Eine Taxonomie illokutionärer Akte I. Einleitung

KAPITEL l
Eine Taxonomie illokutionärer Akte
I. Einleitung
In dieser Arbeit geht es vorrangig darum, eine begründete
Klassifikation illokutionärer Akte in gewisse grundlegende Kategorien oder Typen zu entwickeln. Hier soll die Frage beantwortet
werden: Wieviele Arten illokutionärer Akte gibt es?
Jeder solche Versuch, eine Taxonomie zu entwickeln, muß
Austins Klassifikation illokutionärer Akte in seine fünf Grundkategorien (Verdiktiv, Expositiv, Exerzitiv, Konduktiv [»behabitive«] und Kommissiv) berücksichtigen; deshalb geht es in dieser
Arbeit zweitens auch darum, Austins Klassifikation zu bewerten,
um zu zeigen, in welchen Hinsichten sie adäquat und in welchen
sie inadäquat ist. Grundlegende semantische Unterschiede bleiben selten ohne syntaktische Folgen; deshalb geht es in dieser
Arbeit drittens auch noch darum zu zeigen, wie diese verschiedenen illokutionären Grundtypen in der Syntax einer natürlichen
Sprache wie dem Englischen realisiert werden.
Für das Folgende werde ich Vertrautheit mit dem allgemeinen
Muster der Analyse illokutionärer Akte - wie es sich etwa in
Arbeiten wie How to Do Things with Words (Austin, 1962; dt.:
Zur Theorie der Sprechakte, Stuttgart 1972), Speech Acts (Searle,
1969; dt.: Sprechakte, Frankfurt a. M. 1971) und »Austin on
Locutionary and Illocutionary Acts« (Searle, 1968) findet voraussetzen. Insonderheit werde ich die Unterscheidung zwischen der illokutionären Rolle einer Äußerung und ihrem propositionalen Gehalt voraussetzen, symbolisch:
R (p).
Das Ziel dieser Arbeit ist es demnach, die verschiedenen Typen
von Einsetzungen für »R« zu klassifizieren.
II. Unterschiedliche Arten von Unterschieden zwischen
unterschiedlichen Arten von illokutionären Akten
Jede taxonomische Bemühung dieser Art setzt Kriterien zur
Unterscheidung zwischen verschiedenen (Arten von) illokutionä17
ren Akten voraus. Welches sind die Kriterien, aufgrund deren wir
von drei gegebenen Äußerungen sagen können, daß die eine ein
Bericht, die andere eine Voraussage und die dritte ein Versprechen ist? Um Genera höherer Ordnung zu entwickeln, müssen
wir zunächst wissen, wie die Spezies Versprechen, Voraussage,
Bericht, usw. sich voneinander unterscheiden. Beim Versuch,
diese Frage zu beantworten, stellt sich heraus, daß es mehrere
ganz verschiedene Unterscheidungsprinzipien gibt; das heißt es
gibt unterschiedliche Arten von Unterschieden, kraft deren wir
sagen können, daß die Rolle dieser Äußerung sich von der Rolle
jener Äußerung unterscheidet. Aus diesem Grund ist die KraftMetapher des englischen Ausdrucks »illocutionary force« [»illokutionäre Kraft« (als Bezeichnung für illokutionäre Rollen)]
irreführend, weil mit ihr so getan wird, als nähmen verschiedene
illokutionäre Kräfte verschiedene Positionen in einem einzigen
Kraftkontinuum ein. In Wirklichkeit gibt es mehrere verschiedene einander überschneidende Kontinua. Eine andere Quelle für
Verwechslungen hängt damit zusammen, daß wir illokutionäre
Verben gerne mit Typen illokutionärer Akte durcheinander
bringen. Wenn wir beispielsweise zwei illokutionäre Verben mit
unterschiedlicher Bedeutung haben, dann denken wir mit Vorliebe, sie müßten notwendigerweise zwei verschiedene Arten illokutionärer Akte bezeichnen. Im folgenden werde ich versuchen,
eine klare Unterscheidung zwischen illokutionären Verben und
illokutionären Akten durchzuhalten. Illokutionen gehören zur
Sprache und nicht zu einzelnen Sprachen. Illokutionäre Verben
gehören immer zu einer einzelnen Sprache: zum Französischen,
Deutschen, Englischen oder zu sonst irgendeiner Sprache. Unterschiedliche illokutionäre Verben sind ein guter Anhaltspunkt,
aber keinesfalls ein völlig sicherer, für unterschiedliche illokutionäre Akte.
Es gibt meines Erachtens (wenigstens) zwölf wichtige Dimensionen, in denen illokutionäre Akte sich voneinander unterscheiden
können; ich werde sie (natürlich viel zu flott) in einer Liste
zusammenstellen:
1. Unterschiede im Witz (oder Zweck) des Akts
(bzw. Akt-Typs).
Der Witz oder Zweck eines Befehls läßt sich als Versuch
charakterisieren, den Hörer dazu zu bekommen, irgend etwas zu
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tun. Der Witz oder Zweck einer Beschreibung besteht darin,
(wahr oder falsch, genau oder ungenau) wiederzugeben, wie
etwas ist. Der Witz oder Zweck eines Versprechens ist, daß der
Sprecher eine Verpflichtung übernimmt, irgend etwas zu tun.
Diese Unterschiede entsprechen den sog. wesentlichen Bedingungen in meiner Analyse illokutionärer Akte im dritten Kapitel von
Sprechakte (Searle, 1969). Die wesentlichen Bedingungen sind,
wie ich glaube, letztlich die beste Grundlage einer Taxonomie,
und ich werde auch versuchen, das zu zeigen. Es ist wichtig, dabei
zu beachten, daß mit der Rede von »Witz« oder »Zweck« weder
gemeint noch vorausgesetzt ist, daß zu jedem illokutionären Akt
per definitionem ein perlokutionäres Ziel gehört. Bei vielen
(möglicherweise den meisten) wichtigen illokutionären Akten
gibt es kein wesentliches perlokutionäres Ziel, das per definitionem zu dem entsprechenden Verbum gehörte; beispielsweise ist
weder eine Feststellung noch ein Versprechen per definitionem
ein Versuch, in einem Hörer perlokutionäre Effekte hervorzurufen.
Den Witz oder Zweck eines Illokutionstyps werde ich seinen
illokutionären Witz nennen. Der illokutionäre Witz gehört zur
illokutionären Rolle, beides ist aber nicht dasselbe. So hat
beispielsweise eine Bitte denselben illokutionären Witz wie ein
Befehl: beides ist ein Versuch, Hörer dazu zu bekommen, irgend
etwas zu tun. Aber die illokutionären Rollen unterscheiden sich
deutlich voneinander. Allgemein läßt sich sagen, daß der Begriff
der illokutionären Rolle die Resultante mehrerer verschiedener
Elemente ist, unter denen der illokutionäre Witz nur eines, wenn
auch - wie ich annehme - das wichtigste ist.
2. Unterschiede in der Ausrichtung (d. h. darin, wie Wörter
und die Welt aufeinander bezogen sind).
Zum illokutionären Witz einiger Illokutionen gehört es, die
Wörter (oder genauer: den jeweils von ihnen zum Ausdruck
gebrachten propositionalen Gehalt) zur Welt passen zu lassen, bei
andern gehört es dazu, die Welt zu den Wörtern passen zu lassen.
Feststellungen gehören in die erstere Kategorie, Versprechen und
Aufforderungen in die letztere. Die beste mir bekannte Veranschaulichung dieser Unterscheidung stammt von Elizabeth Anscombe (1957). Ein Mann geht in den Supermarkt, seine Frau hat
ihm eine Einkaufsliste gegeben, auf der die Wörter »Bohnen,
Butter, Braten und Brot« stehen. Wie er nun mit seinem
Einkaufswägelchen herumgeht und diese Sachen aus den Regalen
nimmt, folgt ihm ein Detektiv, der alles notiert, was er nimmt. Zu
guter Letzt werden Einkäufer und Detektiv dieselben Listen
haben. Aber die Funktion der beiden Listen ist jeweils verschieden. Bei dem Mann, der einkauft, besteht der Zweck der Liste
gewissermaßen darin, die Welt zu den Wörtern passen zu lassen;
seine Handlungen sollen mit der Liste übereinstimmen. Beim
Detektiv soll die Liste die Wörter zur Welt passen lassen; er soll
die Liste in Übereinstimmung mit den Handlungen des Einkäufers machen. Dies läßt sich auch daran zeigen, welche Rolle in
diesen beiden Fällen ein »Fehler« spielt. Wenn der Detektiv nach
Hause kommt und ihm plötzlich einfällt, daß der Mann ja ein
Schweineschnitzel und keinen Braten gekauft hat, dann kann er
das Won »Braten« einfach ausradieren und dafür »Schweineschnitzel« schreiben. Wenn hingegen der Mann, der einkaufen
war, nach Hause kommt, und seine Frau ihn darauf hinweist, daß
er Schweineschnitzel gekauft hat, wo er doch Braten hätte kaufen
sollen, dann kann er den Fehler nicht dadurch korrigieren, daß er
»Braten« ausradiert und »Schweineschnitzel« auf die Liste
schreibt.
In diesem Beispiel gibt die Liste den propositionalen Gehalt der
Illokution ab und die illokutionäre Rolle legt fest, wie dieser
Gehalt sich auf die Welt beziehen soll. Ich schlage vor, diesen
Unterschied einen Unterschied in der Ausrichtung [direction of
fit] zu nennen. Die Liste des Detektivs hat die Wort-aufWelt-Ausrichtung (wie auch Feststellungen, Beschreibungen,
Behauptungen und Erklärungen); die Liste des Mannes, der
eingekauft hat, hat die Welt-auf-Wort-Ausrichtung (wie auch
Aufforderungen, Anweisungen, Schwüre und Versprechen). Die
Wort-auf-Welt-Ausrichtung gebe ich mit einem nach unten
weisenden Pfeil, also so , wieder, die Welt-auf-Wort-Ausrichtung mit einem nach oben weisenden Pfeil: . Die Ausrichtung
ergibt sich immer aus dem illokutionären Witz. Könnten wir
unsere Taxonomie ausschließlich um diese Unterscheidung bei
der Ausrichtung konstruieren, dann wäre das natürlich sehr
elegant, doch obwohl diese Unterscheidung in unserer Taxonomie eine gewichtige Rolle spielen wird, kann ich sie nicht zur
einzigen Grundlage der Unterscheidungen machen.
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3. Unterschiede in den zum Ausdruck gebrachten
psychischen Zuständen.
