Reportage Samstag, 8. August 2015 Auf dem Golan Panzer zählen Schweizer Offiziere überprüfen als UNO-Militärbeobachter, ob Israel und Syrien ihren Waffenstillstand einhalten. Im Moment können sie das nur auf der israelischen Seite. Jenseits der Pufferzone sind die Rebellen. Von Christof Widmer (Text und Fotos) Eine Katze springt über die weisse Betonmauer. Sie hat sich in der Morgensonne gestreckt, bis die Besucher sie aufgeschreckt haben. Hinter der Mauer weitet sich das verdorrte Land zu einer Ebene. Bis zur syrischen Hauptstadt Damaskus sind es 60 Kilometer. Dorthin kommt von hier aus aber kein normaler Mensch. In 300 Metern Entfernung durchtrennt ein massiver Zaun die gelbe Ebene. Wer ihn nur schon berührt, hat eine israelische Militärpatrouille am Hals. Die weisse Mauer schützt den Observation Post 51. OP 51 ist einer von fünf Beobachtungsposten der UNO auf den Golan-Höhen. Er liegt auf der israelischen Seite der Waffenstillstandslinie. Auf dem Turm blickt der Schweizer Hauptmann Dominik Weber (34) durch ein riesiges, fest montiertes Fernglas. «Jede Stunde müssen wir das Gelände mindestens 30 Minuten lang beobachten», sagt der Luzerner. Abhängig von der Lage kann auch eine lückenlose Beobachtung erforderlich sein. Jetzt ist es ruhig. Vor einigen Monaten zählten die unbewaffneten Militärbeobachter die Granateinschläge auf der syrischen Seite, als es in den Bürgerkriegswirren dort zu Kämpfen kam. Den Zaun haben die Israeli auf ihrer Seite der demilitarisierten Pufferzone gebaut. Diese wurde nach dem Jom-KippurKrieg von 1973 eingerichtet. Seither überwacht die UNO den Waffenstillstand zwischen Israel und Syrien. Damit keine Seite zu einem neuen Angriff aufmarschieren kann, dürfen Syrer wie Israeli in einem je 25 Kilometer breiten Streifen im Anschluss an die Pufferzone nur eine festgelegte Zahl von Soldaten, Panzern, Geschützen, Flugzeugen oder Drohnen stationieren. Die UNO-Militärbeobachter kontrollieren, ob die Parteien diese Beschränkung auch wirklich einhalten. Raum. Dann können sie ein paar Tage zurück in ihre Wohnung in der Stadt Tiberias am See Genezareth. Den Beobachtungsposten können sie nur über die Zufahrtsstrasse verlassen. Rund herum ist das Gelände sonst vermint. Rote Markierungen auf den Steinen zeigen an, wo das Minenfeld beginnt. Jeder Buschbrand ist eine Gefahr, weil er Minen zur Explosion bringen könnte. Auch deshalb verfügt jeder Die Nummern müssen Codes für die verborgen liegenden israelischen Positionen sein. Beobachtungsposten über einen artilleriesicheren Bunker. Die Katze schleicht um ein zum Hometrainer umfunktioniertes Velo. Auch dieser Platz bietet zwei- und vierbeinigen Beobachtern einen hervorragenden Überblick. Das Velo ist im Freien so aufgestellt, dass man während des Trainings in die Pufferzone schauen kann. «Man darf den Panzerpiste kreuzt die Hauptstrasse Wie jeden Vormittag verlässt einer der drei Militärbeobachter den OP und begibt sich zusammen mit einem Kollegen aus dem nächsten Beobachtungsposten auf Patrouille. Die blaue UNO-Fahne flattert am Heck des weissen Fahrzeugs. Weber fährt mit seinem Kollegen die Strassen auf dem Golan ab. Sie interessiert, was die israelische Armee macht. Mehrere Dutzend Positionen haben die Israeli auf dem Golan – Stellungen, Militärcamps und Horchposten. Trotz der Beschränkungen durch den Waffenstillstandsvertrag ist der Golan für Israel ein