THEMA | MUSTERTEXT Reitsportfachgeschäft Manski Foto: privat Andrea Winkler von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN). D SPECIAL: ZÄUMUNG UND GEBISSE DER RICHTIGE BISS Welches Gebiss eignet sich für welches Pferd? Was gehört in Profihände, was sollten Anfänger beachten? Julia Hansen hat bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung in Warendorf nachgefragt. 56 I MECKLENBURGER PFERDE – 08 I 15 ie gemeinsame Geschichte des Pferdes und des Menschen und damit des Reitsports ist lang: Knochenfunde aus der Steinzeit deuten darauf hin, dass Pferde schon rund 30.000 Jahre v. Chr. als Haustiere gehalten wurden. Wirklich geritten und als Zug- und Lasttier genutzt, wurden sie erst viel später. Historiker sind sich einig, dass Gebisse zum Reiten und Fahren seit circa 3.000 Jahren im Einsatz sind. Bevor um das Jahr 1.500 v. Chr. in Mesopotamien das Trensengebiss erfunden wurde, setzten die Menschen auf eine Kontrolle ihrer Zug- und Reitpferde durch Nasenringe. Bei der Länge des Halses des Fluchttieres Pferd eine abenteuerliche Vorstellung. Erst durch den Einsatz eines metallenen Gebisses auf der Zunge des Pferdes, und damit in räumlicher Nähe zum Gehirn der Tiere, wurde ein effektives Kommunikations- und damit auch Kontrollmittel erfunden. Das Gebiss wirkt auf Akkupressurpunkte im Bereich der Zunge, des Gaumen und der Kinnlade des Pferdekopfes. Für eine wirkungsvolle Kommunikation ist es wichtig, dass der Partner Pferd konzentriert mitarbeitet. Dies ist nur möglich, wenn das Gebiss im Maul nicht als Störung empfunden wird, es also die richtige Passform hat. Zudem sind die individuellen Vorlieben des Pferdes zu beachten. Die Dicke des Gebisses ist mitentscheidend für seine Schärfe. Je dünner desto schärfer, da dann die Akkupressurpunkte im Pferdemaul sehr punktuell angesprochen werden. Der Umkehrschluss, ein dickeres Gebiss sei automatisch weicher, gilt nur eingeschränkt, da ein zu dickes Gebiss im Pferdemaul auch störend wirken kann. Die individuelle Anpassung an die Größe des Mauls ist der Schlüssel zum Erfolg, damit ein unbeschwertes Kauen und somit eine aufmerksame Mitarbeit möglich ist. Genau wie bei der Entwicklung der Gebisse hat der Einsatz der Zäumungen eine lange Geschichte. Die Druckpunkte am Pferdekopf sind hier: Zunge, Kinnlade, Kinngrube, Genick, Lippe und Nase. Der Zaum muss stets korrekt verschnallt sein, damit er nicht drückt und das Pferd frei atmen kann. Der Sitz ist je nach Reithalfterart verschieden. Ein zu eng verschnalltes Reithalfter hat überdies die Folge, dass das Pferd die Hilfen nicht richtig annehmen kann, da ihm dann das Kauen auf dem Gebiss nicht möglich ist. So sollte zwischen Nasenriemen und Pferdenase noch etwa zwei Finger breit Platz sein. Die Lufttrompete ist der Teil der Nase, der sich bei Aufregung oder Anstrengung aufbläht, um die Lunge mit genügend Luft und den Körper mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen. Nun bietet der Markt heute eine Vielzahl an Gebissen und Zäumungen an. Nicht alle sind von der LPO, der Leistungsprüfungs-Ordnung der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), zugelassen. Julia Hansen hat mit Andrea Winkler, bei der FN zuständig für alle Ausrüstungsfragen in der Abteilung Ausbildung und Wissenschaft, gesprochen. Was rät die FN Reitanfängern, welches Gebiss gehört in welche Hände, und welche Zäumungen und Gebisse sind für die unterschiedlichen Disziplinen geeignet? C M Y CM MY CY CMY K Gibt es Gebisse, die sich besonders für das Anreiten junger Pferde eignen? Andrea Winkler: Nicht erst beim Anreiten, sondern schon beim Anlongieren wird das junge Pferd an die Ausrüstungsgegenstände wie die Trense