sommer 2015 magazin für franziskanische kultur und lebensart Wir haben den Hunger satt Es gibt genug für alle! www.franziskaner.de Weitere Themen: Sterbehilfe in Deutschland +++ Franziskanisch leben: Franziskanerkloster Pupping +++ Spiritualität: Wegbegleiter im Alltag 06 Kultur Anregungen und mehr Sommer 2015 Zeitschrift der Deutschen Franziskaner 4 Titelthema Wir haben den Hunger satt »Gebt ihr ihnen zu essen!« 6 14 Debatte Sterbehilfe – »Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen …« 15 Spiritualität Der franziskanische Wegbegleiter im Alltag 17 Theologischer Impuls Kleines theologisches Wörterbuch: Liturgie 21 Franziskanisch leben Die Shalomgemeinschaft im Franziskanerkloster Pupping 22 Unser Kursangebot 26 Berufungsgeschichten Bernd Leopold OFM: Wie ein Weg zu einem anderen Leben führt 27 Hintergrund Nigeria 28 Kunst und Kultur Siegfried Haas – Ein »franziskanischer Mensch« 30 Nachrichten 33 Impressum und Buchverlosung 34 Bruder Germanicus 35 Franziskanerklöster in Deutschland 36 2015 jahr der orden Weltweit begeht die Kirche 2015 »Das Jahr der Orden«. Viele Gemeinschaften nutzen die Aufmerksamkeit, um über die Vielfalt des Ordenslebens zu informieren (www.orden.de/ aktuelles/jahr-der-orden-2015). In diesem Zusammenhang stellen wir in jeder Ausgabe eine »Berufungsgeschichte« (S. 27) vor und erweitern unsere Rubrik »Zum Beispiel« um Porträts »franziskanischer Lebensprojekte« (S. 22–25). Im Franziskanerkloster Pupping hat sich eine Gemeinschaft von Brüdern, Schwestern und Laien gebildet, die versucht, auf den Spuren des heiligen Franziskus und der heiligen Klara ihren Alltag zu gestalten. Ein spannungsreicher und spannender Versuch … 15 22 Franziskanisch Leben 22–25 Der Künstler Siegfried Haas besuchte einst das Franziskanerinternat in Watersleyde. Doch noch im Noviziat wurde ihm das damalige Ordensleben geistig zu eng. Franz von Assisi allerdings prägte ihn und sein Schaffen ein Leben lang. Kultur 30–32 30 Wir haben den Hunger satt: Während wir in Fülle leben, leiden nach neuesten Schätzungen weltweit 795 Millionen Menschen an Hunger – und das, obwohl genug Nahrungsmittel für alle produziert werden! S.2: © wolfgang stahr – laif, © kerstin meinhardt, s.3: © eisisenhans/fotolia Titelthema 6–14 darf man über hunger schreiben? Für mich ist es grotesk, ja fast pervers: Zur gleichen Zeit während ich an meinem Schreibtisch überlege, mit welchen Gedanken zum Thema »Hunger« ich diese neue Ausgabe unserer Zeitschrift einleiten könnte, leiden ungezählte Menschen Hungerqualen oder sterben gar vor Hunger! Hunger ist schrecklich und grausam. Hunger ist ein Skandal. Hunger hat es zwar immer gegeben. Aber Hunger müsste eigentlich nicht sein. Hunger ist von Menschen gemacht. Die Weltgemeinschaft ist dafür verantwortlich, wenn Menschen verhungern. Wir wissen das. Und fühlen uns zugleich überfordert. Wir können »Hungernde speisen«, das haben Menschen zu allen Zeiten der Geschichte getan. Aber den Hunger abschaffen? Auch wenn wir satt sind und wohlgenährt, müssen wir über Hunger schreiben und lesen und nachdenken. Damit wir es nicht für selbstverständlich halten oder ganz vergessen, dass Menschen vor Hunger krepieren. Damit wir etwas tun. Wenn wir ehrlich sind: Hunger ist weit weg von uns. »In Deutschland muss niemand verhungern!«, hört man manchmal. Das stimmt. Und es stimmt doch nicht so ganz. Denn auch bei uns in Deutschland gibt es längst das verbreitete Phänomen der Mangelernährung, etwa in Familien, die von Hartz 4 leben müssen. Da werden Kinder regelmäßig ohne Pausenbrot in die Schule geschickt. Mangelhafte und einseitige Ernährung aber macht krank und führt zu dauerhaften Schäden. In den großen Städten steigt der Bedarf an Suppenküchen, es sind schon lange nicht mehr nur die »klassischen Obdachlosen«, die sich kein warmes Mittagessen leisten können, sondern zunehmend auch ältere alleinstehende Menschen mit schmaler Rente. Das scheint weniger »schlimm« als die Hungersnöte in anderen Teilen der Welt. Aber schlimm ist es dennoch. Und auch hier müssen wir etwas tun. Herzlichen Dank, dass Sie sich mit uns dem Thema »Hunger« stellen. Cornelius Bohl OFM (Provinzialminister) editorial 3 BRUDER THOMAS EMPFIEHLT SIMSme In der Sommerausgabe des letzten Jahres haben wir in unserer Titelgeschichte »Der gläserne Mensch« darauf hingewiesen: Die Nutzung vieler Smartphone-Messenger – etwa von WhatsApp – birgt die Gefahr, dass private Informationen ausgespäht werden. Deshalb habe ich mich auf die Suche nach einer Alternative gemacht, von der ich mir möglichst großen Schutz meiner Privatsphäre und Werbefreiheit erhoffe. Dabei bin ich auf SIMSme gestoßen, den Smartphone-Messenger der Deutschen Post AG. Er wurde in Deutschland entwickelt und auch die Server stehen in Deutschland. Anmeldung und Installation sind schnell erledigt. Außer einem selbst gewählten Passwort fordert SIMSme keine weiteren Berechtigungen. Als Nächstes wähle ich Menschen aus, mit denen ich chatten will, und lade sie ein. Die Garantie, dass sich hinter meinen Kontakten die Menschen verbergen, die ich vermute, wird durch zwei Sicherheitsstufen gewährleistet. Der Chat selbst bietet neben der direkten Kommunikation auch eine Gruppenfunktion. Außerdem kann man Nachrichten in ihrer Lesemöglichkeit beschränken, sodass sie nur bis zu einem bestimmbaren Zeitpunkt übermittelt oder nach einer festgelegten Zeit gelöscht werden. Das Programm ist kostenfrei und für iOS und Android erhältlich. Ein Wermutstropfen ist der noch kleine Nutzerkreis von SIMSme. Doch das könnte sich ja vielleicht bald ändern. Weitere Informationen findet man im Internet unter www.simsme.de Bruder Thomas Abrell OFM (50) arbeitet als Referent in der franziskanischen Bildungsstätte Haus Ohrbeck bei Osnabrück. mit Franziskus Unterwegs Der Franziskanische Pilgerweg Bensheim Der franziskanische Pilgerweg im südhessischen Bensheim an der Bergstraße verbindet die natürliche Schönheit der Umgebung mit dem Sonnengesang des heiligen Franziskus. Zehn Stationen mit den Strophen des Sonnengesangs laden zum Verweilen ein. Tau-Zeichen auf dem Weg führen durch die reizvolle Landschaft mit Weinbergen und bewaldeten Höhen. Ausgangspunkt jeder Wanderung ist die Klara-Kapelle in der Franziskanerkirche inmitten der malerischen Altstadt von Bensheim. Darmstadt ein E35 Rh bensheim A67 A5 Mannheim 4 kultur Heidelberg Länge: Fünf Kilometer mit gut begehbaren sanften Steigungen und einem kurzen, aber relativ steilen Hohlweg nach Station 7. Der Pilgerweg ist kein geschlossener Rundweg, für den Rückweg bieten sich mehrere Alternativen an (PKW, Bus, Fußweg). Zeitbedarf: Einzelpersonen benötigen rund zwei Stunden, Gruppen (mit Führung) etwa dreieinhalb Stunden. Anforderung: Für Kinderwagen ist der Weg geeignet. Rollstuhlfahrer sollten geübt und in Begleitung sein. Informationen: Alle Details zur Wegstrecke sind in einem handlichen Pilger-Begleitheft enthalten, das kostenfrei in der Franziskanerkirche erhältlich ist: Franziskanerkloster, Klostergasse 5, 64625 Bensheim, Telefon: 0 62 51 23 90, E-Mail: [email protected] > www.franziskaner-bensheim.de NEU ERSCHIENEN Bruder Rangel kocht Niklaus Kuster OFMCap Sprechende Zeichen: Ein Papst macht Geschichte(n) Die Versteigerung einer Harley Davidson, die Geburtstagsfeier mit Clochards, das schweigende Beten an der Trennmauer zwischen Israel und Palästina: Von Anfang an hat Papst Franziskus für Überraschungen gesorgt und bei vielen Gläubigen die Hoffnung auf einen neuen Frühling in der Kirche geweckt. Paulusverlag Academic Press, Fribourg (CH) 2015, 120 Seiten, 16,80 Euro, 978-3-722-80864-2 Nähen für Syrien – Eine Initiative für Menschen in Not Sommersalat mit Petrusfisch Zum Fest des Apostels Petrus am 29. Juni bietet sich bei schönem Wetter ein sommerlicher Grillabend mit frischem Gartensalat und Fisch an. Petrus war Fischer, und im Evangelium wird mehrmals erwähnt, dass die Jünger mit Jesus Fisch aßen. In Tiberias am See Genezareth war das nichts Außergewöhnliches, sondern die Mahlzeit der einfachen Leute – ein einfaches und gut schmeckendes Essen. Zubereitung Zutaten für vier Personen • 1 Kopfsalat • 1 Salatgurke Als die Nachrichten aus Syrien immer schrecklicher wurden, beschloss Ingeborg Hamisch, den notleidenden Menschen zu helfen. Ihre Idee ist einfach – doch sie funktioniert: Die ausgebildete Fachlehrerin für Textilgestaltung setzte sich an die Nähmaschine und begann zunächst aus Stoffresten kleine Dinge wie Hüllen für Smartphones und Bücher oder Schlüsselbänder herzustellen. Später kamen weitere, größere Näherzeugnisse hinzu. Die Erlöse aus dem Verkauf reicht Ingeborg Hamisch zu 100 Prozent an Werner Mertens OFM weiter. Der Franziskaner leitet das »Kommissariat des Heiligen Landes« in Werl und hält Kontakt zu den Klöstern in der Krisenregion. Dort versuchen die Brüder, die Menschen mit Essen und Medikamenten zu unterstützen. Jeder Euro hilft also unmittelbar, das Leid in Syrien zu lindern. Infos und Spendenkonto: > www.heilig-land.de Und schauen Sie doch auch mal auf der Homepage von Ingeborg Hamisch vorbei. Vielleicht finden Sie dort ein Geschenk, mit dem sie gleichzeitig einen kleinen Beitrag zu dieser tollen Initiative leisten können. > www.naehen-fuer-syrien.de • 2 Tomaten • Frische Petersilie • Gartenkräuter • Balsamico-Essig • Olivenöl • 4 kleine Buntbarsche oder alternativ Forellen • 2 Zwiebeln Zwiebeln und Petersilie grob zerhacken. Die Fische sorgfältig waschen, innen und außen mit Zitronensaft beträufeln und auf ein großzügiges Stück Aluminiumfolie legen (die Folie leicht auffalten, damit nichts abläuft). Dann mit Zwiebeln und Petersilie bedecken, zwei Esslöffel Olivenöl darübergießen und mit einer Prise Salz würzen. Die Folie nun ganz um den Fisch wickeln und gut verschließen. Zwölf Minuten grillen (Gluthitze, keine Flammen!), nach der Hälfte der Zeit wenden. Alternativ im vorgeheizten Backofen bei 200° Celsius etwa 20 Minuten backen. Zuletzt Tomaten und Gurken in Scheiben schneiden, Kopfsalat zerkleinern. Mit Balsamico, Olivenöl, einer Prise Salz und Gartenkräutern anmachen, mit dem Fisch anrichten und servieren. • 2 Zitronen bruder rangel geerman ofm (41) wurde auf Aruba (Niederländische Antillen) geboren und lebt in Megen in den Niederlanden. Von Beruf ist er Krankenpfleger. Er bekocht die Brüder und die Gäste des Klosters und engagiert sich in der Jugendarbeit. Mehr als die Hälfte der weltweiten Ernte landet im Tank, im Trog oder in der Tonne statt auf dem Teller. Die gute Nachricht: Wenn wir weniger wegwerfen, weniger Fleisch essen und weniger Agrarsprit in unsere Autos füllen, dann ist genug für alle da! »Der Maßstab für Fortschritt ist nicht, wie viel wir dem Überfluss derjenigen hinzufügen, die ohnehin schon genug besitzen, sondern ob es uns gelingt, denjenigen, die zu wenig besitzen, das zu geben, was sie zum Leben brauchen.« Diese Einsicht des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, der kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges starb, zeugt von der Hoffnung auf eine bessere Zukunft für alle Menschen, die mit der Gründung der Vereinten Nationen verbunden war. Legt man Roosevelts Worte zugrunde, fällt der Fortschritt der Weltgemeinschaft in den letzten 70 Jahren sehr bescheiden aus. 6 titelthema Ende Mai veröffentlichte die Welternährungsorganisation FAO (Food and Agriculture Organization) ihre aktuellsten Schätzungen zum Hunger in der Welt. Im Jahr 2014 litten demnach 795 Millionen Menschen an Unterernährung. Trauriger Spitzenreiter ist Indien mit 194 Millionen Hungernden. Weltweit kommen weitere zwei Milliarden Menschen hinzu, die aufgrund mangelhafter Ernährung ohne die notwendige Menge an Proteinen, Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen vom sogenannten »stillen Hunger« betroffen sind. Jedes Jahr sterben mehr Menschen an Unter- und Mangelernährung als an AIDS, Malaria und Tuberkulose zusammen. Das Menschenrecht auf Nahrung wird weltweit so oft verletzt wie kein anderes. Dabei bekannten sich die gerade erst gegründeten Vereinten Nationen schon mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Jahr 1948 zum Recht auf Nahrung. Es ist in Artikel 3 mit dem Recht auf Leben und in Artikel 5 mit dem Recht auf einen die Gesundheit und das Wohl gewährenden Lebensstandard verankert. Seit im Jahr 1976 insgesamt 162 Staaten den »Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte« unterzeichneten, gilt der Zugang zu ausreichender, gesunder und bezahlbarer Nahrung in diesen Ländern auch als bindendes Völkerrecht. s. 6: © great divide photography – shutterstock, s 7 unten: © fiedels – fotolia, s7 portrait: misereor Wir haben den Hunger satt Im Jahr 2000 verständigten sich die Vereinten Nationen auf acht gemeinsame Entwicklungsziele für die Menschheit. Vor allem anderen sollte der Anteil der Armen und Hungernden bis 2015 im Vergleich zu 1990 um die Hälfte reduziert werden. Wenige Monate vor Ablauf dieser Frist verkündet die Welternährungsorganisation FAO, dieses Ziel zwar nicht gänzlich zu erreichen, jedoch große Fortschritte erzielt zu haben. Vor allem dank des Wirtschaftswachstums sei die Zahl der Hungernden seit 1990 weltweit um 216 Millionen gesunken. gesenkter grenzwert – weniger hungernde!? Grundlage für die Berechnung der Hungerstatistik ist die Menge an Kalorien, die ein Mensch am Tag mindestens zu sich nehmen muss. Bis 2012 galt ein erwachsener Mensch dann als unterernährt, wenn er ein Jahr lang im Schnitt weniger als 2.100 Kilokalorien pro Tag zur Verfügung hatte. Diese Grenze senkte die FAO später auf 1.880 Kilokalorien. Sie begründete dies mit einer verbesserten Datengrundlage und legte im Gegensatz zu vorher nun einen »bewegungsarmen Lebensstil« zugrunde. Entwicklungsorganisationen wie »Brot für die Welt« und »FIAN – Food First Informations- und Aktionsnetzwerk« kritisieren die »schöngerechneten« Zahlen der FAO. Sie halten die Aussagen über Fortschritte bei der Hungerbekämpfung in erster Linie für politisch motiviert. In jedem Fall macht das Beispiel deutlich, wie manipulierbar und letztlich begrenzt aussagekräftig solche globalen Statistiken sind. Pirmin Spiegel, katholischer Priester und Hauptgeschäftsführer des Bischöflichen Hilfswerkes Misereor, kommt mit Blick auf die UN-Millenniumsziele zu einem gemischten Urteil: »Es gibt Länder wie China und Brasilien, die Armut und Hunger um mehr als die Hälfte reduziert haben, wenngleich mit einem Wirtschaftsmodell, das wenig tragfähig ist. Aber es gibt auch Länder, wo viel weniger geschehen ist. Insgesamt sollten wir uns nicht zu sehr an die Zahlen klammern, denn es bleibt ein Skandal, dass noch so viele hungern. Gerade beim Hunger wird sehr deutlich, dass wir mit einer absoluten Priorisierung des Ökonomischen und des Wachstums leben. Dies führt zu Diskriminierung und Verteilungsungerechtigkeit. In der Agrarpolitik heißt das konkret, dass in unserer industriellen Landwirtschaft vielfach die Gewinnmaximierung im Vordergrund steht und nur noch wenige große Player das Geschäft von der Saat bis zur Vermarktung beherrschen. Dann wird von ›Welternährung‹ gesprochen, aber de facto geht es um Sicherung von Märkten und Zugang zu Rohstoffen. Die Agrarmodelle, die unter dieser Überschrift durchgeführt werden, nützen dann wenigen und schaden oft sehr vielen und zementieren Hunger und Elend in dieser Welt.