hervorragendes Truppenübungsgelände. So kann es vorkommen, dass eine Panzerpiste die Strasse kreuzt. Eine Dreckspur zieht sich dann über den Teer und geht auf der anderen Seite wieder in die Staubnarbe über, die die Panzer ins Gelände gerissen haben. Von der Hauptstrasse zweigen immer wieder kleinere Strässchen ab, die mit numerierten Wegweisern versehen sind. Die Nummern müssen Codes für die verborgen liegenden israelischen Positionen sein. Manchmal steht neben dem Wegweiser eine Bushaltestelle, obwohl weit und breit kein Anzeichen einer Siedlung zu sehen ist. An einer Haltestelle warten drei israelische Soldaten, die aussehen, als würden sie ihren Urlaub antreten. Einige Militärcamps liegen gleich neben der Strasse – mit grossen Plachen gegen den Blick von aussen geschützt. In einem sind aber Panzerhaubitzen zu sehen. «Die dürfen hier sein», sagt Hauptmann Weber. Keine fünf Minuten weiter bemerkt er acht israelische Kampfpanzer, die einige Hundert Meter von der Strasse entfernt stehen. Unter einem Sonnenschutz warten Soldaten. «Etwas langsamer», sagt Weber zu seinem Fahrer. Der Schweizer notiert Ort und Zeit. Wenn die Israeli nervös werden Später wird Weber die Beobachtung in seinem Report ans Hauptquartier aufführen. Dort gewinnen die Analysten mit solchen Angaben einen Überblick über die israelischen Aktivitäten und Truppenstär- Die Golan-Höhen Pufferzone Mittelmeer Libanon Bental 1170 m ü. M. Israel Syrien GolanHöhen Tiberias Genezareth Westbank Karte: sgt ken auf dem Golan. Von Interesse ist für sie beispielsweise auch, wie die Israeli patrouillieren. «Verwenden sie plötzlich schwer gepanzerte Fahrzeuge, ist das ein Indiz, dass sie aus irgendeinem Grund nervös sind», sagt Weber. Regelmässig inspizieren die Militärbeobachter auch die israelischen Positionen selber. Dann sind sie in Begleitung eines israelischen Offiziers, der ihnen den Zugang zu allen Einrichtungen sicherstellen soll. Ob sie dabei Verletzungen des Waffenstillstandsabkommens feststellen, darüber bewahren die UNO-Beobachter Stillschweigen. Hebräische Schrift im Supermarkt In ihren Beobachtungsposten sind die Militärbeobachter auf sich gestellt. Während des siebentägigen Einsatzes müssen sie selber dafür sorgen, dass sie genug zu essen haben. Bevor sie den OP beziehen, kaufen sie Lebensmittel im Supermarkt ein. «Wenn man neu aus der Schweiz kommt, ist das gar nicht so einfach. Die Packungen sind nur hebräisch beschriftet», sagt Weber. Das Abendessen kocht abwechselnd jeweils einer für das ganze Dreierteam. Das kann spannend werden, Untso und Undof Zwei UNO-Missionen Im Sechstagekrieg besetzte Israel 1967 den Grossteil der Golan-Höhen. Die Pufferzone existiert seit dem Jom-Kippur-Krieg von 1973. Die israelische Annexion des Golan von 1981 ist international nicht anerkannt. Ringsum vermintes Gelände «Das ist unsere OP-Katze», sagt Weber, als sich das Tier wieder zeigt. Sie darf nicht nur aus Tierliebe im OP 51 wohnen. «Sie hält das Ungeziefer und die Schlangen in Schach.» Neben der Katze leben drei Militärbeobachter jeweils sieben Tage lang bis zur Ablösung hier auf engem Sport nicht unterschätzen», sagt Weber. Die Militärbeobachter sitzen viel. Eine rudimentäre Auswahl an Fitnessgeräten gehört darum zu jedem OP. Hauptmann Dominik Weber schaut vom Beobachtungsposten auf dem Berg Bental Richtung Syrien. Im Hintergrund erhebt sich das Massiv des Bergs Hermon. 