Der Sprint zur Tür

WA N D E L I M H A N D E L
Der Spri
Heute bestellt, heute da: Mit Same-DayDelivery im Onlinehandel wollten die
großen Anbieter die Kleinen abhängen.
Doch so schnell ist das Rennen um die
Kundengunst nicht entschieden
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nt zur Tür
TEXT: Chr i s t i a n L i t z
D HL, DPD, UPS. Wer in Innenstadtlage wohnt, konnte ihren
Wettlauf um den Jahreswechsel
herum schön beobachten. Die
Hatz der Paketboten veranschaulicht plastisch, was gerade im Onlinehandel passiert. Es sind dessen Pakete, die
schnell, schneller, am besten am selben Tag
zum Kunden kommen sollen. Letzteres forcieren die Großen gerade und bringen den
Rest des Marktes damit ins Schwitzen.
Mit der Lieferung am selben Tag, SameDay-Delivery, wollen die Großen ihren Kunden noch mehr Komfort bieten – koste es, was
es wolle. Kleine und mittelständische Händler
stehen aber vor der Frage, ob sie sich diese
Stufe des Services überhaupt leisten können –
der verwöhnte Kunde will es kaum zahlen.
Dabei sollte die Frage lauten: Müssen sie überhaupt aktiv mitziehen?
Da lohnt ein kleiner Einblick in die Welt
der Wirtschaftswissenschaften: Der Interneteinzelhandel wird von einem klassischen Oligopol beherrscht, und da stehen die Marktteilnehmer in einem sehr intensiven Wettbewerb.
Der Markt im Oligopol tendiert zu dem für
die Anbieter gerade noch möglichen niedrigsten Preis und zu den gerade noch darstellbaren
Lieferbedingungen. Was früher Vorzüge bedeutete wie „keine Versandkosten mehr für
die Besteller“ oder „anprobieren und kostenfrei zurückschicken“ ist jetzt „bereits am Bestelltag geliefert“. Die Extras rentieren sich
kaum, unerheblich, welchen Experten man da
fragt. Es ist ein Service-Spiel um die Gunst der
Kunden, aber zu Lasten der Marge.
Dabei ist gar nicht sicher, ob der Besteller den Tempo-Service wirklich haben will.
Valide Erkenntnisse über die Kundenbedürfnisse liegen kaum vor, auch wenn McKinseyPrognosen sagen, dass der Same-Day-Delivery-Anteil am Versandgeschäft bis zum Jahr
2020 von nun 1 auf 15 Prozent steigen wird.
Aber wie es eben mit Prognosen so ist, sie sind
keine Garantie, und so hat mancher Versanddienst Zweifel daran, ob der Tagesspurt zum
gewünschten Ziel führt.
Martin Frommhold, Unternehmenssprecher Hermes Europe, verweist auf eine
Studie des Einkaufscenterbetreibers ECC, der
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Familie Otto gehört: „Den meisten
Kunden kommt es eben
nicht vorrangig auf die Schnelligkeit an, sondern vielmehr auf Zuverlässigkeit, Planbarkeit und die Möglichkeit
zur individuellen Einflussnahme auf den Sendeverlauf.“ Die taggleiche Lieferung ist
demnach nur ein Baustein, um
Kunden zu erfreuen – neben
Zeitfensterlieferungen, spontanem Umleiten auf eine alternative Adresse oder die Lieferung an einen Paketshop. Doch Same-Day-Delivery
ist offenbar nun das heilige Mittel zu jedem
Zweck – im Wettstreit um den Kunden will
keiner zurückfallen.
In der Gemeinschaft
ist man stark
Es herrscht ein darwinistischer Überlebenskampf auf einem Markt mit goldenem Boden:
11,3 Mrd. Euro wurden laut Bundesverband
E-Commerce und Versandhandel Deutschland (BEVH) allein im dritten Quartal 2015
mit von Endkunden im Netz bestellten Waren
umgesetzt. Wenn es nur noch schwer über
Angebot und Preis geht, müssen sich Händler
durch den Service abheben.
Kunden verknüpfen Einkaufskanäle in vielen Fällen (in Prozent)
Wie häufig informieren Sie sich im Internet, kaufen dann aber im Geschäft bzw. umgekehrt?