« Lassen Sie sich nicht für dumm verkaufen. Informieren Sie sich! Zum Beispiel in dem Buch »Harte Kost – Wie unser Essen produziert wird« (ISBN 978-3-453-28063-2). Dort wird zum Beispiel beschrieben, wie die Welternährungsorganisation FAO mit einem simplen Rechentrick den Hunger einfach kleinrechnet und dies als Erfolg verkauft . problemlöser: industrialisierte landwirtschaft? Schon lange tobt ein Richtungsstreit darüber, wie die zehn Milliarden Menschen ernährt werden können, die voraussichtlich schon um die Mitte des Jahrhunderts auf unserem Planeten leben werden. Für die einen ist klar, dass nur durch weitere technische Innovationen in einer industrialisierten Landwirtschaft ausreichend Lebensmittel für alle erzeugt werden können. Dazu gehören unter anderem genetisch manipuliertes Saatgut, um Getreidepflanzen gegen extreme Wetterbedingungen infolge des Klimawandels zu wappnen; Kunstdünger, der von computergesteuerten Landmaschinen direkt an den Wurzeln der Pflanzen platziert wird, sowie neue Pestizide zur Bekämpfung von Unkräutern, Insekten und Pilzen, die Ernten gefährden. Kritiker sehen gerade in der industriellen Landwirtschaft eine Gefahr für Mensch und Natur: Durch den hohen Energie- und Wasserverbrauch sei sie auf Dauer unwirtschaftlich, Monokulturen und die Reduzierung auf immer weniger Nahrungspflanzen gefährdeten die Biodiversität, der Einsatz mineralischer Kunstdünger und chemischer Pestizide vergifte Gewässer und zerstöre auf Dauer die Fruchtbarkeit der Böden. Tatsächlich verschwinden durch Erosion, Versalzung und ähnliche Prozesse jedes Jahr weltweit zehn Millionen Hektar Ackerboden. Lust, Freunde zu einem besonderen Kinobesuch einzuladen? Der Dokumentarfilm »10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?« läuft derzeit in ausgewählten Kinos, zeigt Alternativen auf und macht Mut zum Handeln. www.10milliarden-derfilm.de titelthema 7 nicht der mangel, die verteilung ist das problem! Wer gemeinsam mit Familie und Freunden Salat und Gemüse sät, pflegt und erntet, gewinnt wieder ein Gefühl für den Wert seiner Lebensmittel und hilft gleichzeitig, Ressourcen zu schonen Etwa 98 Prozent aller unter- und mangelernährten Menschen leben in Entwicklungsländern, ein Viertel allein in Afrika. Vom Hunger am stärksten betroffen sind ausgerechnet diejenigen, die den größten Teil zur Ernährung der Menschheit beitragen. Rund 450 Millionen kleinbäuerliche Familienbetriebe mit jeweils höchstens zwei Hektar Land erzeugen mehr als die Hälfte unserer Nahrung. Nach aktuellen Schätzungen steht ihnen dafür aber nur noch etwa ein Viertel der weltweiten Anbaufläche zur Verfügung. Große Agrarfirmen und Investoren eignen sich immer mehr Land in Afrika und Asien an, das vor allem für den Konsum in den Industrienationen genutzt wird. Gen-Soja aus Südamerika für unser Rindfleisch, Palmöl aus Indonesien für unsere Industrieprodukte, Rosen aus Afrika für unsere Blumenläden – all das entzieht den Menschen vor Ort die Lebensgrundlage. kleinbäuerliche betriebe sind der schlüssel! Franziskaner engagieren sich für das Menschenrecht auf Nahrung. Ganz praktisch geschieht dies zum Beispiel durch die Unterstützung der Familienlandwirtschaftsschule Manoel Monteiro in Brasilien durch die Franziskaner Mission. Die Aufnahme zeigt Jugendliche, die in der Landwirtschaftsschule die Grundlagen einer biologisch nachhaltigen Landwirtschaft und ihre Rechte als Kleinbauern und Landbesitzer kennenlernen. Besonders wichtig ist auch die politische Arbeit von Franciscans International (FI) bei den Vereinten Nationen (UN). Einer der Arbeitsschwerpunkte der Nichtregierungsorganisation der Franziskaner bei der UN in Genf und New York ist das Thema »Extreme Armut«. 8 titelthema Es ist inzwischen weithin anerkannt, dass gerade die Millionen Kleinproduzenten und Kleinproduzentinnen für die Welternährung eine Schlüsselrolle einnehmen. Dieser Erkenntnis trägt auch die Sonderinitiative »Eine Welt ohne Hunger« des deutschen Entwicklungsministers Gerd Müller, CSU, Rechnung. Durch zehn sogenannte »Grüne Innovationszentren« sollen vor allem in Afrika und Asien Einkommen kleinbäuerlicher Betriebe gesteigert und Beschäftigung im ländlichen Raum geschaffen werden, heißt es aus dem Ministerium. »Wir begrüßen es sehr, dass Entwicklungsminister Müller die Ernährungssicherheit zu einem seiner Schwerpunkte macht und die Frage der nachhaltigen Bodennutzung durch Kleinbauern dabei ein zentraler Baustein ist«, sagt der Hauptgeschäftsführer des bischöflichen Hilfswerks Misereor Pirmin Spiegel. Doch es gibt auch Anfragen. »Insbesondere das Projekt der Grünen Innovationszentren kritisierten wir, weil es nicht bei dem Bedarf von Kleinbauern ansetzt, nicht auf Wissensverbreitung und Trainings von Kleinbauern und ihren lokalen Bedingungen setzt. Dahinter steht ein altes, verengtes Verständnis von Innovation, nämlich dass größere Unternehmen oder Konzerne Technologien zur Verfügung stellen, und damit die Probleme der Kleinbauern lösen.« s. 8 oben: © norgal – fotolia, s. 8. links: © franziskaner mission-archiv, s 9 oben: © reuters, s. 9 unten: © aluxum – fotolia Es gibt aber vor allem ein gewichtiges Argument gegen die These, dass nur eine Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität den Hunger besiegen könne: Mangel ist nicht die Hauptursache des Hungers. Nach Angaben der FAO werden momentan etwa 5.000 Kilokalorien pro Mensch und Tag erzeugt. 2.000 würden ausreichen – sie müssten nur jedem Einzelnen zugänglich sein. Auf über einem Viertel der weltweiten Ackerfläche wachsen Nahrungsmittel, die nie gegessen werden. Sie landen im Abfall, verderben beim Transport oder durch schlechte Lagerung, werden untergepflügt, an Tiere verfüttert oder in Agrarsprit und Biogas umgewandelt. Die breite Masse der Kleinbauern könne sich solche Technologien nicht leisten, gibt Spiegel zu bedenken. »Viele von denen, die es versuchen, müssen sich verschulden oder überlasten ihre fragilen Ressourcen, statt ihre Produktion auf nachhaltige, lokal angepasste Weise zu steigern. Es geht dabei immer auch um die Frage der Ernährungssouveränität, das Subjektsein der Bauern, und die Möglichkeit, die Kontrolle über die eigene Tätigkeit nicht aufzugeben. Die Grünen Innovationszentren setzen auf die Einbindung der afrikanischen Bauern in Wertschöpfungsketten, die von größeren Firmen durchorganisiert sind. Dort werden eine Kapitalausstattung und aufwändige Managementpraktiken vorausgesetzt, was nur für maximal 10 Prozent der Bauern eine Option ist, und nicht für den großen Teil. Bei diesen anderen, ärmeren 90 Prozent müsste angesetzt werden, die sollten gefördert werden. Es gibt da so viele gute Geschichten zu erzählen, auch durch Projektpartner von Misereor. Aber wir sind gemeinsam mit Minister Müller dran. Er sagt: Lasst uns doch auch mit den anderen Ideen experimentieren.« die vielfalt lokaler ernährungssysteme stärken! Der Hunger in der Welt kann nicht allein durch wohltätige Hilfe überwunden werden. Auch eine bloße Steigerung der Produktion von Weizen, Reis, Mais und Soja, die direkt oder indirekt 75 Prozent unseres gesamten Kalorienbedarfs decken, wird nicht ausreichen. Entwicklungsorganisationen fordern stattdessen, mehr Menschen in ländlichen Räumen den Zugang zu Nahrung zu ermöglichen – entweder durch die notwendigen Produktionsmittel oder ein ausreichendes Einkommen. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der Rolle der Frauen. Die Welternährungsorganisation FAO schätzt, dass allein ein besserer Zugang für Frauen zu Bildung, Gesundheit und Produktionsmitteln die Zahl der Hungernden um bis zu 150 Millionen Menschen senken könnte. Welche Lebensmittel wir kaufen, ist nicht egal! Lebensmittel der Saison vom Wochenmarkt oder aus dem Gemüseabo stärken regionale Erzeuger und vermeiden unnötige Transportwege und Verpackungen. Indien: Wie ernährt man 1,3 Milliarden Menschen? Mit einem Wirtschaftswachstum von 7,5 Prozent wird Indien schon dieses Jahr China als die am stärksten wachsende größere Volkswirtschaft der Welt ablösen. Gleichzeitig leiden nirgendwo mehr Menschen an Hunger als auf dem indischen Subkontinent, wo jedes dritte unterernährte Kind dieser Welt lebt. Dabei produziert das Land oft Überschüsse und unterhält seit Jahrzehnten ein staatliches Verteilsystem mit subventionierten Lebensmitteln für seine Armen. Korruption, Willkür und eine ineffiziente Verwaltung machen viele dieser Anstrengungen zunichte. Bis zur Hälfte der Lebensmittel sollen in der Vergangenheit verschwunden sein, bevor sie verteilt werden konnten. Im September 2013 erweiterte die damalige indische Regierung das bestehende Versorgungssystem durch das Gesetz zur Ernährungssicherung (National Food Security Act, NFSA). 800 Millionen Inderinnen und Inder – fast 70 Prozent der Bevölkerung – haben einen gesetzlichen Anspruch auf eine tägliche Ration Getreide. Das größte Ernährungsprogramm der Welt verspricht außerdem allen Kindern in staatlichen Schulen bis zum 14. Lebensjahr sowie allen schwangeren und stillenden Müttern eine warme Mahlzeit am Tag. Doch grundlegende Probleme wie die seit Jahren andauernde Krise der Landwirtschaft werden auch durch das neue Gesetz nicht gelöst. Ein gesetzlicher Mindestpreis für den staatlichen Ankauf von Getreide, der Millionen indischen Kleinbauern helfen würde, ist darin nicht enthalten. Die franziskanische Menschenrechtsorganisation Franciscans International (FI) befürwortet das Gesetz dennoch, kritisiert aber, dass die Randgruppen der indischen Gesellschaft von dem Gesetz bislang kaum profitiert hätten. Der Kapuziner A. J. Matthew OFMCap, Präsident der Assoziation der Franziskanischen Familien in Indien (AFFI), sagte in einer gemeinsamen Presseerklärung mit Franciscans International: »Das Wachstum unserer Gesellschaft liegt nicht in der schnellen Verbesserung eines sozioökonomischen Systems, das einigen, mehreren, vielen oder sogar den meisten dient. Es liegt in einem ganzheitlichen Wachstum, das niemanden ausschließt. Das ist das Verständnis von Wachstum im Evangelium und zugleich die radikale franziskanische Botschaft.« Pirmin Spiegel, der Hauptgeschäftsführer des Bischöflichen Hilfswerks Misereor, ist selbst auf einem Bauernhof aufgewachsen. Er berichtet von einem Projektbesuch in Manila: »Dort hat man gesagt, dass heute durch die lokale Produktion von Kleinbauern und informelle Märkte schon über die Hälfte der Menschen ernährt wird. Es geht nicht nur darum, mehr zu produzieren, sondern es geht um die Vielfalt lokaler Ernährungssysteme – das eigene Dorf, die eigene Kommune, der eigene Kreis, und zwar nicht nur mit den Grundnahrungsmitteln. Es wird ja viel auf die Produktion von Getreide gesetzt. Aber wir brauchen mehr Hülsenfrüchte, Obst und Gemüse, um eine gesunde, ganzheitliche Ernährung zu fördern. Ich bin überzeugt, dass dies Reichtum für eine zukunftsfähige Landwirtschaft ist. Wir sind mit Misereor in 600 Projekten im Bereich der Landwirtschaft und Ernährung tätig – denn der eine globale Hungerskandal kann nur über die Vielfalt der unterschiedlichen Ernährungssysteme gelöst werden.« »weiter wie bisher« ist keine option! Für uns heute mag es nur eine Geste des guten Willens sein, ein Akt der Solidarität oder auch bloß ein schicker Trend, vegetarisch oder vegan zu leben. Aber schon in wenigen Jahrzehnten könnten wir gezwungen sein, unsere Ernährung radikal zu verändern. »Echtes« Fleisch vom Rind oder Schwein könnte wieder zu einem Luxusartikel werden – so, wie es jahrhundertelang gewesen ist. Manche Experten glauben, dass vor allem Insekten einen wesentlichen Baustein der Welternährung darstellen könnten. Sie sind reich an Eiweiß, wertvollen Fettsäuren und Mineralien. Ihre Aufzucht verbraucht außerdem deutlich weniger Ressourcen als heutige Proteinquellen. Obst und Gemüse könnten in Zukunft immer seltener auf dem Acker, sondern in vertikal angelegten HochhausFarmen angebaut und geerntet werden. In dichtbesiedelten Ländern wie Südkorea oder Singapur, die kaum noch über fruchtbare Ackerflächen verfügen, hat diese Zukunft schon begonnen. Die Kapazitäten der Weltmeere haben ihre natürliche Grenze teilweise schon heute erreicht. Neuartige Konzepte für Aquakulturen sollen deshalb auch in Zukunft die Versorgung mit Fisch und Meeresfrüchten ermöglichen. Eines scheint jedenfalls sicher: Ein »Weiter wie bisher« ist keine Option, wenn wir den Hunger in der Welt besiegen und gleichzeitig die natürlichen Ressourcen der Erde bewahren wollen. andré madaus (43) ist Redakteur der Zeitschrift Franziskaner und lebt in Ingelheim. 10 titelthema Früher war Fleisch etwas Besonderes. Kann es das wieder für uns werden? Fleisch, das auf einem Hektar Acker produziert wurde, ernährt zwei Menschen, während der Anbau von Getreide oder Gemüse auf derselben Fläche bis zu neun Menschen satt macht. Wenn Fleisch auf den Teller kommt, dann sollte es von solchen Tieren sein, die ohne importierte Futterstoffe vom Bauern in der Region artgerecht gehalten werden. s. 10 oben: © picture-alliance/ dpa, unten: mara zemgaliete – fotolia, s. 11: picture alliance / abaca © Hunger ist gemacht! Hungernde Menschen sind ein Verbrechen! Weitere Informationen im Netz: www.fian.de Food First Informations- und Aktions-Netzwerk für die Verwirklichung des Menschenrechts auf Nahrung www.foodwatch.org Verbraucherschutzorganisation für das Recht aller Menschen auf eine ausgewogene Ernährung www.tasteofheimat.de Netzwerk von Verbrauchern und Erzeugern für regionale und saisonale Lebensmittel www.zugutfuerdietonne.de Informationen und Tipps des Ernährungs- und Landwirtschaftsministeriums zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen »Wir brauchen einen Aufstand des Gewissens« Interview mit Jean Ziegler Mit dem provokanten Titel »Wir lassen sie verhungern« hatte der langjährige UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Nahrung (2000– 2008) Jean Ziegler viel Staub aufgewirbelt. Seine zentrale Botschaft: Der Hunger in der Welt ist menschengemacht – und jedes an den Folgen von Unter- und Mangelernährung sterbende Kind wird ermordet. In seinem soeben erschienenen Buch »Ändere die Welt – Warum wir die kannibalische Weltordnung stürzen müssen« fordert er uns nunmehr auf, alle unsere Möglichkeiten als Bürger, Konsumenten und nicht zuletzt als mitfühlende solidarische Wesen zu nutzen, um die Ursachen des Hungers zu bekämpfen. Herr Ziegler, in diesem Jahr endet die UN-Millenniumskampagne. Unter anderem sollte die Zahl der unterernährten Menschen halbiert werden. Dieses Ziel wird deutlich verfehlt … Zu den Millenniumszielen gibt es eine widersprüchliche Antwort. Im Jahr 2000 hatte UN-Generalsekretär Kofi Annan alle Staats- und Regierungschefs der Welt nach New York eingeladen, von 194 kamen 164. Annan wollte neue Maßnahmen gegen die acht schlimmsten Tragödien, die die Menschheit zu Beginn des Jahrtausends heimsuchten, beschließen. Erstes Ziel war die Reduktion von extremer Armut und Hunger um 50 Prozent bis 2015 im Vergleich zu 1990. Das wurde überhaupt nicht erreicht. Dagegen gibt es den Einwand, dass der Hunger proportional gesehen, also wenn man die Demografie berücksichtigt, zurückgeht. Aber das Einzige, was jeden vernünftigen Menschen interessiert, sind die absoluten Zahlen. Denn jedes Kind, das stirbt, ist die Welt, die verloren geht. Und vor allem: Keiner der mörderischen Mechanismen, die den Hunger verursachen und die identifiziert sind, wurde von der UN angegriffen. Welche Mechanismen meinen Sie? Die Spekulation auf die Grundnahrungsmittel Mais, Getreide und Reis zum Beispiel. Diese drei Nahrungsmittel decken in normalen Zeiten 75 Prozent des Weltkonsums. Die Börsenspekulation auf Grundnahrungsmittel mit den üblichen Börseninstrumenten, wie beispielsweise Futures, ist absolut legal, in allen Ländern der Welt. Die großen Hedgefonds und Banken