gewöhnt. Hierbei ist es wichtig, die Größe und die Passform des Gebisses an die Anatomie des Pferdemauls anzupassen. Die individuelle Maulstruktur eines Pferdes ist entscheidend für die Auswahl des Gebisses. In der Gewöhnungsphase wird häufig ein normales einfach oder doppelt gebrochenes Gebiss in einer der Maulstruktur angepassten Dicke und Breite verwendet, um dem Pferd den Einstieg in die Ausbildung möglichst angenehm zu gestalten. Einige Ausbilder empfehlen besonders bei jungen Pferden das Olivenkopfgebiss, da durch die Olive eine seitliche Begrenzung gegeben und eine stabilere Lage 08 I 15 – MECKLENBURGER PFERDE I 57 n t Aktrio s u g u A ine Kauf e m Bei de rhalten Sie e s n Tre e hwertigen er hoc nreinig einen Trense r ie s s Pa dazu!* gratis t) h at reic er Vorr lange d *(Nur so Mitglied der euroriding GmbH & Co. KG / Einkaufsverband europäischer Reitsportfachgeschäfte Wir erfüllen Ihre Wünsche auf 320 qm Verkaufsfläche! Gleviner Str. 17/18 18273 Güstrow Tel. 03843/68 18 29 [email protected] www.reitsport-manski.de Unsere Öffnungszeiten: Mo-Fr 09.00 Uhr – 18.00 Uhr Sa 09.00 Uhr – 16.00 Uhr SPECIAL | ZÄUMUNG UND GEBISSE des Gebisses gewährleistet ist. Allerdings ist der Ausbildungsweg eines Pferdes immer als ein individueller Prozess zu betrachten, in dem Veränderungen stattfinden, die wiederum Auswirkungen auf die weitere Gebisswahl haben können. Welche Gebisse empfehlen Sie jungen Reitanfängern? Andrea Winkler: Bei einem Reitanfänger mit noch wenig gefestigter koordinativer Hilfengebung wird das Pferd durch eine geeignete weiche Zäumung am wenigsten negativ beeinflusst. Zur Grundlage eines ausbalancierten Sitzes gehören die vom Zügel unabhängig getragenen Hände, die gefühlvoll einwirken. Solange dies beim jungen Reitanfänger noch nicht gegeben ist, kann die unterstützende Wirkung eines Hilfszügels dem Pferd die Anlehnung sichern und eine Belastung des Pferdemauls möglichst gering halten. Aber auch bei jungen Reitanfängern liegt die Priorität der Gebisswahl zunächst darauf, dass das Gebiss zum Pferd passen muss, und dass das Pferd nicht zu empfindlich auf das Gebiss reagiert. Welche Gebisse gehören nur in Profi-Hände? Andrea Winkler: Im § 70 der LPO ist die Ausrüstung der Reitpferde auf dem Turnier geregelt, hierbei wurde bewusst entschieden, dass im Basisbereich der Dressur nur einfach und doppelt gebrochene Gebisse erlaubt sind und erst in der Dressur ab Klasse L auf Kandare und im Springen erst ab Klasse M beliebig gezäumt werden darf. Dies zeigt, dass nur erfahrene Reiter mit schärferen oder alternativen Zäumungen umgehen sollten. Die LPO schreibt einige zulässige Gebisse vor. Werden auch Materialien in der LPO bedacht oder können alle Materialien eingesetzt werden? Andrea Winkler: In den Durchführungsbestimmungen zu § 70 im Teil D der LPO wird auf die Beschaffenheitskriterien der Materialien genauer eingegangen. Im Vordergrund steht hierbei natürlich, dass die Gebisse nicht gesundheitsschädigend fürs Pferd sein dürfen. Außerdem müssen sie angemessenen Zugbelastungen standhalten, und durch das Kauen der Pferde dürfen die Konturen nicht zerstört werden. Grundsätzlich sollten alle Konturen abgerundet sein und glatte Oberflächen aufweisen, um Verletzungen an den Maulwinkeln, den Laden, dem Gaumen und der Zunge der Pferde zu vermeiden. Die gängigsten Materialien sind Metall, Kunststoff oder Gummi. Haben Sie für die unterschiedlichen Disziplinen (Dressur, Springen, Vielseitigkeit) unterschiedliche Gebissempfehlungen? Andrea Winkler: Grundsätzlich sollte eine gute Grundausbildung des Pferdes es ermöglichen, in allen Disziplinen mit einem einfachen oder doppelt gebrochenen Gebiss auszukommen, denn Ausbildungsfehler