WA N D E L I M H A N D E L Der Spri Heute bestellt, heute da: Mit Same-DayDelivery im Onlinehandel wollten die großen Anbieter die Kleinen abhängen. Doch so schnell ist das Rennen um die Kundengunst nicht entschieden 48 | W&V 6-2016 nt zur Tür TEXT: Chr i s t i a n L i t z D HL, DPD, UPS. Wer in Innenstadtlage wohnt, konnte ihren Wettlauf um den Jahreswechsel herum schön beobachten. Die Hatz der Paketboten veranschaulicht plastisch, was gerade im Onlinehandel passiert. Es sind dessen Pakete, die schnell, schneller, am besten am selben Tag zum Kunden kommen sollen. Letzteres forcieren die Großen gerade und bringen den Rest des Marktes damit ins Schwitzen. Mit der Lieferung am selben Tag, SameDay-Delivery, wollen die Großen ihren Kunden noch mehr Komfort bieten – koste es, was es wolle. Kleine und mittelständische Händler stehen aber vor der Frage, ob sie sich diese Stufe des Services überhaupt leisten können – der verwöhnte Kunde will es kaum zahlen. Dabei sollte die Frage lauten: Müssen sie überhaupt aktiv mitziehen? Da lohnt ein kleiner Einblick in die Welt der Wirtschaftswissenschaften: Der Interneteinzelhandel wird von einem klassischen Oligopol beherrscht, und da stehen die Marktteilnehmer in einem sehr intensiven Wettbewerb. Der Markt im Oligopol tendiert zu dem für die Anbieter gerade noch möglichen niedrigsten Preis und zu den gerade noch darstellbaren Lieferbedingungen. Was früher Vorzüge bedeutete wie „keine Versandkosten mehr für die Besteller“ oder „anprobieren und kostenfrei zurückschicken“ ist jetzt „bereits am Bestelltag geliefert“. Die Extras rentieren sich kaum, unerheblich, welchen Experten man da fragt. Es ist ein Service-Spiel um die Gunst der Kunden, aber zu Lasten der Marge. Dabei ist gar nicht sicher, ob der Besteller den Tempo-Service wirklich haben will. Valide Erkenntnisse über die Kundenbedürfnisse liegen kaum vor, auch wenn McKinseyPrognosen sagen, dass der Same-Day-Delivery-Anteil am Versandgeschäft bis zum Jahr 2020 von nun 1 auf 15 Prozent steigen wird. Aber wie es eben mit Prognosen so ist, sie sind keine Garantie, und so hat mancher Versanddienst Zweifel daran, ob der Tagesspurt zum gewünschten Ziel führt. Martin Frommhold, Unternehmenssprecher Hermes Europe, verweist auf eine Studie des Einkaufscenterbetreibers ECC, der 50 | W&V 6-2016 Familie Otto gehört: „Den meisten Kunden kommt es eben nicht vorrangig auf die Schnelligkeit an, sondern vielmehr auf Zuverlässigkeit, Planbarkeit und die Möglichkeit zur individuellen Einflussnahme auf den Sendeverlauf.“ Die taggleiche Lieferung ist demnach nur ein Baustein, um Kunden zu erfreuen – neben Zeitfensterlieferungen, spontanem Umleiten auf eine alternative Adresse oder die Lieferung an einen Paketshop. Doch Same-Day-Delivery ist offenbar nun das heilige Mittel zu jedem Zweck – im Wettstreit um den Kunden will keiner zurückfallen. In der Gemeinschaft ist man stark Es herrscht ein darwinistischer Überlebenskampf auf einem Markt mit goldenem Boden: 11,3 Mrd. Euro wurden laut Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland (BEVH) allein im dritten Quartal 2015 mit von Endkunden im Netz bestellten Waren umgesetzt. Wenn es nur noch schwer über Angebot und Preis geht, müssen sich Händler durch den Service abheben. Kunden verknüpfen Einkaufskanäle in vielen Fällen (in