Wer feststellt, erläutert, behauptet oder die These vertritt, daß p,
bringt damit die Überzeugung zum Ausdruck, daß p; wer
verspricht, schwört, androht oder beteuert, die Handlung h zu
tun, bringt damit die Absicht zum Ausdruck, h zu tun; wer
seinem Hörer H befiehlt, ihn anweist oder bittet, h zu tun, bringt
damit den Wunsch zum Ausdruck, H möge h tun; wer sich für h
entschuldigt, bringt damit zum Ausdruck, daß es ihm leid tut, daß
er h getan hat; und so weiter. Allgemein: Beim Vollzug eines
beliebigen illokutionären Aktes mit einem propositionalen
Gehalt bringt der Sprecher irgendeine Haltung, Einstellung, usw.
gegenüber diesem propositionalen Gehalt zum Ausdruck. Man
beachte, daß dies selbst dann der Fall ist, wenn er unaufrichtig ist,
wenn er nicht die Überzeugung, die Absicht, den Wunsch, das
Vergnügen oder Bedauern hat, das er zum Ausdruck bringt.
Gleichwohl bringt er mit dem Vollzug des Sprechakts eine
Überzeugung, Absicht, einen Wunsch, Bedauern oder Vergnügen
zum Ausdruck. Sprachlich zeigt sich dies daran, daß man das
explizit performative Verbum nicht mit der Verneinung des zum
Ausdruck gebrachten psychischen Zustands zusammenstellen
darf. Dies ist sprachlich nicht akzeptabel, wenngleich auch kein
Selbstwiderspruch. So kann man nicht sagen »Ich stelle fest, daß
p, aber ich glaube nicht, daß p«, »Ich verspreche, daß p, habe
allerdings nicht die Absicht, daß p«, und so] weiter. Man beachte,
daß dies nur für die performative Verwendungsweise in der ersten
Person gilt. Man kann sagen »Er hat die Feststellung getroffen,
daß p, aber nicht wirklich geglaubt, daß p«, »Ich habe versprochen, daß p, doch nicht wirklich beabsichtigt, es zu tun«, und so
weiter. Der psychische Zustand, der mit dem Vollzug des
illokutionären Akts zum Ausdruck gebracht wird, ist (entsprechend der in Sprechakte, Kap. 3, vorgelegten Analyse) die
Aufrichtigkeitsbedingung des Akts.
Mit einer Klassifikation illokutionärer Akte, die allein auf den
Unterschieden in den zum Ausdruck gebrachten psychischen
Zuständen (Unterschieden in der Aufrichtigkeitsbedingung)
beruht, kann man schon ziemlich weit kommen. So fallen unter
Überzeugung nicht bloß Feststellungen, Behauptungen, Bemerkungen und Erklärungen, sondern auch Postulate, Deklaratio21
nen, Ableitungen und Argumentationen. Unter Absicht werden
Versprechen, Schwüre, Drohungen und Versicherungen fallen.
Unter Wunsch werden Bitten, Befehle, Anordnungen, Ersuchen,
Gebete, Fürsprachen, Fürbitten und Gesuche fallen. Unter Vergnügen fällt nicht ganz soviel: Gratulationen, Glückwünsche,
Willkommensgrüße und noch ein paar andere.
Im folgenden werde ich den zum Ausdruck gebrachten psychischen Zustand mit dem großgeschriebenen Anfangsbuchstaben
des entsprechenden Verbs symbolisieren; G steht dann also für
glauben, W für wünschen bzw. wollen, A für die Absicht haben,
und so weiter.
Diese drei Dimensionen - illokutionärer Witz, Ausrichtung und
Aufrichtigkeitsbedingung - halte ich für die wichtigsten, und
meine Taxonomie wird weitestgehend auf ihnen aufgebaut sein.
Doch es müssen auch noch ein paar andere erwähnt werden.
4. Unterschiede in der Stärke oder Intensität, mit welcher
der illokutionäre Witz vorgebracht wird.
»Ich schlage vor, daß wir ins Kino gehen« und »Ich bestehe
darauf, daß wir ins Kino gehen« haben zwar denselben illokutionären Witz, er wird aber jeweils mit verschiedener Intensität
vorgebracht. Entsprechend verhält es sich mit »Ich schwöre
feierlich, daß Bill das Geld gestohlen hat« und »Ich schätze, Bill
hat das Geld gestohlen«. Ein und derselbe illokutionäre Witz
oder Zweck kann mit verschiedenen Intensitätsgraden einhergehen, und der Sprecher mag auch in jeweils unterschiedlichem
Maß auf gewisse Dinge festgelegt sein.
der sog. Einleitungsbedingungen, wie sie sich in meiner Analyse
im dritten Kapitel von Sprechakte finden.
6. Unterschiede darin, in welcher Beziehung die Äußerung
dazu steht, was im Interesse von Sprecher und Hörer ist.
Betrachten wir beispielsweise die Unterschiede zwischen Prahlen
und Jammern, oder zwischen Gratulieren und Kondolieren. Der
Unterschied besteht bei beiden Paaren jeweils darin, was im
Interesse des Sprechers bzw. des Hörers ist und was nicht.
Gemäß der Analyse in Sprechakte ist dies Merkmal eine weitere
Einleitungsbedingung, allerdings eine von anderer Art als die
gerade eben erwähnte.
7. Unterschiede im Bezug zum restlichen Diskurs.
Einige performative Ausdrücke dienen dazu, die Äußerung zum
restlichen Diskurs (und ebenfalls zu ihrem Kontext) in Beziehung
zu setzen. Betrachten wir beispielsweise »Ich erwidere«, »Ich
folgere«, »Ich schließe« und »Ich widerspreche«. Diese Ausdrükke dienen dazu, Äußerungen zu andern Äußerungen und zu
ihrem Kontext in Beziehung zu setzen. Die von ihnen gekennzeichneten Merkmale scheinen zumeist auf Äußerungen hinauszulaufen, die zur Klasse der Feststellungen gehören. Man kann
etwas schlicht und einfach feststellen, man kann es aber auch
feststellen, indem man jemandem widerspricht, der etwas anderes
gesagt hat, indem man auf etwas vorher Gesagtes erwidert, indem
man es aus gewissen überzeugenden Prämissen folgert, und so
weiter. »Trotzdem«, »außerdem« und »daher« haben ebenfalls die
Funktion, Äußerungen zum Diskurs in Beziehung zu setzen.
5. Unterschiede in der Stellung von Sprecher und Hörer
zueinander, soweit sie sich auf die illokutionäre Rolle der
Äußerung auswirken.
8. Unterschiede im propositionalen Gehalt, die von den
Indikatoren der illokutionären Rolle herrühren.
Wenn der General dem gemeinen Soldaten sagt, die Stube müsse
aufgeräumt werden, dann ist das aller Wahrscheinlichkeit nach
eine Anweisung oder ein Befehl. Wenn der gemeine Soldat dem
General sagt, die Stube müsse aufgeräumt werden, so ist das wohl
eher eine Anregung, ein Vorschlag oder eine Bitte, aber kein
Befehl und keine Anordnung. Dieses Merkmal entspricht einer
Zu den Unterschieden zwischen einem Bericht und einer Vorhersage gehört beispielsweise, daß es in der Vorhersage um die
Zukunft gehen muß, während ein Bericht über die Vergangenheit
oder Gegenwart gehen kann. Diese Unterschiede entsprechen
Unterschieden bei den Bedingungen für den propositionalen
Gehalt, wie in Sprechakte ausgeführt.
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9. Unterschiede zwischen solchen Akten, die immer Sprechakte
sein müssen, und solchen, die zwar als Sprechakte, aber auch
anders vollzogen werden können.
Beispielsweise kann man Dinge dadurch klassifizieren, daß man
sagt »Ich klassifiziere dies als ein A und dies als ein B«. Doch man
braucht überhaupt nichts zu sagen, um etwas zu klassifizieren;
man kann einfach die As in die A-Schachtel und die Bs in die
B-Schachtel werfen. Ähnlich verhält es sich mit dem Taxieren,
Diagnostizieren und Schlußfolgern. Ich kann all diese Dinge tun,
indem ich sage »Ich taxiere . . .«, »Ich diagnostiziere . . .« und
»Ich ziehe den Schluß . . .«, aber man kann taxieren, diagnostizieren und Schlüsse ziehen, ohne überhaupt irgend etwas zu sagen.
Ich mag einfach vor einem Gebäude stehen und seine Höhe
taxieren, ganz im stillen diagnostizieren, daß du leicht schizophren bist, oder zu der Schlußfolgerung gelangen, daß der Mann
neben mir restlos betrunken ist. In diesen Fällen ist kein Sprechakt - nicht einmal ein innerer - nötig.
10. Unterschiede zwischen solchen Akten, zu deren Vollzug
außersprachliche Einrichtungen nötig sind, und solchen, bei
denen dies nicht so ist.
Viele illokutionäre Akte können nur kraft einer außersprachlichen Einrichtung - und im allgemeinen kraft einer besonderen
Stellung, die Sprecher und Hörer in dieser Einrichtung einnehmen - vollzogen werden. Ein Segen, eine Exkommunikation, eine
Taufe, ein Schuldspruch, das Verhängen eines Elfmeters, das
Reizen bis 60 oder eine Kriegserklärung kommen nicht allein
dadurch schon zustande, daß irgendein hergelaufener Sprecher zu
irgendeinem hergelaufenen Hörer sagt »Ich segne dich«, »Ich
exkommuniziere dich«, und so weiter. Eine Stellung innerhalb
einer außersprachlichen Einrichtung ist vonnöten. Austin drückt
sich manchmal so aus, als sei er der Auffassung, alle illokutionären Akte wären von diesem Schlag, aber das stimmt platterdings
nicht. Um die Feststellung zu machen, daß es regnet, oder um zu
versprechen, bei dir vorbeizukommen, brauche ich nur die
Sprachregeln zu befolgen/Keine außersprachlichen Einrichtungen sind vonnöten. Dieses Merkmal gewisser Sprechakte (daß sie
außersprachlicher Einrichtungen bedürfen) muß vom Merkmal 5
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unterschieden werden, gemäß welchem gewisse illokutionäre
Akte verlangen, daß der Sprecher und möglicherweise auch der
Hörer eine gewisse Stellung einnehmen. Zwar wird durch außersprachliche Einrichtungen häufig eine Stellung verliehen, die für
die illokutionäre Rolle von Belang ist, aber nicht alle Stellungsunterschiede rühren von solchen Einrichtungen her. So mag ein
bewaffneter Räuber kraft des Umstands, daß er eine Pistole in der
Hand hat, seinen Opfern befehlen - und sie nicht beispielsweise
bitten, ersuchen oder beschwören -, die Hände hochzunehmen.
