66 BEZIEHUNGSKNATSCH: ZANKEN – ABER RICHTIG! STREIT CLUB Autor: DANNY BELLENS Fotos: DR. KARL WERNER EHRHARDT , © BERND LEITNER, DAN RACE - FOTOLIA.COM Niemand verliert ein einziges Sterbenswörtchen über den Streit Club. Wenn jemand Stopp ruft oder schlappmacht ist der Streit vorbei. Es streiten jeweils nur zwei. Nur ein Streit auf einmal. Der Streit dauert genau solange wie er dauern muss. Und wie schon gesagt: Niemand verliert ein einziges Sterbenswörtchen über den Streit Club. Fertig – mehr Regeln gibt’s nicht! Interesse an einer Mitgliedschaft? Was soll das heißen – nein? Kommen Sie uns nicht so daher! Oder suchen Sie gar Streit? Vorsicht: Wissen wir doch, wie wir selbigen erfolgreich bestreiten. Schließlich haben wir es gelesen: „Erfolgreich streiten“, das Nachschlagewerk für alle Kampfhähne (und solche, die es werden wollen), die Bibel für gepflegte Streitkultur. Auch bekannt als das Evangelium nach Werner. Ehrhardt. Mentalcoach. Sozialpsychologe. Buchautor. Amen ... „Hinter angeblicher Harmoniesucht versteckt sich in den meisten Fällen mangelnde Kritikfähigkeit am eigenen Ich, was bei Konflikten dann oft dazu führt, dass das Gegenüber auf Grund der Passivität des anderen in Rage gerät, Gift und Galle spuckt, beleidigt, verletzt.“ Werner Ehrhardt PENTHOUSE 11/2013 67 V on wegen Amen! Was soll das überhaupt, ein Ratgeber zum korrekten sich gegenseitig an die Gurgel gehen? Als gläubige Menschen (hier bitte in kollektives Gelächter ausbrechen; dankeschön) lehnen wir von emotionaler Niederträchtigkeit inspirierte Konfrontationen doch ab. Und taumeln wir dennoch per Zufall in ‘nen verbalen Fight rein, halten wir selbstverständlich auch die andere Backe hin. So wie’s uns der von Kreuzschmerzen geplagte INRI-Knabe lehrte! Wir sind harmoniesüchtig – und haben uns alle lieb! Ein Mythos – wie Ehrhardt bestätigt. „Das ist der allergrößte und bitte so schnell als möglich zu beerdigende Irrtum. Versteckt sich hinter angeblicher Harmoniesucht doch in den meisten Fällen mangelnde Kritikfähigkeit am eigenen Ich, was bei Konflikten dann oft dazu führt, dass das Gegenüber auf Grund der Passivität des anderen in Rage gerät, Gift und Galle spuckt, beleidigt, verletzt. Die Folge: Das Ding kann nicht mehr angesprochen werden, gilt fortan als Tabuthema. Zudem speichert das Unterbewusstsein des Aggressors, dass ihm das niemals wieder passieren dürfe, dass aufkommende Wut künftig zu unterdrücken sei, er stattdessen versuchen solle, den Partner nett zu behandeln, ihm entgegenzukommen. 11/2013 PENTHOUSE Wo das hinführt, wissen wir: Nicht umsonst sind allein in Deutschland unglaubliche 71 Prozent aggressiv gehemmt.“ Logisch, irgendwo müssen die emotionalen Krüppel, die einem tagtäglich vor die Schnauze laufen, ihre Vernarbungen ja herhaben. Dabei weiß doch jedes Kind, dass sowohl Freundschaft als auch Beziehung einen Härtetest zu überstehen haben, um als solche überhaupt mal bezeichnet werden zu dürfen: den ersten handfesten Streit. Ehrhardt: „Eine Binsenweisheit, die gerne vergessen oder verdrängt wird. Denn bevor nicht zum ersten Mal die Fetzen flogen weiß keiner, ob mit dem anderen vernünftiges Streiten mit anschließender Versöhnung denn auch möglich ist. Deshalb rate ich, den ersten Streit zu genießen, zu analysieren, wunde Punkte mit dem Partner zu besprechen. Fruchtet das aber nichts und er nützt den nächsten Stunk nur, um auf jene Punkte zielgerichtet einzuschlagen kommt das der Bitte um Beendigung der Beziehung gleich.“ Jetzt geht uns ein Licht auf: Deswegen ist fast jeder dritte Deutsche Single ... 68 BE DRO OM / E r folg re i c h St re it e n Wie du mir, so ich dir Nun aber Butter bei die Fische: Wie es nicht funktioniert wissen wir alle – aber verdammt nochmal, wie streitet man richtig? Die Antwort: Mit „Tit for Tat (TfT)“, der einzigen empirisch nachweisbar erfolgreichen Streitstrategie. Von Robert Aumann und Thomas Schelling entwickelt, mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet (fokussierte sich die Urform von TfT doch auf Analysen zu Wirtschafts- und Handelskriegen), von Ehrhardt verfeinert und ergänzt. „Zu vier bereits bestehenden Punkten fügte ich sechs weitere hinzu, die’s einfach braucht, will man damit praktisch arbeiten.“ Zum besseren Verständnis: „Tit for Tat“ heißt frei übersetzt „Wie du mir, so ich dir“ bzw. „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, Aumann & Schelling deutschten es dagegen mit „Kopiere den letzten Zug des Gegners“ ein. Ja, und hier sind sie – die Top Ten der „Erfolgreich streiten“-Charts: 1. Analysiere die Situation: Handelt es sich um eine Verdrängungssituation, ist es gewollter Kampf oder ein Angebot für eine Kooperation. 