Wassertherapie – Mythos oder Märchen

Wassertherapie: Mythos oder Märchen
Die Faszination des Wassers hat die Menschheit wahrscheinlich seit ihrem Ursprung
beschäftigt. Auf der einen Seite ist es das Erleben der verschiedenen physikalischen
Zustände über den Jahreszyklus, Wasser als Regen, Quelle, Fluss, oder
gigantisches Meer, dann als Wolke oder Nebel und schlussendlich als fester
Bestandteil, Eis und Schnee. Andererseits besticht das Wasser durch seinen
Geschmack, Geruch seine besondere Farbe und seine Temperatur. Wasser ist aber
auch Kraft, hat das Anzeichen der Beständigkeit und der Ewigkeit. Die Kraft des
Wassers versorgt uns jeden Tag mit Energie aus der Steckdose, über Jahrmillionen
hat es uns unter anderem die Taminaschlucht geschaffen, durch steten Fluss wurden
die Felsen abgeschliffen, die Mineralsalze ausgelöst und es fliesst und fliesst, ohne
Ende. Ohne Wasser ist Leben undenkbar, Wasser ist lebensnotwendig, jeder
Mensch muss täglich mindestens einen Liter Wasser zu sich nehmen. Bei einem
Wasserverlust zwischen 0,5 und 3 % bekommt man Durst. Nimmt der Mensch kein
Wasser zu sich, so stirbt er innerhalb von 3-4 Tagen an einer Exsikkose oder
sogenannten Austrocknung.
Betrachtet man die Bedeutung in der Mythologie, so hat das Wasser verschiedenste
Bedeutungen. Die Sintflut ist die Strafe Gottes für den Sündenfall. Wasser wird als
ein alles vernichtendes Element dargestellt, nur die Auserwählten werden überleben.
Die Welt wird durch das Wasser gereinigt, von allem Bösen, und für den Neubeginn
vorbereitet. Es ist Sinnbildlich, dass das Ende der Sintflut mit dem Regenbogen
dargestellt wird, einem Symbol der Verbindung und Versöhnung zwischen Himmel
und Erde, interessanterweise nutzen auch chinesische Mythologien das Symbol des
Regenbogens mit gleicher Bedeutung.
Auch Venus, die Göttin der Liebe, Schönheit, und sinnlichen Begierde wird in
Verbindung mit Wasser dargestellt. Aus dem Meer geboren, gilt sie als rein. Sinnlich
bedeutet sich dem angenehmen Erleben hingeben. Heute wird sinnlich gerne auf
eine besondere Art der Sexualität reduziert, was sicherlich nicht der mythologischen
Bedeutung entspricht, diese aber keinesfalls ausschliesst. Vielmehr ist das Erleben
des Wassers in seiner Wärme und des Fliessens etwas sinnliches, indem unsere
Gefühls- und Wärmerezeptoren in der Haut stimuliert werden. Kinder und
Erwachsene lieben es in einem Fliessgewässer zu stehen, der Whirlpool wird als
etwas wohltuend empfunden.
Das Christentum zeigt in seiner Symbolik einen ausgeprägt Bezug zum Wasser. Die
Taufe Jesu versinnbildlicht die Vergebung der Sünden, es ist ein reinwaschen von
etwas, was einem befallen hat. Die Symbolik der Taufe hat sich bis heute erhalten,
das Kind wir von der Ursünde befreit. Auch das Judentum braucht das Taufbad um
sich von der Ursünde reinzuwaschen. Eine ähnliche Bedeutung hat das Bad im
Ganges im Buddhismus, nur wer die Schuld wegwäscht, dem ermöglicht sich der
Neubeginn.
Die reinigende Wirkung des Wassers spiegelt sich im 5 maligen Waschen der
Hände, Arme, des Gesichts und der Füsse vor dem Gebet im Islam, dem Mikva
(rituelles Tauchbad) vor dem Besuch des Tempels der Juden. Die fünfmalige
Reinigunsprozedur im Islam hat wahrscheinlich auch eine hygienische Bedeutung
und ist in seiner frühen Form der Überlieferung einzigartig.