Doch die Stellung, die er hier hat, rührt nicht von einer Position
innerhalb einer Einrichtung her, sondern sie beruht darauf, daß er
im Besitz einer Waffe ist.
11. Unterschiede zwischen solchen Akten, wo das entsprechende
illokutionäre Verb eine performative Verwendung hat, und
solchen, wo es sie nicht hat.
Die meisten illokutionären Verben haben performative Verwendungen - beispielsweise »feststellen«, »versprechen«, »befehlen«
und »schließen«. Die Akte des Prahlens und Drohens hingegen
kann man beispielsweise nicht dadurch vollziehen, daß man sagt
»Hiermit prahle ich« oder »Hiermit drohe ich«. Nicht alle
illokutionären Verben sind performative Verben.
12. Unterschiede im Stil, mit dem der illokutionäre Akt
vollzogen wird.
Einige illokutionäre Verben dienen dazu, den (wie man das
nennen könnte) besonderen Stil zu kennzeichnen, mit dem ein
illokutionärer Akt vollzogen wird. Wird beispielsweise etwas
einmal verkündet und ein andermal anvertraut, so braucht es da
keinen Unterschied im illokutionären Witz oder propositionalen
Gehalt, sondern nur im Stil zu geben, mit dem der illokutionäre
Akt vollzogen wird.
III. Schwächen von Austins Taxonomie
Austin stellt seine fünf Kategorien bloß als ein Provisorium vor,
eher als Diskussionsgrundlage denn als gesicherte Ergebnisse.
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»Ich will hier«, sagt er, »keinerlei endgültige Vorschläge machen«
(Austin, 1962, 151; dt. 167). Meines Erachtens geben sie eine
exzellente Diskussionsgrundlage ab, dennoch halte ich seine
Taxonomie für einer ernsthaften Revision bedürftig, weil sie
verschiedene Schwächen hat. Und das sind Austins fünf Kategorien:
Verdiktive. Sie »bestehen darin, daß über Werte oder über
Tatsachen (soweit sie unterscheidbar sind) aufgrund von Beweismaterial oder Argumenten ein amtliches oder nichtamtliches
Urteil abgegeben wird«. Beispiele für Verben aus dieser Klasse:
»freisprechen«, »(im juristischen Sinn) entscheiden«, »errechnen«, »beschreiben«, »analysieren«, »einschätzen«, »datieren«,
»einordnen«, »(auf etwas) festsetzen« und »charakterisieren«.
Exerzitive. Eine Äußerung dieser Kategorie »besteht darin, daß
man für oder gegen ein bestimmtes Verhalten entscheidet oder
spricht. Sie ist eine Entscheidung, daß etwas so und so sein solle,
und kein Urteil, es sei so«. Einige Beispiele sind: »befehlen«,
»anordnen«, »anweisen«, »plädieren«, »bitten«, »empfehlen«,
»erbitten« und »(zu etwas) raten«. »Ersuchen« [»request«] ist
auch ein klarer Fall, findet sich aber nicht in Austins Liste. Neben
den gerade erwähnten Verben führt Austin noch auf: »Ernennen«, »entlassen«, »nominieren«, »Veto einlegen«, »für geschlossen erklären«, »für eröffnet erklären«, »verkünden«, »warnen«,
»proklamieren« und »(Titel und dergleichen) verleihen«.
Kommissive. »Der Witz eines Kommissivs«, sagt uns Austin,
»besteht ausschließlich darin, den Sprecher auf ein bestimmtes
Verhalten festzulegen«. Zu den klaren Fällen gehören: »versprechen«, »geloben«, »zusagen«, »einen Vertrag schließen«, »kontrahieren«, »garantieren«, »(ein Angebot und dergl.) annehmen«
und »schwören«.
Expositive »haben den Sinn, klarzumachen, wie die Äußerungen
zu nehmen sind, mit denen man seine Ansichten darlegt, seine
Begründungen durchführt, die Bedeutung der eigenen Worte
erklärt«. Austin führt viele Beispiele an, darunter: »behaupten«,
»in Abrede stellen«, »betonen«, »veranschaulichen«, »antworten«, »berichten«, »anerkennen«, »einwenden«, »einräumen«,
»beschreiben«, »klassifizieren«, »identifizieren« und »(als etwas)
bezeichnen«.
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Konduktive* Bei dieser Klasse, mit der Austin sehr unzufrieden
war (er bezeichnete sie als »einen Hammer«) »geht es um die
Reaktion auf das Verhalten und das Schicksal anderer Leute und
um Einstellungen sowie den Ausdruck von Einstellungen gegenüber dem vergangenen oder unmittelbar bevorstehenden Verhalten eines anderen«.
Unter den von Austin aufgeführten Beispielen sind: »um Entschuldigung bitten«, »danken«, »bedauern«, »bemitleiden«, »gratulieren«, »Glück wünschen«, »willkommen heißen«, »applaudieren«, »kritisieren«, »segnen«, »verfluchen«, »(auf jemanden)
anstoßen« und »(auf jemanden) trinken«. Eigenartigerweise finden sich dort auch: »herausfordern«, »fordern« und »sich (gegen
etwas) verwahren«.
Als erstes ist über diese Listen zu bemerken, daß in ihnen nicht
illokutionäre Akte, sondern illokutionäre Verben klassifiziert
werden. Austin scheint anzunehmen, eine Klassifikation verschiedener Verben sei eo ipso eine Klassifikation von Arten
illokutionärer Akte, zwei Verben mit unterschiedlicher Bedeutung müßten immer verschiedene illokutionäre Akte kennzeichnen. Aber es gibt keinen Grund anzunehmen, daß dem so ist. Wir
werden sehen, daß manche Verben beispielsweise kennzeichnen,
auf welche Art und Weise ein illokutionärer Akt vollzogen wird ein Beispiel ist »verkünden«. Man kann Befehle, Versprechen und
Berichte verkünden, aber etwas zu verkünden ist etwas anderes
wie etwas zu befehlen, zu versprechen oder zu berichten. Verkünden - um schon ein bißchen vorzugreifen - bezeichnet keinen
Typus illokutionärer Akte, sondern die Art, auf die ein illokutionärer Akt vollzogen wird. Eine Verkündigung ist niemals bloß
eine Verkündigung. Sie muß ebenfalls eine Feststellung, ein
Befehl oder dergleichen sein.
Auch wenn man es einmal hinnimmt, daß in den Listen illokutionäre Verben und nicht notwendigerweise verschiedene illokutionäre Akte aufgeführt werden, kann man gegen sie meines Erachtens doch noch die folgenden Kritikpunkte vorbringen.
1. Zunächst eine kleinere Krittelei, die aber nicht ganz unter den
* Bei Austin heißen die Äußerungen dieser Klasse »behabitives«, sein Kommentar
(»a shocker this«) gilt wohl eher seiner Bezeichnung für diese Kategorie als ihr
selbst. Der Terminus »Konduktiv« stammt aus E. von Savignys deutscher
Bearbeitung des Buchs von Austin, an dessen Verblisten ich mich hier weitestgehend gehalten habe. (Anm. d. Übers.)
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Tisch fallen sollte. Die bei Austin aufgeführten Verben sind nicht
einmal allesamt illokutionäre Verben; beispielsweise kommen
dort vor: »mitfühlen«, »betrachten als«, »vorhaben«, »beabsichtigen« und »werden«. Nehmen wir einmal »beabsichtigen«: Es
liegt auf der Hand, daß dies kein performatives Verb ist. Zu sagen
»Ich beabsichtige« ist nicht dasselbe wie etwas beabsichtigen; und
in der 3. Person bezeichnet es keinen illokutionären Akt: mit »Er
beabsichtigte . . .« wird nicht über einen Sprechakt berichtet. Es
gibt natürlich den illokutionären Akt, eine Absicht zum Ausdruck
zu bringen, aber das illokutionäre Verb ist »eine Absicht zum
Ausdruck bringen« und nicht »beabsichtigen«. Beabsichtigen ist
niemals ein Sprechakt; eine Absicht zum Ausdruck bringen ist
gemeinhin einer, aber nicht immer.
2. Die gravierendste Schwäche der Taxonomie Austins ist einfach
dies: Sie beruht auf keinem klaren oder durchgängigen Prinzip.
Nur bei den Kommissiven hat Austin deutlich und unzweideutig
den illokutionären Witz zur Grundlage seiner Definition einpr
Kategorie benutzt. Expositive, soweit sie klar charakterisiert sind,
sind offenbar durch Diskursbeziehungen (mein Merkmal 7)
definiert. Exerzitive sind anscheinend wenigstens teilweise durch
die Ausübung von Autorität definiert. Darin sind sowohl Erwägungen über den Status (mein Merkmal 5) als auch Erwägungen
über Einrichtungen (mein Merkmal 10) verborgen. Konduktive
kommen mir alles andere denn wohldefiniert vor (und Austin
hätte mir hierin sicherlich zugestimmt), doch scheint hier hereinzuspielen, was gut oder schlecht für Sprecher und Hörer ist (mein
Merkmal 6) und daß Einstellungen zum Ausdruck gebracht
werden (mein Merkmal 3).
3. Wegen des Fehlens eines klaren Klassifikationsprinzips und
der dauernden Verwechslung von illokutionären Akten mit
illokutionären Verben gibt es große Überschneidungen zwischen
den Kategorien und viel Heterogenes in einigen von ihnen. Das
Problem besteht nicht darin, daß es Grenzfälle gibt - jede
Taxonomie, die es mit der wirklichen Welt zu tun hat, wird wohl
Grenzfälle haben -, und auch nicht bloß darin, daß ein paar
ungewöhnliche Fälle die definierenden Merkmale mehrerer Kategorien besitzen. Vielmehr besteht es darin, daß überaus viele
Verben wegen der unsystematischen Klassifikationsprinzipien
sich just in der Mitte zwischen zwei konkurrierenden Kategorien
befinden. Betrachten wir beispielsweise das Verb »beschreiben«,
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ein sehr wichtiges Verb in jeder Sprechakttheorie. Bei Austin
findet es sich sowohl unter den Verdiktiven als auch unter den
Expositiven. Bei seinen Definitionen sieht man leicht, warum:
Beschreiben kann sowohl das Abgeben eines Urteils sein, als auch
ein Akt des Klarmachens. Aber wann immer klargemacht wird,
»wie die Äußerungen zu nehmen sind, mit denen man seine
Ansichten darlegt«, kann es sich in dem besonderen Sinn, den
Austin damit verbindet, auch darum handeln, daß »aufgrund von
Beweismaterial oder Argumenten ein amtliches oder nichtamtliches Urteil abgegeben wird«. Und man braucht tatsächlich nur
einen Blick auf seine Liste der Expositive (Austin 1962, 161/162;
dt. 178/179) zu werfen, um zeigen zu können, daß die meisten
seiner Verben genausogut wie »beschreiben« zu seiner Definition
der Verdiktiven passen. Nehmen wir beispielsweise »behaupten«,
»in Abrede stellen«, »feststellen«, »klassifizieren«, »identifizieren«, »(mit etwas) schließen« und »ableiten«. Sie finden sich
allesamt bei den Expositiven, hätten aber genausogut unter die
Verdiktiven eingereiht werden können. Wo das ausnahmsweise
einmal ganz klar nicht geht, hat die Bedeutung des Verbs
ausschließlich mit Diskursbeziehungen zu tun (beispielsweise
»mit etwas beginnen«, »zu etwas übergehen«) oder Beweismaterial bzw. Argumente spielen keine Rolle, wie dies bei »postulieren«, »(von etwas) absehen«, »(als etwas) bezeichnen« und
»definieren« der Fall ist. Doch das wiederum reicht wirklich nicht
aus, um eine eigenständige Kategorie zu legitimieren, insbesondere weil die meisten dieser Verben - »mit etwas beginnen«, »zu
etwas übergehen«, »(von etwas) absehen« - gar keine Bezeichnungen für illokutionäre Akte sind.