Online informiert –
im Geschäft gekauft
im Geschäft informiert –
Online gekauft
14
9
Regelmäßig
47
41
Manchmal
28
30
Selten
2
Bislang nur einmal
7
4
14
Nie
2
Basis: Onlineshopper ab 14 Jahren. Quelle: Bitkom Research
Weiß nicht/k. A.
2
Fotos: Intertopics; DDP Images; Unternehmen
re Zielgruppe sind kleine und mittlere HändAmazon, Media-Markt, Zalando: Alle tromler, die nicht den Riesenaufwand betreiben
meln bereits mit der taggleichen Lieferung. So
können.“ Denn das Management verschiedebot Amazon Käufern in der Weihnachtsner Versandlösungen ist nicht ohne. Und der
einkaufsrummelzeit Same-Day-Delivery
Einzelne erreicht auch keine Versandmengen,
sogar samstags. Der US-Konzern baut
mit denen er Rabatte aushandeln kann.
eigene Lager und Lieferwege für
Bei Shipcloud müssen sich Händler nur
schnelle Auslieferung auf – weil
einmal anmelden. Danach kann der Versener mehr Kundenkomfort schon
der bei jedem Paket an den Kunden entscheiimmer als bestes Marketingden, welchen Paketdienst er beim Besteller
argument gesehen hat.
abliefern lässt. Wie schnell, wie teuer? Alles
„Fast alle E-Comgeht. Der Versender kann das direkt auf der
merce-Einzelhändler steBestellwebsite den Kunden selbst aussuchen
hen unter enormem Marktlassen, ohne dass auf ihn selbst mehr Arbeit
druck“, sagt Georg Rainer
zukommt. Will der Kunde heute noch oder
Hofmann, Professor an der
morgen? Will er, dass jemand an der Tür klinHochschule Aschaffenburg
gelt? Will er lieber im Shop gegenüber abhound Leiter der Kompetenzlen? DHL? Hermes? UPS? Fedex? GLS? Oder
gruppe E-Commerce bei Eco,
wirklich Same-Day-Delivery? Wenn ja, der
dem Verband der InternetDienstleister Shipcloud vermittelt zu Liefery.
wirtschaft. „Die großen AnbieDies ist laut Sokoll die Chance der
ter gehen mit Same-Day-Delivery
Kleinen: „Kleinere Händler sind
in ein finanzielles Risiko, um geflexibler. Die können ja am Kügenüber den Kleineren auf dem
chentisch ihr Paket verpacken
Markt auf einen Vorteil verweisen
und es dem Lieferdienst übergezu können.“ Denn sie wälzen die
ben. Das heißt: Same-Day-DeliKosten nicht auf den Kunden ab.
very ist eine Chance für den KleiSame-Day-Delivery können sich,
nen, auch wenn es auf den ersten
heißt es daher schnell, doch nur
Blick gar nicht so aussieht.“
die Großen leisten. Aber das sieht
Hofmann anders.
Denn die Kleinen haben
Same-Day-Delivery
Chancen – dann, wenn sie mit
Partnern zusammenarbeiten. Das
ist eine Chance für
können durchaus andere Kleine
kleinere Anbieter
sein, sodass dann alle gemeinsam
mit den Großen mithalten könMit dieser Flexibilität können
nen. Der Kniff: Logistikpartner
auch kleinere Händler mit Komübernehmen die Same-Day-Delifort punkten und die von Amazon
very einfach als Auftrag. Diejeniund Zalando geweckte Kundenergen, deren Outsourcing- und
wartung erfüllen. Aus der PortoKostenschrumpf-Reflexe rechtkasse zahlen das die kleinen Anzeitig angesprungen sind, profibieter nicht, aber das muss dem
tieren am Ende vielleicht sogar
Kunden dann vermittelt werden.
mehr als die Großen, weil die auf
Die Botschaft ist klar: Zusatzleisden hausgemachten Mehrkosten
tungen bedeuten eben zusätzliche
sitzen bleiben.
Kosten, wenn man nicht will, dass
Ivonne Sokoll arbeitet bei
nur Großkonzerne übrig bleiben.