sind 2008 und 2009, nach der Finanzkrise, mehrheitlich umgestiegen von den Finanzbörsen auf die Energie- und Nahrungsmittel-Rohstoffbörsen. Dort machen sie, was wiederum ganz legal ist, astronomische Profite. Wenn Sie den FAO Food Price Index der letzten fünf Jahre anschauen, dann ist der Weltmarktpreis für Mais um 31,8 Prozent gestiegen, der Reis-Preis um 39,2 Prozent und der Preis für die Tonne Weizen hat sich verdoppelt. Das heißt, in den Elendsquartieren der Welt, in den titelthema 11 Auch unter den Flüchtlingen, die in immer größeren Zahlen versuchen, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen, sind viele nicht auf der Flucht vor Kriegen, sondern weil sie in ihrer Heimat kaum noch Überlebenschancen sehen. Unter anderem hier wird der Hunger »gemacht«: Bei der Chicago Board Das Agrardumping der Europäer in Afrika zerstört die of Trade (CBOT) wetten riesige Fonds auf sinkende oder steigende afrikanische Landwirtschaft. Von den 54 afrikanischen Nahrungsmittelpreise. Nach Meinung vieler Experten kann dies zu Staaten sind 37 reine Agrarstaaten. Wenn sie in Dakar und kurzfristigen Preisschwankungen für Grundnahrungsmittel führen und die Existenz vieler Menschen bedrohen. Bamako griechische, deutsche, französische oder spanische Geflügel, Früchte und Gemüse zur Hälfte des PreiFavelas von Rio de Janeiro, den Slums von Karachi und den Smokey ses kaufen können – das hängt von der Saison ab –, dann Mountains von Manila, wo die Mütter mit umgerechnet 1,25 Euro ist der afrikanische Bauer ruiniert. Der rackert sich zehn am Tag die tägliche Nahrung ihrer Kinder kaufen müssen, sterben Stunden unter der brennenden Sonne ab und hat keine Millionen Menschen mehr wegen der Explosion der WeltmarktpreiChance, auf ein Existenzminimum zu kommen. Wenn se für Grundnahrungsmittel. Die Weltbank sagt, dass im letzten die Hungerflüchtlinge mit letzter Kraft die AußengrenJahr aufgrund der Spekulation 69 Millionen Menschen zusätzlich zen der EU erreichen, werden sie von der Frontex ins umgekommen sind. Die UN hat nichts unternommen, um die BörMeer zurückgeworfen. Im letzten Jahr sind nach EU-Stasenspekulationen zu stoppen – natürlich tistiken über 3.900 Menschen im Mitwegen der Konzerne und der Großbanken, die telmeer ertrunken. Die Verlogenheit »es gibt keinen objektiven zu stark sind und auch auf die Staaten direkt der Kommissare in Brüssel ist abmangel auf der welt« Einfluss nehmen. Es gibt aber keine Börse auf grundtief. Sie fabrizieren wissentlich – der Welt, die in einem rechtsfreien Raum agiert. Frankfurt, London, wahrscheinlich nicht willentlich, aber sicher wissentlich – New York, Zürich und Paris haben alle ein Börsengesetz. Die Parladen Hunger in Afrika. mente könnten morgen früh mit einem zusätzlichen Artikel diese Spekulation mit Nahrungsmittelrohstoffen verbieten – und MillioUnsere Lebensweise spielt eine Rolle. Unser hoher Fleischkonsum etwa verbraucht enorme Ressournen Menschen wären gerettet. cen, die anderswo fehlen. Es scheinen nicht genüEs gibt aber noch andere Faktoren, die einer Überwindung gend Menschen bereit zu sein, ihren Lebensstandes Hungers entgegenstehen. dard einzuschränken. Mangelt es uns an Solidarität? Ja, wenn Sie zum Beispiel auf die Auslandsschulden der 50 ärmsten Das grundlegende Problem ist die neoliberale Wahnidee. Länder der Welt schauen. Wenn diese Staaten durch den Verkauf von Sie ist die Legitimationstheorie der Finanzoligarchie und Erdnüssen oder Baumwolle etwas einnehmen, geht das direkt an die besagt, dass wirtschaftliches Wirken und Tun nicht mehr Gläubigerbanken in Frankfurt oder New York, als Schuldzins und menschlichem Willen gehorcht, sondern den NaturgesetAmortisationszahlung. Finanzminister Schäuble ist ja nicht vom zen. Die »unsichtbare Hand« des Weltmarktes, die sogeHimmel gefallen, sondern ist Delegierter des souveränen Volkes. Er nannten Marktkräfte, entscheiden demnach über das könnte im Juni bei der Generalversammlung des Internationalen Schicksal der Völker und Menschen. Diese Vorstellung erzeugt eine unglaubliche Entfremdung der Menschen in Währungsfonds in Washington einmal nicht für die Gläubigerbanken stimmen, sondern für die hungernden Kinder, das heißt für die den Demokratien. Aber mein neues Buch »Ändere die Totalentschuldung der ärmsten Länder der Welt. Damit diese StaaWelt« verkauft sich sehr gut, und das zeigt mir, dass eine ten endlich ein Minimum an Investitionskapital zur Verfügung hätUnruhe da ist. Viele Menschen spüren, es stimmt etwas ten für Landwirtschaft, Bewässerung, Schulen, Krankenhäuser und nicht auf dieser Welt. Laut Weltagrarbericht könnte die so weiter. Nach der Weltbank-Statistik haben im letzten Jahr die 500 Landwirtschaft zwölf Milliarden Menschen normal ergrößten transkontinentalen Privatkonzerne 52,8 Prozent des Weltnähren, also fast das Doppelte der Weltbevölkerung. 12 titelthema s. 12: © picture-alliance/dpa, s. 13 oben: © md3d – fotolia bruttosozialproduktes, also aller in einem Jahr produzierten Reichtümer, beherrscht. Diese Konzerne entschwinden jeglicher interstaatlicher und gewerkschaftlicher Kontrolle. Die haben eine Macht, wie sie nie ein Papst oder Kaiser in der Geschichte der Menschheit besessen hat. Und sie sind nicht da, um den Hunger zu bekämpfen. Nestlé zum Beispiel, der größte Nahrungsmittelkonzern der Welt, ist da, um die Gewinne der Aktionäre zu steigern. Diese Weltdiktatur des globalisierten Finanzkapitals ist – mit anderen Faktoren zusammen – verantwortlich für das tägliche Massaker des Hungers in der Welt. Es gibt also heute keinen objektiven Mangel mehr. Jedes Kind, das während wir hier reden an Hunger stirbt, wird ermordet. Das ist statistisch belegbar, es ist keine moralische Aussage. Mein Buch ist ein Handbuch des Kampfes, keine moralische Abhandlung oder soziologisches Traktat. Nein, ich will den Menschen zeigen, dass Hunger menschengemacht ist und die Mechanismen, die töten, identifizierbar sind und gebrochen werden können. Unterschreiben Sie gegen Börsenspekulation auf Nahrungsmittel. Bei der Franziskanischen Gemeinschaft läuft eine Petition gegen Börsenspekulationen auf Nahrungsmittel und Landraub. Infos und Unterschriftenlisten: Elisabeth Fastenmeier, Regionalvorsteherin Ordo Franciscanus Saecularis OFS, Tel.: 0 86 71 88 00 22, E-Mail: [email protected] In »Ändere die Welt« zeigen Sie auch auf, wie jeder Einzelne von uns etwas beitragen kann, um den Hunger zu besiegen. Können wir tatsächlich etwas ausrichten? Die Menschen in den offenen Demokratien in Westeuropa und Nordamerika haben drei Möglichkeiten zu handeln. Zunächst die Möglichkeiten als Bürger: Die Verfassungen geben uns alle Waffen weltweit agierenden Saatgut- und Pestizid-Konzerns an die Hand, schon morgen die Überschuldung der ärmsten LänMonsanto und verlangen eine Lizenzgebühr. Der Kleinder, die Börsenspekulation mit Grundnahrungsmitteln, das Agbauer hat das Saatgut aus der vorigen Ernte, aber Monsrardumping und den Landraub durch die Konanto besitzt darauf ein Patent. Genzerne zu stoppen. Wir können die mörderischen »die menschlichkeit ist unter technisch veränderte Lebensmittel Mechanismen demokratisch legal und friedlich neoliberalen ideen verschüttet« sind in der EU zwar nicht verboten, durchbrechen – was es allein braucht, ist ein aber es gilt das Vorsichtsprinzip. Aufstand des Gewissens. Das Prinzip des kapitalistischen Systems Wer sie in Umlauf bringt, muss die Herkunft nachweiist die unerbittliche Konkurrenz zwischen Individuen und Völkern. sen. Auf der Verpackung muss die gentechnische VeränAber wenn Sie oder ich ein hungerndes Kind sehen, bricht in uns derung gekennzeichnet sein. Also können Sie sagen: Das etwas zusammen. Das Bewusstsein der Identität – ich bin der andekaufe ich nicht. Als Konsument können Sie auch in Weltre, der andere ist ich – gehört zum Wesen des Menschen. Immanuel läden einkaufen. Sie zahlen etwas mehr, aber die GenosKant schreibt: »Die Unmenschlichkeit, die einem anderen angetan senschaft in Nicaragua hat ein anständiges Einkommen. wird, zerstört die Menschlichkeit in mir.« Dieses Bewusstsein und Oder ich kann nur das kaufen, was dort produziert wird, der moralische Imperativ setzen etwas radikal anderes in Gang, wo ich wohne, und zu der Zeit, wo es geerntet wird. Und nämlich Solidarität. Doch dieses Bewusstsein ist verschüttet von ich kann vegetarisch leben. der neoliberalen Wahnidee, die uns sagt, wir könnten sowieso nichts ausrichten. Sie schraubt die Kette in unseren Köpfen fest und Hilfsorganisationen wie »Brot für die Welt« setzen überzeugt uns von unserer Ohnmacht. Aber wir sind nicht ohnverstärkt darauf, Kleinbauern etwa in Kenia zum mächtig – es gibt keine Ohnmacht in der Demokratie! Anbau einheimischer Getreide- und Gemüsesorten zu bewegen, anstatt ausschließlich auf transgenen Mais zu setzen. Können wir auch durch die UnterWelche Handlungsmöglichkeiten haben wir außer dem »destützung solcher kleinen Projekte etwas zur Verbesmokratischen Kampf« noch? serung der Situation beitragen? Wir haben auch als Konsumenten eine ganze Reihe konkreter Interventionsformen. Genetisch veränderte Nahrung ist gefährlich für Die konkrete Hilfe, die Solidarität, ist unsere dritte Mögdie Gesundheit und erzeugt Schuldknechtschaft in armen Ländern. lichkeit, mehr Gerechtigkeit zu schaffen. Diese SolidariWenn ein Bauer etwas angepflanzt hat, kommen die Anwälte des tät kann ganz klein sein, von Mensch zu Mensch, von Gruppe zu Gruppe – Solidarität, die jenseits von Staaten und jenseits von Konsumverhalten stattfindet, aber die Leben schafft. Die Zahlen für Unterernährung sind am schlimmsten bei den 4,7 Milliarden Menschen, die in sogenannten ländlichen Gebieten leben, also Kleinbauern, Pächter, Tagelöhner, die Nahrung produzieren. Ihr Beispiel aus Kenia ist großartig. Es stürzt zwar nicht die kannibalische Weltordnung, aber es schafft Leben. Und Leben ist unmessbar! Es hat keinen Preis, wenn die Kleinbauern statt Würmern anständig Kalorien im Magen haben und ihre Kinder nicht mehr mit schwach entwickelten Gehirnzellen zur Welt kommen. Der französische Schriftsteller Georges Bernanos schreibt: »Gott hat keine anderen Hände als die unseren.« Entweder wir ändern die kannibalische Weltordnung, oder es tut niemand. Eine Fülle an Sachinformationen und Handlungsimpulsen bieten die Bücher des Soziologieprofessors em. und ehemaligen UN-Sonderberichterstatters Jean Ziegler: »Wir lassen sie verhungern! …« (ISBN 978-3-570-10126-1) »Ändere die Welt! …« (ISBN 978-3-570-10256-5) interview und bearbeitung andré madaus titelthema 13 kommentar »Gebt ihr ihnen zu essen!« Essen und trinken ist so existenziell wie atmen: ohne Nahrungsaufnahme kein menschliches Leben. Bis zu meinem 50. Lebensjahr habe ich etwa 100.000 Mahlzeiten zu mir genommen und ca. 20 Tonnen Lebensmittel verspeist. Als Mann nehme ich annähernd 1,5 Kilogramm Nahrung pro Tag zu mir. Damit stehen mir 3.530 Kalorien zur Verfügung, während ein Äthiopier mit nur 1.950 Kalorien auskommen muss. Weltweit werden genügend Nahrungsmittel produziert. Die Frage ist, wie wir mit ihnen umgehen. Es trifft mich, wenn ich lese: »Wenn wir die Verschwendung in den USA und in Europa um die Hälfte reduzieren, könnten alle derzeit Hungernden 1,5-mal ernährt werden.« Es ärgert mich, wie sorglos wir mit Nahrungsmitteln umgehen. Jeder Bundesbürger entsorgt jedes Jahr rund 80 Kilogramm Lebensmittel im Wert von 500 Euro in den Müll. Global werden rund 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel als sogenannter »Nahrungsmittel-Müll« verschwendet. Das entspricht knapp einem Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Vielleicht gehen wir auch deshalb so sorglos mit Nahrungsmitteln um, weil wir durchschnittlich nur noch 10 Prozent unseres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben müssen, während es 1960 noch rund 40 Prozent waren. Auch ist hinreichend bekannt, dass ein übermäßiger Fleischkonsum nicht nur gesundheitsschädlich und klimaschädlich ist, sondern zudem die Fleischproduktion weitaus weniger Menschen ernähren kann als der Anbau von Pflanzen. Papst Franziskus greift in seinem Apostolischen Schreiben »Die Freude des Evangeliums« die jesuanische Forderung bei der Brotvermehrung auf, wenn er schreibt: »In diesem Rahmen versteht man die Aufforderung Jesu an seine Jünger: ›Gebt ihr ihnen zu essen!‹ (Mk 6,37), und das beinhaltet sowohl die Mitarbeit, um die strukturellen Ursachen der Armut zu beheben und die ganzheitliche Entwicklung der Armen zu fördern, als auch die einfachsten und täglichen Gesten der Solidarität angesichts des ganz konkreten Elends, dem wir begegnen« [EG 187/188]. Die »Armen« werden durch die »Hungernden« konkret. Die strukturellen Ursachen des Hungers sind politischer Natur in Form von Agrarsubventionen, Nahrungsmittelspekulation, Handelsabkommen, Landgrabbing, Flächenverbrauch im Ausland und Ähnlichem. Sie lassen sich durch gesellschaftspolitisches Engagement verändern. Die Gesten der Solidarität betreffen mein Konsumverhalten. Wir werden das globale Ernährungsproblem nicht auf einen Schlag aus der Welt schaffen, wenn wir auf Fleisch verzichten, Gemüse und Eier im Hofladen kaufen oder beim Bäcker das Brot vom Vortag. Aber durch den Kauf von biologisch angebauten, regional erzeugten, saisonal abgestimmten und fair gehandelten Lebensmitteln sowie die Reduzierung meines Fleischkonsums und das Vermeiden von »Nahrungsmittel-Müll« kann ich meinen persönlichen Beitrag dazu leisten. Setzen wir um, was wir in einem neuen geistlichen Lied besingen: »Wenn jeder gibt, was er hat, dann werden alle satt«. Teilt gerecht, was die Erde für alle hervorbringt! »Gebt ihr ihnen zu essen!« stefan federbusch ofm 14 titelthema s. 14: © picture-alliance/dpa, s. 15: © wolfgang stahr – laif Ich habe nie wirklich gehungert. Hunger ist ein Phänomen, das ich bisher nur in dem Maße erlebt habe, in dem es bei einem gut versorgten Menschen auftritt: als Hungergefühl. »Ich könnte mal wieder was essen, die letzte Mahlzeit liegt bereits einige Stunden zurück …« Was Hunger wirklich bedeutet, wissen in Deutschland nur noch wenige aus der Nachkriegsgeneration. Hunger ist das Phänomen der Anderen – vielleicht ein Grund, dass ich die Beseitigung des Hungers nicht entschlossener zu meinem Anliegen mache. Fragen um Leben und Tod berühren uns unmittelbar. Entscheidungen am Anfang und am Ende unseres Lebens sind deshalb so schwierig, weil sie unser Selbstverständnis als Menschen betreffen. Zum Ausdruck kam dies exemplarisch in einem Interview des Ehepaars Anne und Nikolaus Schneider (ZEIT, 17. Juli 2014). Beide sind seit 1970 verheiratet. Sie ist Lehrerin für Religion und Mathematik, er evangelischer Theologe. Von ihren drei Töchtern starb die jüngste Tochter Meike 2005 im Alter von 22 Jahren an Leukämie. Zur aktuellen Debatte um die Sterbehilfe in Deutschland »Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen …« Nikolaus Schneider hatte seinen Rückzug vom Amt des Vorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland angekündigt, um seiner Frau Anne beizustehen, bei der im Juni 2014 ein entzündlicher Brustkrebs festgestellt wurde, der bereits ihr Lymphsystem befallen hat. Der 66-jährige Nikolaus Schneider vertritt die Position: »Beim Sterben jede Hilfe. Aber nicht zum Sterben.« Seine Frau hält dies für eine »Elfenbeinturm-Unterscheidung! Ich finde, beim Sterben helfen, kann auch heißen, dass man den Sterbeprozess beschleunigt. Dann ist es auch eine Hilfe zum Sterben. Das lässt sich gar nicht trennen.