Alan L. Kolata, Ancient Inca. Cambridge, New York, Melbourne

Rezension von Karoline Noack ([email protected])
Alan L. Kolata
Ancient Inca. Case Studies in Early Societies. Cambridge, New York usw.: Cambridge University Press
2013
Mit dieser Publikation bietet der Archäologe Alan L. Kolata einen neuen Überblick über den Inka-Staat.
Wer über die Inka schreibt, sieht sich immer wieder vor die Aufgabe gestellt, ihren rasanten Aufstieg
als neue politische Macht in den Anden zu erklären. Die Inka hatten einen Staat geschaffen, der in
seiner Ausdehnung über die anderer früher Staaten Amerikas, wie der Tolteken, Azteken oder der
Stadtstaaten der Maya, weit hinausging. Doch nicht nur die Erklärung dafür ist Kolata wichtig, sondern
es geht ihm auch darum, das Wesen der sozialen Macht der Inka zu verstehen. Wie haben die Inka
„Macht“
wahrgenommen?
Welche
Glaubensvorstellungen,
materiellen
Objekte,
sozialen
Beziehungen, ökonomischen Strategien und politischen Instrumente wandten die Inka an, um ihre
Macht auszudehnen und zu konsolidieren? Dies sind die grundsätzlichen Fragen, die sich Kolata in
seiner Geschichte der Inka stellt. Damit unterzieht er sich als Autor einem ungewöhnlichen Vergleich
– nämlich mit Francisco de Toledo, dem Vizekönig von Peru (1569-1581), und dessen Plan, die InkaMacht zu verstehen – in diesem Fall, um sie beseitigen zu können. Folglich beginnt Kolata die
Geschichte der Inka mit der Enthauptung des letzten freien Inka-Herrschers Tupa Amaru zu erzählen,
den Toledo 1572 genau 40 Jahre, nachdem die Spanier in Peru angekommen waren, hinrichten ließ.
Tupac Amarus Vater Manco Inca hatte sich nach Vilcabamba zurückgezogen, wo ein Rest-Inka-Staat
überleben konnte. Doch auch der endgültige Fall des Inka-Staates genügte den Spaniern immer noch
nicht. Toledo ordnete vielmehr an, sämtliche materiellen und mit sozialer Macht aufgeladenen Objekte
zu zerstören, darunter die Herrschaftsinsignien der Inka.
Das Buch ist in sieben Abschnitte gegliedert. Vier Kapitel behandeln mit der sozialen, ökonomischen,
moralischen (damit bezieht sich der Autor auf Religion und Spiritualität) und politischen Ordnung die
Grundstrukturen der Inka-Gesellschaft. Dem Einstieg folgt ein umfangreicher theoretischer Abschnitt,
in dem der Verfasser in die elementaren Formen sozialer Macht einführt. Dabei stützt er sich auf so
unterschiedliche Autoren wie John Scott, Michel Foucault, Max Weber und Antonio Gramsci. Für die
Inka relevant ist gewiss die grundsätzliche Unterscheidung zwischen interpersönlicher Macht
vorstaatlicher Formen, wozu z.B. das Konzept der charismatischen Autorität Webers gehört, und der
institutionalisierten Macht des Staates im hegemonialen Prozess der politischen Expansion. Um
wiederum zu erklären, wie Hegemonien entstehen, führt Kolata die Begriffe der laminaren und
strategischen viralen Hegemonie ein, die er begrifflich noch weiter ausdifferenziert. Laminare
Hegemonie meint das Aufzwingen von Herrschaftsprinzipien, während mit dem Konzept der viralen
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Hegemonie eine staatliche Strategie beschrieben wird, um Menschen als „Staatsbürger“ durch die
Herstellung von Konsens mit den Zielen dieses Staates einzubeziehen. Wie sich im Laufe der Lektüre
zeigt, sind diese Konzepte für ein besseres Verständnis der Inka-Gesellschaft nicht geeignet. Nicht alle
genannten Begriffe entsprechen den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen der Inka.
„Staatsbürgerschaft“ auf die Inka anzuwenden beispielsweise mutet recht anachronistisch an, handelt
es sich doch dabei um ein an den Nationalstaat und die Herausbildung repräsentativer Demokratien
gebundenes Konzept. Die Anwendung von „Nation“ und „Staatsbürgerschaft“ auf die Inka wie im 6.
Kapitel scheint wenig fundiert und ist sehr problematisch. Darüber hinaus gebraucht der Autor die von
ihm eingeführten Begriffe selbst nur recht marginal auf die ethnohistorischen und archäologischen
Befunde. Auch weitere theoretische Grundlagen, auf die sich der Autor bezieht, wie z.B. die
evolutionistischen Ansätze von Sir Henry Maine, sind wissensgeschichtlichen Strömungen, die mit dem
Wissen über die Inka nur schwerlich in Übereinstimmung zu bringen sind.