Prozent) Wie häufig informieren Sie sich im Internet, kaufen dann aber im Geschäft bzw. umgekehrt? Online informiert – im Geschäft gekauft im Geschäft informiert – Online gekauft 14 9 Regelmäßig 47 41 Manchmal 28 30 Selten 2 Bislang nur einmal 7 4 14 Nie 2 Basis: Onlineshopper ab 14 Jahren. Quelle: Bitkom Research Weiß nicht/k. A. 2 Fotos: Intertopics; DDP Images; Unternehmen re Zielgruppe sind kleine und mittlere HändAmazon, Media-Markt, Zalando: Alle tromler, die nicht den Riesenaufwand betreiben meln bereits mit der taggleichen Lieferung. So können.“ Denn das Management verschiedebot Amazon Käufern in der Weihnachtsner Versandlösungen ist nicht ohne. Und der einkaufsrummelzeit Same-Day-Delivery Einzelne erreicht auch keine Versandmengen, sogar samstags. Der US-Konzern baut mit denen er Rabatte aushandeln kann. eigene Lager und Lieferwege für Bei Shipcloud müssen sich Händler nur schnelle Auslieferung auf – weil einmal anmelden. Danach kann der Versener mehr Kundenkomfort schon der bei jedem Paket an den Kunden entscheiimmer als bestes Marketingden, welchen Paketdienst er beim Besteller argument gesehen hat. abliefern lässt. Wie schnell, wie teuer? Alles „Fast alle E-Comgeht. Der Versender kann das direkt auf der merce-Einzelhändler steBestellwebsite den Kunden selbst aussuchen hen unter enormem Marktlassen, ohne dass auf ihn selbst mehr Arbeit druck“, sagt Georg Rainer zukommt. Will der Kunde heute noch oder Hofmann, Professor an der morgen? Will er, dass jemand an der Tür klinHochschule Aschaffenburg gelt? Will er lieber im Shop gegenüber abhound Leiter der Kompetenzlen? DHL? Hermes? UPS? Fedex? GLS? Oder gruppe E-Commerce bei Eco, wirklich Same-Day-Delivery? Wenn ja, der dem Verband der InternetDienstleister Shipcloud vermittelt zu Liefery. wirtschaft. „Die großen AnbieDies ist laut Sokoll die Chance der ter gehen mit Same-Day-Delivery Kleinen: „Kleinere Händler sind in ein finanzielles Risiko, um geflexibler. Die können ja am Kügenüber den Kleineren auf dem chentisch ihr Paket verpacken Markt auf einen Vorteil verweisen und es dem Lieferdienst übergezu können.“ Denn sie wälzen die ben. Das heißt: Same-Day-DeliKosten nicht auf den Kunden ab. very ist eine Chance für den KleiSame-Day-Delivery können sich, nen, auch wenn es auf den ersten heißt es daher schnell, doch nur Blick gar nicht so aussieht.“ die Großen leisten. Aber das sieht Hofmann anders. Denn die Kleinen haben Same-Day-Delivery Chancen – dann, wenn sie mit Partnern zusammenarbeiten. Das ist eine Chance für können durchaus andere Kleine kleinere Anbieter sein, sodass dann alle gemeinsam mit den Großen mithalten könMit dieser Flexibilität können nen. Der Kniff: Logistikpartner auch kleinere Händler mit Komübernehmen die Same-Day-Delifort punkten und die von Amazon very einfach als Auftrag. Diejeniund Zalando geweckte Kundenergen, deren Outsourcing- und wartung erfüllen. Aus der PortoKostenschrumpf-Reflexe rechtkasse zahlen das die kleinen Anzeitig angesprungen sind, profibieter nicht, aber das muss dem tieren am Ende vielleicht sogar Kunden dann vermittelt werden. mehr als die Großen, weil die auf Die Botschaft ist klar: Zusatzleisden hausgemachten Mehrkosten tungen bedeuten eben zusätzliche sitzen bleiben. Kosten, wenn man nicht will, dass Ivonne Sokoll arbeitet bei nur Großkonzerne übrig