4. Es gibt nicht nur zuviel Überschneidungen zwischen den
einzelnen Kategorien, vielmehr werden von manchen der Kategorien auch Verben ganz unterschiedlicher Art erfaßt. So stehen bei
Austin »fordern« und »herausfordern« als Konduktive neben
»danken«, »um Entschuldigung bitten«, »bedauern« und »willkommen heißen«. Aber »fordern« und »herausfordern« haben
damit zu tun, wie der Hörer nun anschließend handelt; wie ich
später darlegen werde, gehören sie aus syntaktischen und semantischen Gründen zu »befehlen«, »anordnen« und »verbieten«.
Doch wenn wir dann nach der Verb-Familie Ausschau halten, zu
der »befehlen«, »anordnen« und »auffordern« gehören, stellen
wir fest, daß diese neben »Veto einlegen« und »degradieren« als
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Exerzitive eingeordnet sind. Diese beiden gehören jedoch, wie ich
ebenfalls später darlegen werde, in zwei ganz verschiedene
Kategorien.
5. Mit diesen Einwänden hängt die weitere Schwierigkeit zusammen, daß nicht alle in eine Klasse eingeordneten Verben die
angegebenen Definitionen erfüllen, selbst wenn wir die Definitionen - wie Austin sie zweifellos verstanden wissen wollte - als
ziemlich legere Andeutungen auffassen. Bei »nominieren«, »ernennen« und »exkommunizieren« beispielsweise geht es nicht
darum, »daß man für oder gegen ein bestimmtes Verhalten
entscheidet« und schon gar nicht darum, daß man es »befürwortet«. Vielmehr geht es bei diesen Verben, wie Austin selbst es
ausgedrückt haben könnte, jeweils darum, daß ein bestimmtes
Verhalten gezeigt wird, und gar nicht um die Befürwortung von
irgend etwas. In einem gewissen Sinn - so könnte man einräumen
- wird jeweils befürwortet, daß jemand etwas tut, wenn an ihn
der Befehl, die Anordnung oder Aufforderung ergeht, es zu tun.
Aber nicht einmal in diesem Sinn sind das Nominieren oder
Ernennen auch ein Befürworten. Wenn ich dich zum Vorsitzenden ernenne, befürworte ich nicht, daß du Vorsitzender bist oder
wirst; ich mache dich zum Vorsitzenden.
Fassen wir zusammen. Es gibt (wenigstens) sechs miteinander
zusammenhängende Schwierigkeiten mit Austins Taxonomie; es
sind dies (erst das weniger Wichtige, dann das Wichtigere):
Verben und Akte werden ständig durcheinandergebracht; nicht
alle Verben sind illokutionäre Verben; zwischen den Kategorien
gibt es zuviele Überschneidungen; in den Kategorien gibt es
zuviel Heterogenität; viele in eine Kategorie aufgenommene
Verben erfüllen die für die Kategorie angegebene Definition gar
nicht; und, als wichtigstes, es gibt kein durchgängiges Klassifikationsprinzip.
Ich glaube nicht, diese sechs Vorwürfe allesamt vollständig
untermauert zu haben, und will dies im Rahmen dieser Arbeit,
die andere Ziele hat, auch gar nicht versuchen. Ich glaube
allerdings, daß meine Zweifel an Austins Taxonomie klarer und
überzeugender sein werden, nachdem ich eine Alternative vorgestellt habe. Ich schlage vor, den illokutionären Witz (und seine
Corollaria: Ausrichtung und zum Ausdruck gebrachte Aufrichtigkeitsbedingungen) als Klassifikationsgrundlage zu nehmen. Bei
so einer Klassifikation werden die andern Merkmale - die Rolle
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der Autorität, Diskursbeziehungen, usw. - dahin kommen, wo
sie hingehören.
IV. Eine andere Taxonomie
In diesem Abschnitt werde ich eine Liste der meines Erachtens
grundlegenden Kategorien illokutionärer Akte vorstellen. Dabei
werde ich kurz erörtern, wie sich meine Klassifikation zu der
Austins verhält.
Assertive. Der Witz oder Zweck der Elemente dieser Klasse ist es,
den Sprecher (in unterschiedlichem Maß) darauf festzulegen, daß
etwas der Fall ist, daß die zum Ausdruck gebrachte Proposition
wahr ist. Alle assertiven Äußerungen lassen sich in der Dimension, die wahr und falsch umfaßt, beurteilen. Mit Freges Urteilsstrich (zur Kennzeichnung des illokutionären Witzes, der allen
Elementen dieser Klasse gemeinsam ist) und den oben eingeführten Symbolen können wir diese Klasse folgendermaßen symbolisieren:
G (p).
Die Ausrichtung ist: Wort-auf-Welt; der zum Ausdruck gebrachte psychische Zustand ist: glauben (daß p). Mit Wörtern wie
»glauben« und »festgelegt sein« sollen hier - dies möchte ich
nachdrücklich betonen - Dimensionen gekennzeichnet werden,
sie sind sozusagen eher bestimmbar als bestimmt. So besteht etwa
ein Unterschied zwischen durchblicken lassen, daß p, oder die
Hypothese aufstellen, daß p, auf der einen Seite und auf der
andern darauf bestehen, daß p, oder beschwören, daß p. Das Maß,
in dem der Sprecher glaubt oder festgelegt ist, mag annähernd
oder gar gleich Null sein; es ist jedoch klar oder wird klarwerden,
daß die Hypothese aufstellen, daß p und glatterdings behaupten,
daß p insofern zur selben Branche gehören, als sie etwa dem
Ersuchen beide unähnlich sind. Wenn wir erst einmal bemerken,
daß die Assertive eine Klasse ganz für sich allein bilden, die auf
dem Begriff des illokutionären Witzes beruht, dann läßt es sich
leicht erklären, daß es viele performative Verben gibt, die Illokutionen bezeichnen, die in der Wahr/Falsch-Dimension beurteilbar und dennoch nicht einfach »Feststellungen« sind. Die Existenz solcher performativer Verben läßt sich leicht dadurch
31
erklären, daß sie Merkmale der illokutionären Rolle charakterisieren, die über den illokutionären Witz hinausgehen. Betrachten
wir beispielsweise »prahlen« und »etwas beklagen«. Beide
bezeichnen Assertive mit dem zusätzlichen Merkmal, daß sie
etwas mit dem Interesse des Sprechers zu tun haben (Bedingung 6
oben). »Schließen« und »ableiten« sind ebenfalls Assertive, mit
dem zusätzlichen Merkmal, gewisse Beziehungen zwischen dem
assertiven illokutionären Akt und dem Rest des Diskurses bzw.
Äußerungskontexts zu kennzeichnen (Bedingung 7 oben). In
diese Klasse fallen die meisten von Austins Expositiven und viele
seiner Verdiktive, denn (wie hoffentlich inzwischen klar ist) sie
haben allesamt denselben illokutionären Witz und unterscheiden
sich bloß in andern Merkmalen der illokutionären Rolle. Der
einfachste Test für eine assertive Äußerung ist: Kann man sie
unter anderm als im wahrsten Sinn des Wortes wahr oder falsch
charakterisieren? Doch möchte ich eiligst hinzufügen, daß dies
weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung abgibt,
wie wir sehen werden, wenn wir zu meiner fünften Klasse
kommen.
Was hier über Assertive zu sagen ist, wird hoffentlich bei der
Erörterung meiner zweiten Klasse klarer. Nicht ganz ohne
Widerwillen nenne ich sie
Direktive. Ihr illokutionärer Witz besteht darin, daß sie Versuche
des Sprechers sind, den Hörer dazu zu bekommen, daß er etwas
tut (diese Versuche nehmen unterschiedliche Grade an und sind
deshalb, genauer gesagt, Spezies desjenigen Genus, zu dem
Versuche gehören). Es mag sich dabei um sehr zurückhaltende
»Versuche« handeln, wie wenn ich dich zu etwas einlade oder dir
etwas vorschlage; es mag sich aber auch um sehr nachdrückliche
Versuche handeln, wie wenn ich darauf bestehe, daß du es tust.
Den illokutionären Witz, den die Elemente dieser Klasse haben,
zeigen wir mit dem Ausrufezeichen an; es ergibt sich dann
folgender Symbolismus:
W (H tut h)
Die Ausrichtung ist Welt-auf-Wort, und die Aufrichtigkeitsbedingung ist Wollen (bzw. Wünschen). Der propositionale Gehalt
ist immer, daß der Hörer H eine künftige Handlung h vollzieht.
Ein paar Verben, die Elemente dieser Klasse bezeichnen: »bitten«, »befehlen«, »anordnen«, »auffordern«, »plädieren«, »be32
ten«, »erbitten« und ebenso »einladen«, »empfehlen« und »(zu
etwas) raten«. Es ist wohl klar, daß »fordern« und »herausfordern«, die Austin bei den Konduktiven einreiht, ebenfalls in diese
Klasse hineingehören. Viele von Austins Exerzitiven sind auch in
dieser Klasse. Fragen sind eine Teilklasse der Direktiven, denn sie
sind Versuche seitens S, H zum Antworten - das heißt zum
Vollzug eines Sprechaktes - zu bewegen.