Im 2. Kapitel werden neben der Quellengrundlage knapp und übersichtlich die archäologischen
Vorgängerkulturen der Inka behandelt. Ein Überblick über die neuesten archäologischen Forschungen
in ihrem Kernland Cuzco und Umgebung wird ebenfalls vorgestellt. Im 3. Kapitel geht es um die
Verwandtschaftsstrukturen als eine Form der sozialen Ordnung. Die grundsätzliche soziale
Organisation des ayllu wird vorgestellt. Die ist eine Gruppe von miteinander verbundenen Familien mit
gemeinschaftlichem Landeigentum und einem gemeinsamen Vorfahren, die, wenn auch in
veränderter Form, heute nach wie vor existiert. Vom ayllu als Grundeinheit leitet Kolata die soziale
und räumliche Organisationsform der Inka-Herrscher in den 10 panacas Cuscos, den „königlichen
ayllus“, her. Neuere Forschungen gehen allerdings davon aus, dass die panacas und die „königlichen
ayllus“ keine Synonyme darstellen, sondern unterschiedliche, nach Geschlechtern organisierte Formen
der Organisation. Darüber hinaus gibt Kolata einen Überblick über vier grundlegende Formen
abhängiger sozialer Gruppen im Inka-Staat, deren Angehörigen besondere ökonomische, politische
und auch geschlechterspezifische Funktionen innehatten. Im 4. Kapitel beschreibt der Verfasser mit
den Land-, Arbeits- und den sozialen Produktionsbeziehungen die ökonomische Ordnung der Inka. Eine
solche Gliederung in unterschiedliche strukturelle Ordnungen ist von den Inka selbst nicht
vorgenommen worden, wie der Autor zurecht betont. Die Wirtschaft war eng mit dem Sozialen, der
Verwandtschaft, der Religion und dem Politischen verbunden. In diesem Kapitel geht es vor allem um
die Politische Ökonomie der Inka, d.h. um die Grundlagen der Produktion, die Verteilung der Produkte
sowie um den Konsum als Basis der biologischen und kulturellen Reproduktion der Gesellschaft. Zu
erfahren ist, wie die Inka die landwirtschaftliche und handwerkliche Arbeit in ihren ökologisch und
klimatisch stark diversifizierten Territorien mit Hilfe der Arbeitspflicht (mit’a) organisierten. Die
Abschöpfung der Mehrarbeit war der Schlüssel des Wohlstands sowohl der ayllus als auch des InkaAdels. Das Straßennetz, das ebenfalls im Rahmen der mit’a gebaut wurde, wurde zu einem wichtigen
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Integrationsfaktor des Inka-Staates. Die Religion als „moralische Ordnung“ ist Gegenstand des 5.
Kapitels. Ein zentrales Konzept ist dabei die Landschaft als Quelle der Spiritualität der Inka. Religion ist
vom alltäglichen Leben der Menschen nicht zu trennen. Die natürlichen und die sozialen Welten waren
durch unterschiedliche Formen der Kommunikation eng miteinander verbunden. Die Schnittflächen
zwischen diesen beiden Welten werden als wak’a bezeichnet, ein Konzept, das zusammen mit den
komplexen Glaubensvorstellungen und Praktiken die religiösen Erfahrungen der Menschen in den
ayllus und den panacas der Inka-Herrscher durchdrang. Ein ähnliches Konzept ist camay, worin die
Belebtheit jeglicher materiellen Realität zum Ausdruck kommt. Religion ist eng mit der politischen
Ordnung verbunden, wie im 6. Kapitel deutlich wird, in dem es um das Herrschertum und die
Verwaltung des Staates geht. Der Verfasser argumentiert hier gegen die vielfach vorhandenen
Vorstellungen von einem totalitären, jedoch aufgeklärten Staat der Inka. Beides trifft keinesfalls für die
Inka zu, wie Kolata zurecht betont. Das 7. Kapitel des Buches, überschrieben mit „Zerstörung der Inka“,
erzählt detailliert die Ereignisse um die spanische Eroberung und wie diese durch den Bürgerkrieg
begünstigt wurde, den die zwei Söhne des Inka-Herrschers Huayna Capac, Atahualpa und Huascar, um
die Nachfolge ihres Vaters führten.
Abgesehen von den genannten Einschränkungen handelt es sich um ein umfassendes, kenntnisreiches,
anschaulich geschriebenes Buch, das den aktuellen Forschungsstand zu den Inka wiedergibt. Das Lesen
wird erleichtert durch zahlreiche Abbildungen, Zeichnungen und Karten im Text. Zu bemerken ist
jedoch eine gewisse Diskrepanz zwischen den theoretischen Passagen und der Darstellung der
empirischen Befunde. Wünschenswert wäre eine stärkere Einbeziehung der Ergebnisse der
archäologischen Forschung gewesen, die ja nicht nur im Kernland der Inka um Cuzco, sondern auch in
den zum Inka-Staat gehörenden Provinzen durchgeführt wird.
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