dossier Knapp wie Sand am Meer Auf die existenzbedrohenden Konsequenzen von Land Grabbing und Water Grabbing wird in Kampagnen und Protestaktionen immer wieder aufmerksam gemacht. Doch wer hat schon von Sand Grabbing gehört? Dabei hat der Wettlauf um diesen Rohstoff längst begonnen … Text: Theodora Peter F ahren Sie in diesem Sommer an einen Strand? Falls ja, dann geniessen Sie das Gefühl, den Sand unter Ihren Füssen zu spüren. Denn die Strände sind weltweit vom Verschwinden bedroht. Daran schuld ist nicht nur das Ansteigen des Meeresspiegels. Auf den Weltmeeren saugen Schiffe täglich Tonnen Sand vom Meeresgrund an die Oberf läche, um den begehrten Rohstoff zu gewinnen. Dies führt zu einem Abrutschen des Sanduntergrunds an den Küsten und stört das ökologische Gleichgewicht in den Tiefen der Ozeane. «Kein an- » Sand ist – genauso wie Öl – kein nachwachsender Rohstoff. derer Rohstoff ausser Wasser wird derart stark genutzt», sagt der britische Geologe Michael Welland im Dokumentarfilm «Sand Wars». Welland schätzt den weltweiten Sandverbrauch pro Jahr auf rund 15 Milliarden Tonnen. Der Rohstoff dient meist zur Herstellung von Beton für Häuser und Strassen. Sand findet sich aber auch in Glas, Autoreifen oder Computerchips. Obwohl in gigantischen Mengen auf dem Planeten vorhanden, ist Sand – genauso wie Öl – kein nachwachsender Rohstoff. Im Film «Sand Wars» zeigt der französische Journalist Denis Delestrac eindrücklich, welche Konsequenzen die boomende Sandnachfrage für die Umwelt hat. Sandimporte in Dubai_Selbst ein Wüstenstaat wie das Emirat Dubai muss den Rohstoff aus Australien importieren, um seine betonfressenden Bauprojekte mit bis zu 800 Meter hohen Wolkenkratzern zu verwirklichen. Obwohl in Dubai die Wüste vor den Toren der wendekreis 6/7_2015 21 › dossier Stadt liegt, ist verwertbarer Sand dort ein knappes Gut. Zwar wollte man in Dubai den Wüstensand ursprünglich dazu nutzen, im Meer künstliche Inseln aufzuschütten. Doch die vom Wind rund geschliffenen Körner eignen sich dafür nicht, da sie sich im Vergleich zu den eckigen Körnern des Meeressandes nicht ineinander verkeilen und somit keinen tragfähigen Baustoff bilden. Auch der Inselstaat Singapur ist auf Sandimporte angewiesen. Der Stadtstaat platzt aus allen Nähten und dehnt deshalb sein begrenztes Territorium mit künstlichen Aufschüttungen zur Küste hin aus. Weil die umliegenden Länder Singapur vorwerfen, Sand aus ihren Küstengebieten zu stehlen, haben Staaten wie Indonesien die Ausfuhr von Sand nach Singapur verboten. Das Verbot wird von Schmugglern jedoch unterlaufen. Vor allem die indonesischen Inselatolle bekommen die Folgen des Raubbaus ganz direkt zu spüren. Bereits 25 Inseln haben sich buchstäblich im Ozean aufgelöst. Auch beklagen Fischer einen massiven Fangrückgang, da mit dem Sandabbau am Meeresgrund das Ökosystem und damit die Nahrungskette der Fische empfindlich gestört werden. Sandmafia in Marokko_In Marokko sind Sandstrände bereits heute zur Mangelware geworden. Grund ist der Bauboom in Küstennähe, der zu einer steigenden Nachfrage nach Beton geführt hat. Das Business wird von der Mafia mitkontrolliert. Sie holt den Sand illegal von den Stränden und schleust ihn in den Markt ein. Der marokkanische Branchenverband der Granulathersteller schätzt den Anteil des gestohlenen Sands gar auf vierzig Prozent und spricht von einem «veritablen ökologischen Fiasko». Denn ausgerechnet dort, wo der Bauboom