Strafrecht AT II VL 5 - Rechtswissenschaftliches Institut

Rechtswissenschaftliches Institut
Vorlesung 5: Bedingte und teilbedingte Strafen
Dr. iur. Omar Abo Youssef
FS 2016
Strafrecht AT II, PD Dr. iur. Stefan Heimgartner & Dr. iur. Omar Abo Youssef
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Voraussetzungen (1)
Voraussetzungen für die Gewährung einer bedingten/teilbedingten Strafe:
 Freiheitsstrafen:
 bedingt: 6 Mt.* bis 2 Jahre (Art. 42 Abs. 1 StGB)
 teilbedingt: 1 Jahr* bis 3 Jahre (Art. 43 Abs. 1 StGB)
 Geldstrafe von 1 - 360 Tagessätzen uneingeschränkt bedingt/teilbedingt
möglich
 Gemeinnützige Arbeit von 4 - 720 Stunden uneingeschränkt bedingt/
teilbedingt möglich
Achtung: Bussen können nur unbedingt verhängt werden, d.h. Art. 42
und 43 StGB sind auf Übertretungen nicht anwendbar (Art. 105 Abs. 1
StGB)
* Tiefere Freiheitsstrafen bed./teilbed. nicht möglich (vgl. Art. 40 und 41 Abs. 1 StGB)
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Voraussetzungen (2)
Subjektive Voraussetzung: Fehlen einer ungünstigen Prognose
(Legalprognose)
 Normalfall: günstige Prognose wird vermutet, insb. bei Ersttätern
(Art. 42 Abs. 1 StGB)
 Verurteilung des Täters innerhalb von 5 Jahren vor der Tat zu bedingter/
unbedingter Freiheitsstrafe von mind. 6 Monaten oder zu Geldstrafe von
mind. 180 Tagessätzen: Aufschub nur bei «besonders günstigen
Umständen» (Art. 42 Abs. 2 StGB)
Wiedergutmachung des Schadens: eine bedingte Strafe kann verweigert
werden, wenn der Täter eine zumutbare Schadensbehebung unterlassen
hat (Art. 42 Abs. 3 StGB)
Merke: Massgebend für die Beurteilung ob eine bedingte/teilbedingte
Strafe ausgefällt werden kann, sind die Verhältnisse im Zeitpunkt des
Urteils
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Absehen von einer bedingten/teilbedingten Strafe
ACHTUNG:
Wurde nebst einer therapeutischen Massnahme eine Freiheitsstrafe
ausgefällt, kann deren Vollzug nur nach Art. 57 Abs. 2 bzw. Art. 63 Abs. 2
StGB aufgeschoben werden, ein bedingter oder teilbedingter Vollzug nach
Art. 42 oder 43 StGB fällt NICHT in Betracht, denn es kann i.S.v. Art. 56
Abs. 1 lit. a StGB nicht von einer günstigen Prognose ausgegangen werden.
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Unterscheidung bedingte – teilbedingte Strafe
 Bedingte Strafe: Strafe wird vollständig aufgeschoben
 Teilbedingte Strafe: Strafe wird teilweise aufgeschoben, wenn einerseits
eine unbedingte Strafe nicht erforderlich ist, andererseits aber eine
vollständig bedingte Strafe dem Verschulden des Täters nicht gerecht
werden würde
 aufgeschobener und zu vollziehender Teil müssen mind. 6 Monate
betragen (Art. 43 Abs. 3 StGB)
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Kombinierte Strafe, Art. 42 Abs. 4 StGB
Eine bedingt aufgeschobene Strafe nach Art. 42 StGB (bedingte
Freiheitsstrafe, bedingte Geldstrafe oder bedingte gemeinnützige Arbeit)
kann mit einer unbedingten Geldstrafe oder mit einer Busse gem. Art. 106
StGB kombiniert werden (Art. 42 Abs. 4 StGB)
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Teilbedingte Strafe, Art. 43 StGB
Merke: der unbedingt vollziehbare Teil darf die Hälfte der Strafe nicht
übersteigen (Art. 43 Abs. 2 StGB)
Bei einer Freiheitsstrafe ist zudem zu beachten:

teilbedingter Vollzug nur bei Freiheitsstrafen zwischen 1 – 3 Jahren
möglich (Art. 43 Abs. 1 StGB)