bleiben. Shipcloud , einem Startup in Es geht darum, beim Kunden tatHamburg, das vor zwei Jahren sächlich entsprechende EinkaufsGeorg Rainer Hofmann, gegründet wurde. Sie sagt: „Unsemoral zu aktivieren, nicht nur Professor an der Hochschule Aschaffenburg „Fast alle E-CommerceEinzelhändler stehen unter enormem Marktdruck“ W&V 6-2016 | 51 deren Händeringen und Facebook-Posts darüber, dass die Kleinen verschwinden. Je tiefer man den Kunden versteht – und das können kleine Lieferanten meist – desto besser die Chance auf einen fruchtbaren Dialog. Der stationäre Handel muss sich bewegen Christian Milster, Referent Prozessmanagement beim Bundesverband E-Commerce und Versandhandel BEVH, hat Kundenmeinungen eingeholt: „Es geht nicht mehr um Same-DayDelivery. Zustellung, die schnell ist und die zudem mit dem Alltag synchronisiert werden kann, das wäre dem Kunden wichtig.“ Milster bestätigt also die Studie des Einkaufscenterbetreibers ECC. Der Kunde will anscheinend lieber ein genaues Zeitfenster angeben, in dem sein Paket kommt. Wenn er spontan umplant, möchte er den Liefertermin ändern. Oder den Anlieferort. Was mithilfe der Versanddienstleister kleinen Händlern genauso gut gelingen kann wie den großen. Am selben Tag hilft nichts, wenn der Kunde da nicht zu Hause ist. Und letztlich ist das nur bei wenigen Waren ein entscheidender Vorteil. Im Wettlauf um die Kunden geht also den schlauen Kleinen gegenüber den Großen nicht zwangsläufig die Puste aus. Jemand anders sollte sich aber bewegen, wenn er „Zustellung, die zum Alltag der Kunden passt, wäre wichtig“ Christian Milster, Referent Prozessmanagement BEVH nicht abgehängt werden will: „Es geht gar nicht so sehr um Groß gegen Klein. Es geht um Onlinehandel gegen den stationären Handel“, sagt Nils Hafner, Professor für Kundenbeziehungsmanagement an der Universität Luzern. Der klassische stationäre Einzelhändler hatte bisher Vorteile. Im besten Fall lief es ja so: Kunde kommt, sieht, will und kauft. Onlinehändler, die Same-Day-Delivery bieten, wollen nun ebenfalls diesen Impuls bedienen: Sie setzen auf den Dreiklang: Sehen – haben wollen – jetzt sofort! Wie zuvor schon Mechanismen wie der One-Click-Buy oder das „der Umsatz mit Waren im deutschen Online- und Versandhandel nach Versendergruppen (in Millionen Euro) Onlinemarktplätze (Ebay, Amazon) 6 029 5 272 Multichannel 4 263 4 393 Internet-Pure-Player 1 577 1 513 Stationärer Handel 1 419 1 598 Quelle: BEVH, Statista 2015 52 | W&V 6-2016 3. Quartal 2015 3. Quartal 2014 Nutzung von Same-Day-Delivery (in Prozent) Nutze ich regelmäßig 3 Habe ich bisher einmal genutzt Artikel ist auf Lager und kann sofort versendet werden“, kann Same-Day-Delivery dem stationären Handel einen weiteren seiner Vorteile nehmen – einen entscheidenden. Der Ladenhandel habe, so Hafner, sich lange uneinholbar gewähnt. Der Tenor sei gewesen: Man verdiene online doch nichts. Aber man stöhnte, weil halt doch Stück für Stück Umsatz an die Onlinekonkurrenz verloren ging. Jetzt kommt plötzlich Same-DayDelivery und nimmt dem Einzelhandel seinen entscheidenden psychologischen Vorteil, dieses „sofort Haben“. Doch der so ins Rollen gebrachte Wandel kann auch dem stationären Handel helfen. Warum? Auch dieser könnte die Infrastruktur nutzen, die Dienstleister für kleine und mittlere Onlinehändler entwickeln, und die arbeitsintensive Logistik so auslagern. Ja, die Onlinehandels-Margen machen das Geschäft schwierig. Dem Kunden dieLieferOption bieten zu können, um ihn zu halten, könnte aber hier überlebenswichtig werden. 