lassen sich nicht mit schärferen Gebissen korrigieren. Jedoch kann im Gelände oder im Springen ein Wechsel des Gebisses bei Pferden, die sehr motiviert und/oder stark sind, erforderlich sein. Auch zu Korrekturzwecken kann ein erfahrener Reiter vorübergehend ein schärferes Gebiss benutzen, um das Pferd wieder auf den richtigen Ausbildungsweg im Sinne der Skala der Ausbildung zu bringen. Dabei muss aber besonders Wert darauf gelegt werden, dass das Pferd auch das vermeintlich schärfere Gebiss annimmt und das Vertrauen zur Reiterhand behält bzw. entwickeln kann. Wann ist ein Pferd/Reiter kandarenreif? Andrea Winkler: Man spricht von Kandarenreife, wenn die beginnende Versammlung im Rahmen der Skala der Ausbildung soweit erar- 58 I MECKLENBURGER PFERDE – 08 I 15 MUSTERTEXT | THEMA beitet ist, dass die Hinterhand die tragende Funktion übernimmt, das Pferd in Selbsthaltung geht und sich vertrauensvoll an das Gebiss anlehnt. Der Reiter ist in seiner Grundausbildung soweit fortgeschritten, dass er ausbalanciert und unabhängig von der Hand sitzt. Aus diesem Sitz heraus sollte eine gut abgestimmte und differenzierte Hilfengebung möglich sein, bei der der Trensenzügel immer die vorherrschende und der Kandarenzügel eine ergänzende Funktion übernimmt. Warum wird im Grand Prix immer auf Kandare geritten, in Springen oder Vielseitigkeit jedoch variiert ihr Einsatz? Andrea Winkler: Im Grand Prix ist das Reiten auf Kandare Teil der Anforderung und gilt besonders in den Lektionen mit dem höchsten Versammlungsgrad als Überprüfung der feinsten Hilfengebung. Die Anforderungen und der Versammlungsgrad in einer Vielseitigkeitsdressur (die nur einen Teil der Vielseitigkeitsprüfung darstellt) sind nicht vergleichbar mit einem Grand Prix, deswegen kann der Vielseitigkeitsreiter selber entscheiden, mit welcher Zäumung er sein Pferd vorstellt. Viele der Springreiter arbeiten ihre Pferde im Training mit normaler Zäumung und benutzen nur in der Turniersituation andere Gebisse, um die Pferde in feinerer Abstimmung reiten zu können. Die LPO beinhaltet standardisierte Vorgaben, um eine disziplinbezogene Vergleichbarkeit der Anforderungen zu ermöglichen. Eine S-Dressur kann auch durch die Ausschreibung als eine auf Trense zu reitende Prüfung ausgeschrieben werden. In den höheren Klassen des Springens sind die standardisierten Vorgaben durch die Berechnung von Fehlern und Zeit festgelegt und nicht durch ein beurteilendes Richtverfahren, wie in der Dressur. Aufgrund dieser Tatsache gibt es im Springsport einen breiteren Spielraum für Ausrüstungsfragen. Welche Folgen kann ein falsch verschnalltes Gebiss/Zäumung für das Pferd haben? Andrea Winkler: Zum einem kann dies durch Verletzungen (z.B. Quetschungen, Blutergüsse, Wunden) gesundheitliche Folgen fürs Pferd haben, und zum anderen kann es zu unerwünschten Wirkungen wie Zunge herausstrecken, Zunge übers Gebiss nehmen oder Zähneknirschen kommen. Mit dem englischen, hannoverschen, mexikanischen und dem kombinierten Reithalfter gibt die LPO die erlaubten Zäumungen vor. Nun gibt es aber noch viele andere Varianten an Gebissen und Zäumungen. Warum sind diese nicht zugelassen? Andrea Winkler: In den Basisprüfungen sind dies Empfehlungen, die sich aus den Erfahrungen der klassischen Reitweise heraus bewährt haben. Durch die verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten von Reithalftern und Gebissen entstehen verschiedene Wirkungsweisen, die in unterschiedlichster Form genutzt werden können. Um eine Überschaubarkeit für Reiter und Richter gewährleisten zu können, ist es nicht möglich, jede Neuerung der zahlreichen Hersteller in die LPO aufzunehmen, jedoch werden Neuerungen, die