Betrachte man die mehr gesundheitlichen Aspekte der des Badens, so hatten diese
in den griechischen und römischen Kulturen einen hohen Stellenwert. Wasser wird
sowohl zur Reinigung, aber auch zur Gesundheitsförderung und Behandlung bei
Gesundheitsstörungen eingesetzt. Wasser wird in Warmer wie auch kalter form
verabreicht. Hippokrates benutzte kalte Güsse bei Rheuma, Gicht und kalte Wickel
bei Fieber. Galen favorisierte Thermalbäder zur Behandlung von Rücken- und
Kopfschmerzen, bei Müdigkeit, Lungenentzündungen und zur Anregung der
Urinsekretion. Bei den Römern wurden in den Bädern erstmals Gymnasien erbaut, in
welchen sich die Badenden auch körperlich ertüchtigen konnten. Gerne bauten sie
die Bäder auch in der Nähe ihrer Garnisonen, um die Wunden der Krieger zu
behandeln. Es gibt auch Überlieferungen welche zeigen, dass besonders die
Gladiatoren mit Wasserübungen ihre Verletzungen behandelten. Wahrscheinlich
waren die Römer die ersten, welche das Wasser in Form einer Bewegungstherapie
nutzten.
Das frühe Mittelalter war gekennzeichnet durch zunehmende Christianisierung,
Schmutz und Seuchen. Baden war verpönt, ja wurde gar angeprangert wegen der
damit verbundenen Nacktheit. Beten und Predigt galten als wichtige Werte. Erst im
13. Jahrhundert n.Chr. erlebte das Baden eine Renaissance. Gebadet wurde über
10-12 Stunden bis die Haut mit Geschwüren übersät war den sogenannten
Hautfressern. Die Krankheit wurde so aus dem Körper gewaschen. Begleitet wurde
diese Prozedur durch Aderlasse, Schröpfen und Trinkkuren. Es entstand ein neuer
Beruf; der Baders. Vielerorts wurde aber auch der Geselligkeit hohen Stellenwert
beigemessen. Im alten Bad Pfäfers wo Paracellsus im Jahr 1535 als Badearzt wirkte,
wurde wegen dem beschwerlichen Zugang an 6-7 Tagen nur mit einer Nacht Ruhe
dazwischen gebadet. Paracellsus beschrieb damals schon die noch heute gültigen
Indikationen für eine Behandlung im Wasser.
Parallell zu den medizinischen Hintergründen des Badens begleiten noch immer
mystische Gedanken das Baden. Das Wasser dient als Qualle des ewigen Lebens,
welches man erreichen möchte und welches verbunden ist mit ewiger Jugend. Die
Jugend hat hier die Bedeutung des Schönen, der Kraft und des Gesund seins.
Es gab aber auch kritische Stimmen in dieser Zeit. Die Sitten des Badens waren den
Klöstern zusehends ein Dorn im Auge. So schreibt Michael Toxites, ein Arzt des
Klosters Trutprecht im Schwarzwald 1571 in Nachdruck von Paracellsus Bäderbuch,
dass unsachgemässe Badeanwendungen oft mehr Schaden anrichte als dass geheilt
würde. In seiner Kritik kann auch gelesen werden, dass Baden alleine keinen Nutzen
zeige.
Im 19. Jahrhundert kommt es durch den Österreicher Vincenz Priessnitz und den
deutschen Sebastian Kneipp zu einer radikalen Wende in der Philosophie der
Wasseranwendungen. Das Wasser wird nun kalt, es dient der Abhärtung und
Stimulation. Wasser wird in verschiedensten Formen wie Wickel, Güsse,
Wassertreten und Schwimmen verabreicht. Bewegung kommt in die Behandlung,
ergänzt werden die Kuren durch Diät und Klistiere.
1930 entsteht unter Sir Alister Hardy die Wasseraffen Theorie. Die Anhänger dieser
Bewegung glauben, dass der Mensch von Wasseraffen abstamme. Sie begründen
dies, dass der Aufrechte Gang unnatürlich sei, weil er sehr viel Energie benötige um
gegen die Scherkraft anzukämpfen. Die verlängerten unteren Extremitäten wären
mehr Flossen und das Fettgewebe unter der Haut welches sich von den Affen
unterscheidet, sowie die grösstenteils haarfreie Haut entsprechen einem
Wasserwesen als wie einem Landwesen. Auch der Tauchreflex, gekennzeichnet,
dass der Atem angehalten wird, wenn man unter Wasser taucht, welcher beim
Säugling vorhanden ist sprechen für ihre Theorie. Mit dieser Theorie wären alle die
mystischen Überlegungen zu verwerfen, denn damit wäre eine genetische Affinität
zum Aufenthalt im Wasser gegeben.
