Vorlesung 2: Übersicht über Strafen und Massnahmen

Rechtswissenschaftliches Institut
Vorlesung 2: Übersicht über Strafen und
Massnahmen
PD Dr. iur. Stefan Heimgartner
24.02.2016
(Titel der Präsentation), Lehrstuhl Prof. Dr. iur. Christian Schwarzenegger, (Autor)
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Übersicht (1)
Sanktionen
Strafen
Massnahmen
Sichernde Massnahmen
Freiheitsstrafe
Geldstrafe
Behandlung von psychischen Störungen
(stationär)
FS 2016
Gemeinnützige Arbeit
Busse
Suchtbehandlung
(stationär)
Therapeutische
Massnahmen
Massnahmen für
junge Erwachsene
(stationär)
Isolierende
Massnahmen
Ambulante Behandlung von
psychischen Störungen oder
Sucht bzw. Abhängigkeit
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Andere Massnahmen
Persönliche
Verwahrung
Sachliche
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Übersicht (2)
Massnahmen
Andere Massnahmen
Sichernde
Persönliche Massnahmen
Friedensbürgschaft
FS 2016
Berufsverbot
Fahrverbot
Sachliche Massnahmen
Veröffentlichung des Urteils
Einziehung
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Verwendung zu Gunsten des
Geschädigten
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Strafarten
Das StGB unterscheidet zwischen vier Strafarten:

Freiheitsstrafe (Art. 40 f. StGB)

Gemeinnützige Arbeit * (Art. 37-39, Art. 107 StGB)

Geldstrafe (Art. 34-36 StGB)

Busse (Art. 106 StGB)
* Nach Inkrafttreten der Revision des Sanktionenrechts wird die gemeinnützige
Arbeit nicht mehr als eigenständige Sanktion, sondern nur noch als Vollzugsform
existieren, Art. 79a E-StGB (Botschaft Änderung Sanktionenrecht, S. 4747)
FS 2016
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Arten der Massnahmen (1)
–
Sichernde Massnahmen
FS 2016

Therapeutische Massnahmen (Art. 56-63 StGB):
Ziel ist eine Verhaltensänderung beim Täter mittels Behandlung herbeizuführen, um die Gefahren künftiger Straftaten zu
beseitigen bzw. zu reduzieren

Isolierende Massnahmen (Verwahrung, Art. 64-64c StGB):
Die Verwahrung wird angeordnet, wenn vom Täter eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht und eine
therapeutische Massnahme als nicht ausreichend oder nutzlos
angesehen wird
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Arten der Massnahmen (2)
–
Andere Massnahmen
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
Persönliche Massnahmen (Art. 66-68 StGB):
Reaktion auf einen spezifischen Gefährdungszustand des Täters

Sachliche Massnahmen (Art. 69-73 StGB):
Dienen der Beseitigung gefährlicher Sachen oder der Einziehung
von Vermögenswerten, die strafbaren Handlungen entstammen
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Sanktionensystem
–
Einspuriges Sanktionensystem, sieht nur Strafen oder alternativ einzig
Massnahmen vor
–
Zweispuriges Sanktionensystem, wendet sowohl Strafen als auch
Massnahmen nebeneinander an
 weltweit vorherrschendes System; wird in der Schweiz seit
1. Januar 1942 angewendet
FS 2016
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Monismus vs. Dualismus (1)
Merke: eine Unterscheidung zwischen Monismus und Dualismus erfolgt nur
im zweispurigen Sanktionensystem
Sind sowohl die Voraussetzungen für eine Strafe als auch für eine
Massnahme durch die Begehung eines Deliktes erfüllt, so stellt sich die
Frage, welche Sanktion angeordnet werden muss:

Monismus: es ist lediglich eine Massnahme oder alternativ eine Strafe
anzuordnen und zu vollziehen