20 km Major Jens Amrhein und Hauptmann Karin Uhr im UNO-Hauptquartier in Jerusalem. Seit 1948 ist die Untso, die UNO-Mission für die Überwachung des Waffenstillstands zwischen Israel und den arabischen Staaten, im Nahen Osten präsent. Die Schweiz stellt mit 14 Offizieren mittlerweile das zweitgrösste Kontingent unter den 144 Militärs der Mission. Schweizer kommen so auch in höhere Chargen – so ist ein Schweizer Oberstleutnant derzeit Verbindungsoffizier im ägyptischen Ismailia. Die unbewaffneten Militärbeobachter auf dem Golan sind Teil der Untso. Diese hat sie aber der Undof zur Verfügung gestellt. Dabei handelt es sich um eine bewaffnete UNO-Truppe, die den Waffenstillstand zwischen Syrien und Israel unterstützen soll. (wid) denn unter den fünfzig Militärbeobachtern sind unter anderen Australier, Iren, Nepalesen oder Norweger. Sie müssen auch für den Unterhalt der Einrichtung sorgen. Dazu gehört der Betrieb der Generatoren, die Kontrolle des Trinkwasserstandes im Tank oder die Wartung der Fahrzeuge. Zu ihren Aufgaben gehört auch, die OP-Katze zum Tierarzt zu bringen. Sie ist gechipt und geimpft. Die Katze im Observation Post 55, ganz im Süden des Golan, muss vor allem Skorpione fangen. Sie kriechen am Abend unter den Steinen hervor. Die Mitglieder des Beobachter-Teams Wadi, das für den Posten zuständig ist, tragen den Skorpion als Emblem auf dem Batch am Arm. Der Beobachtungsposten liegt über dem Tal des Flusses Yarmuk im Dreiländereck zwischen Israel, Syrien und Jordanien. Auf der syrischen Seite des Tals hat 2011 der Aufstand gegen die Herrschaft von Präsident Bashar al Assad begonnen. Die Proteste begannen in der Stadt Daraa, die 20 Kilometer entfernt liegt. Rebellen entführen UNO-Soldaten Der syrische Bürgerkrieg hat gravierende Auswirkungen auf die Arbeit der UNO-Militärbeobachter. Die Beobachtergruppe Golan unterhielt bis letztes Jahr auch auf dem syrischen Teil Posten. Schritt für Schritt mussten die unbewaffneten Militärbeobachter sie räumen. Auch die gut bewaffneten UNO-Soldaten, die der Einhaltung des Waffenstillstands Nachachtung verschaffen sollen (Kasten), haben sich teilweise aus Syrien zurückgezogen. Sie waren in Kämpfe mit den Rebellen verwickelt worden. Über 40 philippinische UNO-Soldaten sind vorübergehend entführt worden. Die geräumten UNO-Stellungen in Syrien sind jetzt in der Hand der Rebellen. Laut Medienberichten ist dort die Al-Qaida-nahe NusraFront präsent. Eine Angabe, die die Militärbeobachter weder bestätigen noch dementieren. «Unser Mandat betrifft nur die staatlichen Strukturen in Israel und in Syrien», sagt der Schweizer Oberstleutnant Alexandre Zermatten (41). Zermatten führt jene Untergruppe der Beobachter, die für das syrische Gebiet zuständig wäre. Sie existiert noch formell – als Signal an die Israeli, dass die UNO auch die syrische Seite überwachen will. Ausser einem Verbindungsoffizier in Damaskus ist aber kein UNO-Militärbeobachter mehr in Syrien. «Sobald es die Sicherheitslage zulässt, werden wir dort wieder präsent sein», sagt Zermatten. Bis es so weit ist, unterhalten die Militärbeobachter einen zusätzlichen Beob- Zu den Aufgaben gehört auch, die OP-Katze zum Tierarzt zu bringen. achtungsposten auf dem Berg Bental, der einen Blick tief hinein nach Syrien ermöglicht. Unten an der Abzweigung zum Berg weist ein Schild den Weg zum «Coffee Annan» – ein