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Claus Aldé
Die Erfindung der Selbstvernichtung
Mit dem Zeppelin fing es an!
Herausgegeben von der Bertha von Suttner Stiftung und der
Deutschen Gesellschaft für Westfälische Kultur e.V.
agenda
Claus Aldé
Die Erfindung der Selbstvernichtung
Mit dem Zeppelin fing es an!
Herausgegeben von der Bertha von Suttner Stiftung und der
Deutschen Gesellschaft für Westfälische Kultur e.V.
agenda Verlag
Münster
2015
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im
Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2015 agenda Verlag GmbH & Co. KG
Drubbel 4, D-48143 Münster
Tel.: +49(0)251-799610, Fax: +49(0)251-799519
www.agenda.de, [email protected]
Umschlaggestaltung: Ida Schlößer, Tabea Temme
Druck & Bindung: MCP, Marki, Polen
ISBN 978-3-89688-528-9
Stimmen aus dem Grabe :
Worte und Warnungen zweier Europäer,
die kurz vor dem 1.Weltkrieg verstorben sind bzw ermordet wurden.
Bertha von Suttner,
starb mit 71 Jahren rund 2 Monate vor Beginn des Weltkriegs.
Die Autorin des weltbekannten Romans „Die Waffen nieder!“,
sowie vieler im Geiste des Pazifismus verfasster Artikel und Schriften
erhielt 1906 im Storthing zu Christiana den Friedens-Nobelpreis.
Ihre Dankesrede war eine Botschaft an alle Zeitgenossen.
Auszüge aus dieser Rede:
„Der stärkste aller menschlichen Triebe, der Selbsterhaltungstrieb,
ist durch ein uraltes Gebot geheiligt, welches heißt
‚Du sollst nicht töten!‘
Wie wenig im gegenwärtigen Stand der menschlichen Kultur
jenes Gebot befolgt wird, brauche ich nicht zu sagen.
Weil das so ist und weil es so war, glauben die meisten,
dass es immer so bleiben müsse.
Man muss verstehen, dass zwei Weltanschauungen
und zwei Zivilisationsepochen miteinander ringen.
Hier handelt es sich um ein Ziel, das viele Millionen
als eine Utopie betrachten.
Mächtige Interessen sind damit verbunden,
dass es nicht erreicht werde und dass alles beim Alten bleibt.“
Jean Jaurés,
der französische Sozialist und Streiter für die Erhaltung des Friedens,
wurde 2 Tage vor Weltkriegsbeginn
von einem französischen Nationalisten ermordet.
Aus einer Erklärung im Jahre 1910:
„Die menschliche Einheit kann nur durch eine Föderation
autonomer Nationen verwirklicht werden,
die auf die Ausübung ihrer militärischen Macht verzichtet haben
und sich unter die Gesetze des Völkerrechts stellen.
Doch das kann nicht geschehen durch Unterdrückung
des nationalen Lebens, sondern nur durch dessen Veredelung.“
Ullstein-Bild
Jean Jaurés
03.09.1859 bis 31.07.1914
Bertha von Suttner
09.06.1843 bis 21.06.1914
Der Buchautor widmet diese Publiikation
Dr. Bernhard Schneeberger, dem langjährigen Leiter des agenda Verlages.
Im Mai 2015 ist er verstorben.
Dieses Buch ist das letzte, das er als Verleger betreut hat.
Inhalt:
DER BEGINN DER LUFTRÜSTUNG
(1908 – 1914)
DER ERSTE GROSSE LUFTKRIEG
UND DER BEGINN DES BOMBENTERRORS
AUS DER LUFT
(1914 – 1918)
DIE GRÜNDUNG DES VÖLKERBUNDES
MIT DEM ZIEL,
FRIEDENSSICHERUNG DURCH ABRÜSTUNG
(1919)
Erster Teil
DER BEGINN DER LUFTRÜSTUNG
(1908 bis 1914)
Ganz Berlin war am 1. September 1908 schon früh auf den Beinen,
um die alljährliche Kaiserparade aus allernächster Nähe mitzuerleben.
Einer, der fast immer dabei war, berichtet.