Dualismus: es können beide Sanktionen (Strafe & Massnahme)
kumulativ angeordnet und vollzogen werden
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Monismus vs. Dualismus (2)
Das schweizerische Strafrecht sieht den Dualismus vor. In Bezug auf
freiheitsentziehende Massnahmen wird der sog. dualistisch-vikariierende
Vollzug angewendet:
 die beiden Sanktionen (Strafe und Massnahme) können nur alternativ
vollstreckt werden; entweder wird zuerst die Massnahme und dann die
Strafe oder umgekehrt zuerst die Strafe und danach die Massnahme
vollstreckt  in der Regel wird zuerst die Massnahme vollzogen;
Ausnahme Verwahrung (Art. 64 Abs. 2 StGB)
 der Vollzug der einen Sanktion kann denjenigen der anderen Sanktion
ganz oder teilweise ersetzen
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Voraussetzungen für Sanktionen
Ein bestimmtes Verhalten ist:
Mögliche Sanktionsfolgen:
Nur objektiv und subjektiv
tatbestandsmässig
Keine Strafe oder Massnahme
+ rechtswidrig
Keine Strafe, aber Massnahme gegen
schuldunfähigen Täter möglich (Art. 19
Abs. 3 StGB)
+ schuldhaft
Strafe zwingend, Massnahme möglich
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Verhältnis zwischen Strafen und Massnahmen
 Im Normalfall wird eine Strafe, d.h. eine Freiheitsstrafe, Geldstrafe
oder Busse, verhängt
 Falls eine (sichernde) Massnahme notwendig ist, wird sie neben
der Strafe ausgesprochen,* der Vollzug der Massnahme aber
vorgezogen
= dualistisch-vikariierendes System (vgl. Folie 9)
* Die Massnahmen nach Art. 59, 60, 61, 63, 64 Abs. 1 lit. b, 67, 67b StGB können auch
gegen Schuldunfähige verhängt werden (es ergeht in diesen Fällen keine Strafe)
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Beispiel 1
1. Der Angeklagte hat sich der mehrfachen sexuellen Nötigung i.S.v.
Art. 189 Abs. 1 StGB schuldig gemacht.
2. Der Angeklagte wird mit 4 Jahren Freiheitsstrafe bestraft. [Strafe]
3. Der Vollzug der Strafe wird aufgeschoben und der Angeklagte i.S.v. Art.
59 StGB stationär behandelt. [Massnahme]
geht vor
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Beispiel 2 (Verwahrung)
1. Der Angeklagte hat sich der mehrfachen sexuellen Nötigung i.S.v.
Art. 189 Abs. 1 StGB schuldig gemacht.
2. Der Angeklagte wird mit 4 Jahren Freiheitsstrafe bestraft. [Strafe]
3. Das Gericht ordnet eine Verwahrung i.S.v. Art. 64 StGB an.
[Massnahme]
geht vor
FS 2016
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Rechtsquellen (1)
Gesetzgebungskompetenz

Art. 123 Abs. 1 BV:
«Die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Strafrechts und des
Strafprozessrechts ist Sache des Bundes».

Art. 123 Abs. 2 BV:
«Für die Organisation der Gerichte, die Rechtsprechung in
Strafsachen sowie den Straf- und Massnahmenvollzug sind die
Kantone zuständig, soweit das Gesetz nichts anderes vorsieht».
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Rechtsquellen (2)
Bundesrecht:


StGB enthält Regelung über:

Arten, Bemessung, Verjährung und Aufhebung der Strafe
(Art. 34 ff. StGB)

Arten, Anordnung und Beendigung von Massnahmen
(Art. 56 ff. StGB)

Grundzüge des Vollzugs von Freiheitsstrafen und
freiheitsentziehenden Massnahmen (Art. 74 ff. StGB)
BGG enthält Regelung über:

FS 2016
Beschwerde in Strafsachen (Art. 78 Abs. 2 lit. b BGG) an das
Bundesgericht gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen
und gegen Entscheide des Bundesstrafgerichts (Art. 80 Abs. 1
BGG)
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Rechtsquellen (3)
Bundesrecht (Forts.):

Bundesgesetz über die Leistungen des Bundes für den Straf- und
Massnahmenvollzug enthält Regelungen über:

Leistungen von Bau- und Betriebsbeiträgen des Bundes
Kantonales Recht:

Der Vollzug von Strafen und Massnahmen wird durch die Kantone
selbst, auf Gesetzes- und/oder Verordnungsstufe, geregelt
Bsp. Kanton Zürich: Straf- und Justizvollzugsgesetz (StJVG) und
Justizvollzugsverordnung (JVV)
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Rechtsquellen (4)
Konkordate

= Zusammenschluss mehrerer Kantone, um die Aufgabenverteilung
betreffend Planung, Bau und Betrieb von Vollzugseinrichtungen zu
koordinieren
Es gibt schweizweit drei Konkordate:

Ostschweizer Strafvollzugskonkordat (Kantone ZH, GL, GR, SH, AR,
AI, SG, TG)

Strafvollzugskonkordat der Nordwest- und Innerschweiz (Kantone
UR, SZ, OW, NW, LU, ZG, BE, SO, BS, BL, AG)

Cocordat latin sur la détention pénale des adultes (FR, VD, VS, NE,
GE, JU, TI)
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Rechtsquellen (5)
Internationale Übereinkommen

Art. 3 EMRK/Art. 7 IPBPR:
Verbot der Folter und der unmenschlichen Behandlung

CPT-Standards: Empfehlungen (= keine Bindungswirkung) des Komitees
zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender
Behandlung oder Strafe (CPT) auf dem Gebiet des Straf- und
Massnahmenvollzugs

Anti-Folter-Konvention des Europarates (Europäisches Übereinkommen
zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender
Behandlung)

Anti-Folter-Konvention der UNO (Übereinkommen gegen Folter und
andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder
Strafe)
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Exkurs: Revision Sanktionenrecht (1)
Hauptkritik an der geltenden Gesetzeslage:
«Die Hauptkritik richtete sich ursprünglich gegen die bedingte Geldstrafe und
die bedingte gemeinnützige Arbeit, die beide als Strafen ohne das nötige
Abschreckungspotenzial beurteilt werden.» (Botschaft Änderung des Sanktionenrechts,
S. 4723); im Parlament wurde der Revisionsentwurf indes erheblich
abgeschwächt; etwa wurden bedingte Geldstrafe beibehalten (vgl. BBl 2015
4899 ff.)
Ziel der Revision:

Zurückdrängen der Geldstrafe, d.h. deren Vorrang gegenüber der
Freiheitsstrafe

Vermehrt kurze unbedingte Freiheitsstrafen einführen
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Exkurs: Revision Sanktionenrecht (2)
Beschlossene Revision (Inkrafttreten voraussichtlich 1.7.2017 oder
1.1.2018)


Freiheitsstrafe:

Einführung von kurzen Freiheitsstrafen ab 3 Tagen

Aufhebung von Art. 41 StGB
Geldstrafe:
FS 2016

Kein teilbedingter Vollzug der Geldstrafe

Begrenzung der Geldstrafe auf 180 Tagessätze

Gesetzliche Festlegung der Mindesthöhe eines Tagessatzes im
Regelfall bei mindestens Fr. 30.--; ausnahmsweise Fr. 10.--
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Exkurs: Revision Sanktionenrecht (3)
Beschlossene Revision (Forts.):


Gemeinnützige Arbeit:

Keine eigenständige Strafart mehr, sondern nur noch
Vollzugsform

Neu in Art. 79a E-StGB und nicht wie bis anhin in Art. 37 ff. bzw.
Art. 107 StGB geregelt
Landesverweisung:
FS 2016

Landesverweisung wird wieder im StGB verankert, d.h. das
Gericht soll im Strafurteil eine Landesverweisung aussprechen
können

Dauer der Landesverweisung: 5–15 Jahre

Neuregelung in Art. 66a E-StGB (mit Härtefallklausel)
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Exkurs: Revision Sanktionenrecht (4)
Beschlossene Revision (Forts.):

Electronic Monitoring:
FS 2016

Wird gesetzlich als Vollzugsform verankert.

Als Alternative zum Vollzug von Freiheitsstrafen ab 20 Tage bis
zu 12 Monaten

Als Vollzugsstufe gegen Ende längerer Freiheitsstrafen

Neuregelung in Art. 79b E-StGB
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