20 Prozent des Umsatzes verschlingt die Logistik Das Vorbild hier kann Media-Saturn sein. Die Elektrofachmarkt-Kette hatte anfangs unter dem Onlinehandel gelitten: Kunden, besser gesagt, potenzielle Kunden, kamen in die Läden, ließen sich beraten, bestellten am Ende online irgendwo anders billiger. Deshalb liefert Media-Saturn bereits seit Mai 2014 eher 5 Kann ich mir vorstellen zu nutzen 58 Kann ich mir nicht vorstellen zu nutzen 24 Ohne Angabe: 10 Prozent; Basis: Internetnutzer ab 14 Jahren. Quelle: Bitkom still und leise am selben Tag, auch online Bestelltes. Media-Saturn, das zum Metro-Konzern gehört, nutzt für Same-Day-Delivery den Transportdienstleister Tiramizoo, eine Tochter des DPD. Und hat also Same-Day-Delivery vor Amazon oder Zalando begonnen. Mit wichtigen Vorteilen: Media-Saturn schickt auch im Netz Gekauftes meist direkt aus 416 Media-Märkten und Saturn-Filialen zum Besteller. Ist so schneller als andere, denn irgendwo in der Nähe des Kunden ist ein Laden der Kette. Das bedeutet: kürzere Wege und weniger Lagerkosten. Hinzu kommt, wer einen Kühlschrank oder eine Waschmaschine kauft, ist durchaus bereit, noch 14,95 Euro für SameDay-Delivery zu bezahlen. Das könnte der entscheidende Vorteil sein. Wer ein paar Schuhe verschickt oder ein Buch, kann das nicht verlangen, so schnell er auch sein mag. Mit Partnern für den Versand hält sich der Aufwand in Grenzen – und die Waren lagern ja ohnehin vor Ort. Sind also schon nah am Kunden, ohne dass Media-Saturn erst groß wie Amazon Logistikzentren in den Städten aufbauen müsste. Hafner sagt dazu: „Lokalität wird noch nicht genug ausgespielt.“ Das gelte etwa auch für Modeläden. „Die Margen im Kleiderbereich sind gigantisch. Da müssen die Händler jetzt was tun.“ Seine Empfehlung: Sie sollten sich eine Plattform suchen und Same Day anbieten. Was Zalando könne, müsse ein kleineres Modehaus auch können. Lieber verpackt der Verkäufer dann Ware für den Versand, als das der Kunde woanders bestellt oder hingeht. Und kleine Onlinehändler? Können Partner finden, die ihnen den Logistikteil abnehmen und verhindern, dass sie sich selbst um Warenlager und Versand kümmern müssen. Eric Leuchters ist Geschäftsführer von Schmitt Logistik, einer Firma, die sich vom reinen Spediteur zum Experten für Lagerlogistik entwickelt hat. Ausgeliefert wird für Daimler, Bosch, Kärcher, Mahle, eher also B-to-B. Doch Leuchters nutzt eine Lagerhalle in der Nähe von Schwäbisch Hall auch für Internethändler. „Unsere Strategie ist es, für die kleineren Händler die gesamte Logistik zu organisieren und so die Kosten zu senken“, sagt Leuchters: Im Onlinehandel betrügen die Logistikkosten etwa 20 Prozent des Umsatzes. Mehr Versandkomfort werden alle Händler anbieten müssen. Verbandsmann Milster rät: Durchhalten. Keiner kann Same-DayDelivery auf Dauer kostenlos anbieten. Letztlich geht es den Kunden um Komfort. Den erhöhen andere Lieferoptionen ebenfalls – und sind dem Kunden am Ende vielleicht mehr wert. Im besten Fall Geld. m a r ket i n g @ w u v.de W&V 6-2016 | 53
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