Shipcloud , einem Startup in
Es geht darum, beim Kunden tatHamburg, das vor zwei Jahren
sächlich entsprechende EinkaufsGeorg Rainer Hofmann,
gegründet wurde. Sie sagt: „Unsemoral zu aktivieren, nicht nur
Professor an der Hochschule Aschaffenburg
„Fast alle E-CommerceEinzelhändler stehen
unter enormem
Marktdruck“
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deren Händeringen und Facebook-Posts darüber, dass die Kleinen verschwinden. Je tiefer
man den Kunden versteht – und das können
kleine Lieferanten meist – desto besser die
Chance auf einen fruchtbaren Dialog.
Der stationäre Handel
muss sich bewegen
Christian Milster, Referent Prozessmanagement beim Bundesverband E-Commerce und
Versandhandel BEVH, hat Kundenmeinungen
eingeholt: „Es geht nicht mehr um Same-DayDelivery. Zustellung, die schnell ist und die
zudem mit dem Alltag synchronisiert werden
kann, das wäre dem Kunden wichtig.“ Milster
bestätigt also die Studie des Einkaufscenterbetreibers ECC. Der Kunde will anscheinend lieber ein genaues Zeitfenster angeben,
in dem sein Paket kommt. Wenn er spontan
umplant, möchte er den Liefertermin ändern.
Oder den Anlieferort. Was mithilfe der Versanddienstleister kleinen Händlern genauso
gut gelingen kann wie den großen. Am selben
Tag hilft nichts, wenn der Kunde da nicht zu
Hause ist. Und letztlich ist das nur bei wenigen
Waren ein entscheidender Vorteil.
Im Wettlauf um die Kunden geht also
den schlauen Kleinen gegenüber den Großen
nicht zwangsläufig die Puste aus. Jemand
anders sollte sich aber bewegen, wenn er
„Zustellung, die zum Alltag der
Kunden passt, wäre wichtig“
Christian Milster,
Referent Prozessmanagement BEVH
nicht abgehängt werden will: „Es geht gar
nicht so sehr um Groß gegen Klein. Es geht
um Onlinehandel gegen den stationären
Handel“, sagt Nils Hafner, Professor für Kundenbeziehungsmanagement an der Universität Luzern.
Der klassische stationäre Einzelhändler
hatte bisher Vorteile. Im besten Fall lief es ja
so: Kunde kommt, sieht, will und kauft. Onlinehändler, die Same-Day-Delivery bieten,
wollen nun ebenfalls diesen Impuls bedienen:
Sie setzen auf den Dreiklang: Sehen – haben
wollen – jetzt sofort! Wie zuvor schon Mechanismen wie der One-Click-Buy oder das „der
Umsatz mit Waren im deutschen Online- und Versandhandel
nach Versendergruppen (in Millionen Euro)
Onlinemarktplätze (Ebay, Amazon)
6 029
5 272
Multichannel
4 263
4 393
Internet-Pure-Player
1 577
1 513
Stationärer Handel
1 419
1 598
Quelle: BEVH, Statista 2015
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3. Quartal 2015
3. Quartal 2014
Nutzung von Same-Day-Delivery (in Prozent)
Nutze ich regelmäßig
3
Habe ich bisher einmal genutzt
Artikel ist auf Lager und kann sofort versendet
werden“, kann Same-Day-Delivery dem stationären Handel einen weiteren seiner Vorteile
nehmen – einen entscheidenden.
Der Ladenhandel habe, so Hafner, sich
lange uneinholbar gewähnt. Der Tenor sei
gewesen: Man verdiene online doch nichts.
Aber man stöhnte, weil halt doch Stück für
Stück Umsatz an die Onlinekonkurrenz verloren ging. Jetzt kommt plötzlich Same-DayDelivery und nimmt dem Einzelhandel seinen
entscheidenden psychologischen Vorteil, dieses „sofort Haben“. Doch der so ins Rollen
gebrachte Wandel kann auch dem stationären
Handel helfen. Warum? Auch dieser könnte
die Infrastruktur nutzen, die Dienstleister für
kleine und mittlere Onlinehändler entwickeln,
und die arbeitsintensive Logistik so auslagern.