„Solche Ereignisse waren wirkliche Festtage. Ganz Berlin ließ die Arbeit
liegen. Jedermann eilte ins Stadtzentrum.. Was für ein Vergnügen war es,
eingeschlossen in dieser aufgeregten Masse, zu warten.. Dann kündigte ein
Trompetensignal die Annäherung der Parade an... Da kam unser Kaiser.
Er kam auf seinem weißen Ross, sicherlich dem weißesten Ross in der
ganzen Welt. Seine Uniform strahlte einen solchen Glanz und Glimmer aus,
dass es schwierig war, ihn anzusehen...
Was für ein Prunk der Uniformen,... wechselnd in rascher Folge. Während
wir noch im schimmernden Gold und Weiß der Kürassiere schwelgten,
richteten wir unsere Augen auf die blau gekleideten Ulanen, die ihre
leichten Lanzen hielten, und auf die großen Garde-Grenadiere, die noch
immer die Mützen trugen, die an des Alten Fritzen Zeit erinnerten.“ (1)
Man sagte den Deutschen damals nach, dass sie wie keine andere Nation für
alles Uniformierte und Militärische schwärmten, ohne nach Sinn und
Zweck zu fragen. Doch in diesem Sommer 1908 waren die allermeisten im
Lande noch viel mehr begeistert von einem großen, grauen Körper, der
Anfang August zwei Tage am Himmel über Süddeutschland zu sehen war.
*
Auf dem Bodensee, bei Friedrichshafen, hatte sich am 4. August 1908
um 7 Uhr ein Luftschiff des Grafen F e r d i n a n d v o n Z e p p e l i n ,
später von allen „Zeppelin“ genannt, erhoben. Es startete zu einer großen
Rundfahrt. Über mehrere süddeutsche Städte sollte die Fahrt bis nach
Mainz als nördlichstem Punkt und von dort wieder zurück zum Bodensee
gehen. 24 Stunden waren dafür vorgesehen. Zuvor hatte noch kein von
Menschenhand gebauter fliegender Körper dergleichen geschafft.
Zeppelins starres, lenkbares Luftschiff war 136 Meter lang. Es besaß im
Innern ein stabilisierendes „Skelett“ aus Duralumin. Seine Haut bestand aus
festem, grauem Baumwollstoff. Wie alle Ballons war der Zeppelin
mit dem leichten, aber auch leichtentzündbaren Wasserstoffgas gefüllt.
Aus Sicherheitsgründen hatte man deshalb den großen Innenraum mit
einem Volumen von 15000 Kubikmetern in mehrere voneinander getrennte
Gaskammern geteilt. Wenn eine Gaskammer beschädigt wurde, bedeutete
das nicht Absturz. Unter dem Luftschiff-„Bauch“ hingen zwei Gondeln für
das Fahrpersonal. Zwei Daimler-Motoren mit je 105 PS sollten das
Luftschiff des Grafen antreiben. Es war sein viertes und trug deshalb die
Bezeichnung „LZ 4“.
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Ullstein-Bild
Vor der geplanten 24-Stunden-Fahrt. LZ 4 verlässt die schwimmende Halle.
Bereits 1900 hatte der Graf sein erstes Luftschiff gebaut und erprobt.
LZ 1 hatte sich dreimal über dem Bodensee erhoben. Bei allen Aufstiegen
gab es Mängel und Beschädigungen. Schließlich waren die finanziellen
Mittel erschöpft. LZ 1 und die Bauhalle mussten abgewrackt werden.
Danach ist Graf Zeppelin mit seiner Erfindung eine Weile nicht vorangekommen. Zum Bau eines zweiten Luftschiffs hat das Geld gefehlt.
Niemand war bereit, seine Erfindung finanziell zu unterstützen. Letztlich
ist er auf den Gedanken gekommen, eine eigene Lotterie zu gründen.
Aus den Erträgen konnte er endlich den Bau des zweiten „Zeppelin“
finanzieren. Doch mit LZ 2 hatte er gar kein Glück. Schon bei der ersten
Probefahrt versagte die Seitensteuerung und das Luftschiff wurde in den
Allgäuer Alpen, wo es notlandete, bei einem nächtlichen Sturm zerfetzt.