« Für ihren Mann ist klar: Die »weitgehende Schmerzfreiheit – die muss gesichert sein. Aber ein Giftcocktail ist ausgeschlossen«. Die 65-jährige Anne Schneider verweist auf eine Bibelstelle und ihre Interpretation dazu: »›Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden‹: Diese biblische Bitte heißt für mich, dass ich mein Ende aktiv gestalten kann in der Verantwortung vor Gott. Zur Gottebenbildlichkeit des Menschen gehört für mich eine Gestaltungsfreiheit von Anfang bis Ende dazu (…) So sehe ich es als Teil meiner Verantwortung, dass ich auch entscheiden darf: Jetzt gebe ich mein von Gott geschenktes Leben dankbar an Gott zurück.« Für sie bedeutet das konkret: »Ich hoffe, wenn ich selber an den Punkt kommen sollte, sterben zu wollen, dass mein Mann mich dann in die Schweiz begleitet. Dass er neben mir sitzen und mir die Hand halten würde, wenn ich das Gift trinke. Auch wenn es seiner theologischethischen Überzeugung widerspricht. Ich hoffe, dass dann die Liebe stärker ist.« Nikolaus Schneider entspricht dieser Erwartung seiner Frau: »Das wäre zwar völlig gegen meine Überzeugung, und ich würde es sicher noch mit Anne diskutieren. Aber am Ende würde ich sie wohl gegen meine Überzeugung aus Liebe begleiten.« mein recht auf selbstbestimmung gilt bis zum ende Die Auffassungen von Ehepaar Schneider spiegeln zwei wichtige Positionen in der aktuellen Debatte wider. Anne Schneider betont den Aspekt der Gestaltungsfreiheit und Selbstbestimmung des Menschen. Diese sieht sie auch für das eigene Sterben gegeben und liegt damit auf der Linie der evangelischen Theologen der Niederlande, die für aktive Sterbehilfe eintreten. Nikolaus Schneider dagegen liegt auf der Linie, die auch die katholische Kirche vertritt: »In Würde stirbt, wer anerkennt, dass sein Leben als solches unverfügbar ist«, betont die Deutsche Bischofskonferenz. »Die Verfügung über die Existenz als solche ist dem Menschen entzogen.« Das Lebensende liegt alleine in der Hand Gottes und darf daher vom Menschen nicht aktiv herbeigeführt werden. So wie der Mensch nicht durch freie Wahl sein Leben erwählt hat, darf er es auch nicht durch freie Wahl beenden. Lediglich eine passive Sterbehilfe wird debatte 15 über mein leben als solches kann ich nicht verfügen Sowohl Anne wie auch Nikolaus Schneider argumentieren mit jeweils guten Gründen aus ihrem Glauben heraus. Die Würde eines selbstbestimmten Lebens und Sterbens muss auf jeden Fall gewahrt bleiben. Zwei Aspekte bilden aber eine notwendige Ergänzung zur geforderten Selbstbestimmung. Der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff verweist darauf, dass menschenwürdiges Sterben überhaupt nur unter der Bedingung möglich ist, »dass personale Beziehungen und das Angebot menschlicher Nähe aufrechterhalten werden«. Zudem ist kritisch zu beleuchten, wie selbstbestimmt tatsächlich die Entscheidung zur aktiven Sterbehilfe ist. Wie groß ist der gesellschaftliche Druck von Ärzten, der Familie, des Freundeskreises, dem Leben ein Ende zu bereiten, wenn es aus der Perspektive anderer nicht mehr als lebenswert angesehen wird? Die Beispiele der Niederlande und Belgiens mit der Legalisierung der aktiven Sterbehilfe seit 2001 zeigen, dass die Zielgruppen immer weiter ausgedehnt werden. Was mit unheilbar Kranken und einwilligungsfähigen Menschen begann (Sterbehilfe auf Verlangen), wird mittlerweile auch für nicht einwilligungsfähige Menschen diskutiert, für alte Menschen generell, für psychisch Kranke, für Komapatienten, für Kinder und für Neugeborene. Es kam zu nicht wenigen Fällen von Tötung ohne Verlangen. »Was einst als Selbstbestimmung begann, mündete in Bevormundung«, so das Fazit des niederländischen Buchautors Gerbert van Loenen. Er zeigt auf, dass die niederländische Praxis der Lebensbeendigung nicht auf Selbstbestimmung, sondern auf Mitleid beruht. »Gegenüber den Befürwortern der Sterbehilfe in anderen Ländern, die sich auf den hohen Wert der Selbstbestimmung berufen, mag daher die Frage erlaubt sein, wie sie das, was in den Niederlanden geschieht und noch geschehen wird, in ihrem Land zu verhindern gedenken. Sie sollten sich die Frage stellen, welches der beiden Argumente für aktive Sterbehilfe und Beihilfe zur Selbsttötung für sie wichtiger ist: Selbstbestimmung oder Mitleid. Entscheiden sie sich für die Selbstbestimmung, dann stehen sie vor der Frage, wie sie verhindern wollen, dass nach der Legalisierung aktiver Sterbehilfe und der ärztlichen Beihilfe zum Suizid derselbe Prozess einsetzt wie in den Niederlanden. Entscheiden sie sich für Mitleid, leisten sie der Bevormundung direkt Vorschub.« der fraktionszwang ist aufgehoben Die Mitglieder des Bundestages stehen vor der schwierigen Entscheidung, was im Bereich Sterbehilfe gesetzlich geregelt werden soll und was nicht. Zu bedenken ist dabei, dass es wie bei allen ethischen Fragen um eine Verständigung geht, die die Gesamtgesellschaft repräsentiert, sowohl die religiös wie die nichtreligiös geprägten Teile. Am 13. November 2014 fand im Bundestag eine mehrstündige Orientierungsdebatte statt, bei der bewusst der Fraktionszwang aufgehoben war. Im Herbst 2015 soll eine Entscheidung getroffen werden. Im Wesentlichen finden sich drei unterschiedliche Sichtweisen. »Jeder hat das Recht, über das Ende seines eigenen Lebens zu entscheiden und sich dabei helfen zu lassen. Wie er das tut, sollte ihm selbst überlassen sein«, so die Position derjenigen, die auch bereit sind, unter bestimmten Bedingungen Sterbehilfevereine zuzulassen. Zu den Bedingungen zählen eine Dokumentationspflicht, eine Begutachtung durch unabhängige Ärzte sowie der Ausschluss kommerzieller Interessen. Umstritten ist in dieser Gruppe, ob Sterbehilfe auf tödlich Erkrankte beschränkt bleibt. Andere lehnen Sterbehilfevereine ab, wollen aber die ärztliche Beihilfe zum Suizid ausdrücklich erlauben. Wieder andere wollen das Standesrecht der Ärzte auf keinen Fall aushebeln und überlegen sogar ein strafrechtliches Verbot. Einigkeit besteht lediglich darin, dass mit Sterbehilfe kein Geld verdient werden darf und palliativmedizinische Angebote ausgebaut werden müssen. ■ stefan federbusch ofm (47) ist Redaktionsleiter der Zeitschrift »Franziskaner« und Leiter des »Franziskanischen Zentrums für Stille und Begegnung« in Hofheim am Taunus. © fotolia – sandor kacso als legitim angesehen, die auf lebensverlängernde Maßnahmen in aussichtslosen Fällen verzichtet. Wer die Argumentation prüft, stellt schnell fest, dass derselbe Begriff »Würde« oft unterschiedlich interpretiert und für beide Positionen gleichermaßen beansprucht wird. Für die Verfechter der aktiven Sterbehilfe realisiert sich Würde in der Möglichkeit zur Selbstbestimmung. Der Mensch habe das Recht, sein Recht auf Leben preiszugeben. Die katholische Kirche sieht das Leben als Geschenk Gottes an und warnt vor einer »Verabsolutierung der Autonomie«. Dieser Position wird entgegnet, dass ein Geschenk in den Besitz des Beschenkten übergehe und somit in sein Verfügungsrecht. Ebenso wird kritisch angemerkt, dass der Mensch permanent durch medizinische Maßnahmen in das Verfügungsrecht Gottes (bzw. der Natur) eingreife und das Leben von Menschen verlängere, die ohne medizinische Hilfe längst verstorben wären. Der franziskanische Wegbegleiter • Franziskaner Zeitschrift • Sommer 2015 franziskanische grundhaltungen gewaltlos und friedfertig • einfach das leben geniessen • das evangelium als weg gehen Liebe Leserin, lieber Leser, franziskanische Grundhaltungen sind der rote Faden des geistlichen Wegbegleiters in diesem Jahr 2015. Wer diesem roten Faden nachgeht, kommt schnell auf die Bergpredigt. Wenn Franziskus am Anfang seiner Lebensregel schreibt, dass es ihm vor allem darum geht, in den Fußspuren Jesu das Evangelium zu leben, dann denkt er an die Verheißungen und Verpflichtungen der Bergpredigt. Dort wird die allgemein gültige Wertepyramide auf den Kopf gestellt. Nicht Macht und Ansehen, Geld und Vermögen, Verwirklichung des Egos und seiner Wünsche sind erstrebenswert, sondern genau das Gegenteil: Seliggepriesen werden jene, die auf Gott vertrauen und die Nächsten lieben, die wahrhaftig und barmherzig sind, die einfach leben und die Widrigkeiten des Lebens aushalten. Weder Jesus noch Franziskus oder Klara geben eindeutige Verhaltensregeln oder dogmatische Glaubenslehren vor, wichtig sind ihnen ein lauteres sehnsüchtiges Herz, Füße, die den Weg der Nachfolge gehen, Hände, die das Reich Gottes aufbauen. Franziskanische Grundhaltungen sind Tugenden im ursprünglichen Sinn: Werte, die zum Glück taugen und uns tauglich machen für ein gelingendes, liebevolles Leben. Niemand muss oder kann Jesus oder Franziskus oder Klara eins zu eins nachahmen. Dem roten Faden franziskanischer Grundhaltungen nachzugehen, bedeutet eher, der eigenen Sehnsucht nach Lebendigkeit und Gutsein nachzuspüren. In der Tiefe des Herzens die Kraft zu ahnen, die über uns hinausweist, dem Raum zu geben, was wir im Grund unserer Seele wünschen. Wie ein Leben in dieser Spur zu einem erfüllten, glücklichen Leben wird, das zeigt Franziskus auf großartige Weise in seinem Sonnengesang – ein Blumenstrauß von bunten Glückserfahrungen, die sich in einem Satz zusammenfassen lassen: Das Leben ist schön. Wir wünschen Ihnen, im eigenen Leben diesen Satz zu entdecken, und grüßen Sie von Herzen Ricarda Moufang und Helmut Schlegel OFM Ricarda Moufang (52) – »Gebet« – ist Referentin im Zentrum für christliche Meditation und Spiritualität und lebt in Frankfurt. Helmut Schlegel OFM (71) – »Impuls« und »Schritte« – ist Leiter des Zentrums für christliche Meditation und Spiritualität des Bistums Limburg in Frankfurt und lebt in Hofheim. Der franziskanische Wegbegleiter • Franziskaner Zeitschrift • Sommer 2015 3 gebet kein friede – nirgends gewalt – überall fressen und gefressen werden unterdrücken und verachten ausbeuten und horten woher dann diese bilder? wolf und lamm, seite an seite frauen, aufrecht und kraftvoll lazarus im himmelsschoß und alle völker in deiner stadt bilder, unauslöschbar dein friedenscode für diese welt genau so wird es sein 1 impuls Auch in dem Wort »gewaltlos« ist das Wort »Gewalt« präsent. Wir kommen offenbar nicht los von der negativen Sogkraft, die den Menschen zum Raubtier machen kann. Nein, Gewaltlosigkeit allein genügt nicht. Das jesuanische Liebesgebot setzt der geballten Faust nicht nur das »Nein« entgegen, sondern auch das »Ja« der ausgestreckten Hand. Jesus war inspiriert von einem Geist, der weit über die »Losigkeit« hinaus in das göttliche Magnetfeld von Liebe und Versöhnung hineinführt. 2 franz von assisi will ich leben gewaltlos und friedfertig »Ich rate aber meine Brüder, warne und ermahne sie im Herrn Jesus Christus, dass sie, wenn sie durch die Welt ziehen, nicht streiten noch sich in Wortgezänke einlassen noch andere richten. Vielmehr sollen sie milde, friedfertig und bescheiden, sanftmütig und demütig sein und mit allen anständig reden, wie es sich gehört.« (Bestätigte Regel, Kapitel 3, 10f.) 4 schritte Ich frage mich selbst, wo ich Gewalt-sinnig, Gewalt-herzig und schließlich Gewalt-tätig bin. Nur was ich ehrlich wahrnehme, kann ich loslassen. Menschen sind von Natur aus nicht gewalttätig, sie »lernen« Gewalt, weil sie sie am eigenen Leib und an der eigenen Seele erfahren. Ebenso können sie gewaltloses Denken und friedfertiges Handeln lernen. Ich wecke die tief in mir liegende Sehnsucht nach Versöhnung und Liebe. Alle sind mit allen und alles ist mit allem vernetzt – eine Erkenntnis der Psychologie und auch der modernen Quantenphysik. Ich stehe nicht unbeteiligt und ohnmächtig dem gegenüber, was in Syrien, Nigeria oder der Ukraine geschieht. Meine heilenden Gedanken, Segenswünsche, Gebete sind vielleicht wirkungsvoller, als ich denke. links: © ugurhan betin, rechts: kerstin meinhardt Wir wären gewiss froh, wenn in den vielen Kriegsgebieten dieser Erde erst mal das Feuer zum Erlöschen käme. Waffenstillstand ist ein erster Schritt zum Frieden. Die biblische Utopie vom Reich Gottes geht allerdings weit über den Punkt hinaus, wo die Waffen schweigen. Sie träumt davon, dass Lanzen und Schwerter umgeschmiedet werden in Werkzeuge des Friedens. Utopie bedeutet übersetzt »Kein-Ort«. Friede ist kein Ort, kein Hier oder Dort. Friede ist ein Geist, eine Gesinnung, eine »Fertigkeit«. Noch ist die Stadt des Friedens ein »Kein-Ort«, aber die FriedFertigkeit befähigt uns, Schritt für Schritt den Weg zu gehen, den realutopischen Weg dorthin, wo »der Friede blüht«. (Psalm 72,7) dafür Der franziskanische Wegbegleiter • Franziskaner Zeitschrift • Sommer 2015 einfach das leben geniessen 1 impuls Geht das zusammen: einfach leben und das Leben genießen? Einfach leben – da stelle ich mir einen asketischen Typ vor, der sein Geld zusammenhält, mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt, jeglichen Luxus meidet, keinen Alkohol trinkt und auf fair gehandelte Lebensmittel achtet. Ein Lebensgenießer dagegen besucht Gourmetrestaurants und trinkt erlesene Weine, fährt einen teuren Wagen und tut, was ihm Spaß macht. Tatsächlich aber gibt es Menschen, die das Leben in vollen Zügen genießen und dennoch todunglücklich sind. Andere freuen sich in ihrer Anspruchslosigkeit an einem sonnigen Frühlingstag und an einem wohlschmeckenden Gemüseeintopf und auch daran, dass ihr einfacher Lebensstil mit ihrem sozialen und ökologischen Verant wortungsgefühl übereinstimmt. Ihr Vorbild ist vielleicht der griechische Philosoph Diogenes, der in Korinth in einer Tonne hauste und eines Tages von Kaiser Alexander besucht wurde. Als dieser ihn fragte, welchen Wunsch er ihm denn erfüllen könne, antwortete Diogenes kurz: »Geh mir bitte aus der Sonne.« Es passt also vielleicht doch zusammen – einfaches Leben und Genuss. Wer sich nicht vollstopft mit Dingen, wer seine Energie nicht der Macht des Habens übergibt, ist frei, seinen Körper und seine Seele spüren zu lassen, wie schön es ist, zu leben, und wie schön es ist, einfach zu leben. 2 franz von assisi »Unter allen Gaben, die Gott, der freigebige Spender alles Guten, Franziskus verliehen hatte, ragte eine besonders heraus: dass er durch die Liebe zur Armut den Reichtum der Einfachheit erlangen durfte. Der Heilige bedachte sehr gut, dass diese Eigenschaft dem Sohn Gottes besonders vertraut war.