Ja, die Onlinehandels-Margen machen das
Geschäft schwierig. Dem Kunden dieLieferOption bieten zu können, um ihn zu halten,
könnte aber hier überlebenswichtig werden.
20 Prozent des Umsatzes
verschlingt die Logistik
Das Vorbild hier kann Media-Saturn sein. Die
Elektrofachmarkt-Kette hatte anfangs unter
dem Onlinehandel gelitten: Kunden, besser
gesagt, potenzielle Kunden, kamen in die Läden, ließen sich beraten, bestellten am Ende
online irgendwo anders billiger. Deshalb liefert Media-Saturn bereits seit Mai 2014 eher
5
Kann ich mir vorstellen zu nutzen
58
Kann ich mir nicht vorstellen zu nutzen
24
Ohne Angabe: 10 Prozent; Basis: Internetnutzer ab 14 Jahren. Quelle: Bitkom
still und leise am selben Tag, auch online Bestelltes. Media-Saturn, das zum Metro-Konzern gehört, nutzt für Same-Day-Delivery den
Transportdienstleister Tiramizoo, eine Tochter des DPD. Und hat also Same-Day-Delivery vor Amazon oder Zalando begonnen. Mit
wichtigen Vorteilen: Media-Saturn schickt
auch im Netz Gekauftes meist direkt aus 416
Media-Märkten und Saturn-Filialen zum Besteller. Ist so schneller als andere, denn irgendwo in der Nähe des Kunden ist ein Laden der
Kette. Das bedeutet: kürzere Wege und weniger Lagerkosten. Hinzu kommt, wer einen
Kühlschrank oder eine Waschmaschine kauft,
ist durchaus bereit, noch 14,95 Euro für SameDay-Delivery zu bezahlen. Das könnte der
entscheidende Vorteil sein. Wer ein paar
Schuhe verschickt oder ein Buch, kann das
nicht verlangen, so schnell er auch sein mag.
Mit Partnern für den Versand hält sich der
Aufwand in Grenzen – und die Waren lagern
ja ohnehin vor Ort. Sind also schon nah am
Kunden, ohne dass Media-Saturn erst groß
wie Amazon Logistikzentren in den Städten
aufbauen müsste.
Hafner sagt dazu: „Lokalität wird noch
nicht genug ausgespielt.“ Das gelte etwa auch
für Modeläden. „Die Margen im Kleiderbereich sind gigantisch. Da müssen die Händler
jetzt was tun.“ Seine Empfehlung: Sie sollten
sich eine Plattform suchen und Same Day anbieten. Was Zalando könne, müsse ein kleineres Modehaus auch können. Lieber verpackt
der Verkäufer dann Ware für den Versand, als
das der Kunde woanders bestellt oder hingeht.
Und kleine Onlinehändler? Können
Partner finden, die ihnen den Logistikteil abnehmen und verhindern, dass sie sich selbst
um Warenlager und Versand kümmern müssen. Eric Leuchters ist Geschäftsführer von
Schmitt Logistik, einer Firma, die sich
vom reinen Spediteur zum Experten
für Lagerlogistik entwickelt hat.
Ausgeliefert wird für Daimler,
Bosch, Kärcher, Mahle, eher also
B-to-B. Doch Leuchters nutzt
eine Lagerhalle in der Nähe von
Schwäbisch Hall auch für Internethändler. „Unsere Strategie ist
es, für die kleineren Händler die
gesamte Logistik zu organisieren
und so die Kosten zu senken“,
sagt Leuchters: Im Onlinehandel
betrügen die Logistikkosten etwa 20 Prozent des
Umsatzes.
Mehr Versandkomfort werden alle
Händler anbieten müssen. Verbandsmann Milster rät:
Durchhalten. Keiner kann Same-DayDelivery auf Dauer kostenlos anbieten.
Letztlich geht es den Kunden um Komfort.
Den erhöhen andere Lieferoptionen ebenfalls – und sind dem Kunden am Ende vielleicht mehr wert. Im besten Fall Geld.
m a r ket i n g @ w u v.de
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