Kommissive. An Austins Definition der Kommissive ist meines
Erachtens nichts auszusetzen, und ich möchte sie einfach so
übernehmen, wie sie dasteht. Allerdings möchte ich mir nicht
versagen, daran zu kritteln, daß verschiedene Verben, die er zu
den Kommissiven rechnet, überhaupt nicht in diese Klasse
hineingehören; das gilt beispielsweise für »werden« [»shall«],
»beabsichtigen« [»intend«], »den Vorzug geben« [»favor«] und
andere. Kommissive sind demnach solche illokutionären Akte,
deren Witz es ist, den Sprecher (wiederum in jeweils unterschiedlichem Grad) auf ein bestimmtes Verhalten festzulegen. Wenn
wir »K« als allgemeine Bezeichnung für die Elemente dieser
Klasse benutzen, ergibt sich folgender Symbolismus:
K A (S tut h)
Die Ausrichtung geht von der Welt auf die Wörter und die
Aufrichtigkeitsbedingung ist Absicht. Der propositionale Gehalt
ist immer, daß der Sprecher S eine künftige Handlung h vollzieht.
Da Kommissive und Direktive dieselbe Ausrichtung haben,
kämen wir zu einer eleganteren Taxonomie, wenn wir zeigen
könnten, daß sie in Wirklichkeit zu ein und derselben Kategorie
gehören. Ich jedenfalls kann das nicht, und zwar aus folgendem
Grund: Der Witz eines Versprechens ist es, den Sprecher darauf
festzulegen, daß er irgend etwas Bestimmtes tut (und das heißt
nicht unbedingt, daß dann auch ein Versuch vorliegt, ihn dazu zu
bekommen, daß er es tut); der Witz einer Aufforderung hingegen
ist es, daß man versucht, den Hörer dazu zu bringen, daß er etwas
Bestimmtes tut (und das heißt nicht unbedingt, daß man ihn
darauf festlegt oder dazu verpflichtet, daß er es tut). Wollte man
diese beiden Kategorien aneinander angleichen, so müßte man
entweder zeigen, daß Versprechen eigentlich an sich selbst gerichtete Aufforderungen sind (Julian Boyd hat dies einmal mir
gegenüber vorgeschlagen) oder daß Aufforderungen den Hörer
zu etwas verpflichten (dies wurde mir von William Aiston und
33
John Kearns nahegelegt). Es ist mir nicht gelungen, eine der
beiden Analysen so hinzukriegen, daß sie funktioniert, und so
bleibt's denn bei der nicht gerade eleganten Lösung mit zwei
gesonderten Kategorien, die dieselbe Ausrichtung haben.
Einer vierten Kategorie gebe ich den Namen
Expressive. Der illokutionäre Witz dieser Klasse ist es, den in der
Aufrichtigkeitsbedingung angegebenen psychischen Zustand
zum Ausdruck zu bringen, der auf eine im propositionalen
Gehalt aufgeführte Sachlage gerichtet ist. Die Paradigmata
expressiver Verben sind »danken«, »gratulieren«, »um Entschuldigung bitten«, »Beileid aussprechen«, »bedauern« und »willkommen heißen«. Man beachte, daß Expressive keine Ausrichtung haben. Mit dem Vollzug eines Expressivs versucht der
Sprecher weder, die Welt zu den Wörtern passen zu lassen, noch
die Wörter zur Welt passen zu lassen; es wird vielmehr vorausgesetzt, daß die zum Ausdruck gebrachte Proposition wahr ist.
Wenn ich also beispielsweise dafür um Entschuldigung bitte, daß
ich dir auf den Zeh getreten habe, dann ist es weder mein Ziel zu
behaupten, daß ich auf deinen Zeh getreten habe, noch, daß
darauf getreten wird. Dies spiegelt sich in der Syntax (des
Englischen*) recht hübsch darin wider, daß die Musterfälle
expressiver Verben in ihrer performativen Verwendung keine
»that«-Sätze nach sich ziehen, sondern eine Gerundiv-Nominalisierungstransformation (oder irgendeine andere Nominalkonstruktion) verlangen. So kann man nicht sagen:
*I apologize that I stepped on your toe.
(*Ich bitte um Entschuldigung, daß ich dir auf den Zeh
getreten habe).
Korrektes Englisch ist vielmehr:
I apologize for stepping on your toe.
(Ich bitte um Entschuldigung dafür, daß ich dir auf den Zeh
getreten habe).
* Hier, wie im folgenden gelegentlich, bleiben eher linguistische Ausführungen
auch im deutschen Text als solche über das Englische belassen. Nur wo die
Übereinstimmung zwischen sprachlichen Phänomenen des Englischen und des
Deutschen überwältigend ist, sind auch derlei Passagen übersetzt worden. Die
unter den englischen Beispielsätzen in Klammern aufgeführten deutschen sind nur
als Anhaltspunkte für den des Englischen unkundigen Leser gedacht; zumeist sind
sie keine vollwertigen Übersetzungen. (Anm. d. Übers.)
34
Entsprechend geht auch das Folgende nicht:
*I congratulate you that you won the race.
(*Ich gratuliere dir, daß du das Rennen gewonnen hast).
*I thank you that you paid me the money.
(*Ich danke dir, daß du mir das Geld gezahlt hast).
Statt dessen muß es heißen:
I congratulate you on winning the race (congratulations on
winning the race)
(Ich gratuliere dir zum Rennsieg (Glückwunsch zum Rennsieg)).
I thank you for paying me the money (thanks for paying me
the money).
(Ich danke dir dafür, daß du mir das Geld gezahlt hast (Dank
dafür, daß du mir das Geld gezahlt hast)).
Diese syntaktischen Erscheinungen rühren meines Erachtens
daher, daß den Expressiven eine Ausrichtung abgeht. Die Wahrheit der zum Ausdruck gebrachten Proposition wird bei einem
Expressiv vorausgesetzt. Die Symbolisierung dieser Klasse muß
demnach so aussehen:
E (P) (S/H + Eigenschaft)
dabei steht »E« für den illokutionären Witz, der allen Expressiven
gemeinsam ist, » « ist das Nullsymbol, das das Fehlen einer
Ausrichtung anzeigt, »P« ist eine Variable für die verschiedenen
psychischen Zustände, die mit dem Vollzug illokutionärer Akte
dieser Klasse zum Ausdruck gebracht werden können, und im
propositionalen Gehalt wird entweder S oder H eine Eigenschaft
(nicht unbedingt eine Handlung) zugeschrieben. Ich kann dich ja
nicht bloß zu deinem Rennsieg beglückwünschen, sondern auch
zu deinem guten Aussehen. Die im propositionalen Gehalt eines
Expressivs aufgeführte Eigenschaft muß allerdings mit S oder H
etwas zu tun haben. Zu Newtons erstem Gesetz der Bewegung
kann ich dich höchstens unter sehr besonderen Voraussetzungen
beglückwünschen.
Könnten wir alle illokutionären Akte in diese vier Klassen
hineinnehmen, so wäre das ökonomisch und würde das allgemeine Analysemuster aus Sprechakte noch weiter bestätigen. Doch
scheint mir die Taxonomie noch nicht vollständig zu sein. Es fehlt
noch eine wichtige Klasse von Sprechakten, bei denen der von der
zum Ausdruck gebrachten Proposition repräsentierte Sachverhalt
35
durch den Indikator der illokutionären Rolle verwirklicht oder in
die Welt gebracht wird; wo man einen Sachverhalt dadurch
zustande bringt, daß man die Erklärung abgibt, er bestehe; wo
sozusagen gilt: »Gesagt ist getan«. Beispiele dafür sind: »Ich trete
zurück«, »Sie sind entlassen«, »Ich exkommuniziere dich«, »Ich
taufe dieses Schiff auf den Namen Schlachtschiff Missouri«, »Ich
ernenne Sie zum Vorsitzenden« und »Hiermit ist Krieg erklärt«.
Schon in den allerersten Erörterungen über Performative sind
Beispiele wie diese als Paradigmata vorgestellt worden. Dennoch
gibt es in der Literatur meines Erachtens noch keine adäquate
Beschreibung von ihnen, und ihre Beziehung zu andern Arten
von illokutionären Akten wird gemeinhin mißverstanden. Nennen wir diese Klasse
Deklarationen. Das definierende Merkmal dieser Klasse besteht
darin, daß der erfolgreiche Vollzug eines ihrer Elemente eine
Korrespondenz von propositionalem Gehalt und Realität zustande bringt; der erfolgreiche Vollzug garantiert, daß der propositionale Gehalt der Welt entspricht. Vollziehe ich erfolgreich die
Handlung, dich zum Vorsitzenden zu ernennen, dann bist du
Vorsitzender; vollziehe ich erfolgreich die Handlung, dich zum
Kandidaten zu nominieren, dann bist du Kandidat; vollziehe ich
erfolgreich die Handlung, den Kriegszustand zu erklären, dann
ist Krieg; vollziehe ich erfolgreich die Handlung, dich zu heiraten, dann bist du verheiratet.
Die syntaktische Oberflächenstruktur vieler Sätze, die zum Vollzug von Deklarationen benutzt werden, gibt uns dies nicht zu
erkennen, weil sich in ihnen kein syntaktischer Oberflächenunterschied zwischen propositionalem Gehalt und illokutionärer
Rolle findet. So scheint beispielsweise bei »Sie sind entlassen«
und »Ich trete zurück« keine Unterscheidung zwischen illokutionärer Rolle und propositionalem Gehalt möglich zu sein, aber
ihre semantische Struktur ist, wenn sie zum Vollzug von Deklarationen verwendet werden, meines Erachtens in Wirklichkeit
folgende:
Ich erkläre: Sie haben (hiermit) Ihre Stelle nicht mehr.
Ich erkläre: Ich habe (hiermit) mein Amt nicht mehr inne.
Deklarationen führen allein kraft des Umstands, daß sie erfolgreich vollzogen wurden, eine Änderung im Status oder der Lage
desjenigen Gegenstands (bzw. derjenigen Gegenstände) herbei,
3«
über den (bzw. die) gesprochen wird. Dieses Merkmal von
Deklarationen unterscheidet sie von den anderen Kategorien. In
der gesamten Diskussion dieser Themen, die sich an Austins
ursprüngliche Einführung seiner Unterscheidung zwischen Performativen und Konstativen anschloß, ist dieses Merkmal von
Deklarationen nicht richtig verstanden worden. Die ursprüngliche Unterscheidung zwischen Konstativen und Performativen
sollte eine zwischen solchen Äußerungen sein, mit denen etwas
gesagt wird (Konstative, Feststellungen, Behauptungen usw.) und
solchen Äußerungen, mit denen etwas getan wird (Versprechen,
Wetten, Warnungen usw.). Die von mir nun als Deklarationen
bezeichneten Äußerungen wurden zu den Performativen gerechnet. Das Hauptthema von Austins ausgereifter Arbeit zu diesem
Thema, How to Do Things with Words (dt.: Zur Theorie der
Sprechakte), ist, daß diese Unterscheidung zusammenbricht.
