16 Uhr
Diesen August wird zum sechsten Mal in der Gärtnerei Bieri ein Markt
stattfinden. Wer Einblick in die Gärtnerei möchte, sich am geschäftigen
Markttreiben erfreuen will, Geselligkeit in der Festwirtschaft sucht oder sich
einfach für Schätze aus dem Pflanzenreich interessiert, wird am 29. August
auf seine Kosten kommen.
Weitere Aussteller: Fawer Staudenkulturen (spezielle und rare Stauden,
Pfingstrosen) Eschmann Pflanzen (Steingartenpflanzen, Stauden), Baumschule Gehrig (Spalier-, Hausbäume), Blattgrün (Schattenstauden, Gräser, Farne), Roland Bollinger (Hostas), Eulenhof Staudengärtnerei (Zier-,
Wildstauden, Heilpflanzen, Essig, Kräutersalze), Flechtatelier Ursula Probst,
H2Obele (Moorpflanzen, Orchideen, Karnivoren), Staudendesign Stefan
Bänziger (Herbststauden, Astern, Gräser), Durscher Feinkost GmbH (Genuss-Spezialitäten), Jardin fines herbes (Kräuter, Wildfrüchte), LavendelFarm (Lavendelprodukte), Bee Family (Honig), Franziska’s Kreativ-Atelier
(Nähkunst), Associazione Vivaio (Gehölze), Matthias + Simeon Burri (Holzkunsthandwerk), Brigitte Werder (Betonkugeln und -schalen)
Staudengärtner und Pflanzenexperte Andreas Wildner im Gespräch mit dem
Lernenden Gärtner EFZ Lovis Egli. Insgesamt 16 Mitarbeitende zählt das
Unternehmen, aufgeteilt in die Bereiche Gartenbau und Gärtnerei.
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’Ksenija’), winterharten Begonien oder Prachtscharten wie Liatris ligulistylis, Liatris pycnostachya oder Liatris aspera … Andreas Wildner kann auf ein schönes
Mutterpflanzensortiment zurückgreifen und bereist
alljährlich die Spezialitätenmärkte, um das Sortiment
zu erweitern. Bei der Auswahl hat er freie Hand. Und
auch die Präsentation der Pflanzen – in Senkbeete
eingelassen, auf Paletten drapiert, in Backformen,
Mülleimern, Kochtöpfen, Damenstiefel gepflanzt –
geht auf sein Konto. «Ich lasse ihn einfach machen»,
sagt Ernst Bieri. «Und freue mich, wenn ich beim
Gang durch den Garten wieder auf eine originelle
Bepflanzungsidee stosse.»
Der Kurs ist gesetzt
Ernst Bieri plant, seine Gärtnerei in den nächsten
Jahren zum Ostschweizer Kompetenzzentrum für
Pflanzen werden zu lassen. «Wir sind schon nah
dran», sagt der 50-Jährige. Dieses Ziel zu erreichen,
davon werden ihn auch wirtschaftliche Untiefen
oder ungünstige Franken-Euro-Wechselkurse nicht
abhalten. Und was ist mit den wirtschaftlichen Veränderungen seit Anfang des Jahres? «Denen gebe
ich keine Macht.» Als Lebenskünstler konzentriert
er seine Energie auf das Hier und Jetzt. «Früher hatte
ich 1000 Überstunden im Jahr. Heute nicht mehr.
Es gibt Dinge, die nicht mit Geld bezahlt werden
können.»