Touristen/-innen an die Küsten locken soll, besteht ein Grossteil der Küstenlandschaft nur noch aus nackten Felsen. Kommt dazu, dass der illegal von der Küste herbeigeschaffte Sand kein gutes Baumaterial darstellt, weil er oft ungenügend von Salzrückständen befreit ist. Unreiner Beton führt jedoch zu Korrosionsschäden und kann ein Gebäude mittelfristig zum Einsturz bringen. Widerstand in Frankreich_Gegen die Ausbeutung der Sandvorkommen aus den Meeren wehren sich Umweltschützer und Fischer zunehmend. In Frankreich etwa kämpft das Kollektiv «Le Peuple des Dunes» gegen das geplante Anzapfen einer unter Wasser liegenden Düne in der Bretagne. Der feine Muschelsand soll zwar nicht zur Zementherstellung, sondern als Dünger für übersäuerte Ackerf lächen in der Region dienen. Trotzdem wehren sich Landschaftsschützer/innen, Anwohner/innen und Fischer/innen gegen das Projekt, mit dem während der nächsten zwanzig Jahre jährlich 400 000 Kubikmeter Sand aus der Unterwasserdüne abgepumpt werden sollen. Die Fischer befürchten ein Aussterben des Kleinen Sandaals, der die Düne bevölkert und der als 22 wendekreis 6/7_2015 Hauptnahrung für einen grossen Teil der Fischpopulation der Küstengewässer dient. Wie der Kampf des «Dünenvolks» in der Bucht von Lannion ausgeht, ist noch offen. Bei früheren Gelegenheiten hatte sich der Widerstand gelohnt. So wehrten sich bretonische Umweltschützer/innen bereits 2006 im Golf von Morbihan gegen ein Sandabbauprojekt. Drei Jahre später liessen die Zementhersteller Lafarge und Italecementi das umstrittene Projekt fallen. Der Dokumentarfilm «Sand Wars» des französischen Regisseurs Denis Delestrac wurde erstmals 2013 auf dem Fernsehsender «Arte» ausgestrahlt und gewann seither unzählige Preise und Auszeichnungen. ➔ www.sand-wars.com Kiesland Schweiz Die Schweiz ist vom Problem der weltweiten Sandknappheit kaum betroffen, denn sie verfügt über grosse natürliche Kiesvorkommen – einem Gemisch aus Kieselsteinen und Sand. In den rund hundert Schweizer Kieswerken werden jährlich rund fünfzig Millionen Tonnen zu Granulaten verschiedenster Körnung verarbeitet. Beim grössten inländischen Baustoffhersteller Holcim Schweiz stammen die Rohstoffe Sand und Kies in erster Linie aus den 16 eigenen Werken in der Schweiz. 2013 importierte Holcim 225 000 Tonnen Sand aus seinen Werken im französischen Elsass. Gemessen am Gesamtabsatz mache der Importanteil lediglich drei Prozent aus, heisst es bei Holcim Schweiz. Laut Martin Weder vom Fachverband der Schweizer Kies- und Betonindustrie halten die Kiesreserven in der Schweiz «noch ewig» – allenfalls könnte es beim Erschliessen neuer Abbaustellen zu Nutzungskonflikten kommen. Viele Kiesvorkommen sind schon deshalb unantastbar, weil sie unter wertvollem Ackerland oder im Siedlungsraum liegen. Das Raumplanungsgesetz verpflichtet die Kantone, für mindestens dreissig bis vierzig Jahre Reserven an mineralischen Rohstoffen bereitzuhalten. Was in Zukunft an Bedeutung gewinnen dürfte, ist Recycling. In der Schweiz wird dies zum Beispiel bei Betonabbruchmaterial angewandt: Gemäss Schätzungen des Bundesamtes für Umwelt werden jährlich rund fünf Millionen Tonnen in Recyclinganlagen wiederaufbereitet. Grundsätzlich ist dieses Vorgehen auch für Sand denkbar – allerdings bevorzugen Betonproduzenten natürlichen Sand, da rezyklierter Sand mit Gips und Sulfat versetzt ist und viel Wasser aufsaugt.
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