« (Bonaventura, Legenda Major, Kap. VII, 1f.) 3 gebet wenn das sonnenlicht am trägen sonntagnachmittag in den blättern der birke tanzt wenn die mönchsgrasmücke unüberhörbar und vorlaut frohlockt wenn der tee am morgen duftet und dampft dann weiß ich: es kostet nichts es mir richtig gut gehen zu lassen was Gott uns gönnt ist unbezahlbar und reichlich vorhanden für jedes lebewesen in allen universen und himmeln 4 schritte Ich halte während des Tages immer wieder mal kurz an und lasse das volle Leben auf mich wirken. Ich begrüße still das Wetter – wie immer es auch ist –, die Menschen um mich herum, die Tiere und Pflanzen und wünsche allen ein gutes Leben. Was möchte ich tun für Menschen, die wirklich und unfreiwillig arm sind? Die sich Verzicht gar nicht leisten können, weil sie nichts haben? Wie kann ich meinen Lebensstil vereinfachen? Meine Ernährung? Meine Wohnverhältnisse? Meinen Energieverbrauch? – Bevor ich ganz große Konzepte entwickle, fange ich mit einem kleinen Vorhaben an und freue mich, wenn ich es umsetzen kann. Auf welche Dinge, Gegenstände, Einrichtungen kann ich verzichten? Wie kann ich meinen Kalender entrümpeln? Wie viel Zeit möchte ich mir für Freizeit, Lektüre, Kontaktpflege nehmen? Der franziskanische Wegbegleiter • Franziskaner Zeitschrift • Sommer 2015 3 gebet 1 impuls Das öffentliche Wirken Jesu fand weitgehend auf dem Weg statt. Von sich selbst sagte er: »Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann« (Mt 8,20). In Wirklichkeit war dies für Jesus und seine Jünger weniger ein Zeichen des Mangels als vielmehr der Fülle. Es war sein »Konzept«, sein Leben mit den Menschen zu teilen, zumal mit jenen, die unfreiwillig auf Haus und Habe verzichten mussten. Für sie war Jesus immer präsent und ansprechbar. Jesu Zuhause war der »Abba«, in dem er sich geborgen wusste. Und bei ihm, dem himmlischen Vater, dürfen wir alle unser Zuhause suchen und finden. Es ist ein Weg, auf dem alle in dem ihnen gemäßen Tempo gehen können. Wer ihn geht, vertraut darauf, dass dieser Weg trägt und ein Ziel hat. Nichts anderes als Gott selbst ist der tragende Grund und das Ziel der Lebensreise. Wer sich auf den Weg des Evangeliums einlässt, geht ihn nicht allein. Der Kyrios Christus geht voraus und jene, die mitgehen, nennen sich Kyriake – Kirche. Kirche ist nichts anderes als Weggefährtenschaft. Wenn Franziskus sich und seine Schwestern und Brüder in einer für uns fast übertriebenen Weise an die Kirche bindet, dann geht es ihm darum: Leben nach dem Evangelium ist ein Leben auf dem Weg – mit Jesus und mit einander. wie der berühmte rabbi sind auch wir nur auf der durchreise doch wir verstehen es nicht ankünfte, ziele: verkaufsschlager in einer welt todmüde vom immer-schneller der weg aber mündet ins meer ich lege ab uhr und landkarte endlich zerreißt der schleier: Dein regenbogen im brunnen Dein name 2 franz von assisi »Und nachdem mir der Herr Brüder gegeben hatte, zeigte mir niemand, was ich tun sollte, sondern der Höchste selbst hat mir offenbart, dass ich nach der Form des heiligen Evangeliums leben sollte.« (Testament 14) im wind 4 schritte Ich gehe allein und schweigend einen Weg und spüre mit dem ganzen Körper, was mir gerade geschieht. Ich lege in diesen Weg meine Erfahrungen, meine Begegnungen und meinen Glauben hinein. Kirche als Weggemeinschaft – was bedeutet das für ihre konkrete Wirklichkeit? Für welche Be-Weg-ung, für welche Weg-Richtung mache ich mich stark? Ich schaue dankbar auf die Wegstrecken meines Lebens. Ich bejahe meine Wege so, wie sie waren. Und ich lasse mich vertrauend auf das Unbekannte ein, das noch auf mich zukommen mag. s. 20: © istock – srdjan pavlovic, s. 21: © pascal deloche/godong das evangelium als weg gehen kleines theologisches wörterbuch C Paradoxerweise ergibt sich aus diesem Dialoggeschehen auch der »offizielle« und objektive Charakter von Liturgie: Auch wenn sich jeder Einzelne persönlich angesprochen fühlt und in der je eigenen Rolle authentisch einbringt, geht es im Kern nicht um die individuelle Befindlichkeit, die leicht in eine individualistische Vereinzelung führt. Es geht um ein gemeinsames Tun und eine gemeinschaftliche Erfahrung, die über alles nur Eigene hinaus zur Kirche Christi verbinden. Liturgie baut Kirche auf. Kirche realisiert sich in der Liturgie. Liturgie ist »der Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt« (Zweites Vatikanisches Konzil). Wer aus der Kraft der Sakramente lebt und das Kirchenjahr mitfeiert, wird immer mehr hineingezogen in das Geheimnis Christi. Eine lebendige Spiritualität aber hristen verstehen unter Liturgie den offiziellen Gotspeist sich nicht allein aus der offiziellen Liturgie, sondern wesentlich auch aus dem tesdienst der Kirche. Von seiner griechischen Wurzel privaten Gebet, aus Brauchtum und Volksher bezeichnet der Begriff ursprünglich ein »Tun (ergon) frömmigkeit. Verkündigung und Diakonie, des Volkes (laós)«. Dies ist jeweils in zweifacher Weise zu gemeinsam mit der Liturgie Wesensvollzüverstehen: Das Volk tut etwas, zugleich aber wird für dieses Volk etwas getan. Ebenso: Der Mensch dient Gott, ge der Kirche, kommen zwar im Gottesdienst vor, müssen sich aber aber zugleich dient auch Gott dem Menschen. Die Bewegung auch außerhalb eigenstän»von oben nach unten« steht an dig entfalten. Und nicht nur erster Stelle: Im Gottesdienst der kultische Raum, sonhandelt Gott durch Christus an dern vor allem der gelebte der Gottesdienst; das gemeinsame Tun uns. Er hat uns zusammengeruAlltag ist der Ort, an dem Gott an mir handelt und ich fen und ist darum in seiner Gemeinde gegenwärtig. Er spricht ihm antworte. Liturgie ist uns an in den Lesungen aus der Heiligen Schrift. Er tut immer auch Sendung und führt mich tieetwas an uns in den Sakramenten. Er schenkt sich selbst fer in die Welt und zu den Menschen. Sie in der Eucharistie. Er vergibt, stärkt, verheißt seine Beführt ins Lebenszeugnis. Je mehr ich mich gleitung. Unser Tun ist dann Antwort hierauf: Wir richin einer alltäglichen Praxis existenziell auf ten unser Gebet an ihn, bitten und danken, hören und Christus einlasse, umso ehrlicher werde schweigen, feiern und singen. ich Liturgie feiern können. ■ C Liturgie, die; Liturgie ist also immer dialogisch. Sie geht von Gott zu uns und von uns zu Gott. So verbindet sie auch uns Menschen untereinander. Wo sie als »Vorstellung« einer weniger Akteure vor einem passiven Zuschauer-Publikum erfahren wird, im schlechtesten Fall als One-Man-Show, ist sie entstellt. Denn Christus handelt an allen Gliedern des Volkes Gottes, alle sind Empfangende und Beschenkte. Zugleich ist das gesamte Volk Gottes Träger der Liturgie. Das Neue Testament spricht hier selbstverständlich vom Priestertum aller Getauften (vgl. 1 Petr 2,9). Erst auf dieser Grundlage differenzieren sich verschiedene Rollen und Dienste, zu denen auch der Amtspriester gehört. dr. cornelius bohl ofm (53) ist seit 2012 Provinzialminister der Deutschen Franziskanerprovinz und lebt in München. theologischer impuls 21 Kloster Pupping Blick vom offenen Klostergarten, der gerne von Einwohnern des Ortes Pupping besucht wird. Das nahe Linz gelegene Kloster war 1477 am Sterbeort des heiligen Wolfgangs erbaut worden. Es ist eines der altehrwürdigen Häuser der österreichischen Franziskaner. Für einige Jahre war das vierflügelige, mächtige Gebäude nach dem Zweiten Weltkrieg sogar Noviziatshaus. Die Tiroler Franziskanerprovinz, zu der Pupping gehörte, ist 2007 mit der Wiener Franziskanerprovinz vereinigt worden. Etwa 140 Brüder in 25 Niederlassungen gehören zur Provinz. Franziskanisch Leben In der Reihe »Franziskanisch leben« stellen wir Menschen vor, die auf ganz unterschiedliche Weise versuchen, im Geist des heiligen Franziskus und der heiligen Klara zu leben. Zum Beispiel die Shalom-Gemeinschaft im Franziskanerkloster Pupping in Oberösterreich. »Mami, Mami!!!«, Hirman aus dem Iran gestikuliert lebhaft mit den Tellern, die er zur Küche hereinbringt. Die Angesprochene blickt vom Einräumen der Spülmaschine auf. Das Essgeschirr von 27 Menschen, die gerade gefrühstückt haben, muss gesäubert werden. Sie rückt ihren Schleier zurecht und lächelt. Ein Haushalt, in dem 22 Menschen mit einer wechselnden Zahl Gäste leben, ist eine organisatorische Herausforderung. Der eigentliche Verantwortungsbereich von Schwester MariaTheres ist die Betreuung von Sakristei und Kirche. Vor nun bald 50 Jahren ist Schwester Maria-Theres in den Klarissenorden eingetreten, und wer da von der Tür des Speisesaals ruft, ist kein kleiner Junge und schon gar nicht ihr Sohn. Hirman ist ein junger Mann, der aus dem Iran geflüchtet ist. Seit Anfang Januar lebt er mit neun weiteren jungen Asylbewerbern im Kloster Pupping. »Mami« ist eine Art Ehrentitel, mit dem er ausdrücken will, wie gut die Ordensfrau und die Shalom-Gemeinschaft für ihn und die anderen Asylbewerber sorgen. Die Shalom-Gemeinschaft im Kloster Pupping, die die sechs Iraner und vier Syrer aufgenommen hat, besteht seit 15 Jahren. Das Kloster gehört zur österreichischen Franziskanerprovinz und könnte gut als Beispiel dafür dienen, in welchem Wandlungsprozess sich die Ordensgemeinschaften im deutschsprachigen Raum befinden. Allerdings ist nicht die Aufnahme von Verfolgten Ausdruck dieser Veränderungen. Für die Gemeinschaft ist es 22 franziskanisch leben eine Antwort auf die Not der heutigen Zeit, und dieses Engagement findet sich auch in anderen Klöstern. Das, was Pupping auszeichnet, ist der Versuch eines Zusammenlebens von Männern und Frauen, von Ordensleuten und Laien in einer Gebetsgemeinschaft. Mancherorts wird der Mangel an jungen Ordensleuten beklagt, während versucht wird, möglichst viele der bisherigen Aufgaben mit geringer werdenden Kräften zu bewältigen. Andernorts entstehen derweil neue Formen franziskanischen Lebens. Das Shalomkloster ist eine dieser vorsichtigen Tastbewegungen in eine franziskanische Zukunft. Ungewiss ist, wie diese Zukunft aussehen wird, doch sicher ist, dass das Leben franziskanischer Gemeinschaften künftig anders sein wird als in vergangenen Zeiten. Schwester Maria-Theres, jene Schwester, die der Iraner Hirman »Mami« ruft, lebt seit 44 Jahren im Kloster Pupping. Vom Alter her könnte sie Hirmans Großmutter sein. Sie versteht sich gut mit den Asylbewerbern. Nur zwei von ihnen sprechen Englisch, sie dolmetschen für die anderen. Alle zehn bekommen erst seit Kurzem Deutschunterricht. Doch die Verständigung klappt trotz Sprachbarrieren. Und bei allen Herausforderungen, die das Zusammenleben mit Flüchtlingen mit sich bringt: So viel zu lachen wie mit ihnen, hatte die zierliche Schwester nicht in allen Jahren ihres Ordenslebens. Als die gebürtige Schweizerin 1971 ins Kloster Pupping eintrat, bestand dort seit kurzem eine Klarissengemeinschaft. Die Franziskaner hatten die große Klosteranlage den Schwestern zur Verfügung gestellt. Wie für Klarissen üblich, lebten die Frauen in der strengen Abgeschiedenheit der Klausur. »Zu den Leuten vom Ort hatten wir fünf Schwestern natürlich nicht viel Kontakt«, berichtet Schwester Maria-Theres. Wo heute ein für jederman zugängliches, weitläufiges Parkgelände mit Schaugarten regelmäßig Besucher anzieht, zogen früher die Klarissen ihr Gemüse hinter hohen Klostermauern. »Es fiel uns mit der Zeit immer schwerer, die ganze Arbeit zu bewältigen. Der erhoffte Eintritt junger Schwestern blieb aus, und als dann noch die Tatkräftigste von uns fünfen überraschend starb, wussten wir einfach nicht mehr weiter. So entschieden wir, das Kloster an die Brüder zurückzugeben.« seite 22: © kerstin meinhardt, seite 23: © franz josef gregorschitz San Masseo als Vorbild Auf Bitten des Provinzials der Tyroler Franziskaner hielt Schwester Maria-Theres mit dem alten Schwesternseelsorger Pater Bonaventura die »Stellung«, bis über die weitere Verwendung des Hauses entschieden worden war. »Und dann kam ein junger Franziskaner aus Assisi zurück. Bruder Fritz Wenigwieser bat mich wiederum zu bleiben, bis er sich in alles hier eingefunden hatte. Seine Idee war, in Pupping ein Jugendprojekt wie in San Masseo bei Assisi zu entwickeln. Er hatte ja vorher vier Jahre dort gewirkt.« Und Schwester Maria-Theres blieb – bis heute. Ein Jugendprojekt wurde Pupping schlussendlich nicht. Was das Konzept betraf, bekam die junge Kommunität seitens der Provinzleitung große Freiheiten eingeräumt, und heute findet die Jugendarbeit an anderen Orten der Provinz statt. Zwar kommen auch mal Jugendgruppen, so wie kürzlich eine Firmgruppe aus Deutschland, zu Besuch, aber vom Konzept her ist das Kloster heute ein Mitlebehaus für Menschen in Not. Was das bedeutet, beschreibt der Franziskaner Werner Gregorschitz, der seit nun bald drei Jahren zur Shalom-Gemeinschaft gehört: »Hier können Menschen eine Zeit lang mitleben, mitarbeiten und zur Ruhe kommen – mit Einladung zu Gebet und Glaubensvertiefung. Wir haben viele Gäste, darunter auch Dauergäste, die schon jahrelang mit uns leben. Die eigentliche franziskanische Gemeinschaft besteht aber aus uns neun Frauen und Männern. Als heilende Gemeinschaft möchten wir Zeugen der Liebe Christi in der Welt sein, das heißt, offene Türen für Suchende zu haben und verfügbar zu bleiben für karitative und pastorale Aufgaben.« Arbeitseinheiten und Essenszeiten. Morgens nach dem Frühstück wird die Arbeit aufgeteilt, alle sind einbezogen, die Mitglieder der Gemeinschaft, die Dauergäste, die Asylbewerber und die nur kurz verweilenden Besucher. Auch wenn es kein Jugendprojekt ist, vieles erinnert doch an das Vorbild: »Wie San Masseo ist das Shalomkloster Pupping aufgebaut durch die Hände-Arbeit jener Menschen, die hierher gekommen sind. Und wie in San Masseo leben wir auch hier möglichst ohne Geld und vertrauen auf die Vorsehung. Das geht, weil wir alles selbst machen und gut integriert sind in die Bevölkerung«, sagt Bruder Fritz Wenigwieser, der »Gründervater« der Gemeinschaft. Bescheiden leben und offen sein für die Not des anderen Bruder Werner war lange Pfarrer in Reutte in Tirol. Er ist bekannt als Autor und Lyriker und kommt mit den Leuten leicht ins Gespräch. Sein heiteres, sonniges Gemüt ist bestens geeignet, den Besuchern des Hauses die Schwellenangst zu nehmen. Manche der Gäste begleitet er als Ansprechpartner während ihres Aufenthaltes. Wer jeweils für wen zuständig ist, regeln die neun Mitglieder der Shalom-Gemeinschaft untereinander. Wichtig ist nur, dass jemand verbindlich für die Gäste da ist. »Zu uns kommen Menschen, die auf der Suche sind. Manche haben den Boden unter den Füßen verloren, darunter auch Menschen mit psychischen Problemen.« Die feste Tagesstruktur des Klosterlebens bietet in solchen Situationen Orientierung: regelmäßige Gebetszeiten in der traditionellen Form des Stundengebets, gemeinsame Alle packen an: Die Mitglieder der Shalom-Gemeinschaft, Asylbewerber, langjährige Dauergäste oder Kurzzeitbesucher: Am einen Tag geht es zur Baumpflanzaktion beim Nachbarn, von dem die Apfelspenden kommen. Am nächsten Tag wird beim Herausreißen alter Fußböden ein paar Höfe weiter geholfen. Mit ebenso viel gemeinsamem Einsatz sind der gesamte Umbau des Hauses, die Renovierung der Kirche und die Gestaltung der Außenanlagen geschafft worden. Bis heute lebt die kleine franziskanische Gemeinschaft vorwiegend von Spenden, darunter viele Lebensmittelgaben aus der Bevölkerung. Wer als Gast kommt, muss nicht bezahlen, aber mitarbeiten. Bruder Fritz führt die Aufnahmegespräche. Bis zu einer Woche kann jeder bleiben, danach muss die Gemeinschaft über das Weitere entscheiden. franziskanisch leben 23 Elena ist eine der Dauergäste. Die 38-jährige Gymnasiallehrerin unterrichtet an einer Schule, die gut 50 Kilometer entfert liegt. Im Sommer werden es drei Jahre, dass sie nach Pupping kam. Nach einem kürzeren Aufenthalt folgte ein längerer, und schließlich wurde ein Dauergaststatus daraus. Sie war zuvor schon auf der Suche nach einer Gemeinschaft gewesen, in der sie ihren Glauben mit anderen leben kann und die solidarisch mit denen ist, Daniela Lanni (r.) – hier mit »Küchenjungen« aus Syrien – ist so etwas wie die »Mutter« des Ganzen. Sie sorgt zum Beispiel dafür, dass die große Gemeinschaft jeden Tag satt wird. die am Rande stehen. Während ihres Studiums in Wien lernte sie die Gemeinschaft Sant'Egidio kennen. Deren soziales und politisches Engagement schätzte sie sehr, aber sie wollte eine Gemeinschaft von Männern und Frauen, die aus dem gemeinsamen Glauben heraus auch den Alltag teilen. »Es ist gut, dass ich keine volle Stelle an der Schule habe, denn das Gemeinschaftsleben braucht viel Zeit.