unbedingt zu vollziehender und aufgeschobener Teil der Strafe müssen
jeweils mind. 6 Monate betragen, wobei eine vorzeitige Entlassung i.S.v.
Art. 86 StGB nicht möglich ist (Art. 43 Abs. 3 StGB)
eine kombinierte Strafe i.S.v. Art. 42 Abs. 4 StGB ist bei einer
teilbedingten Strafe NICHT möglich
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Begleitende Anordnungen
 Probezeit (zwingend)
 Dauer: 2 Jahre bis max. 5 Jahre, wobei sich die Dauer nach der Höhe
der Rückfallgefahr richtet (Art. 44 Abs. 1 StGB)
 Beginn der Probezeit: mit Eröffnung des in Rechtskraft erwachsenen
Urteils
 Bewährungshilfe (flankierende Massnahme):
 stellt eine Beaufsichtigung dar
 kann vom Gericht angeordnet werden, muss aber nicht
(Art. 44 Abs. 2, Art. 93 StGB)
 Weisungen (flankierende Massnahme):
 Weisungen bezüglich Berufsausübung, Aufenthalt, Führen eines
Motorfahrzeugs, Schadenersatz, ärztliche/psychologische Betreuung
usw.
 kann vom Gericht angeordnet werden, muss aber nicht
(Art. 44 Abs. 2, Art. 94 StGB)
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Bewährung und Nichtbewährung während der
Probezeit
Bewährung:

Strafe/Reststrafe wird nicht mehr vollzogen

Urteil erscheint nicht mehr im Strafregisterauszug für Privatpersonen
(Art. 371 Abs. 3bis StGB)
Nichtbewährung:

Widerrufsgründe:
 Begehung eines neuen Verbrechens oder Vergehens während der
Probezeit (Art. 46 Abs. 1 StGB)
 Missachtung der mit der Probezeit verbundenen Weisungen
(Art. 46 Abs. 4 StGB)
 der Bewährungshilfe Entziehen (Art. 46 Abs. 4 StGB)
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Folgen der Nichtbewährung
Nichtbewährung (Forts.):
Bei Nichtbewährung während der Probezeit kann die bedingte Strafe
widerrufen werden. Für die Frage des Widerrufs entscheidend ist, ob eine
günstige Prognose vorliegt:

bei günstiger Prognose erfolgt KEIN Widerruf (Art. 46 Abs. 1 und 2,
Art. 95 Abs. 5 StGB)


Mögliche Ersatzmassnahmen bei Verzicht auf Widerruf (Art. 46
Abs. 2 StGB): Verwarnung, Verlängerung der Probezeit um
höchstens die Hälfte, für diese Zeit Anordnung von
Bewährungshilfe und Erteilung von Weisungen möglich
bei Fehlen einer günstigen Prognose:

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Anordnung des Vollzugs (Möglichkeit der Änderung der Art der
widerrufenen Strafe für Gesamtstrafenbildung)
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Kombinationsmöglichkeiten
Wenn ein Verurteilter während der Probezeit ein neues Verbrechen oder
Vergehen begeht, hat das zuständige Gericht folgende Möglichkeiten:

Verzicht auf Widerruf der Strafe bei günstiger Prognose und bedingter,
teilbedingter oder unbedingter Vollzug der neuen Strafe (Art. 46 Abs. 1
und 2 StGB)

Widerruf der Strafe und
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
Bedingter oder teilbedingter Vollzug für die neue Strafe

Unbedingter Vollzug für die neue Strafe

Bildung einer Gesamtstrafe (Art. 46 Abs. 1 StGB)
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Widerruf einer Strafe
Verjährung:
Ein Widerruf darf nicht mehr angeordnet werden, wenn seit dem Ablauf der
Probezeit 3 Jahre vergangen sind (Art. 46 Abs. 5 StGB)
Merke: Sofern ein Widerruf wegen Zeitablaufs ausser Betracht fällt, können
auch keine Ersatzmassnahmen mehr angeordnet werden
Zuständigkeit:
–
Entscheid über Widerruf obliegt dem Gericht, das zur Beurteilung des
neuen Delikts zuständig ist (Art. 46 Abs. 3 StGB)
–
Art. 95 Abs. 4 StGB: bei Verletzung der begleitenden Anordnungen kann
Vollzugsbehörde über die Verlängerung der Probezeit und die Änderung
der Modalitäten entscheiden
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Anwendungsbeispiel (1)
Bernhard beteiligt sich nach einem Fussballspiel an einem Raufhandel und
wird im Strafverfahren zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt.
Gegen Bernhard wurde zum ersten Mal ein Strafverfahren eingeleitet.
Muss Bernhard ins Gefängnis gehen?
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Anwendungsbeispiel (2)
Variante: Bernhard begeht während der Probezeit einen Diebstahl.
Welche Fragen stellen sich nun dem Gericht und wer hat darüber zu
entscheiden?
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