2. Beginne grundsätzlich freundlich und ehrlich, sei offen, durchschau- und berechenbar. 3. Dein übergeordnetes Ziel ist, dass alle Beteiligten Gewinner sind. 4. Schlage bei Verrat sofort und angemessen zurück. 5. Frage bei Vermutungen aller Art unbedingt erst einmal nach bevor du reagierst. 6. Entschuldige dich sofort und leiste Wiedergutmachung, wenn du selber eine Vereinbarung gebrochen oder irgendetwas schuldhaft zu verantworten hast. 7. Akzeptiere die Gegenaggressionen anderer. 8. Kommuniziere sowohl das Positive der Beziehung als auch das Konflikthafte der aktuellen Situation. 9. Achte auf die langfristige Ausgeglichenheit des Verhältnisses von Geben und Nehmen. 10. Akzeptiere, wenn ein Partner nicht tit-for-tat-fähig ist und beende die Beziehung. So, jetzt sind wir erleuchtet, wissen um die zehn Gebote fürs Zanken auf Nobelpreis-Niveau. Ob’s funktioniert? Frag nach bei Ehrhardt. „Die Buchungslage meiner FirmenWorkshops ist top, nach Einführung der TfT-Methode sinkt die Zahl unnützer Grabenkämpfe pro Unternehmen zwischen 30 und 50 Prozent.“ Und privat? In einer Beziehung? Auch da scheint’s bestens zu klappen. „Mittlerweile bin ich bereits bei Ehe Nummer 3 und bei dieser Frau sieht’s aus, als würde ich in der Tat an ihr hängen bleiben. Seit 25 Jahren sind wir ein Paar, streiten uns manchmal zwei- bis dreimal am Tag, sind aber noch nie im Stunk eingeschlafen. Dank Tit for Tat, das wir beide leben und beherzigen.“ Glückwunsch. Aber was war mit Frau 1 und 2? „Tja, die erste war nur Spaß, was ich mir aber keinesfalls übel nehmen kann. Die zweite dagegen – das war die große Liebe. Wir waren nur freundlich und nett zueinander, haben alle Konfliktpotenziale unter den Teppich gekehrt bis zu dem Tag, an dem sie zu mir sagte ‚Tut mir sehr leid, doch ich habe dich bereits verlassen’. 24 Stunden später zog sie aus, beim nächsten Gespräch in neutraler Umgebung kriegte ich eine Liste zu hören, was ich alles falsch gemacht hatte. Und das begann so nach dem Motto ‚Als wir uns kennenlernten, zehn Minuten später’. Mit TfT wäre das möglicherweise anders gelaufen. Oder aber auch nicht ...“ PENTHOUSE 11/2013 69 Härtefall: Wenn der Partner nicht mitzofft Weshalb Erhardts zweite Station im Ehehafen vielleicht sogar trotz Tit for Tat gescheitert wäre? Ganz einfach: Die höchste Streitkultur nutzt nix, schaltet der Partner auf stur. „Solche Leute gibt’s reichlich! Die sprechen nie etwas an, halten sich immer bedeckt, verweigern jedweden Dialog – und wenn man denen dann sagt ‘Du, mir reicht’s. Ich beende die Beziehung’ schallt einem häufig ein verdutztes ‘Was, wegen dem? Alles andere ist ja in Ordnung’ entgegen. Beinahe hoffnungslose Fälle, da nur wenige dieser Charaktere Einsicht zeigen, willens sind, streiten zu lernen. Die meisten verharren in ihrer Harmoniesucht, zünden weiterhin klammheimlich die Zweisamkeit sprengende Atombomben, können sich selbst nicht eingestehen, tief drinnen oberaggressive Hunde zu sein. Hat man das Pech, einem Menschen diesen Couleurs in die Arme zu laufen, wird’s früher oder später wohl auf Punkt 10 rauslaufen. Die Beendigung der Beziehung.“ Gut gebrüllt, Werner! Das ist ehrlich, männlich, anders: Haut’s nicht hin, will sie nix kapieren, hauen wir – nämlich sie raus! Herrlich – werden unsere Gattinnen doch ihr blaues Wunder erleben, wenn sie nachhause kommen. Apropos: Wie spät is’ es denn? Mann, wo ist nur die Zeit geblieben? Schnell noch staubsaugen und den Müll raustragen. Sonst wird sie wieder stinkig ... STREITEN – GANZ VERKEHRT Fünf No-Gos beim partnerschaftlichen Zoffen 1. Nicht offen und ehrlich zu sein. Man schluckt runter – und der andere tut’s einem gleich. Das Ende vom Lied: Die Wahrheit bleibt auf der Strecke. 2. Gefühle zu unterdrücken. Wird zumeist ein Bumerang, der an der eigenen Seele kratzt. 3. Die emotionale Explosion nach erfolgtem Wutausbruch schönzureden. Besser ist, auf den anderen zuzugehen, die eigenen Fehler einzugestehen. 4. Einsatz der „Ja und-Technik“. Heißt im Klartext: Die unterschiedlichen Meinungen der beiden Streithähne gegenüberzustellen ohne auf einen Konsens abzuzielen. Er: „Ich sehe das anders als du.“ Sie: „Ja und, ich bleibe bei meiner Haltung.“ Führt zu nix ... 5. Angst vor Spannungen. Hemmt, verunsichert, bringt andere zur Weißglut. 11/2013 PENTHOUSE
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