Zäumung und Gebisse - Mecklenburger Pferde

THEMA | MUSTERTEXT
Reitsportfachgeschäft
Manski
Foto: privat
Andrea Winkler
von der
Deutschen
Reiterlichen
Vereinigung
(FN).
D
SPECIAL: ZÄUMUNG UND GEBISSE
DER RICHTIGE BISS
Welches Gebiss eignet sich für welches Pferd? Was gehört in Profihände,
was sollten Anfänger beachten? Julia Hansen hat bei der Deutschen Reiterlichen
Vereinigung in Warendorf nachgefragt.
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ie gemeinsame Geschichte des Pferdes und
des Menschen und damit des Reitsports ist
lang: Knochenfunde aus der Steinzeit deuten darauf hin, dass Pferde schon rund 30.000 Jahre v. Chr. als Haustiere gehalten wurden. Wirklich
geritten und als Zug- und Lasttier genutzt, wurden
sie erst viel später. Historiker sind sich einig, dass
Gebisse zum Reiten und Fahren seit circa 3.000
Jahren im Einsatz sind. Bevor um das Jahr 1.500 v.
Chr. in Mesopotamien das Trensengebiss erfunden
wurde, setzten die Menschen auf eine Kontrolle ihrer Zug- und Reitpferde durch Nasenringe. Bei der
Länge des Halses des Fluchttieres Pferd eine abenteuerliche Vorstellung. Erst durch den Einsatz eines
metallenen Gebisses auf der Zunge des Pferdes, und
damit in räumlicher Nähe zum Gehirn der Tiere,
wurde ein effektives Kommunikations- und damit
auch Kontrollmittel erfunden.
Das Gebiss wirkt auf Akkupressurpunkte im
Bereich der Zunge, des Gaumen und der Kinnlade
des Pferdekopfes. Für eine wirkungsvolle Kommunikation ist es wichtig, dass der Partner Pferd konzentriert mitarbeitet. Dies ist nur möglich, wenn
das Gebiss im Maul nicht als Störung empfunden
wird, es also die richtige Passform hat. Zudem sind
die individuellen Vorlieben des Pferdes zu beachten. Die Dicke des Gebisses ist mitentscheidend für
seine Schärfe. Je dünner desto schärfer, da dann die
Akkupressurpunkte im Pferdemaul sehr punktuell
angesprochen werden. Der Umkehrschluss, ein dickeres Gebiss sei automatisch weicher, gilt nur eingeschränkt, da ein zu dickes Gebiss im Pferdemaul
auch störend wirken kann. Die individuelle Anpassung an die Größe des Mauls ist der Schlüssel zum
Erfolg, damit ein unbeschwertes Kauen und somit
eine aufmerksame Mitarbeit möglich ist.
Genau wie bei der Entwicklung der Gebisse hat
der Einsatz der Zäumungen eine lange Geschichte.
Die Druckpunkte am Pferdekopf sind hier: Zunge,
Kinnlade, Kinngrube, Genick, Lippe und Nase. Der
Zaum muss stets korrekt verschnallt sein, damit er
nicht drückt und das Pferd frei atmen kann. Der
Sitz ist je nach Reithalfterart verschieden. Ein zu
eng verschnalltes Reithalfter hat überdies die Folge, dass das Pferd die Hilfen nicht richtig annehmen kann, da ihm dann das Kauen auf dem Gebiss
nicht möglich ist. So sollte zwischen Nasenriemen
und Pferdenase noch etwa zwei Finger breit Platz
sein. Die Lufttrompete ist der Teil der Nase, der sich
bei Aufregung oder Anstrengung aufbläht, um die
Lunge mit genügend Luft und den Körper mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen.
Nun bietet der Markt heute eine Vielzahl an Gebissen und Zäumungen an. Nicht alle sind von der
LPO, der Leistungsprüfungs-Ordnung der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), zugelassen.
Julia Hansen hat mit Andrea Winkler, bei der FN
zuständig für alle Ausrüstungsfragen in der Abteilung Ausbildung und Wissenschaft, gesprochen.
Was rät die FN Reitanfängern, welches Gebiss gehört in welche Hände, und welche Zäumungen und
Gebisse sind für die unterschiedlichen Disziplinen
geeignet?
