70 | TRENDSCOUT md SPECIAL WELCOME TO PARADISE Die Popodusche auf dem Vormarsch FRISCH GEDUSCHT AUS DEM WC Eine in Europa noch immer irritierende asiatische Zutat zur westlichen Toilette, beginnt sich durchzusetzen. Thomas Edelmann beleuchtet ein Tabuthema. Politisch ist das Thema allemal: “Entscheiden goldene Toilet- 1980 führte der japanische Hersteller Toto ein Produkt ein, ten die Türkei-Wahl?”, titelte kürzlich eine Boulevardzeitung. das er ‘Washlet’ nennt und das die herkömmlichen FunktioEin Oppositionspolitiker hatte behauptet, der türkische nen von Toilette und Bidet miteinander kombinierte. Erst seit Staatspräsident habe sich in seinen neuen Palast vergoldete 2009 ist die Firma in Europa aktiv. Toilettensitze einbauen lassen. Dieser konterte, gäbe es dort tatsächlich goldene Klos, wolle er sofort zurücktreten. Ver- VORREITERROLLE DER HOTELS mutlich wusste auch er: Wahrer Luxus in Sachen Toilette besteht längst nicht mehr aus vergoldetem Zubehör. So glänzte Aus dem Dusch-WC à la Toto wurde mittlerweile ein Techbeim G7-Treffen im Mai des Jahres in den Bädern von nikwunder, mit etlichen Komfort- und Zusatzfunktionen wie Schloss Elmau Retreat nicht etwa protziges Gold, sondern beheizbarem Sitz, Duschen für hinten und vorn, mit und bescheidene weiße Badkeramik, allerdings in Form luxuriös ohne Massagefunktion, Trockner sowie Soundmodul, das ausgestatteter Dusch-WCs der japanischen Firma Toto. Die Geräusche während der Benutzung übertönt. Auch Düfte Kosten für deren Top-Modell ’Neorest’ lassen sich in be- werden auf Wunsch verströmt. Ein sogenanntes “randloses stimmten Ausstattungsvarianten leicht in den fünfstelligen Design” vermeidet Hohlräume der Keramik, die verschmutBereich treiben; exklusive Installation, die beim Dusch-WC zen könnten. Selbstreinigungsfunktionen umfassen elektrolyderzeit immer auch einen Stromanschluss erfordert. tisch vorbehandeltes Wasser, Beschichtungen, die im Zusam- md | 5.2015 md SPECIAL WELCOME TO PARADISE TRENDSCOUT | 71 Müssen, müssen wir alle. Der Rest ist eine Frage der Haltung: entspannt, introvertiert, elegant oder spontan. Aquarelle von Matteo Thun/Antonio Rodriguez für Axent Switzerland menspiel mit UV-Bestrahlung nach jeder Benutzung für ein die Entwicklung von Architektur und Stadtplanung geworden hygienisches Optimum sorgen sollen. Hinzu kommen die sei. Seine Zusammenschau präsentierte antike Latrinen, UriFernbedienung, ohne die auch auf der Toilette künftig nichts nale des Barock, neueste Entwürfe einer “Diversion Toilet” mehr geht und optional die LED-Beleuchtung, damit man das von Eoos, die feste und flüssige Bestandteile separiert und Luxus-Örtchen auch des Nachts sicher wiederfindet. für Weltgegenden ohne Kanalisation gedacht ist. ErgonomiDer Schweizer Architekturtheoretiker und Kunsthistoriker sche Studien des Bad-Kritikers Alexander Kira, dessen Buch Sigfried Giedion wies bereits 1948 in seinem Buch ’Mechani- “The Bathroom” (1966) einst ein Bestseller war, zeigte Koolzation Takes Command’ (dt. 1982, Die Herrschaft der haas ebenfalls. Auch die Zukunft des Dusch-WCs wurde doMechanisierung) darauf hin, dass Hotels schon immer eine kumentiert: Ein Analyse-Gerät, das unsere Ausscheidungen maßgebliche Rolle bei der Verbreitung häuslicher Bäder und auf Krankheitserreger, Glucose- und Hormonspiegel unterToiletten spielten. Amerikanische Hotels waren es, die in den sucht und die Daten per Internet an wen auch immer komersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts jedem Schlafzimmer muniziert. Schöne neue Toiletten-Welt! auch ein Bad zuordneten, die nötigen Rohrleitungssysteme bündelten und folglich Zimmer mit Bad preiswert vermieten EAST MEETS WEST konnten. Daraus entwickelte sich ein weitgehend standardisierter Grundriss/Raum. Heute dürften Dusch-WCs in Heute wollen wir Wasser sparen, was in gemäßigten Lagen in Luxusherbergen in aller Welt dazu beitragen, dass der Nordeuropa eher überflüssig ist, doch der private WasserWunsch nach Technik und Komfort auch im privaten Umfeld verbrauch stagniert dank moderner Technik vom Einhebelzunimmt. Denn wer das Gefühl von Sauberkeit und Frische mischer bis zur Spartaste am WC. Das Dusch-WC, falls es nach dem Benutzen eines Dusch-WCs einmal kennen sich in Europa durchsetzt, könnte das ändern. Denn es