« Elena ist dankbar, dass die Gruppe nicht auf eine Entscheidung drängt, und genießt die Offenheit bei gleichzeitiger Verbindlichkeit in den persönlichen Beziehungen. Drei der fünf Frauen sind wie sie Mitte/Ende dreißig. Hanni Benedikt ist neben Schwester Maria-Theres eine der älteren Frauen in der Gruppe. Die gebürtige Deutsche hat bis vor Kurzem in einer Caritas-Einrichtung gearbeitet und ist nun in Rente. Sie genießt es, jetzt mehr Zeit für ihre kreativen Projekte und die Gemeinschaft zu haben. Hanni kam vor sieben Jahren in der Trennungsphase von ihrem Mann ins Kloster. Sie brauchte Abstand und Neuorientierung. Beides bot ihr Pupping. Dass sie dort nicht nur für eine Auszeit blieb, irritierte ihre erwachsenen Kinder anfangs. »Ich suchte damals ein Haus, und meine Freunde fanden 24 franziskanisch leben eins nach dem anderen für mich. Als ich dann auch anTraumhäusern etwas auszusetzen hatte, merkte ich, dass ich hier eigentlich das gefunden hatte, was ich suchte.« Im Unterschied zu Elena gehört Hanni fest zur Shalom-Gemeinschaft. Sie und die anderen Laien der Gemeinschaft haben sich für eine radikale Lebensform entschieden. Sie wollen das Evangelium leben, indem sie das, was sie haben, mit den Bedürftigen und mit den Menschen, die zu ihnen kommen, teilen und sich voll und ganz einsetzen. Ohne die Laien wäre das Kloster Pupping nicht der gastfreundliche Ort, als der er von allen Besuchern wahrgenommen wird. »Hier kann ich einfach ich sein« sagt einer der Gäste, und eine andere fügt hinzu: »Auf der einen Seite ist das Shalomkloster sehr traditionell katholisch, auf der anderen Seite herrscht eine große Offenheit. Alles atmet Freiheit und doch gibt es viel Struktur und Verbindlichkeit. Das gefällt mir! Und ich schätze gerade die freundliche, ruhige Gelassenheit der Laien der Gemeinschaft. Das ist schon ein Pfund, das gerade die Frauen hier einbringen.« In einer solch offenen, heterogenen Gemeinschaft zu leben, ist zugleich eine gewaltige Herausforderung. »Für die meisten Brüder unserer Provinz ist das sicher nicht das Geeignete, ihnen entspricht eher die Lebensform der klassi- schen Konvente«, weiß Bruder Fritz. »Es gibt sicher berechtigte kirchenrechtliche Anfragen. Auch mit der historischen Erfahrung lassen sich Zweifel begründen, wenn man bedenkt, dass es immer wieder Doppelklöster gab und diese nie Bestand hatten.« Aber die Suche nach neuen Formen, in denen die Idee eines franziskanischen Lebens weitergeführt werden kann, ist das Gebot der Stunde, findet auch Bruder Werner. »So wie viele andere Gemeinschaften, ist unsere österreichische Ordensprovinz von der Überalterung der Mitbrüder und dem Mangel an Nachwuchs geprägt. Das drängt uns, neue Wege zu suchen, wie wir aus dem Evangelium heraus eine Gebetsgemeinschaft sein können, die das Leben miteinander teilt und gemeinsam arbeitet.« Doch in welcher Form Laien in die rechtliche Struktur des Ordens einzubinden sind, ob das überhaupt gewollt sein kann und welche Verbindlichkeiten jeweils gebraucht werden, das gilt es zu klären. »Nach den charismatischen Anfängen hier in Pupping beginnt jetzt die Phase der Konsolidierung«, erklärt Bruder Fritz den derzeit laufenden rechtlichen Klärungsprozess. »Ob es seitens der Ordensgemeinschaft dann die Offenheit für solche neu entstandenen Formen gibt, ob das zum offziellen ›Portfolio‹ der Provinz gehört, muss sich zeigen.« Zurzeit ist Pupping streng genommen Zum Kloster gehören auch etliche Tiere, für die Hanni und Daniela zuständig sind. Hannis eigentlicher Bereich sind die Töpferei und die Filzwerkstatt, aber auch Tanz und Puppenspiel. Die Tiere und die musisch-kreativen Elemente bereichern das Leben der Gemeinschaft. Insbesondere Töpfern und Filzen schaffen gute Möglichkeiten, Gäste und Asylbewerber einzubeziehen. seite 24: © kerstin meinhardt, seite 25: © franz josef gregorschitz Solidarisch in Gemeinschaft leben ein Konvent der Brüder, und im Kloster leben auch eine ehemalige Klarisse und einige Laien. Wichtig für den Klärungsprozess ist unter anderem die Statusklärung der Laien. Daniela Lanni, eine junge Italienerin, die nach ihrem Studium vor zwölf Jahren nach Pupping kam, erzählt, dass für sie und die anderen Laien der Gemeinschaft die Erstellung eigener Statuten ein wichtiger Schritt zur Klärung ihres Selbstverständnisses gewesen sei. Die Laien haben nun eine eigene Gemeinschaft mit eigenem Gelübde gebildet. Sie gehören zur Franziskanischen Gemeinschaft, also zum Dritten Orden der franziskanischen Familie. Im vergangenen November haben Daniela, Hanni und Tanja Neudorfer, die seit 5 Jahren im Kloster lebt, im Rahmen einer Aufnahmefeier mit dem Provinzial ihre selbst formulierten Gelübde abgelegt. »Wir wollen uns an Franziskus und Klara orientieren, wir wollen in Armut Gerechtigkeit üben, aufrichtige, ehrliche Beziehungen zu unseren Mitmenschen leben und in Ehrfurcht den Weg mit Gott gehen.« Auf der Suche nach einer neuen Form, Glauben, Leben und Arbeit zu teilen »Bei allem verantwortungsvollen Umgang – zum Beispiel hat jeder eine Krankenversicherung – kann es aber dennoch nicht unser oberstes Prinzip sein, zu gucken, dass alles abgesichert ist!«, meint Bruder Fritz. »Verzicht auf Sicherheiten und auf Geld ist gut franziskanisch! Heute ist das aber eine ständige Provokation. Viel zu sehr haben wir alle das Wirtschaftssystem verinnerlicht, auch in der Kirche!« Als Leiter des Hauses weiß er, dass nicht alles ohne Geld geht, zumal wenn jeden Tag eine so große Gruppe Menschen satt werden soll und Rechnungen zu zahlen sind. »Für viele Gemeinschaften ist die Frage der Finanzierung allerdings etwas ganz Zentrales geworden, allein schon, weil so große Häuser so viel Geld verschlingen. Das ist bei uns nicht so. Wenn wir zum Beispiel eine Köchin anstellen wollten, könnten wir uns das kaum leisten. So aber machen wir alles selbst, leben sehr einfach, bekommen Die Shalom-Gemeinschaft (v. l.): Klaus Gerhard Strohmaier OFM, Maria Theresia Oberholzer, Hanni Benedikt, Franz Josef Gregorschitz OFM, ein Gast, Tanja Neudorfer, Daniela Lanni, Fritz Wenigwieser OFM, Silvia Giuliani, Johann Wenin OFM viel geschenkt und können es uns sogar noch leisten, Gäste gratis bei uns aufzunehmen. Der Sinn des Erhalts dieses Hauses war, das Haus für die Menschen zu öffnen und es gemeinsam mit ihnen Stück für Stück zu sanieren. Aber ein Kloster nur um des Klosters willen zu erhalten, wäre für mich nicht sinnvoll. So wie es bei uns ist, gibt die Renovierung eine gute Gelegenheit, gemeinsam etwas zu schaffen. Alle neuen Gemeinschaften, die in den letzten vierzig Jahren entstanden sind, alle Bruderschaften, die aus den traditionellen Klöstern ausgezogen sind, sind gescheitert. Das heißt, wenn man die ganze Tradition, den Ort, die damit verbundene Spiritualität – ja den ganzen äußeren Rahmen – aufgibt, dann braucht es eine starke Klammer, die den Zusammenhalt herstellt. In Pupping sind das das gemeinsame Arbeiten und Beten und sicher auch die Tradition des Ortes. Vieles steht in Span- nung zueinander. Für diese Spannung steht der Shalombrunnen am Eingang des Klosters. So wie sich das Shalom definiert als eine Balance zwischen den Polen Wasser und Feuer, so steht auch unser Name, das Shalom, für das Aushalten dieser Spannungen.« Den Ortsnamen Pupping übersetzen die Bewohner des Klosters für sich mit »Verpuppen«. Hier kann sich Neues entfalten. Für Schwester Maria-Theres entstand hier nach der Schließung ihres Klarissenklosters tatsächlich Neues. »Nach 25 Jahren in Klausur war das damals eine gewaltige Umstellung für mich. Ich fragte mich immer wieder: ›Was will Gott von mir?‹ Heute glaube ich, Gott will, dass ich hier bin. Pupping ist tatsächlich ein Ort des Sterbens und des Auferstehens. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.« Die kleine Schwester lächelt zufrieden, als sie mit zweien der Asylbewerber in den Garten geht, um mit ihnen Blumen für den Gebetsraum und die Kirche zu holen. p kerstin meinhardt (54) ist Redakteurin der Zeitschrift und lebt in Idstein vivere – leben aus franziskanischer Inspiration Wir Franziskaner der Deutschen Ordensprovinz starten unter dem Titel »vivere« den Versuch, eine Bewegung ins Leben zu rufen, die Menschen zusammenführen soll, die sich vom franziskanischen Lebensentwurf inspiriert fühlen. Diese Bewegung soll offen sein für Christen verschiedener Generationen, Konfessionen und Kulturen, Verheiratete und Alleinstehende oder Ordenschristen. In einem ersten Schritt laden wir ganz herzlich zu einem der zwei Begegnungstreffen im Jahr 2015 ein: Fr, 26.–So, 28. Juni 2015 Haus Ohrbeck, 49124 Georgsmarienhütte, Am Boberg 10, Kontakt: Thomas Abrell OFM, Tel.: 0 54 01 3 36 29, E-Mail: [email protected] Fr, 10.–So, 12. Juli 2015 Kloster Hülfensberg, 37308 Geismar, Hülfensberg 1, Kontakt: Johannes Küpper OFM, Tel.: 03 60 8 24 55 00, E-Mail: [email protected] heute franziskanisch leben Unser Kursangebot auswahl der zum erscheinungsdatum buchbaren kurse Auszug aus den Programmen unserer Bildungs- und Exerzitienhäuser. Die Häuser senden Ihnen gerne die kompletten Programme zu. Auch im Internet finden Sie ergänzende Informationen. exerzitienhaus – franziskanisches zentrum für stille und begegnung Kreuzweg 23, 65719 Hofheim, Tel.: 0 61 92 99 04-0, Fax: -39, E-Mail: [email protected], www.exerzitienhaus-hofheim.de 26. 6.28. 6. 2015 Weg und Wandlung Initiatische Therapie nach Dürckheim/ Hippius Anette Prüfer, Exerzitienbegleiterin 26. 6.28. 6. 2015 Yoga-Wochenende im Sommer Asanas, Pranayama und Meditation (für Anfänger und Fortgeschrittene) Roswitha Bleul, Yoga-Lehrerin 8. 7.12. 7. 2015 Das Leben erden: Gartenexerzitien Durchgängiges Schweigen, Arbeit im Klostergarten, Gebete und Eucharistie Stefan Federbusch OFM, Erwachsenenbildner, Susanne Schmitt, Exerzitienbegleiterin 24. 7.31. 7. 2015 Einzelexerzitien Impulse zur Bibel- und Lebensbetrachtung Norbert Lammers OFM, Exerzitienbegleiter, Ruth Walker OFS, Exerzitienbegleiterin 28. 8.6. 9. 2015 Eremeo–Tage auf dem Monteluco/ Spoleto Franziskanische Exerzitien in Italien Norbert Lammers OFM, Exerzitienbegleiter, Ruth Walker OFS, Exerzitienbegleiterin 31. 8.4. 9. 2015 Rhythmus – Atem – Bewegung intensiv Lehr- und Übungsweise nach Hanna Lore Scharing Maria Hansmann, Diplom-Lehrerin für Rhythmus – Atem – Bewegung 11. 9.13. 9. 2015 Unterwegs zur eigenen Mitte Meditationswochenende zum Labyrinth Stefan Federbusch OFM, Erwachsenenbildner 14. 9.19. 9. 2015 Fasten und Wandern Entspannung, Meditation, Fasten- und Ernährungsberatung Elisabeth Müller, Fastenleiterin Viele Farben hat das Licht Exerzitienreise nach Istanbul Stefan Federbusch OFM, Erwachsenenbildner, Timur Kumlu, Lehrer 17. 10.24. 10. 2015 haus ohrbeck – katholische bildungsstätte Am Boberg 10, 49124 Georgsmarienhütte, Tel.: 0 54 01 33 6-0, Fax: -66, E-Mail: [email protected], www.haus-ohrbeck.de 10. 7.12. 7. 2015 »Jetzt verstehe ich dich besser!« Gesprächstraining für Paare mit dem EPL – Ein Partnerschaftliches Lernprogramm Alfons Gierse und Waltraud Kipp, EPL-Trainer, Thomas Abrell OFM, Theologe 10. 7.12. 7. 2015 Ähnlich – und doch anders Wochenende für Mütter und ihre Töchter von 3 bis 10 Jahren Ingrid Grossmann, Supervisorin DGSv, Maria Feimann, Supervisorin DGSv 24. 7.26. 7. 2015 Wege und Umwege der Liebe Mit Sinn(en), Verstand und Gefühl Partnerschaft erleben Elfi Ribing, Psychotherapeutin, Dr. Gerhard Schmid OFM, Pastoralpsychologe, Thomas Abrell OFM, Theologe 47. Internationale Jüdisch-Christliche Bibelwoche Das Buch Kohelet (Bildungsurlaub!) Rabbiner Prof. Dr. Jonathan Magonet, Dr. Uta Zwingenberger, Theologin 26. 8.30. 8. 2015 Nach Rom! Fahrradpilgertour für Männer in sechs Jahresetappen, Etappe 1: Ohrbeck–Trier Wilfried Prior, Carsten Vossel, Erlebnispädagoge 18. 9.20. 9. 2015 Vergeben und verzeihen Wochenende für Mütter und ihre Töchter von 12 bis 16 Jahren Ingrid Grossmann, Supervisorin DGSv, Maria Feimann, Supervisorin DGSv 25. 9.27. 9. 2015 In der Trauer lebt die Liebe weiter Wochenende für trauernde Menschen Margarete Pols, Trauerbegleiterin, Thomas Abrell OFM, Theologe 28. 9.30. 9. 2015 Coaching mit System und Spiritualität 2015–2017 Sechsteilige Weiterbildung: Qualifizierung zur/zum Coach,Teil 1 (Bildungsurlaub!) Heinrich Fallner, Supervisor DGSv, Mastercoach DGfC, Franz Richardt OFM, Theologe 2. 8.9. 8. 2015 kloster und meditationshaus im altmühltal – franziskanerkloster dietfurt Klostergasse 8, 92345 Dietfurt, Tel.: 0 84 64 65 2-0, Fax: -22, E-Mail: [email protected], www.meditationshaus-dietfurt.de 14. 9.20. 9. 2015 Sesshin: Zen-Meditation Nur für Geübte Stefan Bauberger SJ, Zen-Lehrer 21. 9.27. 9. 2015 T'ai-Chi-Ch'uan Aufbaukurs 1 (Einführungskurs vorausgesetzt) Toyo und Petra Kobayashi, T'ai-Chi-Lehrer, Samuel Heimler OFM, Gestaltpädagoge 12. 10.18. 10. 2015 Ikebana Aufbaukurs 1 Die japanische Kunst des Blumenarrangierens (Einführungskurs vorausgesetzt) Sachikio Oishi-Hess, Ikebana-Seminarleiterin 12. 10.18. 10. 2015 Nuad Phaen Boran und Meditation Körperlicher und seelischer Ausgleich durch Heike Pfletschinger, Nuad-Phaen-Boran-Lehrer, Berührung, Dehnung und Akupressur Samuel Heimler OFM, Gestaltpädagoge Zen-Meditation Strenger Meditationskurs 26. 10.1. 11. 2015 Johanna und Franz Krebs, Zen-Lehrer gästehaus kloster frauenberg Am Frauenberg 1, 36039 Fulda, Tel.: 06 61 10 95-217, Fax: -216, E-Mail: [email protected], www.kloster-frauenberg.de 18. 7.24. 7. 2015 17. 10.28. 10. 2015 26 programm Wenn Wege zur Erfahrung werden Wanderexerzitien in der Rhön Max Rademacher OFM, Seelsorger, und Team Auf den Spuren des heiligen Benedikt Wanderexerzitien auf dem Benediktweg von Norcia bis Subiaco, Italien Max Rademacher OFM, Seelsorger, und Team franziskanische berufungsgeschichten Wie ein Weg zu einem anderen Leben führt Bernd Leopold OFM (49) bekam irgendwann ein Buch über den Jakobsweg in die Hände. Bald machte er sich selbst auf nach Santiago de Compostela. Seine Erfahrungen auf verschiedenen Pilgerwegen führten ihn schließlich in die Ordensgemeinschaft der Franziskaner. 