Geradeso, wie eine Heirat und ein Versprechen (zwei »Performative«) dadurch Zustandekommen, daß gewisse Sachen gesagt
werden, kommt auch eine Feststellung (vermeintlich ein »Konstativ«) dadurch zustande, daß gewisse Dinge gesagt werden. Die
Parallele ist exakt - Austin hat das zwar gesehen, aber viele
Philosophen sehen es immer noch nicht. Eine Feststellung zu
treffen, ist nicht weniger der Vollzug eines illokutionären Aktes
als ein Versprechen zu geben, eine Wette abzuschließen, zu
warnen oder dergleichen. Jede beliebige Äußerung besteht im
Vollzug eines oder mehrerer illokutionärer Akte.
Der im Satz enthaltene Indikator der illokutionären Rolle zeigt
(durch Anwendung auf den propositionalen Gehalt) unter
anderm an, welche Ausrichtung zwischen dem propositionalen
Gehalt und der Realität besteht. Bei den Assertiven ist die
Ausrichtung Wort-auf-Welt, bei den Direktiven und Kommissiven ist sie Welt-auf-Wort; bei den Expressiven hat die illokutionäre Rolle keine Ausrichtung, weil mit ihnen bereits vorausgesetzt wird, daß Welt und Wörter zueinander passen. Tun sie das
nicht, kann aus der Äußerung gar nichts werden. Bei den
Deklarationen stellen wir nun eine ganz eigentümliche Beziehung
fest. Der Vollzug einer Deklaration bringt durch nichts anderes
als durch seinen Erfolg zustande, daß Wörter und Welt zueinander passen. Wie ist so etwas möglich? Man beachte, daß bei allen
bislang von uns betrachteten Beispielen eine außersprachliche
Einrichtung im Spiel ist, ein System konstitutiver Regeln, das zu
37
den konstitutiven Sprachregeln hinzukommt, damit die Deklaration erfolgreich vollzogen werden kann. Daß Sprecher und Hörer
diejenigen Regeln beherrschen, die die sprachliche Kompetenz
ausmachen, reicht im allgemeinen nicht aus, damit eine Deklaration zustande kommt. Zusätzlich muß es eine außersprachliche
Einrichtung geben, in der Sprecher und Hörer besondere Positionen einnehmen. Nur dank solcher Einrichtungen wie der Kirche,
dem Rechtswesen, Privatbesitz, dem Staat und besonderer Stellungen von Sprecher und Hörer in ihnen kann exkommuniziert,
ernannt, vererbt und Krieg erklärt werden. Zu dem Prinzip, jede
Deklaration setze eine außersprachliche Einrichtung voraus, gibt
es zwei Klassen von Ausnahmen. Zum ersten sind da die
übernatürlichen Deklarationen. Wenn beispielsweise Gott sagt:
»Es werde Licht«, so ist das eine Deklaration. Zum zweiten gibt
es Deklarationen, in denen es um die Sprache selbst geht, wie
wenn jemand beispielsweise sagt »Ich definiere«, »Ich benutze die
Abkürzung«, »Ich benenne«, »Ich bezeichne« oder »Ich tituliere«. Austin drückt sich manchmal so aus, als setzten alle Performative (bzw. in der allgemeinen Sprechakttheorie: alle illokutionären Akte) eine außersprachliche Einrichtung voraus, aber dies
ist platterdings nicht der Fall. Deklarationen sind eine ganz
besondere Kategorie von Sprechakten. Ihre Struktur symbolisieren wir so:
D
(P)
»D« steht für den illokutionären Witz der Deklaration; wegen
des eigentümlichen Charakters der Deklarationen ist die Ausrichtung sowohl Wort-auf-Welt als auch Welt-auf-Wort. Eine Aufrichtigkeitsbedingung gibt es nicht, deshalb steht das NullSymbol an der Stelle, an der die Aufrichtigkeitsbedingung aufgeführt wird; »p« ist die gewöhnliche Propositionsvariable.
Daß es hier überhaupt einen Ausrichtungspfeil geben muß, liegt
daran, daß mit Deklarationen versucht wird, die Sprache zur Welt
passen zu lassen. Aber dieser Versuch wird nicht dadurch
unternommen, daß ein bestehender Sachverhalt beschreiben wird
(wie dies bei Assertiven der Fall ist), und auch nicht dadurch, daß
versucht wird, jemanden dazu zu bringen, daß er einen künftigen
Sachverhalt schafft (wie dies bei Direktiven und Kommissiven der
Fall ist).
Zwischen Deklarationen und Assertiven gibt es Überschneidungen, und zwar aus folgendem Grund: In gewissen Einrichtungen
38
tritt die Situation auf, daß wir nicht bloß feststellen, ob etwas der
Fall ist, sondern auch die Autorität besitzen müssen, um endgültig darüber zu befinden, was der Fall ist, nachdem das Ermittlungsverfahren darüber abgeschlossen ist. Die Diskussion muß
irgendwann ein Ende haben und zu einer Entscheidung führen;
aus diesem Grund haben wir Richter und Schiedsrichter. Richter
wie Schiedsrichter machen Tatsachenbehauptungen: »Aus«,
»Schuldig«. Diese Behauptungen lassen sich zweifelsohne in der
Dimension der Wort-auf-Welt-Ausrichtung beurteilen. Hatte der
Ball wirklich mit vollem Umfang die Linie überschritten? Hat er
wirklich das Verbrechen begangen? Sie lassen sich in der Wortauf-Welt-Dimension beurteilen, doch zugleich haben sie die
Rolle von Deklarationen. Wenn der Schiedsrichter den Ball »aus«
erklärt (und dies auch gegen Beschwerden aufrechterhält) dann ist
der Ball - jedenfalls beim Fußballspiel - aus, egal, was wirklich
los war; und wenn der Richter jemanden schuldigspricht, dann ist
der dem Gesetz nach schuldig. An diesen Fällen ist nichts
Geheimnisvolles. Es ist charakteristisch für Einrichtungen, daß
sie darauf angewiesen sind, daß Autoritäten verschiedenster Art
Deklarationen abgeben können. Einige Einrichtungen sind darauf
angewiesen, daß Assertive mit der Rolle von Deklarationen
geäußert werden können, um den Streit über die Wahrheit einer
Behauptung irgendwo zu beenden und die nächsten institutionellen Schritte zu ermöglichen, die einer vorherigen Entscheidung
über die Tatsachenfrage bedürfen: der Inhaftierte wird freigelassen oder ins Gefängnis geschickt, es gibt Einwurf, Abstoß oder
Eckball. Diese Klasse können wir mit dem Etikett »assertive
Deklaration« versehen. Im Gegensatz zu den anderen Deklarationen haben sie mit den Assertiven eine Aufrichtigkeitsbedingung
gemeinsam. Richter, Geschworene und Schiedsrichter können
lügen - nichts daran ist logisch abwegig; wer hingegen Krieg
erklärt oder jemanden nominiert, kann dabei nicht lügen. Die
Klasse der assertiven Deklarationen wird demnach so symbolisiert:
Da
G (p)
»Da« steht für den illokutionären Witz, den die Äußerung eines
Assertivs mit der Rolle einer Deklaration hat; der erste Pfeil steht
für die Ausrichtung von Assertiven, der zweite für die Ausrichtung von Deklarationen; die Aufrichtigkeitsbedingung besteht
darin, etwas zu glauben; »p« vertritt den propositionalen Gehalt.
39
V. Einige syntaktische Aspekte der Klassifikation
Bei der Klassifikation illokutionärer Akte, um die es bislang ging,
habe ich Feststellungen über Verben zur Erläuterung und zum
Nachweis der Richtigkeit herangezogen. In diesem Abschnitt
möchte ich explizit ein paar Punkte syntaktischer Natur erörtern.
Falls die im vierten Abschnitt herausgearbeiteten Unterschiede
tatsächlich von irgendeiner Bedeutung sind, so ist anzunehmen,
daß sich aus ihnen allerlei für die Syntax ergibt. Deshalb möchte
ich nun für jede der fünf Kategorien untersuchen, welche Tiefenstruktur explizit performative Sätze der jeweiligen Kategorie
haben. Und das heißt, ich möchte für jede der fünf Kategorien
untersuchen, welche syntaktische Struktur die Sätze haben, in
denen passende illokutionäre Verben der jeweiligen Kategorie
performativ vorkommen. Alle Sätze, die wir betrachten werden,
werden aus einem Hauptsatz mit einem performativen Verb und
einem Nebensatz bestehen. Deshalb möchte ich die gewöhnlichen Strukturbäume in folgender Manier vereinfachen: Die in
Abbildung i dargestellte Tiefenstruktur eines Satzes wie »I
predict John will hit Bill« (»Ich sage voraus, daß John Bill
schlagen wird«) werde ich abgekürzt einfach so wiedergeben: /
predict + John will hit Bill. Klammern machen kenntlich, daß das
eingeklammerte Element fakultativ bzw. bloß für eine beschränkte Klasse der fraglichen Verben obligatorisch ist. Wo zwei
Elemente möglich sind, will ich einen Schrägstrich zwischen sie
setzen, also beispielsweise: I/You.
Assertive. Die Tiefenstruktur von Paradigmata assertiver Sätze
wie »I state that k is raining« (»Ich stelle fest, daß es regnet«) und
»I predict he will come« (»Ich sage voraus, daß er kommen
wird«) ist schlicht
I verb (that) + S.
Als ganze gibt diese Klasse keine weiteren Restfiktionen her;
allerdings mögen bestimmte Verben weitere Restriktionen für
den eingebetteten Satz mit sich bringen. So verlangt beispielsweise »predict« (»vorhersagen«), daß ein Hilfsverb im eingebetteten
Satz im Futur stehen muß bzw. keinesfalls in der Vergangenheit
stehen darf. Assertive Verben wie »describe« (»beschreiben«),
»call« (»nennen«), »classify« (»klassifizieren«) und »identify«
(»identifizieren«) haben eine andere syntaktische Struktur, die
40
Abb. i
der vieler Deklarationsverben ähnelt; ich werde sie später behandeln.
Direktive. Sätze wie »I order you to leave« (»Ich befehle dir
wegzugehen«) und »I command you to stand at attention«
(»Stillgestanden!«) haben die folgende Tiefenstruktur:
I verb you + you Fut Vol Verb (NP) (Adv).