Eintauchen ins Wasser haben Auswirkungen auf den menschlichen Körper. Durch
die physikalischen Kräfte wird die Herzarbeit erhöht, dass Herzschlagvolumen steigt
an bei gleichzeitiger Reduktion der Herzfrequenz. Die Arbeit für das Atemsystem wird
ebenfalls erhöht und die Nierentätigkeit angeregt. Die Kraftentwicklung im Wasser ist
unverändert zu derjenigen an Land, trotzdem ist im Wasser die EMG Aktivität
geringer. Die Kraftentwicklung für vergleichbare Bewegungen im Wasser und Land
sind abhängig von der Geschwindigkeit grösser oder geringer und das Gehen im
Waser unterscheidet sich von demjenigen an Land, für einen Schritt braucht man
doppelt so lange, man benötigt eine grössere Vorlage und die Bodenreaktionskräfte
sind reduziert.
Systematische Untersuchungen der Ergebnisse wissenschaftlicher Studien zeigen,
dass Wasseranwendungen bei Arthrose, Fibromyalgie, Rückenschmerzen und M.
Bechterew gewisse Verbesserungen zeigen im Vergleich zu keiner Behandlung. Es
gibt keine Beweise, dass Baden im Mineralwasser effektiver ist als wie in
Leitungswasser.
Die moderne Wassertherapie wurde weitgehend in den Kliniken Valens, Bad Ragaz
und später auch in Nijmegen entwickelt. Die zeichnet sich dadurch aus, dass nicht
einfach Übungen vom Land ins Wasser übertragen werden. Die physikalischen
Eigenschaften werden genutzt, um spezifische Interventionen durchzuführen. Zudem
haben sich in den vergangenen 15 Jahren die Forschungen in der Wassertherapie
akzentuiert, die Systematik und die Qualität haben sich deutlich verbessert. In einer
Studie welche in den Kliniken Valens, in Zusammenarbeit mit der Universität Bern
durchgeführt wurde, konnte gezeigt werden, dass die Wassertemperatur bei
Patienten mit Multipler Sklerose einen Einfluss auf die Leitungsgeschwindigkeit der
Nerven hat. Thermosensitive Patienten sollten daher auf keinem Fall in warmem
Wasser therapiert werden.
In einer weiteren Studie in den Kliniken Valens wurde untersucht, ob ein Training im
Wasser einen Einfluss auf Entzündungsmediatoren und regenerative Enzyme bei
Patienten mit Multipler Sklerose hat. Die Ergebnisse zeigten, dass bei einem
moderaten Ausdauertraining ein Enzym, welches bei Reparaturprozessen im
Zentralnervensystem beteiligt ist ansteigt.
Ebenfalls zeigte eine koreanische Studie, dass eine Therapie im Wasser Das
Gleichgewicht bei Schlaganfall Patienten deutlich verbessern kann und sich auch die
Kniekraft entsprechend gebessert hat.
Eine systematische Literaturstudie hat gezeigt, dass Wassertherapie bei Patienten mit Knie und
Hüftgelenksarthrose eine in etwa vergleichbare Wirkung hat wie eine Behandlung mit
Medikamenten.
Wassertherapie in unserem modernen Verständnis muss aktiv und in genügender Intensität
durchgeführt werden. Passive Therapie alleine hat einen gewissen gesundheitlichen Nutzen dieser
wurde in der Vergangenheit jedoch stark überbewertet. Bis in die Moderne war die Wassertherapie
vom Mythos der heilenden Kraft geleitet. Nicht die Anzahl der Jonen im Wasser ist wichtig, der Erfolg
hängt mehr von der Anzahl der Behandelnden Therapeuten ab.
Urs N. Gamper
Cheftherapeut
Kliniken Valens