1966 wurde ich als ältestes von vier Kindern in der Nähe von Stuttgart geboren. Ich wuchs in einer katholischen Familie auf und besuchte regelmäßig den Gottesdienst. In meiner Freizeit spielte ich Tischtennis im Verein oder wanderte besonders gern in den Bergen. Mein Berufsweg verlief zunächst ziemlich geradlinig: Erst eine Gärtnerlehre, die ich nach Abitur und Wehrdienst absolvierte, dann das Studium des Gartenbaus in Geisenheim im Rheingau, einem Standort der Fachhochschule Wiesbaden. Nach dem Studium bot sich mir die Möglichkeit, für sechs Monate in Neuseeland in einer Baumschule zu arbeiten und etwas vom Land und seinen Menschen kennenzulernen. In dieser für mich sehr wichtigen Zeit erlebte ich hautnah, wie schwer es sein kann, ohne Familie und Freunde in der Fremde zu leben und dabei die Sprache nicht gut zu sprechen. Ich spürte aber auch, wie hilfreich und schön es ist, als Fremder in einem fremden Land freundlich und wohlwollend aufgenommen zu werden. Nach meiner Rückkehr aus Neuseeland trat ich eine Stelle als Produktionsleiter in einem kleinen Blumenerdemischwerk in Vaihingen an der Enz an. Kurz nach dem Jahrtausendwechsel fiel mir ein Buch in die Hände, von dem ich zurückschauend sagen kann, dass es mein Leben verändert hat. Das Buch handelte vom Jakobsweg, und als ich es las, wusste ich sofort: Diesen Weg muss ich unbedingt gehen. Im Jahr darauf packte ich meinen Rucksack und begab mich im Sommerurlaub auf Wanderschaft. Dieser Weg selbst hat mich verändert, denn beim Pilgern hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Nach meiner Rückkehr verspürte ich eine innere Unruhe, die nicht unangenehm war. In den folgenden Jahren war ich während des Sommers regelmäßig auf Pilgerwegen in Deutschland oder Spanien unterwegs. Und jedes Mal, wenn ich zurückkehrte, verspürte ich wieder diese Unruhe in mir. In meinem Leben musste sich etwas grundlegend ändern. So beschäftigte ich mich mehr als früher mit Fragen des Glaubens und war gleichzeitig auf der Suche. Auf dem Katholikentag besuchte ich Vorträge und nahm an verschiedenen Workshops teil. So kam ich mit Themen in Berührung, die mir früher nicht so wichtig schienen und die nun mehr und mehr Raum in meinen Gedanken und meinem Leben einnahmen. Andere Dinge, vor allem materielle wie Kleidung, Möbel oder ein eigenes Auto, die mir früher wichtig schienen, wurden plötzlich bedeutungslos. Wenn sich beim Pilgern die Möglichkeit bot, übernachtete ich in Klöstern am Wegesrand. Einmal kam ich bei Franziskanerinnen in Oberschwaben unter und erlebte, wie gut mir die Aufmerksamkeit und Offenheit der Schwestern taten und wie sehr mir ihre Spiritualität gefiel. Eine Assisi-Fahrt schließlich gab mir den endgültigen Impuls, mein Leben von Grund auf zu ändern. Die Unterstützung geistlicher Begleitung zeigte mir, dass mein Weg in den Orden führen sollte. Da ich damals bereits 41 Jahre alt war, wurde nach einigen Treffen mit Markus Laibach OFM gemeinsam beschlossen, meine Kandidatenzeit nach wenigen Wochen zu beenden und um die Zulassung ins Postulat zu bitten. Nach der Zeit der Ordensausbildung, einem Kennenlernen der Provinz und dem Einüben des Lebens als Franziskaner bat ich im September 2014 darum, mein feierliches Gelübde ablegen zu dürfen. Heute arbeite ich als Hausleiter im franziskanischen Projekt Omnibus in München. Dort kümmere ich mich gemeinsam mit einem Mitbruder und Kolleginnen um Eltern schwerkranker Kinder, die, solange ihr Kind im Krankenhaus sein muss, bei uns kostenlos ein Zuhause auf Zeit finden. berufungsgeschichten 27 nigeria Gemeinsame christlich-muslimische Schulen fördern! niger Islamistischer Terror, Massenentführung von Schulkindern, Christenverfolgung, Umweltkatastrophen im ölreichen Nigerdelta, unfähige Sicherheitskräfte und ein unvorstellbares Maß an Korruption … Davon handelten die Nachrichten über das bevölkerungsreichste Land Afrikas, den Erdöl-Staat Nigeria, zumeist. Ende März herrschte plötzlich ein ganz anderer Ton vor: Die Präsidentschaftswahlen waren weitgehend friedlich und fair verlaufen und brachten einen demokratisch legitimierten Machtwechsel – erstmals in der Geschichte dieses westafrikanischen Landes. Jugendliche feiern den Wahlsieg des neuen Präsidenten Muhammadu Buhari in Abuja auf der Straße Prof. Vellguth, wie schätzen Sie die aktuelle Lage nach dem Wahlsieg Muhammadu Baharis ein? Nigeria stand unter Präsident Goodluck Jonathan am Rande des Abgrunds. Vor allem die kriegsähnlichen Auseinandersetzungen im Norden des Landes, wo die islamistische Terrorgruppe Boko Haram immer mehr Einfluss gewonnen hat, zeigen, wie schwierig das Erbe ist, das der neue Präsident angetreten hat. Zunächst muss er das Land befrieden – ein Land, das in sich traditionell zerrissen und von tiefgreifenden ethnischen, kulturellen und wirtschaftlichen Gegensätzen geprägt ist. 28 hintergrund region nigerias, in der die scharia herrscht benin Abuja Lagos atlantischer ozean nigeria kamerun Wie konnte die Terrorgruppe Boko Haram so stark werden und zwischenzeitlich ein Gebiet von der Größe Belgiens kontrollieren? Der Erfolg dieser islamistischen Gruppe hat sicher viele verschiedene Ursachen. Zentral scheint mir zu sein, dass Nigeria ein tief gespaltenes Land ist, die Bevölkerung keine gemeinsame Identität entwickelt hat. Der Norden Nigerias, wo Boko Haram stark verankert ist, ist schon seit Jahrzehnten von der starken wirtschaftlichen Entwicklung der südlichen Regionen des Landes abgekoppelt. Die Menschen im Norden sind enttäuscht, und besonders junge Männer sehen für sich keine akzeptable Lebensperspektive. Zudem gibt es in den nördlichen Bundesstaaten kaum ein organisiertes Schulsystem. Stattdessen unterrichten nicht selten wandernde muslimische Lehrer die Schüler, was ein sehr niedriges Bildungsniveau zur Folge hat und die beruflichen Chancen der schlecht ausgebildeten Bevölkerung zusätzlich minimiert. In der Eigenwahrnehmung der Menschen in den nördlichen Landesteilen wird die dort verbreitete schlechte Schulbildung allerdings nicht als Problem erkannt. Vielmehr identifizieren die Menschen ihre Probleme mit einem in ihren Augen westlichen System in Nigeria, das korrupt ist, Gewalt produziert und einigen Menschen ermöglicht, sich übermäßig zu bereichern, während andere Menschen verarmen. Dieses System, als dessen Verlierer sie sich empfinden, setzen sie mit westlicher Bildung gleich, denn: Die verantwortlichen Eliten – zumeist aus dem Süden – haben das von den Kolonialherren ursprünglich eingeführte englische Bildungssystem durchlaufen. Welche Rolle spielen in diesem Konflikt ethnische und religiöse Zugehörigkeiten? Nigeria ist ein Land, in dem Religion schon immer eine wichtige, mitunter auch problematische Rolle gespielt hat. Man schätzt, dass 45 Prozent der Bevölkerung Christen, 45 Prozent Muslime und zehn Prozent Anhänger traditioneller afrikani- karte: © meinhardt, s. 28: © picture alliance/ap photo, s. 29: © picture alliance/dpa Interview mit Prof. Dr. Klaus Vellguth, dem Abteilungsleiter des katholischen Hilfswerks missio in Aachen und Professor für Missionswissenschaften an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar. tschad scher Religionen sind. Im Norden leben überwiegend kann Nigeria allerdings nicht alleine lösen. Hierbei handelt es sich um Muslime, im Süden überwiegend Christen. So sieht ein Problem von internationaler Reichweite. dies wie ein religiöser Konflikt aus: Muslime gegen Christen. Ursächlich scheinen mir aber eher die extWelche Möglichkeiten haben die Christen, hat die katholische Kirche, zur friedlichen Lösung der Konflikte beizutragen? remen wirtschaftlichen Unterschiede, das unterschiedliche Bildungssystem und schon lange schweEs gibt eine ganze Reihe von Beispielen gelungener Dialogansätze zwilende ethnische Konflikte, in denen es u. a. um den schen Christen und Muslimen. Das bekannteste ist die Diözese Jos, in uralten Konflikt zwischen Ackerbauern und Viehder Bischof Ignatius Ayau Kaigama, derzeit Vorsitzender der nigerianischen Bischofskonferenz, eine ganz enge Beziehung zum Emir von züchtern um Land und Wasser geht. Während beiWase, Alhaji Haruna Abdullahi, pflegte. Als Muslime in Jos Christen atspielsweise die Ibo traditionell Christen sind, sind die Fulani und Hausa zumeist Muslitackierten, stellten sich Bischof Kaigama und der Emir me. Somit haben wir einen Konflikt, von Wase gemeinsam den Gewalttätern in den Weg und es sieht wie ein der entlang der religiösen Grenzen religiöser konflikt aus machten deutlich, dass die zugrunde liegenden Konflikverläuft, und somit einen in ein relite weder mit dem Christentum noch mit dem Islam zu giöses Gewand gekleideten ethnischen und wirttun haben und keinesfalls religiös zu legitimieren sind. Eine besondere schaftlichen Konflikt. Bedeutung bei der Förderung einer nationalen Aussöhnung kommt auch den Medien zu. So gibt es beispielweise eine regelmäßige FernsehKann es Präsident Bahari, einem Muslim, gelingen, sendung, in der der frühere Generalsekretär der nigerianischen Bidem Land Frieden zu bringen, die Korruption zu beschofskonferenz, Georg Ehusani, mit muslimischen Führern über aktukämpfen und Boko Haram zurückzudrängen? elle politische Fragen spricht. Das Wichtigste daran ist, dass die BevölDer neue Präsident hat angekündigt, die grassierende kerung sieht, Christen und Muslime reden miteinander. Korruption zu bekämpfen und die Streitkräfte zu reformieren, um sie im Kampf gegen Boko Haram Traditionell hat die Kirche in Nigeria eine starke Stellung im Bildungsschlagkräftiger zu machen. wesen. Sie sollte im muslimischen Norden keine katholischen Schulen installieren, aber zusammen mit muslimischen Organisationen gemeinBeides ist dringend nötig. Wer durch die Hauptstadt same multireligiöse Schulen aufbauen. Denn: Bildung wird ein wesentAbuja fährt ist und sieht, welche Paläste direkt neben licher Schlüssel zur Lösung der Probleme Nigerias sein. Es geht dabei den Slumgebieten der Armen stehen und wie einige nicht um das Überstülpen eines westlichen Bildungssystems, sondern Menschen in kürzester Zeit immense Reichtümer andarum, das Gute aus den verschiedenen Traditionen zu kombinieren sammeln konnten, ahnt wie stark die Korruption in und ein auch kulturell adäquates System für die Region zu etablieren. Nigeria wirklich verbreitet ist. Dies lähmt die ganze wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung, Was können aus Ihrer Sicht die internationale Staatengemeinschaft und der Präsident muss dieses Problem vorrangig anund die Kirche in Deutschland tun, um bei einer friedlichen Lösung gehen. Tatsächlich ist in Nigeria, wie in den meisten der Konflikte in Nigeria behilflich zu sein? afrikanischen Staaten, Korruption in gewisser Weise Von Deutschland aus könnten in Nigeria Friedensinitiativen zwischen kulturell verankert. Die Unterstützung der eigenen Christen und Muslimen gefördert werden, insbesondere die erwähnten Familienangehörigen oder das Beiseiteschaffen von Bildungseinrichtungen, in denen Christen und Muslime gemeinsam Geld für den eigenen Clan galten lange nicht als ehunterrichtet werden. Zudem sollte die UN den Nigerianern auch milirenrührig, eher als Wahrnehmung einer Fürsorgetärisch helfen, den Terror im Norden zu unterbinden. Das ist zwar pflicht. hochgefährlich. Doch im Moment muss man einfach dafür sorgen, dass Boko Haram gestoppt wird. Grundsätzlich sind weder Soldaten noch Der zweite Problemkreis, bei dem der Präsident Waffen eine Lösung. Es geht um gesellschaftliche Teilhabe, um wirtschnell Erfolge vorzeigen kann und wird, ist die Einschaftliche Teilhabe und um Investitionen, damit im Norden Arbeitsdämmung der Gewalt gerade auch im Norden. Hier plätze entstehen und der Lebensstandard der Menschen steigt. kann Präsident Buhari als ehemaliger General Polizei und Militär besser führen, als es sein Vorgänger Die multinationalen Konzerne, die sich in Nigeria engagieren, müssten Goodluck Jonathan gemacht hat. Boko Haram und dazu gebracht werden, dass der größte Teil der im Land erwirtschaftedas Problem des islamistischen Terrors insgesamt ten Erträge auch wieder in Nigeria investiert wird. ■ interview und bearbeitung alfred strauss und thomas meinhardt hintergrund 29 Siegfried Haas – Ein »franziskanischer Mensch« Im Jahr 2008 hat der Bildhauer, Maler und Zeichner Siegfried Haas ein Bronzemedaillon geschaffen, das den heiligen Franz von Assisi zeigt, in dynamischer Bewegung, die Arme weit geöffnet zur Anbetung, darüber die Sonne. Rund um die kleine Plastik steht »Gepriesen seist du durch unsere Schwester, die Sonne«. Die Arbeit ist Ausdruck einer tief empfundenen franziskanischen Spiritualität, die den Künstler sein Leben lang begleitet hat. 2011 ist Siegfried Der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart hatte Siegfried Haas mit dieser Arbeit zum Sonnengesang des heiligen Franziskus beauftragt. Das Bronzemedaillon wird den Preisträgern des »Franziskus-Preises« überreicht, den die schwäbische Diözese im Rahmen ihrer Klima-Initiative für besonders innovative Bemühungen zur Bewahrung der Schöpfung verleiht. Diesen Auftrag hatte der in Rottweil lebende Künstler gerne angenommen, entsprach er doch seiner Persönlichkeit und seiner Spiritualität. Mit allen Sinnen, mit einem großen Herzen und Geist, mit seinem Freiheit ausstrahlenden Glauben liebte er Gottes gute Schöpfung: Sonne und Mond, die Tiere und Pflanzen, das Wasser, das Feuer und die Erde – und vor allem die Menschen, denen er mit vorbehaltloser Offenheit zugetan war. Auch dem Tod, der ihn kurz vor seinem 90. Geburtstag heimholte, konnte er bereitwillig entgegengehen und ihn – wie der Heilige aus Umbrien – als Bruder begrüßen. Das Bild von der Begegnung des Apostels Thomas mit dem Auferstandenen, dem dieser geradezu entgegenstürzt, um ihn zu berühren und sich von ihm an der Hand nehmen zu lassen – 2009 hat Siegfried Haas dieses Bild gemalt –, es könnte postum als Ausdruck seiner vertrauensvollen Erwartung der Begegnung mit seinem göttlichen Bruder und Herrn gedeutet werden (siehe Seite 2 in dieser Zeitschrift). 30 kultur Franz von Assisi hat Siegfried Haas sein ganzes Leben lang begleitet. Davon zeugen auch die Bilder zur Franziskus-Vita, die im Exerzitienhaus der Franziskaner in Hofheim am Taunus hängen. Die Auswahl der Motive sagt viel über den Maler selbst aus: Der visionäre Auftrag Jesu an Franziskus, seine Kirche in San Damiano wieder aufzubauen, erinnert mich an Siegfried Haas’ leidenschaftliches Bemühen, an der Erneuerung »seiner« Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil mitzuwirken. In Franziskus‘ Auftreten vor Sultan Saladin – als Botschafter des evangelischen Friedens inmitten der von religiösem Fanatismus geschürten Gewalt im Heiligen Land – spiegelt sich die unbeirrbar versöhnungsbereite, ja pazifistische Lebenseinstellung des Künstlers, die auch zu einer tiefen Freundschaft mit Roger Schutz, dem Prior von Taizé, führte. wundmale des lebens Ein Bild zur Stigmatisierung des heiligen Franz gehört nicht zu der Hofheimer Bilderserie. Aber die Wundmale, die das Leben und das Ringen um den Glauben in ihn eingeprägt haben, sie gehörten auch zu Siegfried Haas. Darüber freilich hat er nur wenig gesprochen – und erst kurz vor seinem Tod. Ein Bild aus dem Jahr 2006 mit dem Titel »Lichtblick« – die Entmachtung des Satans nach Offenbarung 12,9 – war wohl auch so etwas wie eine Katharsis von den Dämonen der Angst, die von den schweren Misshandlungen der Kriegsgefangenschaft in Frankreich herrührten. Auch andere Verwundungen bedurften der Heilung. © kunstverlag josef fink, s. 30 medallion sonnengesang: diözese rottenburg-stuttgart, s. 31 oben: andré madaus Haas im Alter von 90 Jahren gestorben. Mit dem Orden des heiligen Franziskus kam der am 8. Juni 1921 in Giengen an der Brenz geborene Siegfried Haas erstmals in Schramberg, dem damaligen Wohnort der elterlichen Familie, in Berührung: Nachdem er bereits 1933 zusammen mit seinem Bruder Flugblätter gegen die Nationalsozialisten verteilt und sich überdies geweigert hatte, der Hitlerjugend beizutreten, konnte er auf Vermittlung eines befreundeten Franziskanerpaters ins Ordensinternat nach Watersleyde in Holland gehen. Nach dem Abitur wurde er in Fulda als Novize aufgenommen, aber sein Weg führte ihn dann zum Kunststudium nach Stuttgart. Als ihn seine Mitgliedschaft in einer studentischen Widerstandsgruppe und deren Verbindung zur »Weißen Rose« in große Gefahr brachte, meldete er sich 1943 freiwillig an die russische Front. Dort kam er allerdings nie an, sondern mit Gelbfieber in ein Lazarett und von dort in französische Kriegsgefangenschaft. Der Neuanfang nach dem Krieg war für das junge Künstlerehepaar Ingrid und Siegfried Haas mühsam. Die Entscheidung für eine große Familie – es sollten acht eigene Kinder und ein Pflegesohn werden – verlangte die Bereitschaft zu Entbehrungen. Im Rückblick freilich weist das Werkverzeichnis von Siegfried Haas, dem es nie um Modernität als solche und auch nie um eine bestimmte Manier des künstlerischen Ausdrucks ging, sondern der immer um Authentizität gerungen hat, ein immenses Schaffen auf: Es umfasst über 100 größere Werke und Werkgruppen. Dazu zählen Skulpturen in Bronze, Stein und Beton ebenso wie Fenster, Mosaiken oder gegenständliche und nicht gegenständliche Bilder. Kruzifixe und Statuen finden sich darunter, liturgische Geräte, Kreuzwege, Grabmäler, Brunnen auf öffentlichen Plätzen. Und nicht zuletzt Altäre und Innenausstattungen von Kirchen. 