»I order you to leave« ist somit die oberflächenstrukturelle
Realisierung von / order you + you will leave, das wiederholte
»you« ist durch Equi-NP-Tilgung* zum Verschwinden gebracht
worden. Man beachte, daß sich hier ein zusätzliches syntaktisches
Argument dafür ergibt, »dare«, »defy« und »challenge« (alle drei
haben hier etwa den Sinn von: »[jemanden zu etwas] herausfordern«) entsprechend meinem oben gemachten Vorschlag in die
* Dies ist eine Transformation, mit der eine von zwei (auch im Bezug) gleichen
Nominalphrasen getilgt wird. (Anm. d. Übers.)
41
Liste der direktiven Verben aufzunehmen, entgegen dem Vorschlag von Austin, der sie zu »apologize« (»um Entschuldigung
bitten«), »thank« (»danken«), »congratulate« (»beglückwünschen«), usw. steckt. Syntaktisch funktionieren sie nämlich in
derselben Weise wie die Paradigmata direktiver Verben: »order«
(»befehlen«), »command« (»anordnen«) und »request« (»ersuchen«). Entsprechend haben auch »invite« (»einladen«) und
»advise« (im Sinne von »anraten«) die direktive Syntax. »Permit«
(»erlauben«) hat ebenfalls die Syntax der Direktive, obwohl man
genaugenommen mit einer Erlaubnis nicht versucht, jemanden
dazu zu bringen, etwas Bestimmtes zu tun. Eine Erlaubnis
besteht vielmehr darin, daß man bisher bestehende Verbote
aufhebt; sie ist daher die illokutionäre Negation eines Direktivs
mit negativem propositionalen Gehalt. Ihre logische Form ist
Kommissive. Sätze wie »I promise to pay you the money« (»Ich
verspreche, dir das Geld zu zahlen«), »I pledge allegiance to the
flag« (»Ich gelobe der Fahne Treue«) und »I vow to get revenge«
(»Ich schwöre, Rache zu nehmen«) haben die Tiefenstruktur
I verb (you) + I Fut Vol Verb (NP) (Adv).
»I promise to pay you the money« ist demnach die oberflächenstrukturelle Realisierung von I promise you + 7 will pay you the
money, das wiederholte »I« ist aufgrund einer Equi-NP-Tilgung
verschwunden. Den syntaktischen Unterschied zwischen »I promise you to come on Wednesdy« (»Ich verspreche dir, am
Mittwoch zu kommen«) und »I order you to come on Wednesday« (»Ich befehle dir, am Mittwoch zu kommen«) wird von uns
ja auch als darin bestehend empfunden, daß im ersten Fall »I«, im
zweiten hingegen »you« das tiefenstrukturelle Subjekt von
»come« ist, wie die Verben »promise« und »order« dies jeweils
entsprechend verlangen. Es sei angemerkt, daß nicht alle charakteristischen Kommissive ein »you« als indirektes Objekt des
performativen Verbs haben. Die Tiefenstruktur des Satzes »I
pledge allegiance to the flag« ist nicht I pledge to you flag + I will
be allegiant; sie sieht vielmehr so aus: I pledge + l will be
allegiant to the flag.
Während es rein syntaktische Argumente dafür gibt, daß so
überaus typische direktive Verben wie »order« und »command«,
genau wie der Modus Imperativ, als tiefenstrukturelles Subjekt
42
des eingebetteten Satzes ein »you« verlangen, sind mir doch keine
syntaktischen Argumente bekannt, die zeigen würden, daß Kommissive ein »I« als tiefenstrukturelles Subjekt ihres eingebetteten
Satzes verlangen. Bei einer semantischen Betrachtung müssen wir
Sätze wie »I promise that Henry will be here on Wednesday«
(»Ich verspreche, daß Henry am Mittwoch hier sein wird«)
allerdings so interpretieren, daß sie folgende Bedeutung haben:
I promise that / will see to it that Henry will be here next
Wednesday
(Ich verspreche, daß ich dafür sorgen werde, daß Henry am
nächsten Mittwoch hier sein wird).
Diese semantische Interpretation des Satzes müssen wir wählen,
soweit wir die Äußerung als ein echtes Versprechen interpretieren. Doch ich kenne keine rein syntaktischen Argumente, die
zeigen würden, daß die Tiefenstruktur des ersteren Satzes diejenigen Elemente enthält, die im letzteren kursiv gedruckt sind.
Expressive. Wie ich bereits früher erwähnt habe, verlangen
Expressive charakteristischerweise eine Gerundivtransformation
des Verbs im eingebetteten Satz. Wir sagen:
I apologize for stepping on your toe
(Ich bitte um Entschuldigung dafür, daß ich dir auf den Zeh
getreten habe).
I congratulate you on winning the race
(Ich beglückwünsche dich zu deinem Rennsieg).
I thank you for giving me the money
(Ich danke dir dafür, daß du mir das Geld gibst).
Die Tiefenstruktur solcher Sätze ist:
I verb you + I/you VP
gerundive nom.
Die Erklärung für das obligatorische Gerundiv ist, um es zu
wiederholen, daß eine Ausrichtung fehlt. Die Formen, die regulärerweise Fragen wegen der Ausrichtung zulassen - mit »that«
eingeleitete Nebensätze und Infinitive - sind unzulässig. Deshalb
sind die folgenden Sätze ausgeschlossen:
*I congratulate you that you won the race.
*I apologize to step on your toe.
Allerdings sind nicht alle zulässigen Nominalisierungstransformationen Gerundivtransformationen; es kommt nur darauf an,
daß sie keine mit »that« eingeleiteten Nebensätze oder Infinitive
ergeben dürfen. So sind beide folgenden Sätze in Ordnung:
43
I apologize for behaving badly
(Ich bitte um Entschuldigung dafür, daß ich mich schlecht
benehme).
I apologize for my bad behavior
(Ich bitte um Entschuldigung für mein schlechtes Benehmen).
Die beiden folgenden gehen hingegen nicht:
*I apologize that I behaved badly.
*I apologize to behave badly.
Bevor wir die Deklarationen betrachten, möchte ich mich noch
einmal der Erörterung derjenigen assertiven Verben zuwenden,
die eine andere Syntax haben als die oben aufgeführten Paradigmata. Ich habe gesagt, daß die assertiven Paradigmata die folgende syntaktische Form haben:
I verb (that) + S.
Wenn wir aber assertive Verben wie »diagnose« (»diagnostizieren«), »call« (»nennen«) und »describe« (»beschreiben«), sowie
»class« (»einordnen«), »classify« (»klassifizieren«) und »identify«
(»identifizieren«) betrachten, dann stellt sich heraus, daß dieses
Muster überhaupt nicht auf sie paßt. Betrachten wir »call«,
»describe« und »diagnose« in Sätzen wie den folgenden:
I call him a liar
(Ich nenne ihn einen Lügner).
I diagnose his case as appendicitis
(Ich diagnostiziere seinen Fall als Blinddarmentzündung).
I describe John as a Fascist
(Ich beschreibe John als einen Faschisten).
Allgemein haben diese Sätze die Form
I verb NP1 + NP1 be pred*
Man kann nicht sagen
*I call that he is a liar.
*I diagnose that his case is appendicitis (Einige meiner Studenten finden diese Form abwegigerweise annehmbar)
*I describe that John is a Fascist.
Für eine wesentliche Klasse assertiver Verben scheint es demnach
sehr strenge Restriktionen zu geben, denen die andern Paradig* Ein »predicative« (Prädikativ) ist ein Prädikatsnomen oder prädikatives Adjektiv.
(Anm. d. Übers.)
44
mata nicht unterliegen. Sollten wir daraus schließen, daß es falsch
war, diese Verben neben »state« (»feststellen«), »assert« (»behaupten«), »claim« (»die Behauptung aufstellen«) und »predict«
(»vorhersagen«) zu den Assertiven zu rechnen, und daß wir für
sie eine eigene Klasse brauchen? Man könnte in dem Vorhandensein dieser Verben vielleicht eine Stütze für Austins Behauptung
sehen, daß es einer eigenen Klasse der Verdiktiven bedarf, die
nicht mit der Klasse der Expositiven identisch ist. Aber das wäre
sicherlich eine sehr seltsame Schlußfolgerung, wo Austin doch die
meisten der von uns gerade erwähnten Verben als Expositive
aufführt. Er rechnet »describe«, »class«, »identify« und »call« zu
den Expositiven und »diagnose« und »describe« zu den Verdiktiven. Durch syntaktische Übereinstimmung zwischen vielen Verdiktiven und Expositiven wäre kaum die Existenzberechtigung
für eine eigene Klasse der Verdiktiven zu legitimieren. Doch
lassen wir Austins Taxonomie beiseite, so bleibt immer noch die
Frage, ob es einer eigenen semantischen Kategorie bedarf, um
diesen syntaktischen Erscheinungen gerecht zu werden. Ich
glaube nicht. Meines Erachtens gibt es eine viel einfachere
Erklärung für die Distribution dieser Verben. Beim Diskurs mit
Assertiven konzentrieren wir unsere Aufmerksamkeit häufig auf
einen bestimmten Diskussionspunkt. Es geht dann nicht bloß um
den propositionalen Gehalt dessen, was wir sagen, sondern auch
darum, was wir über die Gegenstände sagen, um die es im
propositionalen Gehalt geht. Es geht nicht bloß darum, was wir
feststellen, als Behauptung aufstellen, charakterisieren oder
behaupten, sondern auch darum, wie wir es - irgendeinen
Diskussionspunkt, um den es schon vorher ging - beschreiben,
nennen, diagnostizieren oder identifizieren. Wenn es beispielsweise darum geht, etwas zu diagnostizieren oder zu beschreiben,
so geht es immer darum, eine Person oder ihre Krankheit zu
diagnostizieren, eine Landschaft, eine Party oder eine Person zu
beschreiben, und so weiter. Mit diesen assertiven illokutionären
Verben haben wir ein Hilfsmittel, mit dem wir den Brennpunkt
des Gesprächsinteresses von dem abheben können, was über ihn
gesagt wird. Doch dieser unbestreitbar echte syntaktische Unterschied kennzeichnet keinen semantischen Unterschied, der groß
genug wäre, um die Einführung einer eigenen Kategorie zu
rechtfertigen. Meine Auffassung wird auch noch dadurch
gestützt, daß die beim Beschreiben, Diagnostizieren usw. tatsäch45
lich benutzten Sätze selten explizit performativ sind, sondern
gewöhnlich vielmehr eine der normalen Indikativformen haben,
die für die Assertiven so charakteristisch sind. Äußerungen
wie:
He is a liar
(Er ist ein Lügner)
He has appendicitis
(Er hat eine Blinddarmentzündung)
He is a Fascist
(Er ist ein Faschist)
sind allesamt charakteristischerweise Feststellungen, mit denen
wir Akte des Bezeichnens, Diagnostizierens und Beschreibens
sowie Beschuldigens, Identifizierens und Charakterisierens vollziehen. So ziehe ich denn den Schluß, daß es für assertive
illokutionäre Verben typischerweise zwei syntaktische Formen
gibt: mit der einen wird auf den propositionalen Gehalt scharf gestellt, mit der andern auf die Gegenstände, um die es im
propositionalen Gehalt geht; doch bei beiden handelt es sich,
semantisch gesehen, um Assertive.