Wortspiel. «Annan» heisst auf Hebräisch «Wolken». Annan hiess auch der letzte UNO-Generalsekretär, mit Vornamen Kofi. Das Café in den Wolken ist ein Touristen-Restaurant. Carweise kommen die Israeli auf den Bental. Hier befand sich eine Stellung der syrischen Armee, die im Sechstagekrieg 1967 von den Israeli übernommen worden war. Im Jom-Kippur-Krieg sechs Jahre später fand am Fuss des Bergs, im «Tal der Tränen», die Entscheidungsschlacht an der israelischen Nordfront statt. Israels 7. Panzerbrigade hielt mit etwas über hundert Panzern dem syrischen Überraschungsangriff mit um die tausend Panzern stand, bis die israelische Armee voll mobilisiert hatte. In der tagelangen Schlacht wären die Verteidiger um ein Haar überrannt worden. Schliesslich gingen die Israeli zum Gegenangriff über und trieben die Syrer bis vor Damaskus vor sich her, ohne sie aber endgültig schlagen zu können. Wohl auch unter dem Eindruck des eigenen Beinahe-Zusammenbruchs stimmte Israel damals dem Waffenstillstand zu, der ihm auf dem Golan die Restriktionen auferlegt, deren Einhaltung die UNO-Militärbeobachter überwachen. Auf dem Bental stehen zwei Beobachter weit vorne in einer alten israelischen Stellung. Das ist der temporäre Beobachtungsposten – inmitten der Touristenmassen. Fünf Meter weiter referiert ein Reiseführer vor seiner Gruppe. Später werden sie angeregt mit den UNO-Beobachtern diskutieren. Es komme immer wieder vor, dass sie Touristen vom Fernglas fernhalten müssten, sagt Weber. Einzelne hätten dafür kein Verständnis. Ganz im Süden des Golan steht der Observation Post 55. Es kommt nicht auf Kampferfahrung an Gerade weil sich die Militärbeobachter im zivilen Umfeld bewegen, kommt den Schweizer Milizoffizieren ihre zivile Erfahrung zu Gute. «Hier kommt es nicht auf Kampferfahrung an», sagt Weber, der bis zu seinem Einsatz Teamleiter in der Post-Tochter Swiss Post Solutions war. Über das militärische Rüstzeug verfügen die Schweizer Militärbeobachter aber. Voraussetzung ist der Hauptmannsgrad. Auf ihren Einsatz werden sie vom Kompetenzzentrum Swissint in Stans vorbereitet. Das ist die Kommandostelle für die friedensfördernden Einsätze der Schweizer Armee im Ausland. Die Schweizer sind in der UNO-Mission gefragt. Nicht selten will der Kommandant im Hauptquartier in Jerusalem Schweizer Offiziere in seinem Stab haben. So kommt es vor, dass jemand nach einigen Monaten vom Golan nach Jerusalem wechselt. Einer von ihnen ist der Frauenfelder Major Jens Amrhein (36), der dort in der Analyse-Zelle arbeitet. Er und seine Kollegen werten die Berichte der Militärbeobachter aus. Er hat seinen Einsatz um ein Jahr verlängert. Ebenfalls im Hauptquartier arbeitet Hauptmann Karin Uhr (33). Sie stammt aus Zug und arbeitete zuletzt in der Ostschweiz als Gerichtsschreiberin in Altstätten. In Jerusalem ist sie als Stabsoffizier direkt dem Kommandanten der UNO-Mission zugeteilt. Draussen auf dem Beobachtungsposten bleibt trotz aller personellen Wechsel eine Konstante: die OP-Katze. Während die Militärbeobachter wieder nach Hause reisen oder nach Jerusalem wechseln, bleibt sie auf Posten. Im OP 51 haben sie sogar eine Katze beerdigt, wie eine Inschrift auf der weissen Wand berichtet. Der Berg Bental ist beliebtes Ausflugsziel für israelische Touristen. Im «Tal der Tränen» erinnern israelische und syrische Panzer an die Schlacht von 1973. 11
© Copyright 2024 ExpyDoc