2012 überließ Siegfried Haas' Sohn Frowin Haas dem Franziskaner und ehemaligen Redaktionsleiter Helmut Schlegel OFM neun Aquarelle mit bekannten franziskanischen Motiven. Die Bilder befinden sich heute im Franziskanischen Zentrum für Stille und Begegnung in Hofheim am Taunus und können dort besichtigt werden. Arbeit am Gussmodell der Bronzefigur »Gabriel« (links). Siegfried Haas schuf den überlebensgroßen Engel 2007. kultur 31 compassio – mitleiden mit den armen und erniedrigten Mehr als vieles andere sagt diese Gestaltung etwas aus über die Person von Siegfried Haas und über den Geist seines Schaffens. Franziskus, der Poverello von Assisi, ist und bleibt für ihn das Vorbild eines glaubwürdigen Menschseins und einer glaubwürdigen Kirche. ■ thomas broch (68) war Siegfried Haas freundschaftlich verbunden. Seit 2013 ist der Theologe und Seelsorger Bischöflich Beauftragter für Flüchtlingsfragen der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Von 1988 bis 2006 leitete er die Öffentlichkeitsarbeit des Deutschen Caritasverbandes. Siegfried Haas Bildhauer, Zeichner, Maler Gabriele und Harald Frommer (Hrsg.), Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg im Allgäu 2008, 236 Seiten, gebunden, 24,89 Euro, ISBN 978-3-89870-435-9 Der empfehlenswerte, aufwändig gestaltete Bildband stellt Siegfried Haas und sein Werk in allen Facetten vor. Verschiedene Autoren – darunter der Künstler selbst – erläutern Entstehungsgeschichten, Hintergründe und Zusammenhänge der dargestellten Werke. 32 kultur © kunstverlag josef fink Haas-Skulpturen beim Appellplatz der KZGedenkstätte Eckerwald: »Die Macht« (oben) thront über dem am tiefsten Punkt aufgestellten »Gefangenen«. Siegfried Haas wurde kein Franziskaner, aber er war ein durch und durch franziskanischer Mensch. Davon zeugt vor allem ein durchgehender Wesenszug seiner Persönlichkeit, für die der Begriff compassio wohl am besten geeignet ist: Das Mitleiden mit den Armen und Erniedrigten jeder Art ist ein zentrales Motiv seines Schaffens. Zu den Figuren, die sich in einer seiner Brunnenskulpturen um Jesus scharen, gehört ein erkennbar Armer. In seinen Kruzifixen sind die Opfer von Genoziden und die Gefangenen der Konzentrationslager zu erkennen. Jahrelang hatte sich Siegfried Haas gegen große Widerstände dafür eingesetzt, dass in dem ehemaligen Konzentrationslager Eckerwald nahe Rottweil am Westrand der Schwäbischen Alb eine Gedenkstätte eingerichtet wurde. Im Jahr 1989 konnte sie schließlich eingeweiht werden. In der Mitte des ehemaligen Appellplatzes befindet sich die von Haas geschaffene Skulptur eines knieenden, gefesselten Gefangenen. Nicht erhaben, auf einem Podest, sondern am Boden, am tiefsten Punkt des Platzes. Am Rand, viel höher platziert, hat er später eine Skulptur der »Macht« angebracht – gewalttätig, Angst einflößend. Wer dem Menschen in seiner Erniedrigung begegnen will, wer in ihm Christus begegnen will, der muss herabsteigen, muss sich zu seiner eigenen Ohnmacht und Hilflosigkeit bekennen. franziskaner aktuell Prominenz im Franziskanerkloster Berlin-Pankow. Zum Jahresempfang des Deutschen Caritasverbandes am 6. Mai kamen zahlreiche Prominente aus Politik und Gesellschaft in die franziskanische Suppenküche in Berlin-Pankow. Ehrengast und Hauptredner des Abends war Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Anwesend waren unter anderen der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki, Gesundheitsminister Hermann Gröhe und Arbeitsministerin Andrea Nahles. Der Deutsche Caritasverband wählt für seinen Empfang alljährlich Orte, an denen sozial-karitatives Engagement gelebt wird. In der Suppenküche der Franziskaner in Pankow werden täglich mehrere hundert warme Mittagessen an Bedürftige ausgegeben. www.pankow.franziskaner.de Michael Perry OFM bleibt Generalminister Rom. Michael Perry OFM wurde am 22. Mai vom Generalkapitel der Franziskaner in seinem Amt als Generalminister bestätigt. Der 61-jährige US-Amerikaner trat 2013 die Nachfolge von José Carballo OFM an, den Papst Franziskus kurz nach seiner Ernennung als Leiter der Ordenskongregation in den Vatikan gerufen hatte. Michael Perry OFM war lange in der Ausbildung tätig, arbeitete zehn Jahre als Missionar in der Demokratischen Republik Kongo und war Provinzialminister der Herz-Jesu-Provinz in den USA. www.ofm.org Papst Franziskus macht Franziskanern Mut Rom. 150 Franziskaner besuchten am Rande ihres Generalkapitels in Rom Papst Franziskus. Der Pontifex empfing die Provinzialminister aus aller Welt und machte ihnen Mut, sich den großen Herausforderungen zu stellen, die durch Überalterung und spärlichen Nachwuchs auf den Orden zukommen. Mit Blick auf das Thema des Generalkapitels sagte er: »Mindersein, das bedeutet, herauszugehen aus sich selbst, aus den eigenen Schemata und der persönlichen Perspektive; auch aus den Strukturen, so nützlich sie sind, aus den Gewohnheiten und Sicherheiten, um ganz konkret den Armen, den Notleidenden, den Menschen am Rand nahe zu sein.« de.radiovaticana.va Abschied aus Hermeskeil München. Wie die Provinzleitung Ende April mitteilte, wird das Franziskanerkloster in Hermeskeil bei Trier 2016 nach 93 Jahren geschlossen. Als Postulats- und Noviziatshaus der ehemaligen Kölnischen Ordensprovinz und später als Mitlebehaus war und ist das Kloster für viele Menschen in Hermeskeil und Umgebung eine geistliche Heimat. »Wir müssen uns auch von Orten trennen, die uns sehr ans Herz gewachsen sind, weil wir all das, was wir momentan noch tun, so nicht in die Zukunft tragen können«, so Provinzialminister Cornelius Bohl OFM. www.franziskaner-hermeskeil.de »Crowdfunding« für die Kreuzigungsgruppe Bischofsheim/Rhön. Die denkmalgeschützte Kreuzigungsgruppe auf dem Kreuzberg gehört zu den am häufigsten fotografierten Motiven der Rhön. Die 12. Station des barocken Kreuzweges von 1710 – dem ersten in der freien Natur geschaffenen Kreuzweg in Deutschland überhaupt – ist ständig Wind und Wetter ausgesetzt. Von November 2014 bis Ende April 2015 wurde sie saniert. Das dafür notwendige Geld sammelten die Franziskaner des Klosters Kreuzberg mithilfe eines Crowdfunding-Projektes der VR-Bank Rhön-Grabfeld: Dank kleiner und kleinster Beträge vieler Menschen erstrahlt das Wahrzeichen der Rhön nun wieder in altem Glanz in 930 Metern Höhe über dem Meeresspiegel. www.franziskaner.de Franziskaner in 120 Ländern tätig Rom. Ende 2014 gab es weltweit 13.632 Franziskaner – darunter 6 Kardinäle, 113 (Erz-) Bischöfe und 1.140 Novizen und Postulanten –, knapp 1 Prozent weniger als vor einem Jahr. Die leichten Zuwächse in allen anderen Regionen konnten den Rückgang in Westeuropa und Nordamerika nicht ganz ausgleichen. Die Brüder sind in insgesamt 120 Ländern tätig: 1.161 in Afrika und Nahost, 3.334 in Lateinamerika, 1.273 in Nordamerika, 1.423 in Asien/Ozeanien, 2.442 in Osteuropa und 3.999 in Westeuropa. Markus Heinze OFM neuer Geschäftsführer von FI Genf. Schon Anfang dieses Jahres wurde Markus Heinze OFM zum neuen Geschäftsführer von Franciscans International (FI) ernannt, der Menschenrechtsorganisation der Franziskanischen Familie bei den Vereinten Nationen. Seine Ernennung erfolgte nach jahrelangem Engagement für FI, zunächst als ehrenamtliches Vorstandsmitglied, dann als Regionaldirektor in Genf und in den letzten zwei Jahren als vorläufiger Geschäftsführer. Unter seiner Leitung gelang es, FI so aufzustellen, dass auch in Zukunft die Erfordernisse einer effizienten und modernen Lobbyarbeit für Menschenrechte bei der UNO erfüllt werden können. www.franciscansinternational.org Klimawandel führt zu weitreichenden Menschenrechtsverletzungen Genf. »Der Klimawandel hat massive Auswirkungen für die Menschenrechtssituation in zahlreichen Staaten«, betonte die Menschenrechtsorganisation der Franziskaner Franciscans International anlässlich einer UN-Veranstaltung im Frühjahr in Genf. Die Berichte von Franziskanerinnen und Franziskanern aus einer Reihe von Ländern bestätigen, dass der Klimawandel schon heute für viele Menschen eine Bedrohung darstellt: zwangsweise Umsiedlung ganzer Bevölkerungsgruppen, verstärkter Migrationsdruck, Verlust des Lebensunterhaltes oder auch Beeinträchtigung der öffentlichen Gesundheitssysteme. Besonders drastisch sind die Auswirkungen für die Menschen in dem Pazifikinselstaat Kiribati, dessen Präsident Tong auch auf Vermittlung von FI am 6. März 2015 am Runden Tisch des Menschenrechtsrates für Klima- und Menschenrechtsfragen sprechen konnte. FI und seine Partner fordern von der UN, die negativen Auswirkungen des Klimawandels auf die Achtung der Menschenrechte auf die Tagesordnung der Klimaverhandlungen zu setzen. Die entwickelten Länder müssen endlich ihre länderübergreifende Verantwortung für den Klimawandel und seine katastrophalen Auswirkungen im Interesse der betroffenen Völker wahrnehmen. www.franiscansinternational.org Ausführliche Berichte und weitere Nachrichten 33 www.franziskaner.de nachrichten 33 buchverlosung In der Frühjahrsausgabe suchten wir den Geburtsort von Nikolaus Voss OFM. Die richtige Antwort »Schwerin« sandten 114 Leserinnen und Leser ein, unter denen wir drei Gewinner ausgelost haben. Herzlichen Glückwunsch! deutsche franziskanerprovinz Adressänderung und Bestellungen Provinzialat der Deutschen Franziskanerprovinz Zeitschrift Franziskaner Frau Ingeborg Röckenwagner Sankt-Anna-Straße 19, 80538 München [email protected] Tel.: 0 89 2 11 26-150, Fax: 0 89 2 11 26-111 Martina Kreidler-Kos Lebensmutig – Klara von Assisi und ihre Gefährtinnen In der Reihe »Franziskanische Akzente« aus dem Echter Verlag erschien in diesem Frühjahr der kleine Band »Lebensmutig«. Die Autorin Martina Kreidler-Kos, die 1999 über Klara von Assisi promoviert hat, zeichnet darin den Weg der Heiligen und ihrer Gefährtinnen nach, von den Anfängen vor den Toren von Assisi bis zur Annahme der von Klara verfassten Regel durch den Papst in Rom. Echter Verlag, Würzburg 2015, 80 Seiten, 8,90 Euro, ISBN 978-3-429-03772-7. Wir verlosen drei Exemplare dieses Buches unter allen Teilnehmenden, die uns die folgende Frage richtig beantworten: Welches Amt übte der Schweizer Globalisierungskritiker Jean Ziegler zwischen 2000 und 2008 bei den Vereinten Nationen aus? Bitte schicken Sie Ihre Antwort auf einer Postkarte an: meinhardt Verlag und Agentur, Magdeburgstraße 11, 65510 Idstein Stichwort: Franziskaner Einsendeschluss: Freitag, 21. August 2015. Es gilt das Datum des Poststempels. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Bitte vergessen Sie nicht, Ihre Adresse anzugeben. NEU ERSCHIENEN Franziskaner – Magazin für franziskanische Kultur und Lebensart Zeitschrift der Deutschen Franziskaner ISSN 1869-9847 – Zeitungskennziffer 50876 Herausgeber Provinzialat der Deutschen Franziskaner, St.-Anna-Straße 19, 80538 München Redaktionsanschrift Stefan Federbusch OFM, Exerzitienhaus, Kreuzweg 23, 65719 Hofheim, Tel.: 0 61 92 99 04-0, E-Mail: [email protected] Redaktion Thomas Abrell OFM, Michael Blasek OFM, Stefan Federbusch OFM (Redaktionsleiter), Natanael Ganter OFM, André Madaus, Kerstin Meinhardt, Thomas Meinhardt, Jürgen Neitzert OFM Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion wieder. Die Rechte an den Artikeln liegen bei den jeweiligen Autoren. Eine Wiedergabe – auch auszugsweise – ist nur mit vorheriger Genehmigung gestattet. Weitere Mitarbeitende dieser Ausgabe Cornelius Bohl OFM, Rangel Geerman OFM, Ricarda Moufang, Helmut Schlegel OFM, Eugen Wehner, Alfred Strauß. Bildnachweise Titel: © Photolyric Stock Productions (Klöpper & Eisenschmidt GbR) – iStock; Rückseite: FotoSteindorf. Alle anderen Nachweise stehen auf den Seiten, ungekennzeichnete Bilder entstammen dem Archiv der Franziskaner oder dem der Firma meinhardt. Wolfgang Rosen, Wolfgang Mauritz OFM NUDO – Franz von Assisi epubli, 52 Seiten, gebunden, 29,80 Euro, ISBN 978-3-7375-3642-4 Das Fotobuch zum Puppenspiel des Vossenacker Marionettentheaters »De Strippkes Trekker« kann über www.epubli.de bezogen werden. Das Marionettentheater entstand am Franziskusgymnasium Vossenack. Der Erlös aus dem Verkauf des Buches kommt der Franziskusstiftung und insbesondere der Unterbringung von Flüchtlingskindern im Franziskusinternat in Vossenack in der Eifel zugute. Franziskaner Mission: Die Sommerausgabe unseres Schwestermagazins befasst sich dieses Mal mit dem Thema »Solidaritätsbrücken von Mensch zu Mensch«. Sie können die »Franziskaner Mission« kostenfrei abonnieren: Telefon: 02 31 17 63 37-65 oder per E-Mail an [email protected] bzw. in Bayern unter Telefon: 0 89 21 12 61 10 oder per E-Mail an [email protected] Impressum Solidaritätsbr ücken Layout Eileén Bosselmann, Kerstin Meinhardt (art-dir.), Désirée Neff, Lukas Neu. Verlag, Gestaltung und Anzeigenverwaltung meinhardt Verlag und Agentur, Magdeburgstraße 11, 65510 Idstein, E-Mail: [email protected], www.meinhardt.info Bankverbindung Die Zeitschrift »Franziskaner« erscheint quartalsweise. Spenden zur Finanzierung dieser Zeitschrift erbitten wir unter Angabe des Verwendungszweckes »Spende Zeitschrift« auf das Konto der Deutschen Franziskanerprovinz, Kto 808 888 80, BLZ 510 917 11 bei der Bank für Orden und Mission, IBAN DE37 5109 1711 0080 8888 80, BIC VRBUDE51 Druck und Versand Printmedienpartner GmbH, Hameln Klimaneutral gedruckt und versendet Gedruckt auf 80 % Recyclingpapier und 20 % aus nachhaltiger Waldwirtschaft (FSC). von Mensch Bruderschaft in Mission – Das Solidarität – Eine Von Mensch zu Warum nicht 2 2015 weltkirchliche Engagement Begriffsdefinition der deutschen zu Mensch Franziskaner Mensch – Spenderdia Schluss machen? log in der Franziskan er Mission Dortmund – Eine Schulpartn erschaft mit langem Atem natureOffice.com | DE-000-000000 Germanicus und die Kunst des Predigens »Franziskus, du warst schon in Rom und im Heiligen Land, »Weißt du überhaupt, wie schön es bei uns ist?« aber nach Germanien zieht es dich wohl gar nicht? Ist dir Germanicus fing an, von seiner Heimat zu schwärmen, der Weg über die Alpen zu anstrengend?«»Nein Bruder, das und sah dabei aus, als wäre er im Himmel. – »Ich habe ist es nicht.« Germanicus schaute den schmal gewordenen schon so viel Gutes gehört, Bruder. Ich bewundere dein Franziskus von der Seite her an und meinte: »Ich verstehe, Land und deine Landsleute. Und auch die deutschen dein Magen. Die fetten Würste und das bittere Bier täten Brüder, aber …« – »Was ist mit ihnen?«, knurrte deiner Gesundheit nicht gut.« Franziskus seufzte: »Ja, das Germanicus. »Nun, ihr seid so genau und zuverlässig. wäre ein Opfer für mich, aber das ist es auch nicht.« Wenn ich zum Beispiel einen von euch bitte zu predigen, dann holt er ein Blatt Papier und einen Feder kiel. Er arbeitet konzentriert und nach zwei Stunden hat er eine Predigt, an der kein Prälat und kein Doktor der Theologie etwas auszusetzen hätte. Ehrlich gesagt: Das macht mir ein schlechtes Gewissen.« Er machte eine Pause und seufzte. »Wenn ich predigen soll, lege ich mich ins Gras, schaue den Wolken nach und lausche den Lerchen. Dann stehe ich auf, geh‘ auf den Markplatz und stammle ein paar Sätze von dem, wovon mein Herz voll ist.« »Das bist eben du, Franziskus. Und es ist gut so, wie du bist.« – »Vielleicht«, meinte Fran ziskus, »und es ist wohl auch gut so, wie ihr seid.« text helmut schlegel ofm illustration michael blasek ofm v. l. : Hubert Wurz, Martin Walz, Gabriel Zörnig Franziskanerkloster Waren an der Müritz Eine von 37 Gemeinschaften der Franziskaner in Deutschland. Weitere Informationen: www.franziskaner.de
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