Erst mit seinem dritten Luftschiff, dessen Bau vom Reich subventioniert
wurde, war dem „Luftgrafen“ etwas mehr Erfolg beschieden. Mit LZ 3
absolvierte er mehrere kleine Versuchsfahrten und landete immer wieder
heil auf dem Bodensee. In den Zeitungen wurde lobend davon berichtet.
Graf Zeppelin wurde im Volk bekannt und beliebt.
Mit der 24-stündigen Fahrt von LZ 4 nach Mainz und zurück wollte der
„Luftgraf“ beweisen, wozu sein allerneuestes Luftschiff in der Lage ist.
Seit Fahrtbeginn stand er in der Führergondel und gab Anweisungen.
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Oberingenieur Dürr bediente das Höhensteuer, die Kapitäne Lau und
Hacker das Seitensteuer. Obermeister Schwartz und die Maschinisten
Laburda und Kast waren für die Daimler-Motoren verantwortlich.
Ingenieur Stahl und vier Monteure ergänzten die Mannschaft. Sie war
eingespielt; denn natürlich hat man die große Fahrt mit einer kleineren über
die Schweiz vorbereitet.
Aus dem Fahrtbericht des Grafen: „Das Fahrzeug hatte bei der Schweizfahrt gezeigt, dass alle Organe funktionierten. Die Witterungsverhältnisse
waren relativ günstig. Es wurde in die Tageswärme hinein gefahren.“ (2)
Von vielen Zeitungen hatten Graf von Zeppelin und sein neues Luftschiff
reichlich Vorschusslorbeeren erhalten. Für die meisten Deutschen war LZ 4
„die ideale Verwirklichung des Traums vom Fliegen“.
Bekanntlich ist der Traum vom Fliegen genauso alt wie die Menschheit.
Ihn endlich zu verwirklichen, schien Anfang des 20. Jahrhunderts nicht
mehr unmöglich. Schon zwei Jahre nach den kurzen Aufstiegen von LZ 1
über dem Bodensee hatte ein französisches Luftschiff erstmals den
Eifelturm umkreist. 1903 war in Frankreich ein Luftschiff sogar eine
Stunde in der Luft geblieben. Im gleichen Jahr hatten in Amerika die
Gebrüder Wright gezeigt, dass Fliegen sogar mit einem Flugzeug gelingt.
1907 beteiligten sich auch die Engländer an der Eroberung der Luft.
Ihr Luftschiff „Nulli Secundus“ kreiste 1907 drei Stunden über London.
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Das alles war jedoch fast Nichts, gemessen an dem neuesten Vorhaben
des Grafen Zeppelin, 24 Stunden lang über Süddeutschland zu fahren!
Verwirklichung des Traums vom Fliegen! Für viele Flugpioniere hieß das
natürlich, über alle Ländergrenzen hinweg zu fliegen. Das aber würde
– so ihre Vision – dazu führen, dass alle Völker sich näher kommen!
Otto Lilienthal, der erste fliegende Mensch, hatte den schönen Traum:
„Der unbeschränkte Flug wird uns den ewigen Frieden verschaffen!“ (3)
In vielen Zeitungen war die Rundfahrt des „Zeppelin“ vorab angekündigt
und sogar die Flugroute beschrieben worden. Viele Süddeutsche hatten sich
deshalb aufgemacht, um an einem der genannten Streckenorte das
fliegende „Wunder“ mit eigenen Augen zu sehen.
LZ 4 fuhr zunächst in Richtung Westen, bis Basel. Dann die Wendung
nach Norden. Straßburg erreichte der Zeppelin gegen 11 Uhr. Hier wurde
er schon von der Bevölkerung freudig erwartet.
Weiter ging die Fahrt, immer den Rhein entlang. In allen Orten am Ufer
wurde der Zeppelin stürmisch begrüßt. Bald konnte man den Dom von
Speyer anvisieren. Als LZ 4 die ehrwürdige Stadt überquerte, waren alle
Plätze und Straßen voll von Winkenden und Jubelnden. Genauso geschah es
in Mannheim und danach in Worms. Dem Grafen und den anderen an Bord
schien es, als würde die Begeisterungswelle von Stadt zu Stadt stets höher
schlagen.
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