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Gibt es Gebisse, die sich besonders für das Anreiten
junger Pferde eignen?
Andrea Winkler: Nicht erst beim Anreiten, sondern
schon beim Anlongieren wird das junge Pferd an die
Ausrüstungsgegenstände wie die Trense gewöhnt.
Hierbei ist es wichtig, die Größe und die Passform
des Gebisses an die Anatomie des Pferdemauls anzupassen. Die individuelle Maulstruktur eines Pferdes ist entscheidend für die Auswahl des Gebisses.
In der Gewöhnungsphase wird häufig ein normales
einfach oder doppelt gebrochenes Gebiss in einer
der Maulstruktur angepassten Dicke und Breite
verwendet, um dem Pferd den Einstieg in die Ausbildung möglichst angenehm zu gestalten. Einige
Ausbilder empfehlen besonders bei jungen Pferden
das Olivenkopfgebiss, da durch die Olive eine seitliche Begrenzung gegeben und eine stabilere Lage
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des Gebisses gewährleistet ist. Allerdings ist der Ausbildungsweg eines
Pferdes immer als ein individueller Prozess zu betrachten, in dem Veränderungen stattfinden, die wiederum Auswirkungen auf die weitere
Gebisswahl haben können.
Welche Gebisse empfehlen Sie
jungen Reitanfängern?
Andrea Winkler: Bei einem Reitanfänger mit noch wenig gefestigter
koordinativer Hilfengebung wird das Pferd durch eine geeignete weiche Zäumung am wenigsten negativ beeinflusst. Zur Grundlage eines
ausbalancierten Sitzes gehören die vom Zügel unabhängig getragenen
Hände, die gefühlvoll einwirken. Solange dies beim jungen Reitanfänger noch nicht gegeben ist, kann die unterstützende Wirkung eines
Hilfszügels dem Pferd die Anlehnung sichern und eine Belastung des
Pferdemauls möglichst gering halten. Aber auch bei jungen Reitanfängern liegt die Priorität der Gebisswahl zunächst darauf, dass das Gebiss zum Pferd passen muss, und dass das Pferd nicht zu empfindlich
auf das Gebiss reagiert.
Welche Gebisse gehören nur in Profi-Hände?
Andrea Winkler: Im § 70 der LPO ist die Ausrüstung der Reitpferde
auf dem Turnier geregelt, hierbei wurde bewusst entschieden, dass im
Basisbereich der Dressur nur einfach und doppelt gebrochene Gebisse
erlaubt sind und erst in der Dressur ab Klasse L auf Kandare und im
Springen erst ab Klasse M beliebig gezäumt werden darf. Dies zeigt,
dass nur erfahrene Reiter mit schärferen oder alternativen Zäumungen umgehen sollten.
Die LPO schreibt einige zulässige Gebisse vor.
Werden auch Materialien in der LPO bedacht oder
können alle Materialien eingesetzt werden?
Andrea Winkler: In den Durchführungsbestimmungen zu § 70 im
Teil D der LPO wird auf die Beschaffenheitskriterien der Materialien
genauer eingegangen. Im Vordergrund steht hierbei natürlich, dass
die Gebisse nicht gesundheitsschädigend fürs Pferd sein dürfen. Außerdem müssen sie angemessenen Zugbelastungen standhalten, und
durch das Kauen der Pferde dürfen die Konturen nicht zerstört werden.
Grundsätzlich sollten alle Konturen abgerundet sein und glatte Oberflächen aufweisen, um Verletzungen an den Maulwinkeln, den Laden,
dem Gaumen und der Zunge der Pferde zu vermeiden. Die gängigsten
Materialien sind Metall, Kunststoff oder Gummi.
Haben Sie für die unterschiedlichen Disziplinen (Dressur, Springen, Vielseitigkeit)
unterschiedliche Gebissempfehlungen?
Andrea Winkler: Grundsätzlich sollte eine gute Grundausbildung
des Pferdes es ermöglichen, in allen Disziplinen mit einem einfachen
oder doppelt gebrochenen Gebiss auszukommen, denn Ausbildungsfehler lassen sich nicht mit schärferen Gebissen korrigieren. Jedoch
kann im Gelände oder im Springen ein Wechsel des Gebisses bei Pferden, die sehr motiviert und/oder stark sind, erforderlich sein.