Deklarationen. Ich erwähne die syntaktische Form
I verb NP1 + NP1 be pred
aus zwei Gründen: Ich möchte ein Argument dafür vorwegnehmen, eine eigene semantische Kategorie für Verben dieser Form
zu bilden; zum zweiten haben viele Deklarationsverben diese
Form. Allerdings gibt es offenbar mehrere verschiedene syntaktische Formen für explizit performative Deklarationen. Die drei
folgenden Klassen halte ich für die wichtigsten:
1. I find you guilty as charged
(Ich spreche Sie schuldig im Sinne der Anklage)
I now pronounce you man and wife
(Ich erkläre Sie nun zu Mann und Frau)
I appoint you chairman
(Ich ernenne Sie zum Vorsitzenden)
2. War is hereby declared
(Krieg ist hiermit erklärt)
I declare the meeting adjourned
(Ich erkläre die Sitzung für vertagt)
3. You're fired, bzw. I fire you
(Sie sind entlassen)
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I resign
(Ich trete zurück)
I excommunicate you
(Ich exkommuniziere dich).
Die syntaktischen Tiefenstrukturen von Sätzen dieser drei Klassen sehen jeweils so aus:
1. I verb NP1 + NP1 be pred.
Für unsere Beispiele ergibt sich also:
I find you + you be guilty as charged
I pronounce you + you be man and wife
I appoint you + you be chairman.
2. I declare + S.
Für unsere Beispiele ergibt sich also:
I/we (hereby) declare + a state of war exists
I declare + the meeting be adjourned.
Dies ist die reinste Form der Deklaration: Der autorisierte
Sprecher bringt einen im propositionalen Gehalt angegebenen
Sachverhalt dadurch zustande, daß er im Grunde genommen sagt:
»Ich erkläre den Sachverhalt für bestehend«. Semantisch gesehen
sind alle Deklarationen von dieser Art, auch wenn bei den Sätzen
der ersten Klasse dadurch eine syntaktische Abweichung auftritt
(die übrigens exakt mit der übereinstimmt, die wir bei assertiven
Verben wie »describe«, »characterize«, »call« und »diagnose«
bemerkt haben), daß auf die Gegenstände scharfgestellt wird, um
die es in der Proposition geht. Bei den Sätzen der dritten Klasse
verdeckt die Syntax die semantische Struktur sogar noch mehr.
Hier ist die Syntax am irreführendsten; sie schaut schlicht so
aus:
3. I verb (NP),
wie in unseren drei Beispielen der obigen Klasse 3. Die semantische Struktur dieser Sätze scheint mir allerdings dieselbe zu sein
wie bei den Sätzen der Klasse 2. »You're fired« bedeutet, wenn es
geäußert wird, um damit den Akt des Entlassens zu vollziehen,
und nicht, um über eine Entlassung zu berichten:
I declare + your Job is terminated
(Ich erkläre + Ihre Anstellung ist zu Ende).
Entsprechend bedeutet »I hereby resign« (»Ich trete hiermit
zurück«):
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I hereby declare + my Job is terminated
(Ich erkläre hiermit + meine Anstellung ist zu Ende)
»I excommunicate you« (»Ich exkommuniziere dich«) bedeutet
I declare + your membership in the church is terminated
(Ich erkläre + Deine Mitgliedschaft in der Kirche ist zu
Ende).
Die verwirrend einfache syntaktische Struktur dieser Sätze erklärt
sich wohl daraus, daß es Verben gibt, die bei ihrem performativen
Vorkommen sowohl die deklarationale Rolle, als auch den
jeweiligen propositionalen Gehalt des vollzogenen Sprechakts in
sich bergen.
VI. Schlüsse
Wir sind nun in der Lage, ein paar allgemeine Schlüsse zu
ziehen.
1. Viele der als illokutionär bezeichneten Verben kennzeichnen
nicht den illokutionären Witz, sondern irgendeinen anderen
Aspekt des illokutionären Akts. Betrachten wir »darauf bestehen« und »nahelegen«. Ich kann darauf bestehen, daß wir ins
Kino gehen, und ich kann auch nahelegen, daß wir ins Kino
gehen; ebenso kann ich aber auch darauf bestehen, daß sich die
Antwort auf S. 16 findet, wie ich auch nahelegen kann, daß sich
die Antwort auf S. 16 findet. Beim ersten Paar handelt es sich um
Direktive, beim zweiten um Assertive. Zeigt dies nicht, daß auf
etwas zu bestehen und etwas nahezulegen illokutionäre Akte
ganz anderer Art sind als Assertive und Direktive, oder möglicherweise daß sie sowohl Assertive als auch Direktive sind?
Meines Erachtens lautet die Antwort auf beide Fragen: Nein.
»Auf etwas bestehen« und »nahelegen« werden zur Charakterisierung des Intensitätsgrads verwandt, mit dem der illokutionäre
Witz vorgebracht wird. Sie kennzeichnen nicht im mindesten
einen eigenen illokutionären Witz. Ähnliches gilt für »verkünden«, »(andeutungsweise) zu verstehen geben« und »anvertrauen« ; auch hier wird nicht ein jeweils eigenständiger illokutionärer
Witz gekennzeichnet, sondern vielmehr der Stil bzw. die Art und
Weise, in der ein illokutionärer Akt vollzogen wird. So paradox
dies auch klingen mag, solche Verben sind illokutionäre Verben,
aber keine Namen für Arten illokutionärer Akte. Deswegen (und
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natürlich auch aus andern Gründen) müssen wir sorgfältig zwischen einer Taxonomie für illokutionäre Akte und einer für
illokutionäre Verben unterscheiden.
2. Im Abschnitt IV habe ich versucht, illokutionäre Akte zu
klassifizieren, und im Abschnitt V habe ich einige syntaktische
Merkmale von Verben untersucht, die illokutionäre Akte aus den
einzelnen Kategorien bezeichnen. Ich habe allerdings nicht den
Versuch unternommen, illokutionäre Verben zu klassifizieren.
Würde man das tun, so ergäbe sich meines Erachtens folgendes:
(a) Zunächst einmal, wie bereits bemerkt, kennzeichnen einige
Verben überhaupt keinen illokutionären Witz, sondern irgendein
anderes Merkmal; das gilt beispielsweise für »bestehen auf«,
»nahelegen«, »verkünden«, »anvertrauen«, »erwidern«, »antworten«, »einwerfen«, »bemerken«, »ausstoßen« und »einflechten«.
(b) Viele Verben kennzeichnen einen illokutionären Witz und
darüber hinaus auch noch irgendein anderes Merkmal. Das gilt
beispielsweise für »prahlen«, »jammern«, »drohen«, »kritisieren«, »beschuldigen« und »warnen«, die ihrem primären illokutionären Witz allesamt jeweils das Merkmal, gut bzw. schlecht zu
sein, hinzufügen.
(c) Einige wenige Verben kennzeichnen mehr als einen einzigen
illokutionären Witz. So steckt im Protestieren sowohl ein Ausdruck der Mißbilligung, als auch ein Ersuchen um Abhilfe. Das
Erlassen eines Gesetzes hat sowohl deklarationalen (der propositionale Gehalt wird geltendes Recht), als auch direktiven Status
(geltendes Recht selbst hat direktiven Sinn). Die Verben der
assertiven Deklaration fallen in diese Klasse.
(d) Einige wenige Verben können bei verschiedenen Verwendungsweisen einen jeweils andern illokutionären Witz haben.
Betrachten wir »warn« (»warnen«, »[warnend] auf etwas aufmerksam machen«) und »advise« (»[zu etwas] raten«, »in Kenntnis setzen«). Beide haben entweder die Syntax der Direktive oder
die Syntax der Assertive.
I warn you to stay away from my wife!
(Direktiv)
(Ich warne Sie: Bleiben Sie von meiner Frau weg!)
I warn you that the bull ist about to charge
(Assertiv)
(Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß der Bulle gleich
losgeht)
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I advise you to leave
(Direktiv)
(Ich rate Dir zu gehen).
Passengers are hereby advised that the train will be late
(Assertiv)
(Die Passagiere werden hiermit darüber in Kenntnis gesetzt,
daß der Zug Verspätung hat).
Dementsprechend kann man mit »warn« und »advise« dem
Angesprochenen offenbar entweder sagen, daß etwas (im Lichte
seiner Interessen Relevantes) der Fall ist, oder man kann ihm
damit sagen, er solle etwas dafür oder dagegen tun (weil es ja
entweder in seinem Interesse ist oder seinen Interessen zuwiderläuft). Beides kann, aber muß nicht zugleich geschehen.
3. Der wichtigste Schluß aus all dem ist: Anders als Wittgenstein
(gemäß einer möglichen Interpretation) und viele andere behauptet haben, gibt es nicht unendlich oder unbestimmt viele Sprachspiele bzw. Sprachverwendungen. Die Grenzenlosigkeit der
Sprachverwendungen ist vielmehr eine Illusion; sie erwächst aus
einer enormen Unklarheit darüber, worin die Kriterien bestehen,
mit denen ein Sprachspiel (oder eine Sprachverwendung) von
einem (bzw. einer) andern abgegrenzt ist. Wenn wir den illokutionären Witz als Grundbegriff der Klassifikation von Sprachverwendungen akzeptieren, dann gibt es nur sehr wenige grundlegende Sachen, die man mit Sprache machen kann: Wir sagen
andern, was der Fall ist; wir versuchen sie dazu zu bekommen,
bestimmte Dinge zu tun; wir legen uns selbst darauf fest, gewisse
Dinge zu tun; wir bringen unsere Gefühle und Einstellungen zum
Ausdruck; und wir führen durch unsere Äußerungen Veränderungen herbei. Oft tun wir mit ein und derselben Äußerung
mehrere von diesen Sachen zugleich.