den klassischen Varianten zugeordnet werden können, immer berücksichtigt. Allerdings sollte beachtet werden, dass jede Zäumung nur so scharf wirkt, wie die Hand, die sie führt! Julia Hansen Zahnbehandlung beim Pferd, damit es wieder „rund“ läuft Regelmäßige Hufpflege bei Pferden ist heutzutage selbstverständlich – von Ausnahmen mal abgesehen. Doch wie sieht es bei der Zahnpflege aus? Tägliches Zähneputzen ist bei Pferden zwar nicht erforderlich, aber eine jährliche Zahnkontrolle durch einen spezialisierten Tierarzt unbedingt empfehlenswert. In großen Ställen, wie zum Beispiel dem in Mecklenburg gelegenen Gestüt Lewitz von Paul Schockemöhle, sind regelmäßige Zahnpflegeaktionen für den gesamten Bestand selbstverständlich. TV-Dokumentationen beweisen das. D ie heutige Pferdehaltung unterschei- Kanten, die zu Verletzungen an Maulschleimdet sich erheblich von dem ursprüng- haut, Zahnfleisch und Zunge führen können. lichen Leben der Wildpferde. Sowohl Es gibt auch Pferde, die sogenannte „Wolfsdie Dauer der Futteraufnahme als auch das Fut- zähne“ bekommen – meistens im Oberkiefer. ter selbst haben sich gewandelt und damit auch Sobald das Trensengebiss auf die Verletzungen die Abnutzung der Zähne. Freilebend mussten im Maul oder auf den Wolfzahn drückt, hat die Pferde das harte Steppengras abbeißen, das Pferd Schmerzen. Die Folgen in diesen was einen ständigen Abrieb der Zähne bewirk- Fällen sind Rittigkeitsprobleme wie Kopfte. Bei der heute üblichen Boxenhaltung wird schlagen, schlechte Anlehnung an die Reiterdem Pferd alles serviert. „Durch vorbereitetes hand, Verwerfung im Genick, Zähneknirschen, Futter wie Pellets, gequetschtes Getreide oder Zungenfehler sowie Verspannungen, die ein Heulage entsteht ein Missverhältnis zwischen „unrundes Laufen“ verursachen. Auch VerdauBackenzahn- und Schneidezahn-Abnutzung ungsprobleme, verbunden mit Gewichtsverlust, auf der einen Seite, und auf der anderen Seite Nahrungsverweigerung, Kolik-Gefahr und dem Herauswachsen der Zähne aus dem Kie- Schlund-Verstopfungen haben ihre Ursachen fer, weil die Tiere im Vergleich zu früher viel zu in Gebiss-Veränderungen. Lars Schulte: „Eine wenig kauen müssen“, so Tierarzt Lars Schulte, regelmäßige Zahnkorrektur kann tierärztliche, der sich auf diesem Gebiet spezialisiert hat. chiropraktische oder ostheopatische BehandAußerdem hat das Pferd unterschiedliche lungen reduzieren und fördert die LebensquaKieferanteile, die oben breiter und unten sch- lität unserer Pferde. Sie ist unverzichtbar.“ maler sind. Da die Backenzähne in einem Eine Kontrolle durch den Besitzer ist durch bestimmten Winkel zueinander stehen, ent- schlechte Einsicht in die Maulhöhle und fehwickeln sich nicht selten scharfe Spitzen und lender Erfahrung meistens nicht möglich. Das macht eine routinemäßige Kontrolle der Zähne und des Pferdemauls durch einen Tierarzt unumgänglich, um Probleme früh zu erkennen und vorzubeugen. Bei einer notwendigen Behandlung sind schon aus Gründen des Tierschutzes eine Sedierung des Pferdes und die Verwendung eines speziellen Maulspekulums üblich. Das sieht zwar spektakulär aus, verhindert aber potenzielle Gefahren, da Pferde solche Eingriffe mit hellem Licht der Kopflampe und der Einsatz der Zahnfräsen naturgemäß Angst machen. Sobald die Sedierung nachlässt, fangen die Pferde wieder langsam an zu fressen und am nächsten Tag ist ihnen von der Behandlung nichts mehr anzumerken. Normal verlaufende Zahnbehandlungen sind übrigens auch nicht wesentlich teurer als ein Vollbeschlag durch den Schmied – und der kommt in der Regel alle acht Wochen. Volker Tauchnitz 08 I 15 – MECKLENBURGER PFERDE I 59
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