Auch zu Korrekturzwecken kann ein erfahrener Reiter vorübergehend ein schärferes Gebiss benutzen, um das Pferd wieder auf den richtigen Ausbildungsweg im Sinne der Skala der Ausbildung zu bringen.
Dabei muss aber besonders Wert darauf gelegt werden, dass das Pferd
auch das vermeintlich schärfere Gebiss annimmt und das Vertrauen
zur Reiterhand behält bzw. entwickeln kann.
Wann ist ein Pferd/Reiter kandarenreif?
Andrea Winkler: Man spricht von Kandarenreife, wenn die beginnende Versammlung im Rahmen der Skala der Ausbildung soweit erar-
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beitet ist, dass die Hinterhand die tragende Funktion übernimmt, das
Pferd in Selbsthaltung geht und sich vertrauensvoll an das Gebiss anlehnt. Der Reiter ist in seiner Grundausbildung soweit fortgeschritten,
dass er ausbalanciert und unabhängig von der Hand sitzt. Aus diesem
Sitz heraus sollte eine gut abgestimmte und differenzierte Hilfengebung möglich sein, bei der der Trensenzügel immer die vorherrschende und der Kandarenzügel eine ergänzende Funktion übernimmt.
Warum wird im Grand Prix immer auf Kandare geritten, in Springen oder Vielseitigkeit jedoch variiert ihr Einsatz?
Andrea Winkler: Im Grand Prix ist das Reiten auf Kandare Teil der
Anforderung und gilt besonders in den Lektionen mit dem höchsten
Versammlungsgrad als Überprüfung der feinsten Hilfengebung. Die
Anforderungen und der Versammlungsgrad in einer Vielseitigkeitsdressur (die nur einen Teil der Vielseitigkeitsprüfung darstellt) sind
nicht vergleichbar mit einem Grand Prix, deswegen kann der Vielseitigkeitsreiter selber entscheiden, mit welcher Zäumung er sein Pferd
vorstellt. Viele der Springreiter arbeiten ihre Pferde im Training mit
normaler Zäumung und benutzen nur in der Turniersituation andere
Gebisse, um die Pferde in feinerer Abstimmung reiten zu können. Die
LPO beinhaltet standardisierte Vorgaben, um eine disziplinbezogene
Vergleichbarkeit der Anforderungen zu ermöglichen. Eine S-Dressur
kann auch durch die Ausschreibung als eine auf Trense zu reitende
Prüfung ausgeschrieben werden. In den höheren Klassen des Springens sind die standardisierten Vorgaben durch die Berechnung von
Fehlern und Zeit festgelegt und nicht durch ein beurteilendes Richtverfahren, wie in der Dressur. Aufgrund dieser Tatsache gibt es im
Springsport einen breiteren Spielraum für Ausrüstungsfragen.
Welche Folgen kann ein falsch verschnalltes Gebiss/Zäumung für das Pferd haben?
Andrea Winkler: Zum einem kann dies durch Verletzungen (z.B.
Quetschungen, Blutergüsse, Wunden) gesundheitliche Folgen fürs
Pferd haben, und zum anderen kann es zu unerwünschten Wirkungen
wie Zunge herausstrecken, Zunge übers Gebiss nehmen oder Zähneknirschen kommen.
Mit dem englischen, hannoverschen, mexikanischen und dem kombinierten Reithalfter gibt die
LPO die erlaubten Zäumungen vor. Nun gibt es
aber noch viele andere Varianten an Gebissen und
Zäumungen. Warum sind diese nicht zugelassen?
Andrea Winkler: In den Basisprüfungen sind dies Empfehlungen, die
sich aus den Erfahrungen der klassischen Reitweise heraus bewährt
haben. Durch die verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten von
Reithalftern und Gebissen entstehen verschiedene Wirkungsweisen,
die in unterschiedlichster Form genutzt werden können. Um eine
Überschaubarkeit für Reiter und Richter gewährleisten zu können, ist
es nicht möglich, jede Neuerung der zahlreichen Hersteller in die LPO
aufzunehmen, jedoch werden Neuerungen, die den klassischen Varianten zugeordnet werden können, immer berücksichtigt.
Allerdings sollte beachtet werden, dass jede Zäumung nur so scharf
wirkt, wie die Hand, die sie führt!