vergelernt hat, mag darauf womöglich nicht mehr verzichten. braucht ein wenig mehr Wasser als konventionelle WCs. Doch dafür könnte es den Verbrauch von Klopapier reduzieFUNDAMENTALE ZONE AUF HÖCHST INTIMEM LEVEL ren helfen. Für massenhaften Einsatz ist das Dusch-WC derzeit allerdings deutlich zu teuer. Ohnehin erhöhen viele FakAuf der Architekturbiennale 2014 in Venedig untersuchte toren die Baupreise, sodass es vorerst nur im lukrativen LuRem Koolhaas in der Ausstellung ‘Fundamentals’, wie sich die xussektor eine Chance haben dürfte. einzelnen gestalterischen Elemente und Bauteile des Hauses Treibende Kraft bei der Etablierung von Dusch-WCs sind im Zuge der Moderne durch Technisierung und Standardisie- derzeit asiatische Hersteller, oft im Zusammenspiel mit eurung wandelten. Er stellte fest, die Toilette sei heute die “fun- ropäischen Partnern. Neu auf dem Markt ist das chinesischdamentale Zone der Interaktion zwischen Menschen und Ar- schweizerische Unternehmen Axent, für das Matteo Thun chitektur, auf höchst intimem Level”. Zugleich erinnerte er und Antonio Rodriguez ‘Axent One’ entworfen haben. Das an die Domestizierung, Privatisierung und Verbreitung der Einsteigermodell der Chinesen versucht, den Markt mit eiToilette und der mit ihr verbundenen hydraulischen Systeme nem preisaggressiven, gut gestalteten Modell aufzumischen, von Wasserver- und Entsorgung, einschließlich riesiger Ka- bei dem die Funktionen mit einem einzigen Knopf reguliernalsysteme, die zum “unausgesprochenen” großen Treiber für bar sind. Zuvor haben beide Designer für Geberit das ‘Aqua- md | 5.2015 72 | TRENDSCOUT md SPECIAL WELCOME TO PARADISE FRISCH GEDUSCHT AUS DEM WC ‘G Serie', das erste Washlet (1980) von Toto. Der japanische Hersteller gilt als Pionier der Intimreinigung. Seitlich der separate Warmwasserspeicher. Auf Knopfdruck oder per Fernbedienung fährt eine WC-Dusche aus. ‘Axent One’ von Matteo Thun für Axent Switzerland. Clean Sela’ gestaltet. Europäer halten herkömmliche WCs für eine in erster Linie westliche Errungenschaft und ignorieren bislang andere Konzepte. Wie kommt das? “Intimhygiene ist in der westlichen Welt immer noch ein Tabuthema”, sagt Matteo Thun, “man spricht nicht darüber. Das Dusch-WC ist in unserem Kulturkreis weitgehend unbekannt und damit auch ungewohnt.” Thun hat sich als Designer nicht nur intensiv mit Wohnwelten zu Hause und im Hotel befasst, er hat immer wieder Elemente zur ästhetischen und funktionalen Verfeinerung des Bads entworfen. Was die Ausstattung und Konstruktion von Toiletten angeht, befand der amerikanischösterreichische Architekt und Kulturtheoretiker Bernard Rudofsky (1905–1988), die Sache sei “viel zu delikat, um sie Installateuren und Gastroenterologen zu überlassen”. Und eine “zufriedenstellende Lösung” sei nicht zu erwarten, “solange wir nicht unsere Gewohnheiten ändern.” Rudofsky propagierte die “Abdankung des Porzellanthrons”, einen weniger verkrampften Umgang mit menschlichen Ausscheidungen und den Notwendigkeiten der Hygiene. Ganz praktisch hieß das bei Rudofsky: “Die Hocke ist die einzig korrekte Stellung für die Entleerung des Darmes.” DETECHNOLOGISIERUNG Moderne Washlets sind elegant verpackt und kaum größer als herkömmliche WCs: ‘AquaClean Mera’ für Geberit. Auch Matteo Thun bezieht sich auf den Kulturkritiker gewöhnungsbedürftiger Technik, die “Einfachheit der Form, Rudofsky. Dessen “Gedanken drehten sich immer darum, es der Funktion – wie auch der Kosten” zu erreichen. dem Menschen in seiner Architektur so angenehm und Noch sind Dusch-WCs in Europa weit davon entfernt, als einfach wie möglich zu machen”. Ein Ansatz, den Thun teilt. unverzichtbarer Standard im Bad zu gelten. Für die nahe Zu“Veränderungen, die den Intimbereich betreffen, brauchen kunft sind nicht allein weitere Luxusvarianten geplant, sonoffensichtlich Jahre bis zur allgemeinen Akzeptanz”, stellt er dern auch Modelle, die ohne Stromanschluss auskommen. fest. So setzt Thuns Designstrategie auf “Detechnologisie- Wir haben die Wahl, ob wir unsere Gewohnheiten oder unrung”. Seine Dusch-WCs sind kein Fetisch, der sich in den ser WC-Technik ändern möchten. Oder beides. Vordergrund drängt. Thuns Ziel ist es, gerade bei Autor: Thomas Edelmann md | 5.2015
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