Julia Hansen
Zahnbehandlung beim Pferd,
damit es wieder „rund“ läuft
Regelmäßige Hufpflege bei Pferden ist heutzutage selbstverständlich – von Ausnahmen mal abgesehen. Doch wie sieht es
bei der Zahnpflege aus? Tägliches Zähneputzen ist bei Pferden zwar nicht erforderlich, aber eine jährliche Zahnkontrolle
durch einen spezialisierten Tierarzt unbedingt empfehlenswert. In großen Ställen, wie zum Beispiel dem in Mecklenburg
gelegenen Gestüt Lewitz von Paul Schockemöhle, sind regelmäßige Zahnpflegeaktionen für den gesamten Bestand
selbstverständlich. TV-Dokumentationen beweisen das.
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ie heutige Pferdehaltung unterschei- Kanten, die zu Verletzungen an Maulschleimdet sich erheblich von dem ursprüng- haut, Zahnfleisch und Zunge führen können.
lichen Leben der Wildpferde. Sowohl Es gibt auch Pferde, die sogenannte „Wolfsdie Dauer der Futteraufnahme als auch das Fut- zähne“ bekommen – meistens im Oberkiefer.
ter selbst haben sich gewandelt und damit auch Sobald das Trensengebiss auf die Verletzungen
die Abnutzung der Zähne. Freilebend mussten im Maul oder auf den Wolfzahn drückt, hat
die Pferde das harte Steppengras abbeißen, das Pferd Schmerzen. Die Folgen in diesen
was einen ständigen Abrieb der Zähne bewirk- Fällen sind Rittigkeitsprobleme wie Kopfte. Bei der heute üblichen Boxenhaltung wird schlagen, schlechte Anlehnung an die Reiterdem Pferd alles serviert. „Durch vorbereitetes hand, Verwerfung im Genick, Zähneknirschen,
Futter wie Pellets, gequetschtes Getreide oder Zungenfehler sowie Verspannungen, die ein
Heulage entsteht ein Missverhältnis zwischen „unrundes Laufen“ verursachen. Auch VerdauBackenzahn- und Schneidezahn-Abnutzung ungsprobleme, verbunden mit Gewichtsverlust,
auf der einen Seite, und auf der anderen Seite Nahrungsverweigerung, Kolik-Gefahr und
dem Herauswachsen der Zähne aus dem Kie- Schlund-Verstopfungen haben ihre Ursachen
fer, weil die Tiere im Vergleich zu früher viel zu in Gebiss-Veränderungen. Lars Schulte: „Eine
wenig kauen müssen“, so Tierarzt Lars Schulte, regelmäßige Zahnkorrektur kann tierärztliche,
der sich auf diesem Gebiet spezialisiert hat.
chiropraktische oder ostheopatische BehandAußerdem hat das Pferd unterschiedliche lungen reduzieren und fördert die LebensquaKieferanteile, die oben breiter und unten sch- lität unserer Pferde. Sie ist unverzichtbar.“
maler sind. Da die Backenzähne in einem
Eine Kontrolle durch den Besitzer ist durch
bestimmten Winkel zueinander stehen, ent- schlechte Einsicht in die Maulhöhle und fehwickeln sich nicht selten scharfe Spitzen und lender Erfahrung meistens nicht möglich. Das
macht eine routinemäßige Kontrolle der Zähne und des Pferdemauls durch einen Tierarzt
unumgänglich, um Probleme früh zu erkennen
und vorzubeugen. Bei einer notwendigen Behandlung sind schon aus Gründen des Tierschutzes eine Sedierung des Pferdes und die
Verwendung eines speziellen Maulspekulums
üblich. Das sieht zwar spektakulär aus, verhindert aber potenzielle Gefahren, da Pferde solche Eingriffe mit hellem Licht der Kopflampe
und der Einsatz der Zahnfräsen naturgemäß
Angst machen. Sobald die Sedierung nachlässt, fangen die Pferde wieder langsam an zu
fressen und am nächsten Tag ist ihnen von der
Behandlung nichts mehr anzumerken. Normal
verlaufende Zahnbehandlungen sind übrigens
auch nicht wesentlich teurer als ein Vollbeschlag durch den Schmied – und der kommt in
der Regel alle acht Wochen.
Volker Tauchnitz
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